Transkript
Übersicht
Angewandte Pharmakotherapie bei Demenzen
Eine kurze Übersicht über Wirkungen und Nebenwirkungen aktueller Antidementiva
Michael Hüll und Mathias Berger
In der Schweiz leben zirka 100 000 Menschen mit einer Demenz bei einer Neuerkrankungsrate von rund
entweder auf der Hemmung der Cholinesterase oder auf einer Blockade von Glutamatrezeptoren beruhen.
22 000 Betroffenen pro Jahr. Antidementiva mit den Wirkungsmechanismen Cholinesterasehemmung und Glutamatrezeptorblockade stellen die demenzspezifische Basistherapie dar. Komorbide Depressionen im Frühstadium sollten antidepressiv mit einem SSRI behandelt werden. Eine Behandlung von akzessorischen Symptomen einer Demenz wie Agitation und Aggressionen mit Antipsychotika sollte regelmässig durch Absetzversuche bezüglich einer Weiterführung hinterfragt werden.
Epidemiologie und Ätiologie der Demenzen
Aufgrund des epidemiologischen Wandels, aber auch wegen der zunehmenden Sensibilisierung für kognitive Defizite im Alter, treten heute Demenzen mehr und mehr ins Blickfeld medikamentöser Therapien. In der Schweiz leben zurzeit zirka 100 000 Menschen mit einer Demenz. Die weitere Lebenserwartung ist durch die Demenzerkrankung reduziert und liegt je nach Lebensalter zwischen 3 und 6 Jahren. In der Schweiz ist jährlich mit dem Neuauftreten von etwa 22 000 Demenzen zu rechnen. In den letzten Jahren ist ein Trend zu einer früheren Diagnosestellung zu
beobachten. Verfügbare Therapien konnten bisher nicht den Nachweis erbringen, über eine symptomatische Wirkung hinaus eine Progression der zugrunde liegenden Neuropathologie zu verhindern. Hierzu sind aber vielversprechende Neuentwicklungen in der klinischen Forschung, zum Beispiel der Einsatz von Antikörpern gegen das Alzheimer-Peptid. Zirka 50 Prozent der Demenzsyndrome werden alleine durch eine AlzheimerPathologie verursacht, bei weiteren 25 Prozent spielt die Alzheimer-Pathologie zusammen mit einer vaskulären Pathologie eine entscheidende Rolle. Speziell für die Alzheimer-Demenz wurden Antidementiva entwickelt, die
Cholinesterase-Inhibitoren
Ein Verlust der cholinergen Innervation des Hippokampus und des Kortex ist bei der Alzheimer-Demenz und der Demenz mit Lewy-Körperchen, aber auch bei vaskulären Demenzen zu beobachten. Anticholinerg wirkende Medikamente verschlechtern regelhaft bei allen Demenzformen die Kognition, was auf die limitierende Rolle der Verfügbarkeit von Acetylcholin hinweist. Anticholinerge Substanzen sollten deshalb bei Demenzpatienten vermieden werden. CholinesteraseInhibitoren (ChEI) stellen nach den Leitlinien der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte die Therapie der Wahl bei der Alzheimer-Demenz dar. Eine Analyse der Ergebnisse aller längeren Studien mit ChEI konnte die Wirksamkeit der ChEI bezüglich der Kognition belegen. Die Wirkung auf andere Symptombereiche, zum Beispiel die alltagspraktischen Fähigkeiten oder akzessorische Symptome wie Agitation und Aggression, war geringer beziehungsweise nicht sicher nachweisbar. Häufige Nebenwirkungen waren aufgrund des cholinergen Wirkprinzipes Übelkeit und Inappetenz, bei einigen Patienten kam es unter langfristiger Therapie im Enddosisbereich zu deutlichen Gewichtsverlusten. Magen-DarmUlzera stellen eine Kontraindikation dar. Das Auftreten von Synkopen wird immer wieder mit dem Einsatz von ChEI in Verbindung gebracht. Bei klinisch bereits in Erscheinung getretenen bradykarden Rhythmusstörungen ist besondere Vorsicht geboten.
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Übersicht
Tabelle:
Pharmakologische Daten von Donepezil, Galantamin, Rivastigmin und Memantine
Donepezil Aricept®
Galantamin Reminyl®
Rivastigmin Exelon®
Wirkprinzip
Halbwertszeit
Stoffwechsel, Interaktionspotenzial Startdosis Steigerungsintervall Steigerungsdosis Höchstdosis
ChEI
70 h
Leber, über CYP2D6/CYP3A4 5 mg 4–8 Wochen um 5 mg 10 mg
ChEI (modulierend am Nikotinrezeptor)
7–8 h
Leber, über CYP2D6/CYP3A4
8 mg
4 Wochen
um 8 mg
24 mg
ChEI, hemmt auch weitere Esterasen
1 h (ChEI durch Bindung länger)
wird von ChE am Wirkort gespalten
2-mal 1,5 mg
2–4 Wochen
2-mal 1,5 mg
2-mal 6 mg oder Pflaster
Memantine Axura®, Ebixa®
NMDA-Antagonist
60–100 h
Niere
5 mg 1 Woche 2-mal 5 mg 2-mal 10 mg
© Gerd Altmann/PIXELIO
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Für eine wirklich differenzielle Abwägung bezüglich Wirksamkeit und Nebenwirkungen existieren zwischen den drei einzelnen Substanzen keine aussagekräftigen Vergleichsstudien. Für die niedrigen Dosen von Galantamin (unter 16 mg/Tag) sowie Rivastigmin (unter 6 mg/Tag) wurden keine Effekte gefunden, sodass diese Substanzen auf mindestens 16 mg (Galantamin) beziehungsweise 6 mg (Rivastigmin) pro Tag aufdosiert werden müssen. Gastrointestinale Nebenwirkungen treten zumeist vorübergehend, insbesondere bei Beginn und bei weiterer Aufdosierung, auf. Eine temporäre Begleitbehandlung mit Metoclopramid bei Aufdosierung kann die Übelkeit lindern, sollte allerdings nicht als Dauermedikation geführt werden und kann bei empfindlichen Personen zu motorischen Störungen führen. Die weiteren pharmakologischen Daten der drei ChEI sind in der Tabelle aufgelistet. Donepezil kann nach vier bis acht Wochen von 5 auf 10 mg aufdosiert werden, hier sorgt die längere Halbwertszeit für einen kontinuierlichen Wirkspiegelanstieg nach Behand-
lungsbeginn. Bei geplanten Operationen sollte entsprechend längerfristig Donepezil zuvor abgesetzt werden. Die klinische Bedeutung von zusätzlichen pharmakologischen Effekten wie der Modulation des Nikotinrezeptors oder der Hemmung der Butyril-
Cholinesterase sowohl für die Wirkung als auch die Nebenwirkung ist unklar. Donepezil kann einmal täglich gegeben werden, wobei die Einnahme sowohl morgens als auch abends möglich ist. Dasselbe gilt für Galantamin in der Retardform. Rivastigmin kann
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neuerdings als täglich zu wechselndes Pflaster (9,5 mg im Pflaster entsprechen 12 mg oral) appliziert werden, eine Darreichungsform, die geringere Spiegelschwankungen aufweist und gut verträglich ist.
Glutamatrezeptor-Modulatoren, Memantine
Memantine ist ein reversibeler Antagonist am Glutamatrezeptor vom NMDA-(N-Methyl-D-Aspartat-)Typ. Diese Modulation wird mit einer Reduktion des glutamatinduzierten Zelltodes in Verbindung gebracht. Verlaufsmodifizierende Eigenschaften beziehungsweise ein Einfluss auf die Alzheimer-typische Neuropathologie konnte für Memantine nicht nachgewiesen werden. Der glutamatinduzierte Zelltod spielt in grösserem Masse bei ischämschen Läsionen eine Rolle und ist nicht spezifisch für eine
bestimmte Form von Neuropathologie. Memantine wurde insbesondere bei mittelschweren bis schweren (MiniMental-Status-Examination MMSE > 20) Demenzerkrankungen eingesetzt. Aufgrund der Verwandtschaft mit Amantadine und der Wirkung am NMDARezeptor besteht klinisch häufig der Eindruck einer Besserung der motorischen Funktionen. Eine eingeschränkte Nierenfunktion führt zu höheren Blutspiegeln. Eine unerwünschte Unruhe kann auftreten. Weitere pharmakologische Informationen sind in der Tabelle aufgelistet.
Depression
Apathie und Antriebsstörungen können Symptome der demenziellen Erkrankung oder aber einer Depression sein. Etwa ein Drittel aller Demenzpatienten entwickeln in der frühen Phase der Erkrankung eine behand-
lungsbedürftige depressive Symptomatik, insbesondere Patienten mit einer Einsicht in die krankheitsbedingt zunehmenden Behinderungen. Eine antidepressive Behandlung hat hier Vorrang vor dem Einsatz von Antidementiva, zumal für cholinerg-stimulierende Substanzen eine Verstärkung einer depressiven Symptomatik vermutet wird. Zur Depressionsbehandlung bei beginnender Demenz können sowohl psychotherapeutische als auch pharmakologische Behandlungsansätze verfolgt werden. Aufgrund der fehlenden Sedierung sind Serotonin-wiederaufnahmeHemmer (SSRI) geeignet. Der SSRI Paroxetin muss jedoch aufgrund seiner anticholinergen Eigenschaften vermieden werden. Natriumwerte sollten aufgrund des im Alter erhöhten Risikos für eine Hyponatriämie und damit verbundener motorischer Schwäche bei SSRI-Behandlung kontrolliert werden.
Übersicht
Apathie
Apathie als isoliertes Symptom einer Demenz in Abgrenzung zu einer komorbiden Depression findet zunehmend in Studien zum Krankheitsverlauf Beachtung. Ein apathisches Syndrom lässt sich mit demenztypischen hirnorganischen Veränderungen in Verbindung bringen, eine depressive Herabgestimmtheit findet sich dabei im Regelfall nicht. Eine Apathie kann auf ChEI oder Memantine respondieren. Die Behandlung einer Apathie als Zielsymptom ist insbesondere sinnvoll, falls nahe Angehörige, zum Beispiel Ehepartner, einen wieder zunehmenden Antrieb zu gemeinsamen Aktivitäten nutzen können. Apathie ist eine Hauptnebenwirkung von Antipsychotika.
Risperidon ein deutliches Parkinsonoid entwickeln. Bei längerem Einsatz bei älteren Patienten sind Beinödeme häufig. Ein Ausschleichversuch sollte zirka alle drei Monate erfolgen. ◆
Prof. Dr. med. Michael Hüll Sektionsleiter Gerontopsychiatrie
und Neuropsychologie Universitätsklinikum Freiburg
Hauptstrasse 5 D-79106 Freiburg
Antipsychotika
Nur schwere Agitation und Aggression sollten vorübergehend mit Antipsychotika behandelt werden. Patienten mit diesen Symptomen haben per se eine schlechtere Lebenserwartung, eine Behandlung mit Antipsychotika erhöht bei ihnen noch das Risiko zerebrovaskulärer Insulte. In der Schweiz ist von den atypischen Antipsychotika Risperidon in dieser Indikation zugelassen. Eine Dosierung von 0,5 mg ist oft ausreichend, bei Dosierungen über 1,5 mg überwiegen meist die unerwünschten Wirkungen. Insbesondere Patienten mit einer zusätzlichen LewyKörperchen-Pathologie können unter
Prof. Dr. med. Mathias Berger Direktor der Abteilung Psychiatrie
und Psychotherapie Universitätsklinikum Freiburg
Hauptstrasse 5 D-79106 Freiburg
Interessenkonflikte: keine
Weiterführende Literatur: Staehelin HB. Epidemiologie der Demenzerkrankungen. Schweiz Med Forum 2004; 4: 247–250.
Monsch AU, Hermelink M, Kressig RW, Fisch HP, Grob D, Hiltbrunner B, Martensson B, Rüegger-Frey B, von Gunten A. Konsensus zur Diagnostik und Betreuung von Demenzkranken in der Schweiz. Swiss Med. Forum 2008; 8: 144–149.
www.medicalforum.ch (Archiv) Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, www.akdae.de/ 35/70_Demenz_2004_3Auflage.pdf
Hüll M, Berger M, Heneka M. Diseasemodifying therapies in Alzheimer’s disease: how far have we come? Drugs 2006; 66: 2075–2093.
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