Transkript
Fortbildung
Tiefe Hirnstimulation
Eine neue Therapiemöglichkeit bei pharmakotherapieresistenten Epilepsien?
Marcos Ortega und Dominik Zumsteg
Die tiefe Hirnstimulation (THS) gilt als eine der viel- alternative Behandlungsmöglichkeiten
gesucht.
versprechendsten therapeutischen Zusatzoptionen für Die Idee der elektrischen (subkortika-
Patienten mit pharmakotherapieresistenten und ope-
len) Stimulation für die Behandlung pharmakotherapieresistenter Epilep-
rativ nicht angehbaren Epilepsien. Die THS kann
sien basiert im Wesentlichen auf dem Wissen um die Fülle reziproker, sub-
direkt auf einen oder mehrere epileptische Foci, auf
kortiko-kortikaler Faserverbindungen des Gehirns, und auf der Erkenntnis,
die spezifischen Ausbreitungspfade der epileptischen
dass gewissen subkortikalen Strukturen, wie zum Beispiel den medianen
Entladungen oder aber auf subkortikale anfalls-
Thalamuskernen oder dem Subthalamus, bei der Unterhaltung und Aus-
modullierende Strukturen zielen.
breitung von epileptischen Anfällen eine entscheidende Rolle zukommt
(74). Die THS bei Patienten mit Epi-
lepsie zielt also auf die Beeinflussung
solcher für die Entstehung oder Aus-
Einleitung
nicht angehbaren Hirnregion liegt breitung von epileptischen Anfällen
B ei 20 bis 32 Prozent der Patienten mit Epilepsie lassen sich die epileptischen Anfälle nicht
(wie z.B. in der Sprachregion). Für solche Patienten mit medikamentös nicht behandelbaren und chirurgisch nicht
relevanten «Schrittmacher»-Strukturen. Neben diesen subkortikalen «Schrittmacher»-Strukturen gelten
oder nur ungenügend mit antikonvul- angehbaren Epilepsien sind dringend auch verschiedene kortikale Struktu-
siven Medikamenten kontrollieren
(40, 66). Bei Patienten mit Temporal-
lappenepilepsie, insbesondere bei Patienten mit zugrunde liegender mesial temporaler Sklerose, ist die Situation gar noch ungünstiger. Hier wird längerfristig von einer fehlenden Anfallskontrolle bei bis zu 90 Prozent der Patienten ausgegangen (65, 71). Bei einem beträchtlichen Teil der Patienten mit Pharmakoresistenz ergibt
Ein kurzer Blick zurück Die Idee, neurologische Leiden durch elektrische Stimulation zentralnervöser Strukturen zu behandeln, ist nicht neu und reicht bis ins Altertum zurück . Schon der mesopotamische Heiler Scribonius Largus (14–54 n. Chr.) hat versucht menschliche Leiden wie Kopfschmerzen, Lähmungen und Gicht mit den Stromstössen des Torpedofisches zu behandeln. Der therapeutische Einsatz der Neurostimulation im engeren Sinne begann in der Mitte des 20. Jahrhunderts, nachdem J. Lawrence Pool 1948 mit einer 8 Wochen dauernden Stimulation des Nucleus caudatus bei einer Patientin mit Depression und Anorexie eine klare Verbesserung sowohl der Stimmung als auch des Appetits erreichen konnte (60). Die weitere Entwicklung der THS war dann entschei-
sich die Möglichkeit eines epilepsiechirurgischen Eingriffs, und das häufig mit sehr gutem Erfolg. Bei etwa 25 Prozent aller Patienten mit Epilepsie bietet sich diese Therapieoption aber nicht an, sei es, weil es sich um einen multifokalen oder nicht näher eingrenzbaren Anfallsursprung handelt, oder weil der Anfallsursprung in einer eloquenten, das heisst operativ
dend von den technischen Neuerungen der stereotaktischen Neurochirurgie durch Spiegel and Wycis geprägt (67, 68). Die elektrische Stimulation vor dem jeweiligen Setzen der irreversiblen Läsion bei Patienten mit parkinsonscher Erkrankung wurde damals wie heute routinemässig zur Verifikation der Elektrodenlage durchgeführt, sowohl im Hinblick auf die zu erwartende Wirksamkeit der Stimulation als auch zur Abschätzung allfällig zu erwartender Nebenwirkungen (68). Die moderne Ära der THS begann dann in den späten Achtzigerjahren, nachdem Benabid und Mitarbeiter 1987 erstmals über den Nutzen der Hochfrequenzstimulation im Nucleus ventralis intermedius (Vim) des Thalamus zur Behandlung des Tremors berichten konnten, und seitdem die chronische Neurostimulation zunehmend auch bei anderen neurologischen Erkrankungen mit Erfolg eingesetzt werden konnte und immer noch wird.
11
Neurologie 2•2008
Fortbildung
12
ren als Erfolg versprechende Zielgebiete für die THS bei Patienten mit Epilepsie. In der Folge soll eine Auswahl der aktuell als aussichtsreich angesehenen «Schrittmacher»-Strukturen und kortikalen Areale getrennt aufgelistet und diskutiert werden.
Cerebellum
Die frühesten Versuche epileptische Anfälle mittels elektrischer Stimulation zu unterdrücken zielten auf das Cerebellum. Bereits 1955 gelang es Cooke und Snider im Tierversuch fokale epileptische Anfälle durch elektrische Stimulation des zerebellären Kortex zu unterbrechen. In den folgenden Jahren wurde in mehreren experimentellen Studien mit unterschiedlichen Tiermodellen über ähnliche Ergebnisse berichtet (3, 22, 30, 33, 53). Es gab aber auch Studien, die diesen anfallsunterdrückenden Effekt nicht reproduzieren konnten (29, 54). Beim Menschen wurde die zerebelläre Stimulation zur Behandlung epileptischer Anfälle vor allem von Irving S. Cooper et al. vorangetrieben (14–20). In einer kleinen unkontrollierten Studie konnte erstmals gezeigt werden, dass die subdurale Stimulation des zerebellären Kortex auch beim Menschen gut verträglich ist und zu einer deutlichen Besserung der Anfallshäufigkeit führen kann (17). Davis et al. berichteten im Jahr 1984 in einer unkontrollierten Studie über die Wirksamkeit der zerebellären Stimulation bei 32 Patienten mit fokalen und generalisierten Anfällen. Sie fanden eine vollständige oder nahezu vollständige Anfallskontrolle bei 18 (56,2%), eine lohnenswerte Besserung bei 9 (28,1%) und ein fehlendes Ansprechen bei 5 (15,6%) Patienten ihres Kollektivs. In der Dekade zwischen 1977 und 1987 wurden mindestens 11 unkontrollierte Studien mit insgesamt 112 Patienten zur Evaluation der zerebellären Stimulation bei Patienten mit therapierefraktären Epilepsien durchgeführt, wobei in 27 Prozent der Patienten eine Anfallsfreiheit und in 53 Prozent eine mässige Besserung erreicht werden konnte,
während 20 Prozent der Patienten von der Behandlung nicht profitiert zu haben schienen (46). Leider liessen sich diese insgesamt ermutigenden Resultate in zwei darauf folgenden kontrollierten Studien mit jeweils 5 (76) und 12 Patienten (89) nicht bestätigen. Die negativen Resultate dieser beiden kontrollierten Studien haben letztlich dazu geführt, dass die zerebelläre Stimulation zur Behandlung epileptischer Anfälle nicht weiter vorangetrieben wurde. Und daran wird wohl auch die kürzlich erschienene Studie von Velasco et al. (78) nichts ändern. Die Autoren berichteten in dieser kontrollierten, doppelblinden, randomisierten Pilotstudie über eine signifikante Reduktion tonisch-klonischer und tonischer Anfälle unter bilateraler zerebellärer Stimulation bei Patienten mit therapierefraktären motorischen Anfällen.
Nucleus centromedianus thalami
Der Nucleus centromedianus (CM) ist der grösste Zellkomplex des menschlichen Thalamus, bestehend aus einem ventrocaudal gelegenen, parvozellulären Anteil und einem weiter dorsorostral gelegenen, magnozellulären Anteil. Zusammen mit den anderen Kernen des intralaminaren Kernkomplexes gilt der CM als prototypisch für das nicht spezifische thalamokortikale Projektionssystem. Basierend auf der Hypothese, dass eine Zerstörung dieses nicht spezifischen Kerngebiets zu einer Alteration der im epileptischen Anfall pathologischen Synchronisation im thalamokortikalen Netzwerk führen könnte, wurde der CM schon früh als potenzielles Zielgebiet zur Unterbrechung epileptischer Anfälle angesehen und entsprechend intensiv studiert. Ramamurthi et al. (62) berichteten über die Wirksamkeit von stereotaktischen CM-Läsionen bei 6 Patienten mit refraktären myoklonischen und Salaamanfällen. Die Autoren fanden eine vollständige Anfallskontrolle bei 3 (50%), eine lohnenswerte Besserung bei 1 (16,7%) und keinerlei Besserung bei 2 (33,3%) ihrer Patienten. Auch
Sano (63) berichtete über eine lohneswerte Besserung der Anfallssituation bei 2 von 5 (40%) Patienten und über keine Besserung bei den restlichen 3 (60%) Patienten ihres Kollektivs. Velasco et al. fanden eine markante Reduktion der Anfallsfrequenz unter chronischer bilateraler CM-Stimulation in einer unkontrollierten Studie mit 5 Patienten (81). Chkhenkeli und Sˇ ramka (11) beschrieben eine Abnahme epileptiformer Potenziale unter CM-Stimulation. Velasco et al. (79) berichteten später über ihre Langzeitresultate (durchschnittlich 41 Monate) bei 13 Patienten mit bilateraler CM-Stimulation. Die Autoren fanden eine signifikante, > 80prozentige Reduktion der tonischklonischen Anfälle und atypischen Absenzen, aber keine signifikante Änderung hinsichtlich der komplex-fokalen Anfälle. Anlässlich des 13. Treffens der World Society for Stereotactic and Functional Neurosurgery in Adelaide berichteten Velasco und Mitarbeiter im Jahr 2001 über vergleichbare Langzeitresultate (mit einem Verlauf zwischen 6 Monaten und 15 Jahren) bei insgesamt 49 Patienten mit CMStimulation (80). Die CM-Stimulation erfolgte in diesem Patientenkollektiv bei schwer kontrollierbaren Anfällen multifokalen (z.B. im Frontal- und/ oder Temporallappen) oder unbekannten Ursprungs (z.B. LennoxGastaut-Syndrom). Aber auch hier wurden die an und für sich ermutigenden Resultate im weiteren Verlauf durch die negativen Ergebnisse einer kleinen, doppelblinden, plazebokontrollierten Cross-overStudie wieder relativiert. Fisher et al. (25) fanden bei 7 Patienten mit pharmakotherapieresistenten Epilepsien unter chronischer CM-Stimulation lediglich eine geringfügige Verbesserung hinsichtlich der generalisierten, tonisch-klonischen Anfälle, mit einer nicht signifikanten 30-prozentigen Abnahme der Anfallsfrequenz. Insbesondere konnten die Autoren keinen Unterschied zwischen den Perioden mit eingeschaltetem oder ausgeschaltetem Stimulator finden. Die ernüchternden
Neurologie 2•2008
Fortbildung
Resultate von Fisher et al. stehen im Einklang mit den Erfahrungen der Gruppe aus Toronto, wo bei 2 Patienten mit chronischer CM-Stimulation ebenfalls keine signifikante Reduktion der Anfälle beobachtet werden konnte (2). Interessanterweise zeigte einer der beiden Patienten aus Toronto, ähnlich wie das schon von Velasco et al. beobachtet werden konnte, eine klare Verschlechterung hinsichtlich der komplex-fokalen Anfälle, bei gleichzeitig leichter Verbesserung hinsichtlich der sekundär generalisierenden, tonisch-klonischen Anfälle. Chkhenkeli et al. (10) konnten bei 11 Patienten eine Mitbeteiligung des CM hinsichtlich der Ausbreitung und Unterhaltung von fokal-motorischen und sekundär generalisierenden Anfällen zeigen. Unter hochfrequenter 20- bis 130-Hz-Stimulation des CM kam es einerseits zu einer Desynchronisierung der EEG-Hintergrundaktivität und andererseits zu einer Reduktion der interiktualen epileptischen Aktivität in der ipsilateralen, vor allem extratemporalen Hemisphäre. Diese Desynchronisierung und Suppression ipsilateral zur Seite der Stimulation ist im Einklang mit den Resultaten von Zumsteg et al. (91), wo es unter niederfrequenter 2-Hz-Stimulation des CM zu einer diffusen aber vorwiegend ipsilateralen neokortikalen Aktivierung kam.
Nucleus anterior thalami
Der Nucleus anterior des Thalamus (AN) wurde aufgrund seiner strategischen Lage im thalamokortikalen Netzwerk schon früh als potenzielles Zielgebiet zur Unterdrückung epileptischer Anfälle in Erwägung gezogen. Beim AN handelt es sich um einen kleinen, beim Menschen nur zirka 6 mm messenden komplexen Kern, der sich histologisch und funktionell in fünf kleinere Unterkerne weiter unterteilen lässt. Der AN ist Teil der nach James W. Papez (58) benannten limbischen Schleife, welche vom Hippocampus zum Subiculum, via Fornix zum Corpus mamillare, via mamillo-
thalamischen Trakt zum AN, und von da via Gyrus cingularis wieder zum Hippokampus zieht. Die stärksten Afferenzen des AN entspringen dem ipsilateralen Corpus mamillare, die stärksten Efferenzen ziehen zum ipsilateralen Gyrus cingularis. In mehreren experimentellen Untersuchungen an unterschiedlichen Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass sowohl die Unterbrechung von Afferenzen zum AN, als auch die neuronale Inhibierung des AN mit Muscimol und die elektrische Hochfrequenzstimulation des AN eine anfallshemmende Wirkung aufweisen (31, 47–51). Beim Menschen wurden die ersten Versuche der AN-Stimulation zur Anfallsunterdrückung in den Achtzigerjahren von Irving S. Cooper und Adrian R.M. Upton durchgeführt. Die Autoren fanden eine > 60-prozentige Anfallsreduktion bei 5 von 6 Patienten (18, 19, 75). Nachfolgende unkontrollierte Pilotstudien führten zu vergleichbaren Resultaten. Sussman et al. (72) berichteten über eine signifikante Besserung bei 3 von 5 Patienten. Die Gruppe in Toronto wiederum fand eine mittlere Anfallsreduktion von 54 Prozent bei 5 Patienten mit pharmakotherapieresistenten Anfällen unterschiedlicher Ätiologie, wobei 2 Patienten eine > 75-prozentige Reduktion aufwiesen. Der durchschnittliche Follow-up in dieser Studie betrug 15 Monate (32). In einer weiteren unkontrollierten Pilotstudie mit 5 Patienten mit pharmakotherapieresistenten fokalen Anfällen fanden Kerrigan et al. (37) hinsichtlich der Schwere der Anfälle eine signifikante Besserung in 80 Prozent der Patienten (v.a. hinsichtlich der Häufigkeit von sekundär generalisierenden und komplex-fokalen, mit Stürzen einhergehenden Anfällen), wohingegen sich die absolute Anfallsreduktion bei nur gerade 1 von 5 Patienten als signifikant erwiesen hat. Die Gruppe aus Toronto berichtete später über den Langzeitverlauf (19 bis 81 Monate, durchschnittlich 5 Jahre) bei 6 Patienten mit symptomatischen (multi-)fokalen und/oder generalisierten Anfällen (2).
Die Autoren fanden eine > 50-prozentige Anfallsreduktion bei 5 von 6 Patienten (83,3%), 2 Patienten (33,3%) zeigten eine > 75-prozentige Anfallsreduktion. Die positiven Resultate dieser Pilotstudien haben Ende 2003 zur Initiierung einer US-amerikanischen, prospektiven, randomisierten, doppelblinden Multizenterstudie geführt (SANTE Trial) (28), dessen Resultate aber noch immer ausstehend sind.
Nucleus subthalamicus
Auch die elektrische Stimulation des Nucleus subthalamicus (STN) wurde wiederholt als vielversprechende zukünftige Therapieoption für pharmakotherapieresistente Epilepsien in Erwägung gezogen (5, 9, 45). Das Prinzip der STN-Stimulation stützt sich auf das Konzept der nigralen Kontrolle des epileptischen Systems von Iadarola und Gale (34). Dieses Konzept besagt, dass eine sogenannte dorsale antikonvulsive Mittelhirnzone (DMAZ) in den Colliculi superiores unter permanenter inhibitorischer Kontrolle durch Efferenzen der Pars reticulata der Substantia nigra steht, sodass eine Inhibition des STN den inhibitorischen Effekt der Pars reticulata auf die DMAZ freigeben und dadurch aktivieren könnte, was folglich zu einer Erhöhung der Anfallsschwelle führen würde (45). Die antikonvulsive Wirkung der hochfrequenten STN-Stimulation konnte in verschiedenen Tiermodellen tatsächlich nachgewiesen werden, so zum Beispiel bei der genetisch modifizierten Maus mit Absenzen (Genetic Absence Epilepsy Rat of Strasbourg – GAERS) (83), bei kainatinduzierten Anfällen (8, 45, 57), beim KindlingModell (42), bei Flurothylanfällen (42) und auch bei spontanen Absenzen (83). Umgekehrt hat sich die unilaterale Disinhibition des STN bei Ratten als prokonvulsiv erwiesen (23). Tierexperimentelle Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass dabei der Wahl der Stimulationsparameter, insbesondere der Wahl der Stimulationsfrequenz eine wichtige Rolle zukommen dürfte. So konnten Lado et al. (42)
13
Neurologie 2•2008
Fortbildung
14
zeigen, dass die bilaterale STN-Stimulation mit 130 Hz zu einer signifikanten Erhöhung der Anfallsschwelle für klonische Flurothylanfälle bei Ratten führt, während sich bei Stimulation mit 260 Hz ein solcher Effekt nicht nachweisen liess. Mit einer Stimulationsfrequenz von 800 Hz wiederum wurde eine signifikante Erniedrigung der Schwelle für tonisch-klonische Anfälle erzielt. Kleinere unkontrollierte Pilotstudien berichteten auch beim Menschen über eine mögliche Anfallsreduktion durch elektrische Stimulation des STN. Benabid et al. (6) konnten zeigen, dass die chronische 130-Hz-Stimulation des STN bei einem pädiatrischen Patienten mit fokalen Anfällen zu einer 80-prozentigen Reduktion der Anfälle führte, und dies sowohl hinsichtlich der Häufigkeit als auch Schwere der Anfälle. Chabardès et al. (9) untersuchten die Wirksamkeit der chronischen 130-Hz-STN-Stimulation über die Dauer von sechs Monaten bei 5 Patienten. Sie fanden ein gutes Ansprechen bei 3, und eine < 50-prozentige Besserung und keinen Effekt bei jeweils 1 Patienten. Über alle 5 Patienten gesehen betrug die mittlere Reduktion der Anfallsfrequenz in dieser Studie 62,4 Prozent (41,5–80,7%). Loddenkemper et al. (45) wiederum fanden eine 80-prozentige Reduktion bei 2 von 5 Patienten mit pharmakotherapieresistenten fokalen Anfällen, wohingegen sich bei 2 der 5 Patienten kein Effekt nachweisen liess. Resultate aus kontrollierten Studien liegen bis dato nicht vor. Nucleus caudatus Die anfallsunterdrückende Wirkung der elektrischen Stimulation des Nucleus caudatus (NC) konnte in mehreren Studien an verschiedenen Tiermodellen gezeigt werden; so bei Anfällen rhinencephalen Ursprungs, aber auch bei kortikalen, hippocampalen, penicillin- und aluminiumhydroxidinduzierten Anfällen (41, 53, 55, 86). Psatta (61) berichtete über einen hemmenden Effekt der responsiven Stimulation (Feedback-Stimula- tion) des Nucleus caudatus auf die interiktuale Spike-Aktivität bei Katzen. Beim Menschen haben Sˇ ramka, Chkhenkeli et al. den Effekt der NCStimulation in mehreren unkontrollierten Studien untersucht. In einer ersten Studie fanden Sˇ ramka et al. (70) bei 5 von 6 Patienten mit intermittierender NC-Stimulation eine Abnahme der Anfallshäufigkeit. Chkhenkeli (12) berichtete wenig später in einer Studie mit 74 Patienten über eine mögliche Besserung der Anfallssituation unter niederfrequenter Stimulation. Gabasˇvili et al. (27) konnten bei 6 Patienten epileptische Anfälle mit niederfrequenter NC-Stimulation unterbrechen. Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die Wirksamkeit der NC-Stimulation nach heutiger Erkenntnis bestenfalls moderat zu sein scheint. So fanden Sˇ ramka et al. (69) in einer späteren Studie eine gute Wirksamkeit bei nur gerade 2 von 26 Patienten. Auch hier sind bis heute keine kontrollierten Studien durchgeführt worden. Hippocampusformation Im Rahmen der Epilepsiechirurgie und der prächirurgischen Abklärung wird die elektrische kortikale Stimulation seit mehr als 50 Jahren erfolgreich zur Lokalisation eloquenter Hirnareale eingesetzt (59). Aus solchen Untersuchungen wissen wir, dass mit der kortikalen Stimulation gelegentlich sogenannte Nachentladungen ausgelöst werden können. Diese können unter gewissen Umständen prolongiert sein, sich auf benachbarte Strukturen ausbreiten oder gar in einen klinischen Anfall münden (24). Umgekehrt konnte auch gezeigt werden, dass diese Nachentladungen durch die nochmalige unmittelbare Applikation eines elektrischen Stimulus unter Umständen vermindert oder gar ganz unterdrückt werden können (43). Ähnliche Beobachtungen wurden auch in tierexperimentellen Untersuchungen gemacht (1, 4, 35, 38, 44, 82). Weiss et al. (87) zum Beispiel konnten zeigen, dass die Entwicklung des «Kindlings» (i.e. Induktion einer anhaltend erhöhten Anfälligkeit für epileptische Anfälle durch repetitive Stimulation der Amgydala bei Ratten) mittels kontinuierlicher schwacher Stimulation an gleicher Stelle erfolgreich unterdrückt werden kann. Basierend auf diesen Erkenntnissen haben verschiedene Gruppen versucht, den anfallshemmenden Effekt der elektrischen Stimulation mesial temporaler Strukturen auch beim Menschen nachzuweisen. Erstmals berichteten Velasco et al. (77) über den klinischen, elektroenzephalografischen und histopathologischen Effekt der subakuten und chronischen elektrischen Stimulation der Hippocampusformation. In dieser Studie wurden bei 10 Patienten mit therapieresistenten Temporallappenanfällen zwecks Lokalisierung des Anfallsursprungs bilaterale Tiefenelektroden oder unilaterale basotemporale Subduralelektroden implantiert. Nach Ausschleichen der antiepileptischen Medikation wurde dann bei allen Patienten eine kontinuierliche Hippocampusstimulation während der Dauer von zwei bis drei Wochen für jeweils 23 Stunden täglich durchgeführt. Die Stimulation wurde mit biphasischen Lilly-Pulsen mit einer Frequenz von 130 Hz, einer Pulsdauer von 450 µs und einer Intensität von 200 bis 400 µA vorgenommen. Nach Abschluss des Stimulationsprotokolls wurden alle Patienten einer Temporallappenresektion nach Falconer (En-bloc-Resektion) unterzogen. Die lichtmikroskopische Analyse des resezierten (vormals stimulierten) Gewebes zeigte keine relevanten histopathologischen Veränderungen. Bezüglich Wirksamkeit der Stimulation wurde bei 7 von 10 Patienten mit kontinuierlicher Hippocampusstimulation ein Sistieren der klinischen Anfälle, sowie nach zwei bis sechs Tagen eine signifikante Reduktion des interiktualen EEG-Spikings beobachtet. Das beste Resultat wurde durch die Stimulation im anterioren Pes hippocampus in der Nähe der Amygdala oder im anterioren parahippocampalen Gyrus in der Nähe des entorhinalen Kortex erzielt. In mehre- Neurologie 2•2008 Fortbildung Zusammenfassung Die Idee der THS zur Behandlung der Epilepsie basiert im Wesentlichen auf dem Wissen um die vielfältigen subkortiko-kortikalen Faserverbindungen des Gehirns, sowie auf der Erkenntnis, dass gewissen subkortikalen Strukturen bei der Entstehung und Ausbreitung von epileptischen Anfällen eine wichtige Rolle zukommt. Die Wahl der Zielgebiete für die THS zur Behandlung von Epilepsien stützt sich zum einen auf die Kenntnisse aus tierexperimentellen Untersuchungen, zum anderen auf die vor Jahrzehnten gemachten Erfahrungen mit stereotaktischen Läsionen bei Patienten mit Epilepsie und anderen Erkrankungen. Gegenüber (stereotaktisch) chirurgischen Ansätzen besitzt die THS – zumindest theoretisch – aber den klaren Vorteil der Reversibilität, sowohl was die potenziellen Nebenwirkungen angeht, als auch was die funktionelle Unterbrechung von Faserverbindungen beziehungsweise Alteration von epileptischen subkortiko-kortikalen Netzwerken betrifft. Die THS bei Patienten mit Epilepsie scheint nach heutigem Wissen – und mit der heute angewendeten Technik – ein relativ sicheres Verfahren zu sein. Wie auch bei Patienten mit THS für Bewegungsstörungen und Tremor, scheinen auch bei Patienten mit Epilepsie die möglichen Komplikationen der THS in erster Linie direkt mit dem Implantationsverfahren zusammenzuhängen (gemäss Datenbank der Medtronic geht man von einem 5prozentigen Infektionsrisiko und einem 5- bis 7,5-prozentigen Risiko für symptomatische intrazerebrale Blutungen aus; nur selten werden Skalpnekrosen beobachtet). Eine Gewebsschädigung durch Langzeitstimulation ist unter Berücksichtigung der empfohlenen maximalen Ladungsdichten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu erwarten (die Gewebsschädigung korreliert mit der Ladungsdichte pro Phase, der totalen Ladung pro Phase und der kumulativen Exposition des Gewebes). Allerdings muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass Patienten mit Epilepsie im Vergleich zu Patienten mit Bewegungsstörungen im Durchschnitt wesentlich jünger sind, und der elektrischen Stimulation entsprechend länger ausgesetzt sind, was naturgemäss auch Implikationen für die Dauerhaftigkeit des implantierten Elektrodenmaterials mit sich bringt. Wie aber steht es mit der klinischen Wirksamkeit der THS bei Patienten mit pharmakotherapieresistenten Epilepsien? Resultate aus kontrollierten Multizenterstudien liegen bis dato nicht vor. Was vorliegt sind eine Vielzahl an preliminären Daten, welche letztlich nur einen Schluss zulassen, nämlich, dass die THS bei Patienten mit Epilepsie mit heutiger Technik zwar zu einer Reduktion, wohl aber nicht zu einer vollständigen Kontrolle der epileptischen Anfälle führt. Auch wenn man berücksichtigt, dass es sich hier um ein Patientengut mit durchwegs nicht behandelbaren, beziehungsweise auch mit anderen Mitteln nicht kontrollierbaren Anfällen handelt, ist diese Antwort etwas ernüchternd. Womit lässt sich diese (anzunehmend) eingeschränkte Wirksamkeit der THS bei Patienten mit Epilepsie erklären? Es gibt viele ungelöste Fragen, die in diesem Zusammenhang gerne und häufig diskutiert werden. Wo liegt der optimale Stimulationsort? Wie hoch ist die optimale Stimulationsfrequenz? Ist die responsive Stimulation der periodisch intermittierenden oder chronischen Stimulation überlegen? Es ist anzunehmen, dass sich diese Fragen in absehbarer Zeit werden klären lassen. Daneben gibt es aber auch noch eine Anzahl einschränkender Faktoren, die quasi aus der Not geboren sind und interessanterweise nur selten Erwähnung finden. Man darf nicht vergessen, dass sich die THS bei Patienten mit Epilepsie mehr oder weniger unmittelbar auf die bei Patienten mit Bewegungsstörungen gemachten Erfahrungen stützt und sich also auch der exakt gleichen Technik, Gerätschaft und Elektroden bedient (bzw. unter medicolegalen Gesichtspunkten notgedrungen bedienen muss). Sind biphasische Lilly-Pulse aber wirklich das Ende aller Weisheit? Sind multipolare Vierkontaktelektroden tatsächlich die beste Wahl? Wäre die Gleichstromstimulation (DC) nicht doch vielleicht vielversprechender als die Wechselstromstimulation (AC)? Auch diese (und andere) Fragen wären im Grunde lösbar, wenn sie denn überhaupt gestellt werden würden (und in den Studienprotokollen der laufenden und zukünftigen kontrollierten Multizenterstudien Berücksichtigung fänden). So aber ist zu befürchten, dass wir uns am Ende der aktuellen THS-Ära einmal mehr mit einer Therapieform konfrontiert sehen, die bei einem gewissen Teil der Patienten bis zu einem gewissen Grad zu wirken scheint. ren darauf folgenden nicht kontrollierten Studien oder anekdotischen Fallberichten mit insgesamt mindestens 27 Patienten wurde ebenfalls über eine Reduktion der Anfallshäufigkeit berichtet 10, 90 beziehungsweise positive elektrophysiologische Effekte im Sinne einer Reduktion der interiktualen epileptiformen Entladungen beschrieben (39, 56, 85, 90). Tellez-Zenteno et al. (73) berichteten dann über eine randomisierte, doppelblinde Cross-over-Studie mit 4 Patienten mit therapieresistenter mesialer Temporallappenepilepsie. Hier wurde eine kontinuierliche, unterschwellige elektrische Stimulation mit einer Frequenz von 190 Hz über eine entlang der linken Hippocampusachse implantierten Tiefenhirnelektrode durchgeführt. Die Stimulatoren wurden nach einer einmonatigen Baseline ohne Stimulation während jeweils einem Monat in zufälliger Reihenfolge auf On oder Off eingestellt. Es gab keine negativen Auswirkungen. Bei 3 von 4 Patienten kam es zu einer Verbesserung in Bezug auf die Anfallshäufigkeit, mit einer allerdings nicht signifikanten medianen Reduktion der Anfallshäufigkeit von gerade mal 15 Prozent, wobei 1 der 4 Patienten aber eine deutliche und lang anhaltende Verbesserung zeigte (Follow-up von 4 Jahren). Die Ergebnisse dieser Studie schienen den Nutzen der hippocampalen Stimulation bei Patienten mit pharmakotherapieresistenter mesialer Temporallappenepilepsie zu bestätigen, obwohl das Ausmass der Verbesserung doch deutlich kleiner war, als die früheren nicht kontrollierten Studien hätten vermuten lassen. Es ist ausserdem interessant darauf hinzuweisen, dass der therapeutische Effekt in dieser Studie offensichtlich nicht auf die Zeiten der Stimulation (On-Phasen) beschränkt blieb, sondern auch während den OffPhasen nachweisbar war. Das ist eine Beobachtung, die auch schon von anderen Gruppen in anderen Konstellationen gemacht wurde (2, 36). Kontrollierte, doppelblinde randomisierte Studien über die Auswirkungen der 15 Neurologie 2•2008 Fortbildung chronischen Hippocampusstimulation sind initiiert worden. Responsive Stimulation Bei der responsiven Stimulation – auch «closed-loop»-Stimulation genannt – werden die elektrischen Potenziale der zu stimulierenden zerebralen Struktur oder einer dazu funktionell oder anatomisch benachbarten Struktur mittels eines Neurostimulators kontinuierlich analysiert, um dann, bei Bedarf, also bei elektroenzephalografischer Detektion einer kritischen Entladung, unmittelbar elektrisch stimulieren zu können. Die Idee der responsiven Stimulation basiert, wie weiter oben bereits ausgeführt, auf den Erfahrungen der Epilepsiechirurgie und prächirurgischen Abklärung (59). Lesser et al. (43) konnten in einer Studie mit 17 Patienten mit subduralen Elektroden zeigen, dass Nachentladungen durch die responsive, kortikale elektrische Stimulation während 0,3 bis 2 Sekunden mit biphasischen 50-Hz-Bursts (Pulsdauer 300 µs) signifikant verkürzt werden können. Motamedi et al. (52) und auch Chkhenkeli et al. (10) kamen zu vergleichbaren Resultaten. Kossoff et al. (39) berichteten über erste Erfahrungen bei 4 von 40 Patienten mit responsiver hippocampaler Stimulation über Subduralelektroden im Rahmen von prächirurgischen Abklärungen. Die Autoren beschrieben elektroenze- phalografisch veränderte und supprimierte Anfälle und, bei einem Patienten, auch eine Besserung der interiktualen elektroenzephalografischen Hintergrundsaktivität. In einer weiteren Pilotstudie berichteten Osorio et al. (56) wenig später über den Effekt der responsiven Stimulation bei 8 Patienten mit pharmakotherapieresistenten Epilepsien, wobei die Detektion und Stimulation bei 4 Patienten im Hippocampus (local closed-loop), bei den anderen 4 Patienten bilateral im anterioren Thalamus (remote closedloop) erfolgte. Bezüglich der responsiven Hippocampusstimulation fanden die Autoren eine mittlere Reduktion der Anfallshäufigkeit um 55,5 Prozent (-100 bis +36,8%), beziehungsweise eine mittlere Reduktion um 86 Prozent (-100% bis -58,8%) bei jenen 3 Patienten mit dem besten Ansprechen auf die Therapie. Bei der responsiven Thalamusstimulation betrug die mittlere Reduktion der Anfallshäufigkeit 40,8 Prozent (-72,9 bis +1,4%), beziehungsweise 74,3 Prozent (-75,6 bis 72,9%) bei jenen 2 Patienten mit dem besten Ansprechen. Es ist hier erwähnenswert, dass diese Effekte auf das epileptogene Gewebe unmittelbar einsetzten und zudem die Stimulationsdauer klar überdauerten. Diese ermutigenden Resultate haben dazu geführt, dass mittlerweile eine multizentrische responsive Neurostimulationsstudie bei Patienten mit pharma- kotherapieresistenten fokal begin- nenden Anfällen initiiert worden ist. In einer Durchführbarkeitsstudie mit der in dieser Studie zur Anwendung kommenden Technik wurde eine 45-prozentige Anfallsreduktion bei 7 von 8 Patienten beobachtet, bei einem durchschnittlichen Follow-up von neun Monaten (26). ■ Für die Autoren: PD Dr. med. Dominik Zumsteg Oberarzt Neurologische Klinik Universitätsspital Zürich Frauenklinikstrasse 26 8091 Zürich Das Literaturverzeichnis kann beim Verlag angefordert werden, auch via E-Mail: info@rosenfluh.ch Teile dieses Textes stammen aus dem Buch «Wieser HG, Zumsteg D. Subthalamic and Thalamic Stereotactic Recordings and Stimulations in Patients with Intractable Epilepsy. Paris: John Libbey Eurotext 2008», mit Genehmigung der Autoren. 16 Neurologie 2•2008