Transkript
Fortbildung
Nachweis von postoperativ verbliebenem dysplastischem Kortex mittels morphometrischer MRI-Analyse
Aktuelle Möglichkeiten der Bildgebung anhand eines Fallbeispiels
Judith Kröll und Hans-Jürgen Huppertz
Fokale kortikale Dysplasien sind eine der Hauptursachen für pharmakoresistente Epilepsien. Die kernspintomografische Bestimmung ihrer genauen Ausdehnung
deren der kontinuierlichen Weiterentwicklung der operativen Therapie (selektive Operationstechniken, Mikroneurochirurgie, Neuronavigationssysteme usw.) (11–14).
ist entscheidend für eine möglichst komplette Resektion und die Chance auf postoperative Anfallsfreiheit. Das folgende Fallbeispiel zeigt, wie bei fehlender Anfallsfreiheit nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff verbliebener dysplastischer Kortex mittels einer morphometrischen MRI-Analyse nachgewiesen werden kann. Dies eröffnet die Option einer Nachresektion mit dem Ziel einer vollständigen Anfallsfreiheit.
Z irka 70 Prozent aller Epilepsiepatienten leiden an fokalen, von einer umschriebenen Hirnregion ausgehenden, Anfällen, die meist seit der Kindheit bestehen. Davon erweisen sich langfristig zirka 30 Prozent als medikamentös therapierefraktär (1, 2). Falls bei diesen Patienten die Lokalisation der epileptogenen Zone gelingt, kann in vielen Fällen – bei Patienten mit Temporallappenepilepsie in 70–80 Prozent der Fälle – durch einen neurochirurgischen Eingriff Anfallsfreiheit erreicht werden (3). Fokale kortikale Dysplasien (FCD) sind umschriebene Störungen der Hirnrindendifferenzierung. Sie beruhen auf einer gestörten neuronalen Proliferation und Differenzierung so-
wie einer Störung der kortikalen Schichtung. Sie stellen eine der häufigsten Ursachen der pharmakorefraktären Epilepsien dar. Im prächirurgischen Patientengut finden sich diese Läsionen in 20 bis 25 Prozent, bei Kindern sogar in mehr als 30 Prozent der Fälle (4–6). Auch für FCD konnte in den vergangenen Jahren gezeigt werden, dass epilepsiechirurgische Eingriffe mit hoher Erfolgsrate und Anfallsfreiheit in 60 bis 70 Prozent der Fälle möglich sind (7–10). Die Epilepsiechirurgie verdankt ihren Aufschwung in den letzten Jahren zum einen der Verbesserung der technischen Möglichkeiten in der prächirurgischen Epilepsiediagnostik (prolongiertes Video-EEG-Monitoring, moderne Bildgebungsverfahren), zum an-
Morphometrische Analyse von MRI-Aufnahmen
Im Rahmen der prächirurgischen Epilepsiediagnostik ist die kernspintomografische Erkennung und Bestimmung der genauen Ausdehnung von FCD entscheidend für eine möglichst komplette Resektion und das Erzielen von postoperativer Anfallsfreiheit. Die Erkennung und Beurteilung von möglichen FCD in planaren MRI-Aufnahmen ist oft schwierig und hängt von der Expertise und subjektiven Bewertung des jeweiligen Untersuchers ab. Drei neu entwickelte Verfahren zur morphometrischen Analyse von MRI-Aufnahmen können die Erkennung und Lokalisation diskreter Läsionen verbessern. Aus einem MRIVolumendatensatz werden drei neue Bilddatensätze generiert, deren Grauwertverteilung, im Vergleich mit einer Normdatenbank, Eigenschaften des Ursprungsbilds kodiert, die als indikativ für FCD gelten: 1. abnorme Dicke des Kortexbands 2. abnorme Ausdehnung von grauer
Substanz in das Marklager und 3. Unschärfe des Mark-Rinden-Über-
gangs (Abbildung 1).
In den neuen Merkmalskarten werden somit die typischen MR-Zeichen von FCD quantifiziert und visuell hervorgehoben, was die Sensitivität des MRI hinsichtlich der Erkennung solcher Läsionen erhöht (15). Bei grösseren Läsionen ist bereits eine automatische
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Abbildung 1: Beispiel für eine morphometrische MRI-Analyse: 21-jährige Patientin mit links beton-
ten tonischen Anfällen und FCD frontal rechts (histologisch FCD Palmini 2b). Darstellung der Dys-
plasie im Ausgangs-MRI (A) und in den neuen Merkmalskarten, die die abnorme Gyrierung (B), die begleitende Mark-Rinden-Unschärfe (C) und die
Kortexverdickung (D) hervorheben.
Abbildung 3: Darstellung der FCD aus Abbildung 2 mittels automatischer kurvilinearer Reformatierung in unterschiedlichen Tiefen ab Kortexober-
fläche. Die kurvilineare Reformatierung der MRIDaten bietet die Möglichkeit, dreidimensionale
gewölbte Schnitte anstelle von zweidimensionalen planaren Schnitten auszuwerten. Sie erleichtert damit die Erkennung von Läsionen und Bestimmung ihrer Lagebeziehungen zu anatomischen Landmarken (17).
Abbildung 2: Präoperatives MRI der damals 3-jährigen Patientin (FLAIR-Sequenz): FCD frontal
rechts mit Ausdehnung in die anteriore Insel.
Abbildung 4: Postoperatives MRI 07/2006: In den koronaren FLAIR-Aufnahmen (A, C) sowie T2-Bildern
(B, D) erkennt man den Resektionsdefekt mit Randgliose, jedoch keinen Hinweis auf eine residuelle FCD.
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Detektion der FCD möglich. Auch für die Erkennung anderer kortikaler Malformationen, wie zum Beispiel subtiler Formen eines sogenannten Double Cortex beziehungsweise von subkortikalen Bandheterotopien, hat sich die morphometrische MRI-Analyse als wertvolles diagnostisches Instrument erwiesen (16).
Das folgende Fallbeispiel zeigt, wie bei fehlender Anfallsfreiheit nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff verbliebener dysplastischer Kortex mittels dieser Analyse nachgewiesen werden konnte.
Fallbeispiel
Die achtjährige Patientin leidet seit dem Säuglingsalter an Anfällen mit
rechts betonten Lidmyoklonien, linksseitigen Kloni und vegetativen Symptomen (Flush, Gänsehaut). Die im Rahmen einer ersten prächirurgischen Abklärung im Alter von drei Jahren registrierten rechtsseitigen Lidmyoklonien sowie die kontralateralen, linksseitigen Kloni wiesen auf eine Beteiligung rechts-frontaler Strukturen hin,
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MRI 2001
Junction Image
MRI 2006
(koregistriert)
Abbildung 5: Morphometrische MRI-Analyse 07/2006: Von den 3 neuen, auf Basis des MRI von 2001 berechneten Merkmalskarten zeigt das Junction-Image eine deutliche Mark-Rinden-Unschärfe frontal rechts mit Ausdehnung in die anteriore Insel. Die Koregistrierung mit dem postoperativen MRI von 2006 demonstriert, dass dysplastischer Kortex jenseits der Resektionsgrenzen verblieben ist.
während die vegetativen Symptome für eine Involvierung insulärer Strukturen sprachen. Hiermit im Einklang standen iktale EEG-Ableitungen mit dem Nachweis von EEG-Anfallsmustern fronto-temporal rechts. Im interiktalen EEG fanden sich regionale epilepsietypische Potenziale in Form rascher rhythmischer Aktivität in gleicher
Lokalisation. Kernspintomografisch wurde eine rechts-frontale FCD mit Ausdehnung in die rechte Insel nachgewiesen (Abbildung 2 und 3). Im Alter von dreieinhalb Jahren erfolgte eine partielle Frontallappenresektion rechts. Postoperativ bestanden die Anfälle in unveränderter Semiologie und Frequenz fort (Engel-
Klasse IV). Das Kind erhielt weiterhin eine antikonvulsive Polypharmakotherapie und zeigte zunehmende Ängste vor seinen Anfällen. Bei neuropsychologischen Leistungen im Bereich einer leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung war der Besuch der Regelschule nicht möglich.
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Im Sommer 2006 wurde die Patientin zur Zweitmeinung im Schweizerischen Epilepsie-Zentrum vorgestellt. Wegen der postoperativ unveränderten Anfallssemiologie wurde vermutet, dass noch dysplastisches Restgewebe in der Umgebung des Resektionsareals vorhanden ist. Ein postoperatives MRI von 2006 zeigte jedoch lediglich den Parenchymdefekt mit Randgliose, aber keine erkennbare Restdysplasie (Abbildung 4). Zur weiteren Abklärung wurde deshalb eine morphometrische MRI-Analyse der präoperativen Aufnahmen von 2001 durchgeführt. Die Auswertung ergab eine deutlich erkennbare Mark-Rinden-Differenzierungsstörung frontal rechts mit Ausdehnung in die anteriore Insel. In einem nächsten Schritt erfolgte eine Koregistrierung der präoperativen MRI-Aufnahmen von 2001 und der daraus abgeleiteten Merkmalskarten mit den postoperativen MRI-Aufnahmen von 2006. Mithilfe dieser Koregistrierung wurden die MRI-Aufnahmen in den gleichen stereotaktischen Raum gebracht, wodurch ein direkter Vergleich der räumlichen Lagebeziehung zwischen Dysplasie und Resektionsareal möglich war. Es zeigte sich, dass dysplastischer Kortex und somit vermutlich epileptogenes Gewebe jenseits der Resektionsgrenzen verblieben ist (Abbildung 5).
Fazit
Die Nachbearbeitung und morphome-
trische Analyse von MRI-Aufnahmen
hat sich als eine wertvolle Ergänzung
der konventionellen MR-Bildgebung
in der prächirurgischen Epilepsiedia-
gnostik erwiesen (15). Wie hier ge-
zeigt, kann sie aber auch nach einem
bereits durchgeführten, nicht erfolg-
reichen operativen Eingriff wertvolle
Erkenntnisse und wegweisende An-
sätze für eine mögliche Nachresektion
liefern.
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Für die Autoren: PD Dr. med. Hans-Jürgen Huppertz Schweizerisches Epilepsie-Zentrum
Bleulerstrasse 60, 8008 Zürich
Danksagung: Die Weiterentwicklung der Methoden zur morphometrischen Analyse von MRI-Aufnahmen erfolgt mit freundlicher Unterstützung der Olga Mayenfisch-Stiftung Zürich.
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