Transkript
Editorial
Die Epileptologie führte noch im 20. Jahrhundert über viele Jahrzehnte sowohl inner- als auch ausserhalb der Neurologie ein gewisses Schattendasein. Selbst an grossen Universitätskliniken gab es Ordinarien, die Epilepsie und deren Behandlung für ein eher vernachlässigbares Thema hielten. Die nicht leicht zu behandelnden Patienten wurden mit einer mehr oder weniger langen Latenz Spezialkliniken meist ausserhalb der akademischen Medizin zugewiesen, wo man mehr oder weniger erratisch verschiedene Medikamente und deren Kombinationen ausprobierte. In den letzten Jahrzehnten haben jedoch
operativen Verlauf gegebenenfalls verbliebene dysplastische Kortexareale nachzuweisen (Kröll und Huppertz). Menschen mit einer geistigen Behinderung haben eine erhöhte Epilepsieinzidenz. Besonderheiten ihrer epileptologischen Betreuung bestehen unter anderem in der erschwerten Beurteilung erwünschter und unerwünschter medikamentöser Wirkungen (Dorn). Ein für die Praxis wichtiges Thema ist die häufig diskutierte Frage einer Anfallsinduktion durch Psychopharmaka (Ganz und Schmutz). Noch immer wird zu vielen schwer depressiven Epilepsiepatienten aus diesbezüglich über-
Epileptologie – quo vadis?
zahlreiche Erkenntnisse dazu geführt, dass Epilepsien von der molekulargenetischen Diagnostik bis hin zur operativen Therapie geradezu paradigmatisch zu einer der «modernsten» neurologischen Krankheiten geworden sind. Heute können wir selbst Patienten mit schweren Epilepsien oft weitaus mehr und differenziertere Untersuchungsund Behandlungsmöglichkeiten anbieten als beispielsweise zerebrovaskulären Patienten! Im vorliegenden Heft der «Schweizer Zeitschrift für Psychiatrie & Neurologie» können dazu beispielhaft nur einige Aspekte herausgegriffen und dargestellt werden. Mit einer Ausnahme stammen alle Beiträge aus dem Schweizerischen Epilepsie-Zentrum. Obwohl dies nur für einen kleineren Teil der Betroffenen infrage kommt, sei als erstes auf die modernen Möglichkeiten der prächirurgischen Diagnostik und resektiven Epilepsiechirurgie (Kurthen et al.) hingewiesen. Für die meisten Patienten mit einer Temporallappenepilepsie reicht eine nicht invasive Abklärung aus, besonders bei extratemporalen Epilepsien sind in der Regel zusätzliche invasive Untersuchungen erforderlich. Eine in ihrem klinischen Stellenwert noch nicht abschliessend zu beurteilende potenzielle Ergänzung zu resektiven epilepsiechirurgischen Verfahren stellt die tiefe Hirnstimulation dar (Zumsteg), die sich bei anderen Erkrankungen wie zum Beispiel Parkinson ja schon fest etabliert hat. Mit einem digitalen Postprocessing von MRI-Daten gelingt es unter anderem auch bei einem nicht zufriedenstellenden post-
triebener Sorge eine antidepressive Behandlung vorenthalten. Auch das Risiko visuell ausgelöster Reflexanfälle (Mothersill et al.) wird meist zu hoch eingeschätzt: Auch Epilepsiepatienten sind mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht fotosensibel und können dann gefahrlos fernsehen oder Diskotheken besuchen. Für die Risikopatienten sind allerdings Vorsichtsmassnahmen zu empfehlen. Ich würde mich freuen, wenn es uns gelingt, mit diesem bunten Themenstrauss Ihr Interesse an einer der häufigsten neurologischen Krankheiten wieder einmal zu wecken und Sie aus der Lektüre für Ihren Alltag und Ihre Patienten einen Nutzen ziehen können.
Dr. med. Günter Krämer Medizinischer Direktor
Schweizerisches Epilepsie-Zentrum Bleulerstrasse 60 8008 Zürich
Danksagung Verlag und Redaktion möchten sich ganz herzlich bei allen Autoren des Schweizerischen Epilepsie-Zentrums Zürich, allen voran beim Medizinischen Direktor Dr. Günter Krämer für ihr ausserordentliches Engagement bedanken. Ohne diese Mithilfe wäre vorliegendes Schwerpunktheft «Epilepsie» in dieser Aktualität und Ausführlichkeit sicher nicht möglich gewesen.
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Psychiatrie & Neurologie 2•2008