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Stereotaktische Operationen bei Bewegungsstörungen
Wertvolle Option nach Erschöpfung der medikamentösen Therapie
Ethan Taub
Die tiefe Hirnstimulation (deep brain stimulation, DBS; Abbildung 1a und 1b) ist eine vielversprechende Behandlungsmethode für Bewegungsstörungen, die nicht oder nicht mehr auf eine medikamentöse Therapie ansprechen. Die Geschichte, Indikationen, Technik und Resultate dieser Operationen werden hier kurz zusammengefasst.
den) eine gute therapeutische Wirkung gegen die Akinesie und Rigidität des Parkinson-Syndroms durch Pallidotomie, das heisst die Platzierung einer Läsion in den Globus pallidus internus («GPi»), eine Operation, die eigentlich Jahrzehnte zuvor von seinem Landsmann L. Leksell beschrieben worden war. 1994 beschrieb Siegfried wiederum die pallidale Stimulation als nichtdestruktive Variante der Pallidotomie, während Benabid, im selben Jahr, über einen völlig neuen Zielpunkt berichtete, den Nucleus subthalamicus («STN»). Eine
Geschichte
D ie ersten stereotaktischen Operationen gegen Bewegungsstörungen wurden schon in den Vierziger- und Fünfzigerjahren durchgeführt, mit zum Teil sehr gutem Erfolg (z.B. Ausschalten von ParkinsonTremor). Hierbei handelte es sich um Läsionen im Thalamus und in den Stammganglien. Nachdem L-Dopa Ende der Sechzigerjahre in die neurologische Praxis eingeführt worden war, gingen die Operationszahlen rasant zurück, bis die funktionelle Stereotaxie nur noch in einigen wenigen, hochspezialisierten Zentren zur Verfügung stand. Ab zirka 1990 gewann sie aber wieder an Interesse aus verschiedenen Gründen. Es wurde bemerkt, dass viele Patienten, deren Symptome initial sehr gut medikamentös kontrolliert werden konnten, im Laufe der Jahre eine Therapieresistenz entwickelten, sodass chirurgische Massnahmen wieder in Erwägung gezogen werden mussten. Inzwischen ermöglichten CT und MRI eine viel präzisere Definition des Ziel-
Abbildung 1a und 1b: Seitliches Röntgenbild (a) und dreidimensional rekonstruiertes CT-Bild (b) des Schädels von einer Patientin mit einge-
pflanzter Thalamuselektrode links zur Behandlung eines essenziellen Tremors der rechten Hand. Das Bohrloch und die quadripolare Elektrode
sind gut sichtbar.
punkts. Verbesserungen in der neurochirurgischen Technik versprachen eine höhere Erfolgsrate und weniger Komplikationen als zuvor. 1987 wurde die Thalamusstimulation gegen Tremor erstmals von Alim Benabid (Grenoble) beschrieben, wobei Jean Siegfried (Zürich) ungefähr gleichzeitig die eigenen ersten Erfahrungen mit dieser Technik sammelte. 1991 berichtete L. Laitinen (Schwe-
STN-Stimulation bewirkt eine Besserung sowohl von Tremor als auch von Akinesie und Rigidität und erlaubt manchmal eine dramatische Reduktion der antiparkinsonschen Medikation. Andererseits ist dieser Zielpunkt mit kognitiven und emotionellen Komplikationen assoziiert, deren Häufigkeit mit fortschreitendem Alter des Patienten steigt.
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Indikationen
Heutzutage wird in den meisten Zentren bevorzugt die tiefe Hirnstimulation eher als die Platzierung von Läsionen in der Tiefe des Gehirns praktiziert, vor allem wegen der niedrigeren neurologischen Komplika-
oder bei Morbus Parkinson mit vorwiegend akinetischer Symptomatik und/oder L-Dopa-induzierter Dyskinesie und eine subthalamische Stimulation im STN bei Morbus Parkinson mit gemischter Symptomatik. Die Elektrode wird jeweils kontralateral
Im Gegensatz zur permanenten Hirnläsion ist eine tiefe Hirnstimulation nicht
destruktiv, reversibel und anpassungsfähig.
Verschiebung des Hirngewebes während der Operation («brain shift»). Deshalb wird die ganze Operation ohne Narkose und nur mit Lokalanästhesie an der Kopfhaut durchgeführt. Dies ist möglich, weil das Hirnparenchym schmerzunempfindlich ist. Der intraoperative Stimulationsversuch soll die erwünschte therapeutische Wirkung haben (z.B. Ausschaltung eines Tremors) und keine unerwünschten Nebenwirkungen auslösen (z.B. Muskelkontraktionen bei ungewollter Platzierung der Elektrode in die Capsula interna).
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tionsrate. Im Gegensatz zu einer permanenten Hirnläsion ist eine tiefe Hirnstimulation nicht destruktiv, reversibel durch Ausschaltung des Stimulationsgeräts falls nötig und auch anpassungsfähig durch Änderung der Frequenz, Intensität und Pulsbreite des angewendeten elektrischen Stroms zur Optimierung des klinischen Zustandes. Des Weiteren können Stimulationen ohne exzessiv hohe Risiken simultan auf beiden Seiten des Gehirns durchgeführt werden, wobei bilaterale Läsionen oft zu Dysarthrie und anderen Komplikationen führen. Im Universitätsspital Basel werden alle Patienten mit Bewegungsstörungen, für die eine stereotaktische Operation infrage kommt, an ein multidisziplinäres Team für eine präoperative Abklärung und selektive Indikationenstellung zugewiesen. Ein Neurologe, ein Neurochirurg, ein Psychiater und ein Neuropsychologe untersuchen den Patienten in Hinsicht auf seinen derzeitigen Zustand, allenfalls mögliche Optimierungen der medikamentösen Therapie, die Wahrscheinlichkeit einer Besserung nach durchgeführter Operation und das Risiko neurologischer und/oder psychischer Komplikationen. Zurzeit empfehlen wir eine Thalamusstimulation im Nucleus ventrointermedius («Vim») bei Tremor nichtparkinsonscher Genese (z.B. essenziell, oder bedingt durch eine multiple Sklerose) oder bei stark tremordominantem Morbus Parkinson; eine Pallidumstimulation im GPi bei Dystonie,
zur behandlungsbedürftigen Körperseite platziert (z.B. in den linken Thalamus bei rechtsseitigem Tremor), oder bilateral bei beidseitigen Symptomen.
Technik
Das Wort «Stereotaxie» stammt aus dem Altgriechischen stereos (solid, dreidimensional) und taxis (Einrichtung) und weist auf die Notwendigkeit einer präzisen räumlichen Lokalisation des Zielpunkts hin (ob Vim, GPi oder STN). Zu diesem Zweck wird ein Stereotaxierahmen aus Metall fest an den Kopf des Patienten angeschraubt (unter örtlicher Betäubung). Der Rahmen definiert das dreidimensionalen Koordinatensystem für die Zielpunktlokalisation. Anhand einer Bildgebung (CT und/oder MRI) werden dann die Koordinaten des Zielpunkts festgestellt. Moderne stereotaktische Software-Programme erlauben auch die Wahl eines geeigneten Eingangspunkts für die Elektrode, sodass die Elektrodentrajektorie nicht in die Nähe von grösseren, im CT oder MRI sichtbaren tief liegenden Hirngefässen kommt. Die korrekte Lokalisation des Zielpunkts benötigt aber nicht nur diese anatomische Methode, sondern auch immer eine intraoperative physiologische Kontrolle, und zwar nicht nur wegen der möglichen Ungenauigkeit der Bildgebung, sondern auch wegen der bekanntlich vorhandenen anatomischen Variabilität sowie möglicher
Abbildung 2: Intraoperatives Bild: Der Stereotaxiebogen ist so konfiguriert, dass die Elektrode entlang der präoperativ berechneten Trajektorie über das Bohrloch, durchs Hirnparenchym und zum gewählten Zielpunkt eingeführt werden kann. Die elektrischen Kabel dienen für Ableitungen der tiefen Hirnpotenziale und für Teststimulation über die Elektrode.
Im Operationssaal wird also die Kopfhaut rasiert, desinfiziert und abgedeckt, das Stereotaxiegerät auf den berechneten anatomischen Zielpunkt zentriert, die Kopfhaut örtlich betäubt und inzidiert, ein Bohrloch im Schädelknochen angelegt, die Dura mater geöffnet und eine Elektrode durch das Hirnparenchym bis zum Zielpunkt eingeführt (Abbildung 2). Die eingeführte Elektrode kann entweder die permanente Elektrode sein, die später an das zu implantierende Stimulationsgerät («Neuroschrittmacher») angeschlossen wird, oder eine Testelektrode von einer anderen Art, eventuell eine Mikroelektrode für elektrische Ableitungen der zellulären Aktivität in den tiefen Hirnkernen (Abbildung 3).
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Abbildung 3: Intraoperative Ableitung über eine Mikroelektrode. Im Bildschirm ist die Ableitung einer 3-Hz-Einzelzellaktivität sichtbar, welche der Frequenz des Parkinson-Tremors bei diesem Patienten entspricht (Beweis einer «tremor cell» im thalamischen Nucleus ventrointermedius).
Abbildung 4: Der wache Patient wird während der Operation nicht voll abgedeckt, sondern das Gesicht und die Extremitäten bleiben sichtbar, damit die Wirkung der intraoperativen Teststimulation beobachtet werden kann (in diesem Fall ein Arrest des rechtsseitigen Tremors).
Die Antwort auf Teststimulation wird beim wachen Patienten beobachtet (Abbildung 4). Die Elektrode wird bei Bedarf einmal oder mehrmals umplatziert, bis eine befriedigende Antwort auf Stimulation erzielt wird. In jedem Fall muss die physiologische Kontrolle der Zielpunktlokalisation stimmen, wie oben erwähnt, bevor die permanente Elektrode am Ort fixiert und ein Neuroschrittmacher angeschlossen werden kann. Letzterer wird meistens infraklavikulär implantiert, wie ein Herzschrittmacher. Am Ende der Operation ist der Patient weiterhin wach, und eine tiefe Hirnstimulation kann sofort begonnen werden durch Einschaltung des neu implantierten Schrittmachers. Die klinische Antwort auf Stimulation sollte dem Befund bei intraoperativer Teststimulation entsprechen (z.B. Aufhebung des Tremors).
Resultate Risiken: Das Risiko einer klinisch si-
gnifikanten Hirnblutung liegt gemäss den meisten publizierten Serien in der Grössenordnung von 1 Prozent für jede implantierte Elektrode. Die klinischen Folgen einer solchen Blutung sind manchmal nur diskret (leichte Hemiparese), aber auch potenziell schwer bis verheerend (Koma, Tod).
Das Blutungsrisiko ist der Hauptgrund, weshalb die neurochirurgische Therapieoption zurzeit nur für diejenigen Patienten vorbehalten ist, die auf eine medikamentöse Therapie ungenügend ansprechen. In früheren Jahren, als die Platzierung intraparenchymer Läsionen noch als Standard der funktionellen Stereotaxie galt, kam es des Öfteren zu permanenten neurologischen Ausfällen wie einer Hemiparese oder Dysarthrie als Komplikationen von nicht perfekt platzierten destruktiven Läsionen (auch ohne Hirnblutung). Ähnliche Erscheinungen werden auch manchmal durch eine tiefe Hirnstimulation ausgelöst, sind aber dann praktisch immer reversibel durch eine Neuanpassung der Stimulationsparameter, und somit nicht permanent. Speziell bei der STN-Stimulation wird über eine vermehrte Häufigkeit kognitiver und emotioneller Störungen (Depression, Euphorie) als Begleitphänomene der sonst klinisch wirksamen Stimulation berichtet. Wirksamkeit: Die Wirksamkeit der tiefen Hirnstimulation gegen Bewegungsstörungen wurde durch viele publizierte Studien im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte belegt. Diese Operationsart wird nicht mehr als experimentell angesehen, und die Kos-
ten werden auch üblicherweise von den Krankenkassen übernommen. Mit einer thalamischen Stimulation im Nucleus ventrointermedius kann ein Tremor parkinsonscher oder nichtparkinsonscher Genese bei über 80 Prozent der behandelten Patienten erheblich gebessert oder beseitigt werden. Für die Quantifizierung des Therapieerfolgs bei Stimulationen in anderen Zielpunkten, womit nicht nur ein Tremor, sondern auch andere Symptome der Parkinson-Krankheit zu behandeln sind, werden meistens klinische numerische Skalen wie die UPDRS (Unified Parkinson’s Disease Rating Scale) herangezogen. Laut der einschlägigen Literatur bessert eine pallidale Stimulation die motorischen UPDRS-Werte ohne Medikamente um zirka 30 Prozent und die UPDRS-Werte für L-Dopa-induzierte Dyskinesie um zirka 65 Prozent (im Durchschnitt). Eine subthalamische Stimulation kann wiederum die motorischen UPDRSWerte um 60 Prozent bessern und den Medikationsbedarf bedeutend verringern, ist aber wegen der beschriebenen Komplikationen nicht immer geeignet für ältere Patienten. Diese Zahlen spiegeln eine sehr deutliche Besserung der motorischen Funktion wider. Dabei muss aber betont werden, dass Morbus Parkinson
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eine neurodegenerative Krankheit ist, welche weiterhin progredient verläuft, auch wenn eine tiefe Hirnstimulation ihre Symptome lindern kann. Es handelt sich hier letztlich eher um eine symptomatische als um eine kurative Therapie. Frühere Hoffnungen und Erwartungen einer «neuroprotektiven» Wirkung der tiefen Hirnstimulation sind leider gemäss der klinischen Erfahrung bis dato nicht in Erfüllung gegangen. Die Lebensqualität eines Parkinson-Patienten kann trotzdem durch diese Behandlungsmethode mindestens über mehrere Jahre bedeutend gebessert werden.
Schlussbemerkungen
Die funktionelle Stereotaxie ist eine
wertvolle Komponente der Behand-
lung von Bewegungsstörungen. Kom-
plikationen sind selten, können aber
in einzelnen Fällen verheerend sein.
Vorerst sind diese Eingriffe erst nach
Erschöpfung der medikamentösen
Therapie und nur bei entsprechender
Beurteilung eines multidisziplinären
klinischen Teams indiziert. Bei richti-
ger Patientenselektion können diese
Eingriffe die Lebensqualität der be-
troffenen Menschen mit Morbus Par-
kinson und anderen Bewegungsstö-
rungen erheblich bessern.
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Dr. med. Ethan Taub, M.D. Oberarzt Neurochirurgie
Universitätsspital, 4031 Basel
Interessenkonflikte: keine
Literatur beim Autor