Transkript
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Schlafassoziierte motorische Störungen
Die Vielzahl der möglichen Diagnosen erfordert ein systematisches Vorgehen
Ramin Khatami
Im folgenden Beitrag werden die häufigsten und klinisch relevanten Krankheitsbilder, die mit Bewegungsstörungen im Schlaf vergesellschaftet sind, näher beschrieben. Nächtliche epileptische Anfälle, die ebenfalls mit motorischen Störungen im Schlaf einhergehen, werden nicht im Detail behandelt, sondern im Kontext differenzialdiagnostischer Abgrenzungen
mit einer neurologisch/psychiatrischen Erkrankung assoziiert sind. Bei dieser Entscheidung spielen folgende Überlegungen/Schritte eine wesentliche Rolle: ■ Ist der Patient durch die moto-
rische Störung beeinträchtigt? ■ Gibt es Auswirkungen auf die
Tagesbefindlichkeit? ■ Kommt differenzialdiagnostisch
eine epileptische Störung infrage? ■ Finden sich in der körperlichen
Untersuchung auffällige neurologische Befunde?
erörtert.
I m Schlaf verändert sich die motorische Aktivität grundlegend. Bestimmte neurologische und psychiatrische Erkrankungen führen zu Störungen der schlafassoziierten Regulationsmechanismen. Die klinische Relevanz dieser Störungen ergibt sich aus verschiedenen Aspekten: ■ der hohen Frequenz schlafasso-
ziierter motorischer Störungen ■ der möglichen Assoziation mit neu-
rologischen Grunderkrankungen ■ der potenziellen Selbst- und
Fremdverletzungsgefahr ■ der Störung des Schlafs und Konse-
quenzen auf die Tagesbefindlichkeit und ■ der Notwendigkeit spezifischer Therapien.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Überblick über die Manifestationsformen, die Prävalenz, die Diagnostik und Therapiemöglichkeiten von schlafassoziierten Bewegungsstörungen zu geben.
Einleitung
Der natürliche Schlaf des Menschen modifiziert die motorische Aktivität auf charakteristische Weise. Im NREMSchlaf (non-rapid eye movement) kommt es zu einer graduellen Erniedrigung des Muskeltonus, während im REM-Schlaf (rapid eye movement) eine komplette Muskelatonie (tonische Komponente) auftritt, die lediglich von kurzer phasischer Aktivität unterbrochen ist (phasische Komponente). Die Regulation der Motorik im Schlaf unterliegt einer komplexen neurochemischen und neurophysiologischen Kontrolle, die erst im Laufe der Entwicklung ausreift. Dadurch ist es verständlich, dass viele schlafassoziierte motorische Störungen im Kindesalter oder im Rahmen von neurologischen Erkrankungen auftreten. Der behandelnde Arzt muss entscheiden können, ob es sich noch um ein altersentsprechend physiologisches Merkmal handelt (z.B. Sprechen im Schlaf bei Kindern) oder um pathologische Symptome, die
Die vielen möglichen Diagnosen (siehe Tabelle auf Seite 33) erfordern ein systematisches Vorgehen, das mit einer sorgfältigen Anamnese beginnt. Diese umfasst eine gezielte Schafanamnese mittels Schlaftagebüchern und Schlaffragebögen, eine Anamnese des Bettpartners und Familienanamnese sowie Fragen nach Noxen (insbesondere nächtlicher Alkoholkonsum) und sedierenden Medikamenten. Ergänzt durch die neurologische Untersuchung, kann die Mehrzahl der schlafassoziierten Bewegungsstörungen diagnostiziert werden. Bleibt die Diagnose unklar, sollten apparative Untersuchungen mittels 14-tägiger Aktimetrie und Video-Polysomnografie ergänzt werden. In Einzelfällen sind Laboruntersuchungen und strukturabbildende und/oder funktionelle Bildgebung notwendig.
Restless-legs-Syndrom und periodische Bewegungen der Gliedmassen im Schlaf
Das Restless-legs-Syndrom (RLS) beschreibt einen Bewegungsdrang der Beine (selten auch der Arme), häufig begleitet von beziehungsweise verursacht
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Vom Schlaf übermannte berauschte Bacchantin. Ausschnitt aus einer Freske in Pompeji (Neapel, Archäologisches Nationalmuseum)
durch unangenehme Missempfindungen. Drei weitere Kriterien sind für die Diagnose des RLS obligat. Der Bewegungsdrang lässt sich durch Bewegung kurzfristig lindern, das Auftreten oder die Verschlechterung der Symptome in Ruhe und die zirkadiane Bindung mit abendlicher oder nächtlicher Zunahme der Beschwerden (2). Eine begleitende Ein- oder Durchschlafstörung ist häufig, in zirka 10 bis 20 Prozent kommt es zur
Tagesschläfrigkeit (4). Während des Schlafs findet man in zirka 80 Prozent der Fälle unwillkürliche, periodische Bewegungen der Beine, die früher irrtümlicherweise als nächtlicher Myoklonus bezeichnet wurden. Die Dauer der Bewegungen (per definitionem 0,5–5 s) sind jedoch für einen Myoklonus zu lang. Entscheidend ist das Auftreten von vier aufeinanderfolgenden Beinbewegungen mit einer zeitlichen Periodizität von 5 bis 90 s.
Der Nachweis von periodischen Bewegungen der Gliedmassen im Schlaf (PLMS; periodic limb movements in sleep) per se ist nicht gleichbedeutend mit einer motorischen Bewegungsstörung im Schlaf. Etwa 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung weisen PMLS ohne jegliche Befindlichkeitsstörung auf, und die Prävalenz der PLMS ist deutlich altersassoziiert (etwa 40% der über 65-Jährigen haben PLMS). Umgekehrt ist die Häufigkeit von PLMS bei vielen neurologischen Erkrankungen erhöht. Ob ein reines PLMS ohne RLS zur Insomnie führen kann, bleibt umstritten (3). Das RLS mit PLMS ist die häufigste motorische Bewegungsstörung im Schlaf (etwa 5% der Bevölkerung) mit einem leichten Übergewicht bei Frauen. Am häufigsten sind idiopathische Formen, die meist mit einer positiven Familienanamnese einhergehen. Sekundäre Formen kommen bei Niereninsuffizienz, Eisenmangel, Schwangerschaft, Polyneuropathien, spinalen Erkrankungen und neurologischen sowie psychiatrischen Erkrankungen vor. Die sekundären Formen präsentieren sich häufig als atypisches RLS, bei dem nicht alle vier Hauptkriterien zutreffen (5). Die Pathophysiologie des RLS und der PLMS sind unklar. Man vermutet, dass die Bewegungsunruhe und die Missempfindungen primär auf spinaler
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Arousal MT
Wake REM
S1 S2 S3 S4
00.00
01.00
02.00
03.00
04.00
05.00
06.00
Wiederholtes Erwachen aus dem Tiefschlaf (S3, S4) im ersten Drittel der Nacht (0.00 bis 1.30 Uhr)
Abbildung 1: Hypnogramm eines Patienten mit Schlafwandeln
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Das oft zitierte Bild «der traumwandlerischen Sicherheit» entspricht nicht der Wirklichkeit, die Handlungen sind viel häufiger potenziell selbst-
oder fremdgefährdend.
Ebene entstehen. Verschiedene neurophysiologische und funktionell bildgebende Verfahren lassen den Schluss supraspinaler Generatoren beziehungsweise Einflüsse (v.a. der Basalganglien) zu. Für die Beteiligung der Basalganglien spricht auch das gute Ansprechen der Symptome auf eine dopaminerge Medikation. Die sekundären Formen zeigen jedoch, dass das RLS und RLS-ähnliche Symptome auf jeder Ebene (peripher, spinal und supraspinal) entstehen können. Die Diagnose wird durch eine sorgfältige Anamnese und körperliche Untersuchung gestellt. Der Nachweis PLMS ist nicht zwingend, stützt aber die Diagnose in unklaren Fällen. Zum Ausschluss eines sekundären RLS sollte eine Laborbestimmung (Blutbild, Elektrolyte, Kreatinin/Harnstoff, Glucose/HbA1, Eisen/Ferritin, TSH, Vitamin B12, eventuell Schwangerschaftstest) erfolgen. Die Therapie richtet sich nach der Ursache des RLS, beim sekundären RLS steht die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund. Insbesondere bei Eisenmangel-assoziierten RLS sollte Eisen substituiert werden. Das idiopathische RLS wird niedrig dosiert mit nichtergotaminergen Dopaagonisten oder L-Dopa retard behandelt (26). Das Problem der Langzeittherapie ist bei 30 bis 80 Prozent der Patienten eine Verschlechterung der RLS-Symptomatik, die als Augmentation bezeichnet wird (4). Diese präsentiert sich als Ausbreitung der Symptomatik auf andere Körperregionen, als Verkürzung der Latenz bis zum Auftreten der Beschwerden in Ruhe oder als früheres Auftreten der Beschwerden am Tage und intensivere Beschwerden. In diesen Fällen ist die dopaminerge Medikation zu wechseln. Alternativpräparate stellen
Opiate, Antiepileptika, in Fällen mit schwerer Insomnie auch Benzodiazepine dar. In zirka 20 bis 30 Prozent ist eine Kombinationstherapie notwendig.
NREM-Parasomnien
Die nächtliche Symptomatik dieser Parasomnien tritt definitionsgemäss im NREM-Schlaf auf, also im ersten Drittel der Nacht. Klinisch relevant ist die Gruppe der Arousalstörungen, die in Confusional arousal (CA), Pavor nocturnus (PN) und Schlafwandeln (SW) unterteilt ist (Hypnogramm eines Schlafwandlers in Abbildung 1). Häufig kommen in einem Patienten CA und PN und/oder SW gemeinsam vor, sodass die verschiedenen Arousalstörungen eher als ein Kontinuum der selben zugrunde liegenden Störung zu verstehen sind und nicht als streng getrennte Entitäten. Die Arousalstörungen sind durch ein inkomplettes Erwachen aus dem Tiefschlaf (NREM3/4) gekennzeichnet (17). Die «halbwachen» Patienten sind «ausreichend wach», um komplexe motorische Bewegungen auszuführen, aber noch «nicht wach genug», um adäquat reagieren zu können. Das klinische Spektrum der Arousalstörungen reicht von «harmlosem» Erwachen mit kurzer Desorientiertheit (CA) bis zu komplexen Bewegungen mit potenziell selbstund fremdgefährdendem Verhalten. Für das partielle Erwachen liegt in der Regel eine Amnesie vor. Das CA ist durch ein kurzes Erwachen (Dauer 30 s–5 min) mit Desorientiertheit, inadäquaten Handlungen sowie verlangsamtem, unverständlichem Sprechen gekennzeichnet. Komplexe Bewegungen oder Verlassen des Bettes gehören nicht zur Symptomatik des CA. Der PN beginnt abrupt mit einem lauten Schrei, gefolgt von heftigen Bewegun-
gen und angstbesetztem Verhalten (lateinisch pavor = Furcht, Schrecken) mit autonomen Symptomen. Die Patienten haben die Augen weit geöffnet und reagieren auf Ansprache oder Berührung mit Abwehrbewegungen oder verstärktem Schreien. Die Episoden dauern zirka 5 min, lange Episoden von bis zu 15 min können vorkommen. Die Bewegungen des SW sind weniger abrupt als beim PN und wirken eher unsicher und «tollpatschig». Die Betroffenen ziehen an der Bettdecke oder rücken das Kopfkissen zurecht, verlassen langsam das Bett oder kleiden sich an. Selbst in vertrauter Umgebung können Möbelstücke oder Gegenstände umgestossen werden. Auf Ansprache sind kurze undeutliche Antworten möglich, allerdings bleibt es häufig bei undeutlichen Vokalisationen wie Murmeln, Stammeln oder kurzen Sätzen. Forciertes Ansprechen oder Berühren kann den Bewegungsdrang verstärken. Komplexe Handlungen wie Autofahren, Kochen oder Spielen von Musikinstrumenten sind beschrieben (7), dürften aber auf Einzelfälle beschränkt sein. Die Patienten laufen durch geschlossene Türen, zerschlagen Fenster oder können durch geöffnete Fenster in die Tiefe stürzen. Fälle von Totschlag sind dokumentiert (7). Die SW-Episoden dauern zirka 15 min, auch stundenlange Episoden sind möglich. Die Arousalstörungen sind Erkrankungen des Kindesalters, kommen aber selten auch bei Erwachsenen vor. Die maximale Prävalenz des PN liegt zwischen 5. und 7. Lebensjahr. Etwa 5 bis 15 Prozent aller Kinder haben mindestens einmal im Leben eine PN-Episode, zirka 1 bis 6 Prozent wiederholte Episoden. Etwa ein Drittel der Kinder mit häufigen PN haben auch als Erwachsene wiederholte Episoden von PN (etwa 0,5–1% der Erwachsenen) (12). Das Schlafwandeln beginnt etwas später als der PN, die maximale Prävalenz ist im 12. Lebensjahr. Etwa 15 bis 30 Prozent der Kinder schlafwandeln mindestens einmal im Leben, bei etwa 3 bis 5 Prozent der
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Die Abbildung zeigt die aufgehobene Muskelatonie während des REM-Schlafs in einer 30-s-Epoche. Die schnellen Augenbewegungen sind im Kanal 1+2 (von oben) zu sehen, die submentale Muskelaktivität in Kanal 7, die Muskelaktivität des M. tibialis anterior links
in Kanal 8. Kanal 3–6: EEG, Kanal 9: M tibialis anterior re, Kanal 10: EKG
Abbildung 2: Polysomnografische Ableitung eines Patienten mit REM-Schlaf-Verhaltensstörung
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Kinder tritt das SW mehrmals pro Woche auf (1, 11). Etwa 1 bis 3 Prozent der Erwachsenen hat gelegentliches Schlafwandeln. In zirka 30 bis 90 Prozent der Fälle liegt eine positive Familienanamnese vor (1, 14). Das relative Risiko für Kinder betroffener Eltern ist im Vergleich zu Gesunden bis 7-fach erhöht. Genetische Faktoren sind bis anhin noch nicht identifiziert, eine signifikante, aber schwache Assoziation zum HLAB1*05 wurde kürzlich beschrieben (35% der Schlafwandler vs. 13,5% gesunder Kontrollen) (15). Arousalstörungen lassen sich durch Wecken aus dem Tiefschlaf provozieren, entsprechende externe Faktoren (z.B. störende Schlafumgebung, Lärm) und interne Faktoren (Fragmentierung des Schlafs durch primäre Schlafstörungen) können das Auftreten derselben triggern (10, 22). In der Anamnese ist auf die Komorbidität mit anderen primären Schlafstörungen (obstruktives Schlafapnoe-Syndrom oder RLS mit PLMS) zu achten, deren erfolgreiche Behandlung auch zur Besserung der Arousalstörungen führt (10). Eine
Reihe von Medikamenten (wie Thioridazine, Desipramin und Perphenazin) und Alkohol sind ebenfalls potenzielle Triggerfaktoren. Umgekehrt wird diskutiert, dass eine Intensivierung des Tiefschlafs zum Auftreten von Arousalstörungen beiträgt. Ein intensiverer Tiefschlaf würde ein unvollständiges Erwachen aus dem Schlaf begünstigen. Situationen, die über diesen Mechanismus wirken, sind Erholungsnächte nach Schlafentzug, Fieber und das Reboundphänomen nach Beginn einer CPAP-Therapie. Panikartiges oder verwirrtes Erwachen im ersten Drittel der Nacht sowie komplexe und potenziell selbstoder fremdgefährdende Verhaltensweisen in der Anamnese sind für die Diagnose wegweisend. Gezielte Fragen nach der Familienanamnese und Triggerfaktoren sind wesentlich für Diagnose und Therapie. Mithilfe der Video-Polysomnografie kann das Auftreten der Episoden aus dem Tiefschlaf gesichert werden, bei Erwachsenen in bis zu 22 Prozent aus Stadium NREM2 (6, 27). Als EEG-Marker gilt eine intermittierend auftre-
tende «hypersynchrone Delta-Aktivität» (HSD) aus dem slow wave sleep (SWS, entspricht dem Tiefschlaf), wobei die Spezifität dieses EEG-Markers nach neuen Studien gering ist (22, 27). Die Verteilung der Schlafstadien ist hingegen weitgehend normal (22, 24, 27). Eine medikamentöse Therapie ist selten indiziert, meist reicht die Identifizierung und Vermeidung von Triggerfaktoren sowie die Absicherung der Schlafumgebung (Matratze auf den Boden, Fenster verschliessen, Entfernung spitzer oder zerbrechlicher Gegenstände). Bei einer medikamentösen Therapie ist zu beachten, dass die Mittel der Wahl (Benzodiazepine, SSRI, Carbamazepin und trizyklische Antidepressiva) im Einzelfall paradoxerweise auch Arousalstörungen auslösen können.
Parasomnien des Schlaf-WachÜbergangs
Zu dieser Gruppe zählen verschiedene Parasomnien mit singulären oder repetitiven Bewegungen grosser Muskelgruppen, die in der Einschlaf- oder Aufwachphase auftreten. Die klinisch
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wichtigsten Vertreter sind Rhythmic Movement Disorder (RMD, Jactatio capitis nocturna, headbanging, headrolling, bodyrocking, bodyrolling), nächtliche Krämpfe (Crampi), Somniloquie (Sprechen im Schlaf) und sleep starts (Einschlafmyoklonien, hypnic oder hypnagogic jerks). Häufig treten diese Bewegungen auch beim Gesunden sowie bei Kindern auf und können zumindest bei Kindern als physiologisches Einschlafritual verstanden werden. Krankheitswert haben diese Bewegungsstörungen nur, wenn sie ■ den Einschlafprozess stören ■ bis ins Erwachsenenalter persis-
tieren oder erst in diesem Alter auftreten ■ zu Verletzungen führen.
Nur unter diesen Bedingungen sollte eine medikamentöse Therapie (meist Benzodiazepine, bei nächtlichen Crampi auch Gabapentin) initiiert werden.
REM-Parasomnien
Aus dieser Gruppe ist die chronische REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD = REM-sleep behavioral disorder) klinisch bedeutsam (polysomnografische Ableitung siehe Abbildung 2). Die Symptomatik ist definitionsgemäss an den REM-Schlaf gebunden und tritt deshalb vor allem in der zweiten Nachthälfte auf. Bei der RBD ist die physiologische Muskelatonie im REM-Schlaf aufgehoben, gleichzeitig kommt es zu aggressiven, oft gewalttätigen Trauminhalten. Durch die fehlende Muskelatonie des REMSchlafs agieren die Patienten diese Träume aus, und führen nichtstereotype, im Kontext des Traumes zielgerichtete Bewegungen aus. Typisch sind schlagende, tretende Bewegungen und laute Vokalisationen. Die Verletzungsgefahr bei RBD ist gravierend. Selbst- (32%) oder Fremdverletzungen (64%) sind nicht selten Anlass der medizinischen Abklärung (21, 24). Die Patienten haben kein Bewusstsein für ihre Bewegungen, erinnern sich aber vage an «Alpträume». Zahlreiche REM-Schlafatonie för-
dernde Medikamente sind Auslöser eines RBD (v.a. SSRI, trizyklische Antidepressiva und MAO-Hemmer). Das idiopathische RBD ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters und beginnt zirka im 60. Lebensjahr. Männer (80–90%) sind wesentlich häufiger als Frauen betroffen. Die Prävalenz wird mit 0,5 Prozent angegeben. Nach heutigem Erkenntnisstand stellt das RBD häufig das Erstsymptom einer Synukleopathie (MSA, Demenz mit Lewy body disease, idiopathisches Parkinsonsyndrom) dar (21, 24). Je nach Beobachtungszeit von 8 bis 13 Jahren entwickeln 30 bis 65 Prozent der Patienten mit initial diagnostizierter idiopathischer RBD Symptome eines M. Parkinson (23). Umgekehrt entwickeln 40 Prozent der Patienten mit einem M. Parkinson eine RBD innerhalb von 3 Jahren. Die hohe Prävalenz des RBD bei degenerativen Erkrankungen spricht für die Hypothese, dass ein Verlust atonieregulierender Neurone im Hirnstamm zur Erkrankung führt. Nicht neurodegenerative Erkrankungen, die häufig mit einem RDB einhergehen, sind Narkolepsie und psychiatrische Erkrankungen. Diagnostisch richtungweisend ist die Anamnese von schlafassoziierten Bewegungen in der zweiten Nachthälfte und das potenziell selbst- oder fremdgefährdende Verhalten. Gezielte Fragen nach RBD-auslösenden Medikamenten sind diagnostisch und therapeutisch gleichsam wichtig. Das abnorme motorische Verhalten im REM-Schlaf mittels Video-Polysomnografie beweist die Diagnose einer RBD. Selbst bei Fehlen klinisch manifester Episoden zeigt die polysomnografische Ableitung einen erhöhten Muskeltonus im REM-Schlaf sowie exzessive phasische Muskelaktivität im NREM-Schlaf. Der REM-Schlaf ist fragmentiert, die Verteilung der Schlafstadien (insbesondere REM-Schlafanteil) weitgehend normal. Der SWS-Anteil hingegen ist leicht erhöht (21). Studien mit funktioneller Bildgebung haben gezeigt, dass die Dichte der präsynaptischen Dopamintransporter beim idiopathi-
schen RBD im Vergleich zu Gesunden reduziert ist, aber nicht das Ausmass wie beim M. Parkinson erreicht (9). Therapie der Wahl ist die Absicherung der Schlafumgebung und Clonazepam in niedriger Dosierung (0,5–1 mg zur Nacht). Langzeitstudien haben gezeigt, dass eine Toleranzentwicklung gegen Clonazepam nicht zu erwarten ist (16).
(Differenzial-)Diagnose Parasomnien vs. Epilepsien
Spezifische Formen der nächtlichen Frontal- und Temporallappenepilepsien stellen eine besonders schwierige Differenzialdiagnose zu Parasomnien dar. Das diagnostische Vorgehen sollte sich an sechs Kriterien orientieren, von denen die ersten fünf durch eine sorgfältige Anamnese beziehungsweise Fremdanamnese zu erheben sind: ■ Semiologie der Episoden ■ Erinnerungsvermögen und
Traumerlebnis ■ Zeitliches Auftreten, Dauer und
Häufigkeit der Episoden ■ Epidemiologie und assoziierte
Erkrankungen ■ Triggerfaktoren ■ Zusatzbefunde.
Die motorische Aktivität der Parasomnien zeichnet sich durch variable, teilweise zweckgerichtete und physiologische Bewegungen aus. Im Gegensatz dazu haben epileptische Anfälle ein stereotypes Bewegungsmuster. Charakteristisch für Epilepsien sind ungerichtete, häufig dystone Bewegungen und/oder tonische Körperhaltungen. Das Vorliegen von Selbst- und Fremdgefährdung ist suggestiv für Parasomnien. Etwa 60 Prozent aller Verletzungen, die im Zusammenhang mit aggressivem Verhalten im Schlaf auftreten, sind auf Parasomnien zurückzuführen, etwa 25 bis 38 Prozent auf das RBD (19). Epileptische Anfälle hingegen führen nur selten (in ca. 8% aller schlafassoziierten Verletzungen) zu Selbst- oder Fremdverletzungen (24). Arousalstörungen treten im Tiefschlaf auf, sind demnach
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Tabelle:
Motorische Störungen im Schlaf, nach ICSD 2 (modifizierter Auszug)
I. Schlafbezogene Bewegungsstörungen 1. Restless-legs-Syndrom 2. Periodische Bewegungsstörung der Gliedmassen 3. Schlafbezogene Beinkrämpfe 4. Schlafbezogener Bruxismus 5. Schlafbezogene rhythmische Bewegungsstörung 6. Schlafbezogene Bewegungsstörung, nicht spezifiziert 7. Schlafbezogene Bewegungsstörung infolge Drogen
oder Medikamenteneinnahme 8. Schlafbezogene Bewegungsstörung infolge organischer Erkrankung
II. Parasomnien A. Parasomnien des NREM-Schlafes 1. Schlafwandeln 2. Verwirrtes Erwachen (Confusional arousals) 3. Pavor nocturnus B. Parasomnien des REM-Schlafes 1. REM-Schlafverhaltensstörung C. Andere Parasomnien
III. Schlafbezogene Epilepsie 1. Nächtliche Frontallappenepilepsie 2. Benigne Epilepsie mit zentrotemporalem Fokus 3. Epilepsie des Kindesalters mit okzipitalen Paroxysmen 4. Juvenile myoklonische Epilepsie 5. Generalisierte tonisch-klonische Anfälle beim Erwachen 6. Epilepsie mit anhaltenden Spike-Wave-Entladungen im synchronisierten Schlaf
IV. Andere motorische Phänomäne im Schlaf 1. Sprechen im Schlaf 2. Einschlafmyoklonien 3. Benigner Schlafmyoklonus des Frühkindesalters 4. Hypnagoger Fusstremor und abwechselnde Beinmuskelaktivierung 5. Propriospinaler Myoklonus 6. Exzessiver fragmentarischer Myoklonus
(die unterstrichenen Krankheitsbilder sind im Artikel beschrieben)
ciertes Erwachen kann Arousal-
störungen, nicht aber epileptische An-
fälle auslösen. Bei unklaren Fällen
sind Zusatzuntersuchungen zur wei-
teren Diagnostik notwendig (Video-
EEG bzw. Video-Polysomnografie mit
zusätzlichen EEG-Kanälen). Neben der
Videodokumentation der Ereignisse
erlauben die gleichzeitig registrierten
polygrafischen Signale Aussagen zu
Schlafstadien und zum Auftreten epi-
lepsietypischer Potenziale. Ein iktales
epileptisches Anfallsmuster beweist
die Diagnose einer Epilepsie, aber
auch intermittierend epilepsietypische
Potenziale haben eine hohe diagnosti-
sche Sensitivität (80–90%) und Spezi-
fität (nur 0,5% der EEG von Menschen
ohne Epilepsie zeigen epilepsietypische
Spitzenpotenziale). Für die Arousal-
störungen gibt es keine spezifischen
polygrafischen Marker. Die «hyper-
synchrone Delta Aktivität» (HSD) ist
ein häufiger, aber unspezifischer
EEG-Befund, der auch bei anderen
Schlafstörungen vorkommt (22, 27).
Die RBD unterscheidet sich von schlaf-
gebundenen epileptischen Anfällen.
Betroffen sind überwiegend Männer
ab dem 60. Lebensjahr mit typischer
Anamnese von potenziell selbst- und
fremdgefährdendem Verhalten und
Vokalisationen im letzten Drittel der
Nacht.
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auf das erste Drittel der Nacht beschränkt und mit einer Amnesie für die Episoden verbunden. Schlafgebundene epileptische Anfälle hingegen werden im NREM-Schlaf aktiviert, während der REM-Schlaf einen «antiepileptischen» Effekt hat (8, 13, 20, 23). Innerhalb des NREM-Schlafs treten epileptische Anfälle überwiegend aus Schlafstadium NREM2 oder bei Schlafstadienwechsel auf. Daraus ergibt sich ein diffuses nächtliches Verteilungsmuster ohne zeitliche Präfe-
renz. Der frühe Erkrankungsbeginn im Kindesalter, die positive Familienanamnese (bis 90%) sowie der spontane günstige Krankheitsverlauf sind weitere charakteristische Kriterien für Arousalstörungen. Die Kinder haben typischerweise eine Häufung der Episoden zu Krankheitsbeginn und im weiteren Verlauf eine Tendenz zur Spontanremission. Epilepsien des Frontal- und des Temporallappens zeigen hingegen unbehandelt eine Tendenz zur Verschlechterung. For-
Dr. med. Ramin Khatami Oberarzt
Klinik für Neurologie, Zentrum für Schlafmedizin
UniversitätsSpital Zürich Frauenklinikstrasse 26 8091 Zürich
Interessenkonflikte: keine
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Literatur:
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