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Kongressbericht
Wichtige Nierenerkrankungen in der Praxis
Kongenitale Anomalien und Glomerulopathien
Im Rahmen einer Online-Tagung der Kinderärzte Schweiz gab Prof. Dr. med. Giacomo D. Simonetti einen Überblick über die wichtigsten Nierenerkrankungen bei Kindern. Der Direktor und medizinische Leiter des Istituto Pediatrico della Svizzera Italiana ging in seinem Vortrag zudem vertieft auf zwei Glomerulopathien ein.
Zu Beginn seines Referats fasste Simonetti die wichtigsten anatomischen Strukturen der Nieren und deren physiologischen Aufgaben zusammen. Das Endothel, die Basalmembran und die Fussfortsätze der Podozyten sind für die Filtration und Produktion des Primärharns verantwortlich. Eine Vielzahl von Stoffen und Molekülen passiert die Glomeruli und in den nachgeschalteten Tubuli findet die Feinsteuerung der Resorption beziehungsweise die Sekretion statt. Da im proximalen Tubulus vor allem Aminosäuren, Glucose und Phosphat rückresorbiert werden, liefert eine übermassige Konzentration dieser Stoffe im Harn einen ersten Hinweis auf eine Erkrankung des proximalen Tubulus. In den Henle-Schleifen wird vor allem Natrium, Kalium und Chlorid rückresorbiert. Entsprechend entfalten an dieser Stelle die Schleifendiuretika ihre Wirkung, während im distalen Tubulus Thiaziddiuretika und im Sammelrohr Aldosteron die Rückresorption von Natrium und Wasser beeinflussen. Der Experte rief in Erinnerung, dass in den Nieren nicht bloss die Elimination von Toxinen, Harnstoff und auch Medikamentenwirkstoffen stattfindet. Die Nieren spielen auch im Säure-Basen-Haushalt, der Blutdruck- und der Hormonregulation eine zentrale Rolle. Entsprechend viel-
KURZ UND BÜNDIG
● Anatomische Anomalien der Nieren lassen sich bereits bei Feten feststellen. Im Englischen werden bei der Geburt vorhandene Uropathien mit dem Begriff «CAKUT» (Congenital Abnormalities of the Kidney and Urinary Tract) zusammen gefasst.
● An einem idiopathisch nephrotischen Syndrom erkranken typischerweise Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren, wobei Knaben häufiger betroffen sind als Mädchen. 90 Prozent der Betroffenen reagieren positiv auf eine Therapie mit Kor tikosteroiden.
● Die Diagnose einer Purpura Schönlein-Henoch erfolgt meist als Blickbefund einer unterschiedlich stark ausgeprägten Vaskulitis der Haut vor allem an den Extremi täten und im Gesässbereich. Typischerweise tritt die Erkrankung bei Kleinkindern und Kindern im Schulalter (jedoch jünger als neun Jahre) auf. Knaben sind häufi ger betroffen als Mädchen.
schichtig präsentieren sich die klinischen Symptome bei Nephropathien.
Kongenitale Anomalien
Anatomische Anomalien der Nieren lassen sich bereits bei Feten feststellen. Im Englischen werden bei der Geburt vorhandene Uropathien mit dem Begriff «CAKUT» zusammengefasst. Dieses Akronym steht für Congenital Abnormalities of the Kidney and Urinary Tract. Dazu gehören Pathologien wie vesikoureteraler Reflux, Dop pelnieren, Lageanomalien der Nieren, pyeloureterale Stenosen, Megaureter oder Urethralklappen. In diesem Zusammenhang betonte der Nephrologe, dass ein vesikoureteraler Reflux am besten mittels Cysto-Urethrogramm, Kontrastmittel und Ultraschall diagnostiziert werden kann.
Glomerulopathien
Infolge einer Glomerulopathie kommt es zu einer Hämaturie und Proteinurie. Zudem finden sich in der mikroskopischen Untersuchung Erythrozyten-Zylinder und/oder glomeruläre Erythrozyten. Letztere werden aufgrund der bläschenförmigen Ausstülpungen auf den ringförmigen Erythrozyten auch als «Micky-Maus-Ohren» (dysmorphic Mickey Mouse RBC) bezeichnet. Ein weiterer, jedoch makroskopischer Hinweis auf eine Glomerulopathie ist das Aufschäumen des Urins aufgrund der Proteinurie. In diesem Zusammenhang erwähnte Simonetti, dass besorgte Eltern häufig in Kinderpraxen vorsprechen, da sie in den Windeln ihrer Neugeborenen oder Säuglinge orange rötliche Flecken beobachten. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um Ziegelmehlsediment, das aus amorphen Uratkristallen besteht und keine pathologische Bedeutung hat. Zur Sicherheit empfiehlt der Experte, bei diesen Kindern mittels eines Urinteststreifen eine Blutbeimischung im Harn auszuschliessen. Ein weiteres Zeichen für eine Glomerulopathie verschiedener Genese ist das Vorliegen eines nephrotischen und/ oder eines nephritischen Syndroms. Der Symptomkomplex des nephrotischen Syndroms manifestiert sich mit einer Proteinurie, einer Hypoproteinämie, einer Hypoalbuminämie sowie peripheren Ödemen. In Folge einer stark entzündlichen Schädigung der Kapillaren in den Glomeruli lässt sich ein nephritisches Syn-
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drom aufgrund einer Proteinurie, einer Hämaturie, dem Nachweis einer arteriellen Hypertonie und einer Niereninsuffizienz diagnostizieren. Differenzialdiagnostisch kommt bei einer Glomerulopathie eine Vielzahl von Krankheiten infrage:
Post-infektiöse Glomerulonephritis Typischerweise ist dabei die Konzentration des Komplementfaktor C3 im Serum erniedrigt, während der ASTWert erhöht sein kann (im Falle einer Streptokokken-Infektion).
Hämolytisch-urämisches Syndrom Dabei kommt es zu einer Triade bestehend aus einer hämolytischen Anämie, einer Thrombozytopenie und einer Niereninsuffizienz.
Idiopathisches nephrotisches Syndrom Normalerweise zeigen die Betroffenen ausschliesslich eine Proteinurie, jedoch meist keine Hämaturie. Nur 5 bis 10 Prozent der Kinder leiden auch an einer Mikrohäma turie. Meist ist der Blutdruck normal und auch die C3/ C4-Werte liegen im Normbereich.
Purpura Schönlein-Henoch-Nephritis Bei dieser Erkrankung manifestiert sich die Nephritis mit einer Purpura verschiedener Ausprägung. Zudem können Bauchschmerzen aufgrund der Nephritis auftreten.
Ig-A-Nephritis (Morbus Berger) Typisch für Morbus Berger sind wiederholte Makrohämaturie-Episoden im Rahmen banaler Infektionserkrankungen wie beispielsweise einer Rhinitis. Die Diagnosestellung erfolgt im Rahmen einer Nierenbiopsie über den Nachweis von Ig-A-Ablagerungen.
Weitere, wenn auch nur sehr selten auftretende Erkrankungen, sind Lupus-Nephritis und Morbus Wegener. Nachfolgend ging Simonetti vertieft auf das nephrotische Syndrom und die Purpura Schönlein-Henoch-Erkrankung ein.
Idiopathisch nephrotisches Syndrom
Meist erkranken Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren an einem idiopathisch nephrotischen Syndrom, wobei Knaben häufiger betroffen sind als Mädchen. Die Diagnose erfolgt klinisch, wobei plötzlich auftretende Ödeme, das Fehlen einer Hämaturie, normale Nierenfunktion und ein normaler Blutdruck typische Befunde sind. Beim idiopathisch nephrotischen Syndrom sind die Resultate einer Biopsie meist unauffällig, weshalb diese Pathologie auch als Minimal-Change-Glomerulonephritis bezeichnet wird. In der akuten Phase ist das Risiko sowohl für Thrombosen als auch invasive Infektionen erhöht. Symptome, denen Kinderärzte besondere Beachtung schenken sollten, sind: • Kopfschmerzen (Sinusvenenthrombose) • Bauchschmerzen (Peritonitis)
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• Erbrechen (ZNS, Peritonitis) • Fieber (invasive Infektionen) • Zellulitis. Bei einem Verdacht auf ein akutes, idiopathisch nephrotisches Syndroms rät Simonetti zu einer umgehenden Überweisung an eine Kinderklinik, um möglichst rasch reagieren zu können. Die Behandlung sollte von einem Nephrologen begleitet werden. Die Gabe von täglich 60 mg/m2 Prednison bzw. Prednisolon während sechs Wochen hat sich als Therapie bei einer ersten Episode bewährt. Danach kann die medikamentöse Behandlung entweder abgesetzt, oder aber mit 40 mg/m2 Predniso(lo)n an jeden zweiten Tag während weiteren sechs Wochen ausgeschlichen werden. Bei einem Rückfall raten die Experten zu einer täglichen Gabe von 60 mg/m2 Predniso(lo)n bis die Resultate des Urintests während dreier Tage negativ ausfallen. Danach kann die Dosierung auf 40 mg/m2 jeden zweiten Tag während vier Wochen gesenkt werden.
Prognose hängt von Steroidsensibilität ab Die Therapie mit Kortikosteroiden ist in 90 Prozent der Fälle erfolgreich. Entsprechend gut ist die Prognose. Von einer Biopsie vor einem Therapieversuch mit Kortikosteroiden raten die Experten ab. Grundsätzlich kommt es bei einem Drittel der Betroffenen nicht zu Rückfällen, ein weiteres Drittel zeigt gelegentliche Rückfälle (ein bis zwei Rückfälle pro Jahr) und bei einem weiteren Drittel der Kinder ist mit häufigen Rückfallen (> vier Rückfälle pro Jahr) zu rechnen. Bei Patienten mit häufigen Rückfällen bietet sich als Alternative zu wiederholten Kortikosteroidgaben eine vorbeugende immunsuppressive Therapie an. Bei den rund 10 Prozent der Kinder, die nicht auf eine Kortikosteroidtherapie ansprechen, ist eine Biopsie zielführend. Denn als Ursache für ein idiopathisch steroidresistentes Syndrom kommt eine Genmutation infrage, die zu einer veränderten Podozytenstruktur führt. In diesen Fällen fällt die Prognose schlechter aus, da die Erkrankung im weiteren Verlauf zu einer chronischen Niereninsuffizienz führen kann, die langfristig sogar eine Nierentransplantation notwendig macht.
Purpura Schönlein-Henoch
Die Diagnose einer Purpura Schönlein-Henoch erfolgt meist als Blickbefund einer Vaskulitis der Haut vor allem an den Extremitäten und im Gesässbereich. Diese Hautveränderungen können zudem juckend und schmerzhaft sein. Simonetti mahnte, dass die Hautveränderungen nicht immer stark ausgeprägt sind und deshalb auch auf weitere typische Symptome wie Arthralgie, Arthritis,
abdominalen Schmerzen, Blutungen im Stuhl und eine Glomerulonephritis geachtet werden sollte. Seltener kann eine Purpura Schönlein-Henoch-Erkrankung zentralnervöse Symptome, Harnwegs- und Lebererkrankungen hervorrufen. Typischerweise tritt die Erkrankung bei Kleinkindern und Kindern im Schulalter, jedoch jünger als neun Jahre auf, wobei Knaben häufiger betroffen sind als Mädchen. Als Ursache gelten im Vorfeld durchgemachte Infektionen mit Streptokokken der Gruppe A, Husten, Rhinitis, und weitere Erkrankungen der oberen Luftwege. Dies erklärt auch die deutliche Saisonalität für das Auftreten von Purpura Schönlein-Henoch. So nimmt die Erkrankungshäufigkeit im Winter und Frühling merklich zu. Meist klingt die Erkrankung nach drei bis vier Wochen ab. Rückfälle nach wenigen Wochen sind selten. Simonetti rät, die Eltern eines betroffenen Kindes proaktiv auf die Möglichkeit von zunehmenden Bauchschmerzen im Krankheitsverlauf aufmerksam zu machen. Zudem sollten sie instruiert werden, umgehend beim Kinderarzt vorzusprechen, falls der Urin eine rötliche Verfärbung zeigt, da dies ein Hinweis auf eine Nephritis sein kann. Der Schwergrad einer Nierenentzündung korreliert mit dem Alter des Kindes. So leiden jüngere Betroffene seltener an einer schweren Nephritis im Vergleich zu älteren Kindern.
Behandlung und Kontrollintervalle Zur Behandlung eignet sich grundsätzlich Paracetamol. Kommen abdominale Beschwerden hinzu, wird eine Therapie mit 1 bis 2 mg/kg Predniso(lo)n während drei bis fünf Tagen empfohlen. Bei Bauchschmerzen sollte differenzialdiagnostisch an eine Invagination gedacht werden. Nach Abklingen der Symptome empfehlen die Experten, in den Folgemonaten den Zustand der Nieren mittels einer allgemeinen Urinanalyse, der Bestimmung des Protein-Kreatinin-Verhältnisses im Morgenurin und Blutdruckmessungen zu überwachen. Diese Follow-up-Untersuchungen sollten in der ersten zwei bis drei Wochen nach der Erkrankung einmal wöchentlich stattfinden. In den beiden nachfolgenden Monaten reicht eine monatliche Kontrolle. Danach reicht eine Untersuchung nach sechs und zwölf Monaten. Sollten in dieser Zeit eine Makrohämaturie, Unwohlsein oder Ödeme beobachtet werden, sind die Eltern dazu angehalten, möglichst rasch ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Matthias Scholer
Quelle: Wichtige Nierenerkrankungen in der Praxis, Vortrag im Rahmen der Online Frühlingstagungg der Kinderärzte Schweiz am 14. März 2024.
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