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Kongressbericht
Infektionen als Risikofaktor für kindliches Asthma
Kinder, die in den ersten Lebensjahren häufiges Giemen zeigen, haben ein erhöhtes Risiko, Asthma zu entwickeln, und weisen im späteren Leben oft eine eingeschränkte Lungenfunktion auf. Präventive Strategien werden dringend gesucht. Als sinnvoll hat sich die Identifikation von symptomatischen Kindern mit Eosinophilie erwiesen, die von inhalativen Kortikosteroiden profitieren können. Auch die Prävention und, falls erforderlich, die Behandlung von Atemwegsinfektionen dürften das Asthmarisiko reduzieren.
Giemen (Wheezing) im Vorschulalter hat langfristige Konsequenzen. Unabhängig vom Phänotyp zeigen Wheezer bei Erreichen des Schulalters im Vergleich zu gesunden Kindern eine reduzierte Lungenfunktion (1). Auch bei transientem Giemen könne das Defizit bis in die Adoleszenz nur zum Teil aufgeholt werden, erläutert Prof. Dr. Sejal Saglani, Imperial College London (UK), am Jahreskongress der European Respiratory Society (ERS) 2024 in Wien. Giemen in der frühen Kindheit ist assoziiert mit eingeschränkter Lungenfunktion und Asthma (2). Man bekomme oft zu hören, so Saglani, dass diese Risikoabschätzungen wertlos seien, solange man keine Möglichkeiten habe zu intervenieren. Dies sei allerdings nur zum Teil richtig. Man könne Kinder identifizieren, bei denen sich eine ungünstige Entwicklung abzeichne, und in vielen Fällen sei es auch durchaus möglich, erfolgreich einzugreifen. Wie bei Lungenerkrankungen im späteren Leben haben sich Exazerbationen auch bei Wheezing als Risikofaktor für schlechtes Outcome erwiesen. So zeigen die Daten einer Kohorte mit mehr als 800 Kindern, dass häufige Exazerbationen nur bei einer Minderheit (7%) auftreten, dass diese Ereignisse jedoch schwerwiegende Konsequenzen haben (3). Saglani: «Das sind die Kinder, die zu uns in die Notaufnahme kommen, die hospitalisiert werden und die systemische Steroide benötigen.» Diese Kinder haben auch ein deutlich erhöhtes Risiko, im weiteren Verlauf ein Asthma zu entwickeln. Im Alter von 16 Jahren benötigen mehr als 90 Prozent dieser Jugendlichen Asthmamedikamente, weisen eine schlechtere Lungenfunktion, ein höheres FeNO (fraktioniertes exhaliertes Stickstoffmonoxid) und mehr allergische Sensibilisierungen auf (3).
Zielgerichtete Intervention erfordert Diagnose von Endotypen
Mit dieser Symptomlast seien meist bereits die Diagnosekriterien für Asthma bronchiale erfüllt, erläutert Saglani und weist auf ein noch nicht publiziertes Statement der ERS Task Force hin, das empfiehlt, bei Kindern zwischen 0 und 6 Jahren bei wiederholtem Wheezing eine Differenzialdiagnose in Richtung Bronchiolitis zu stellen und jene Kinder zu identifizieren, die von einer Erhaltungstherapie profitieren können. Um intervenieren zu kön-
nen, müsse man allerdings zunächst feststellen, um welchen Typ von Giemen bzw. Asthma es sich handle. Dabei genüge eine einfache klinische Phänotypisierung nicht, wie Saglani unterstreicht. Vielmehr müsse durch entsprechende Untersuchungen der Endotyp bestimmt und auf dieser Basis ein Managementplan erarbeitet werden. Beispielsweise sei es nicht möglich, anhand des klinischen Bildes auf die Rolle der eosinophilen Granulozyten im individuellen Fall zu schliessen. Die Identifikation der Patienten mit Eosinophilie sei aus mehreren Gründen wichtig. Zum einen sei eosinophile Inflammation mit Remodelling in den Atemwegen und anderen Risiken assoziiert, zum anderen sei Eosinophilie der unteren Atemwege gut behandelbar – im Normalfall mit inhalativen Kortikosteroiden (ICS). Diese sollen allerdings nur gezielt eingesetzt werden. Keinesfalls sei es gerechtfertigt, allen Kindern mit rekurrierendem Wheezing ICS zu verschreiben. In einer Analyse von fünf klinischen Studien mit dem Endpunkt schwerer Asthmaexazerbationen wurden vier Klassen von Patienten identifiziert, die anhand von Allergenexposition, Klinik und Sensibilisierung beschrieben werden können. Zwei dieser Klassen («allergische Sensibilisierung mit Exposition gegenüber Haustieren» und «mehrfache Sensibilisierung mit Exanthem») zeigten deutlich erhöhte Eosinophilenzahlen im Blut und sprachen gut auf eine Behandlung mit ICS an. Bei den anderen beiden Klassen fand sich hingegen kein Ansprechen auf ICS (4).
Erhöhtes Exazerbationsrisiko: Eosinophilengrenzwert in Diskussion
Eine erhöhte Eosinophilenzahl im Blut dürfte auch bereits bei Kindern ein Marker für ein erhöhtes Exazerbationsrisiko sein, wie eine weitere Metaanalyse klinischer Studien zeigt, deren primärer Endpunkt jede Art von Exazerbationen während der Beobachtungszeit war. In einem weiteren Schritt wurde versucht, einen Grenzwert für die Eosinophilenzahl zu definieren, ab dem das Exazerbationsrisiko relevant ansteigt. Dieses war bereits ab 150 Zellen pro Mikroliter numerisch erhöht. Ab einer Eosinophilenzahl von 200 war die Risikoerhöhung signifikant und bewegte sich in der Grössenordnung von 50 Prozent. Die Autoren schlagen einen Cut-off von 300 vor, wobei Saglani Zweifel anmeldet, zumal Sensitivität und Spezifi-
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schiedlichen Ebenen (-Omics) beschreiben. Remodelling dürfte dabei eine entscheidende Rolle spielen.
Abbildung: Diese Mikrofotografie wurde mithilfe der indirekten Immunfluoreszenzmikroskopie erstellt und zeigt das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) in einer Gewebeprobe. RSV ist die häufigste Ursache für Bronchiolitis und Lungenentzündung bei Säuglingen und Kindern unter einem Jahr. (Quelle: CDC/ Dr. Craig Lyerla)
tät im Setting dieser Studie zu sehr eingeschränkt seien, um daraus verbindliche Schlüsse für die klinische Praxis ableiten zu können (5). Saglani betont, dass eine Bestimmung der Bluteosinophilen mit den heutigen technischen Möglichkeiten im klinischen Alltag leicht umzusetzen sei und aus einer Blutprobe aus der Fingerbeere mit einem Point-of-Care-Testgerät in wenigen Minuten vorgenommen werden könne. Die Validierung dieser Strategie steht freilich noch aus. Unpublizierte Daten aus Saglanis Zentrum legen nahe, dass die so gemessenen Eosinophilen deutlich mit dem Exazerbationsrisikos in den folgenden drei Monaten assoziiert sind. Im Gegensatz dazu erlaubte die Symptomatik keine Prädiktion von Exazerbationen. Allerdings würde von Therapieempfehlungen anhand der Eosinophilenzahl nur eine Minderheit der pädiatrischen Patienten mit Giemen profitieren, führt Saglani aus. Die Mehrzahl der Betroffenen sei nicht atopisch und zeige keine erhöhte Eosinophilenzahl im Blut. Für diese Kinder werden alternative Strategien dringend gesucht. Den Weg dahin könnten neue pathophysiologische Einsichten in die Risikofaktoren führen, die ein Wheezing determinieren. Dazu gehören Infektionen der Atemwege, beispielsweise mit Rhinoviren, die in Kombination mit genetischen Risikofaktoren und einer Dysbiose in den unteren Atemwegen zu Wheezing und langfristig im schlimmsten Fall zu Asthma führen. Bei zwei Drittel der chronischen Wheezer finden sich Rhinoviren in der bronchoalveolären Lavage (BAL), so Saglani. Leider gebe es aktuell keine wirksame Behandlung gegen persistierende Rhinoviren. Was man allerdings behandeln kann, sind bakterielle Infektionen, die sich ebenfalls bei rund der Hälfte der häufigen Wheezer in den distalen Atemwegen finden – und zwar unabhängig vom klinischen Phänotyp. Die wichtigsten Keime in diesem Zusammenhang sind Moraxella catarrhalis und Haemophilus influenzae (6). Gezielte antibiotische Therapien könnten hier hilfreich sein, so Saglani. Eine Multi-OmicsAnalyse zur Identifikation gefährdeter Kinder befindet sich aktuell im Publikationsprozess und soll den Verlauf von Gesundheit über Wheezing zu Asthma auf unter-
Weniger Wheezing durch Prävention von RSV-Infektionen
Einen Weg, das Problem der viralen Infektionen zu lösen, stellen Impfungen dar. Diese sind gegen Rhinoviren nicht verfügbar und werden es in absehbarer auch nicht sein. Sehr wohl gibt es jedoch präventive Massnahmen gegen das Humane Respiratorische Synzytial-Virus (RSV), ein ubiquitäres RNA-Virus aus der Familie der Pneumoviridae, mit dem sich rund die Hälfte aller Kinder im ersten Lebensjahr infiziert. Die Gefährlichkeit von RSV ist nicht zu unterschätzen. RSV führt weltweit pro Jahr zu geschätzten 3 bis 4 Millionen Hospitalisierungen und bis zu 200 000 Todesfällen – die meisten davon in einkommensschwachen Ländern und Regionen. Besondere Risikofaktoren sind niedriges Geburtsgewicht und/oder ein kompromittiertes Immunsystem (7). Doch auch für gesunde Kinder in den Industrienationen stellt RSV eine Gefahr da, so Prof. Dr. Fabio Midulla von der Sapienzia Università di Roma. Hintergrund ist die Assoziation von RSV-Infektionen in den ersten Lebensmonaten mit Bronchiolitis und in der Folge postbronchiolitischem Giemen. Die Auswirkungen auf die Inzidenz von Asthma sind unklar. Midulla weist darauf hin, dass es bei Kindern, die während des COVID-Lockdowns 2020 geboren wurden, aufgrund des eingeschränkten sozialen Lebens zu einer deutlichen Reduktion der Fälle von Bronchiolitis und in der Folge zu weniger Wheezing-Episoden kam. Auch Hinweise auf eine Reduktion des Wheezing- und Asthmarisikos durch RSV-Prophylaxe mit dem monoklonalen Antikörper Palivizumab liegen vor. In einer Studie mit gesunden Frühgeborenen war nach RSV-Prophylaxe mit Palivizumab (Synagis®) über ein Follow-up von zwölf Monaten der Anteil der Kinder, die Giemen entwickelten, deutlich geringer als bei Kontrollen, die keine Prophylaxe erhalten hatten (11% vs. 21%) (8). Midulla: «Diese Befunde stützen die Rationale für eine breite RSV-Prophylaxe für alle Kinder.» Palivizumab kommt allerdings dafür nicht infrage, da der Antikörper gegen das Fusionsprotein (F-Protein) von RSV wegen seiner relativ kurzen Halbwertszeit monatlich verabreicht werden muss, erhebliche Kosten verursacht und folglich für Kinder mit einem sehr hohen Risiko für eine letale RSV-Infektion reserviert war. Mittlerweile gibt es mit Nirsevimab (Beyfortus®) einen monoklonalen Antikörper zur RSV-Prophylaxe, der zur einmaligen Injektion vor der ersten RSV-Saison des Kindes empfohlen wird. Für Nirsevimab zeigt eine spanische Longitudinal-Studie in der Saison 2023/24 eine Reduktion der Hospitalisierungen wegen RSV um rund 90 Prozent im Vergleich zu den vergangenen Jahren (9). Eine weitere Option ist Abrysvo®, ein bivalenter Impfstoff, der zum Schutz älterer Menschen vor RSV zugelassen ist, darüber hinaus aber auch bei Schwangeren eingesetzt werden kann. Er führt zur Bildung von Antikörpern, die von der Mutter an das Kind weitergegeben werden. Daten zur Prävention von Wheezing und Asthma liegen für Nirsevimab und Abrysvo® bislang nicht vor.
Reno Barth
Quelle: ERS 2024, Session «Beyond wheezing and asthma in children», am 7. September 2024 in Wien.
Referenzen auf www.ch-paediatrie.ch abrufbar
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Referenzen: 1. Morgan WJ et al.: Outcome of asthma and wheezing in the first 6 years of life: follow-up through adolescence. Am J Respir Crit Care Med. 2005;172(10):1253-1258. DOI: 10.1164/rccm.200504-525OC. 2. Belgrave DCM et al.: Lung function trajectories from pre-school age to adulthood and their associations with early life factors: a retrospective analysis of three population-based birth cohort studies. Lancet Respir Med. 2018;6(7):526-534. DOI: 10.1016/S2213-2600(18)30099-7. 3. Deliu M et al.: Longitudinal trajectories of severe wheeze exacerbations from infancy to school age and their association with early-life risk factors and late asthma outcomes. Clin Exp Allergy. 2020;50(3):315-324. DOI: 10.1111/cea.13553. 4. Fitzpatrick AM et al.: Phenotypes of recurrent wheezing in preschool children: identification by latent class analysis and utility in prediction of future exacerbation. J Allergy Clin Immunol Pract. 2019;7(3):915-924.e7. DOI: 10.1016/j. jaip.2018.09.016. 5. Fitzpatrick AM et al.: Blood eosinophils for prediction of exacerbation in preschool children with recurrent wheezing. J Allergy Clin Immunol Pract. 2023;11(5):14851493.e8. DOI: 10.1016/j.jaip.2023.01.037. 6. Robinson PFM et al.: Lower airway microbiota associates with inflammatory phenotype in severe preschool wheeze. J Allergy Clin Immunol. 2019;143(4):16071610. DOI: 10.1016/j.jaci.2018.12.985. 7. Mazur NI et al.: Lower respiratory tract infection caused by respiratory syncytial virus: current management and new therapeutics. Lancet Respir Med. 2015;3(11):888900. DOI: 10.1016/S2213-2600(15)00255-6. 8. Blanken MO et al.: Respiratory syncytial virus and recurrent wheeze in healthy preterm infants. N Engl J Med. 2013;368(19):1791-1799. DOI: 10.1056/NEJMoa1211917. 9. Ares-Gómez S et al.: Effectiveness and impact of universal prophylaxis with nirsevimab in infants against hospitalisation for respiratory syncytial virus in Galicia, Spain: initial results of a population-based longitudinal study. Lancet Infect Dis. 2024;24(8):817-828. DOI: 10.1016/S1473-3099(24)00215-9.
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