Transkript
Schwerpunkt
Affektkrämpfe – wie kann man vorgehen?
Affektkrämpfe können epileptischen Anfällen sehr ähnlich sein und Eltern und Betreuungspersonen stark beunruhigen. Auslöser können Wut, Ärger, Schmerzen oder ein unerwarteter Reiz sein. Man unterscheidet zyanotische von blassen Affektkrämpfen. Bei typischen Affektkrämpfen kann die Diagnose anhand der Anamnese gestellt und auf weitere Diagnostik verzichtet werden. Im Vordergrund steht eine umfassende Aufklärung der Eltern und Betreuungspersonen. Eine Eisentherapie kann die Häufigkeit der Episoden verringern, weitere medikamentöse Therapien sind nicht etabliert. Die Prognose ist gut, Affektkrämpfe sistieren in der Regel spontan bis zum 5. Lebensjahr.
Von Karoline Otten
Klinische Merkmale und Verlauf
Unter einem (respiratorischen) Affektkrampf versteht man eine Episode, bei der ein Kind unmittelbar nach einem ängstigenden, schmerzhaften oder emotional belastenden Reiz unbewusst aufhört zu atmen und für kurze Zeit nicht ansprechbar ist oder das Bewusstsein verliert. Affektkrämpfe treten bei 27 Prozent aller Kleinkinder mit einem Peak im Alter von 6–18 Monaten (19,8 ± 13,8 Mt.) auf (1). Mädchen und Jungen sind gleich häufig betroffen. Nach einem Trigger wie Wut oder Ärger (51%), Schmerz (16%), (Kopf-)Trauma oder einem unerwarteten Reiz kommt es zu einem plötzlichen Luftanhalten in der Exspiration und einer Veränderung der Hautfarbe zu blau (67%), blass (17%) oder «gemischt» (7%) (siehe auch Tabelle) (1). Bei schweren Affektkrämpfen folgt darauf eine Bewusstlosigkeit und eine Veränderung des Tonus, manchmal mit kurzer klonischer Phase. Zyanotischer Affektkrampf (nicht epileptischer Anfall): Tritt meist nach Wut oder einem unangenehmen Ereignis auf, das Kind hält nach der Ausatmung unwillkürlich die Luft an, wird zyanotisch, der thorakale Druck steigt, es kommt zu einer zerebralen Hypoperfusion und Hypoxie durch die Apnoe und darauf zu einer kurzen Bewusstlosigkeit. Blasser (stiller) Affektkrampf (neurokardiogene Reflex synkope): Tritt meist nach einem schmerzhaften Ereignis oder Erschrecken auf, es kommt zu einer Vagusreaktion, Bradykardie, Apnoe und Bewusstlosigkeit. Die «Anfälle» sind selbstlimitierend und dauern in der Regel weniger als eine Minute, ohne wesentliche Er holungsphase. Typischerweise treten Affektkrämpfe erstmals bis zum Alter von 2 Jahren auf. Die Häufigkeit variiert stark von weniger als 2 Anfällen insgesamt (38%) bis zu mehreren Anfällen täglich. 43 Prozent der Betroffenen haben zwischen 3 und 9 Anfälle (1). Bei den meisten Kindern kommt es zu einer spontanen Remission vor dem Schulalter (bis zum 5. Lebensjahr). Synkopen scheinen aber bei Jugendlichen und Erwachsenen, die im Kleinkindalter Affektkrämpfe hatten, gehäuft aufzutreten.
Ätiologie und Pathogenese
Die Pathogenese der Affektkrämpfe ist bislang nicht vollständig verstanden. Bei einigen Kindern wurde eine autonome Dysregulation als Ursache des fehlenden Inspirationsantriebs mit Sympathikusüberaktivität angenommen. Mit fehlender alveolärer Oxygenierung kommt es zum funktionalen intrapulmonalen Rechts-Links-Shunt und Zyanose. Die zerebrale Hypoxämie führt dann zum Tonusverlust bzw. einer Starre und gelegentlich zu Myoklonien (2). Wiederholt wurde eine Assoziation mit einem Eisenmangel beobachtet, sodass eine Begünstigung der Affektkrämpfe durch einen Eisenmangel angenommen wurde. Auch hier ist die Pathogenese nicht bekannt. Man nimmt an, dass ein Eisenmangel eine Rolle bei der autonomen Dysregulation spielt. Zudem scheinen Kinder mit einem Eisenmangel irritabler und ein Affektkrampf leichter provozierbar zu sein. Bei 20–25 Prozent der Kinder ist ein nahes Familienmitglied ebenfalls betroffen, sodass auch eine genetische Prädisposition vermutet wird.
Typischerweise treten Affektkrämpfe erstmals bis zum Alter von 2 Jahren auf.
Tabelle:
Klassifizierung von respiratorischen Affektkrämpfen
Familienanamnese Alter Häufigkeit Auslöser Ablauf Dauer Massnahmen EKG EEG Auftreten im Schlaf
Blaue (zyanotische) Anfälle
Blasse Anfälle
häufig +
häufig +
6 Monate – 6 Jahre
12–18 Monate
++ +
Wut, Ärger, Schmerz
plötzlicher unerwarteter Reiz
Schreien, lange Apnoe, dann kein oder nur kurzes Weinen,
Bewusstlosigkeit, Muskel-
kurze Apnoe, rasche Bewusst-
erschlaffung, z.T. Opisthotonus, losigkeit, z.T. Opisthotonus
kurze Kloni
< 1 Min (nur 2% > 5 Min), selten kurze «postiktale» Erholungsphase
Ablenkung, Beruhigung, Deeskalation
primär Tachykardie
primär Bradykardie oder Asystolie
normal
normal
nie nie
(Quelle: angelehnt an: [3])
2/24 Pädiatrie
5
Schwerpunkt
Diagnostik
Affektkrämpfe werden anhand der typischen Anamnese diagnostiziert. Eine detaillierte Beschreibung, die Familienanamnese und Komorbiditäten sowie eine unauf fällige klinische Untersuchung sind die Basis. Nach mehr als 2 schweren Affektkrämpfen ist einmalig eine Laboruntersuchung inklusive Ferritin zum Ausschluss einer Eisenmangelanämie zu empfehlen. Ein Benefit weiterer Untersuchungen wie EKG (z. A. eines Long-QT-Syndroms) oder EEG (z.A. einer Epilepsie) konnte nicht bestätigt werden. In einer Untersuchung mit 519 Kindern war bei 30 Prozent der Kinder ein EEG durchgeführt worden, wovon 4 Prozent pathologisch waren und 9 Patienten erhielten im Verlauf die Diagnose einer Epilepsie. Ein EKG wurde in dieser Kohorte bei 45 Prozent der Kinder durchgeführt mit einem pathologischen Befund in 0,9 Prozent der Fälle. Kein Kind hatte ein LongQT-Syndrom (1).
Im Vordergrund steht die Aufklärung über das Störungsbild inklusive auslösender Faktoren, seiner Gutartigkeit und günstigen Prognose, aber auch des Rezidivrisikos.
In sehr seltenen Fällen kann ein Affektkrampf mit Apnoe (Hypoxie) einen epileptischen Anfall auslösen (4). Dieser ist dann klinisch meist gut vom eigentlichen Affektkrampf zu unterscheiden. Ein EEG ist auch hier interiktal in der Regel unauffällig und weniger hilfreich als eine gute Beschreibung oder Videodokumentation des Ereignisses. Mögliche Differenzialdiagnosen wie eine Fremdkörperaspiration, ein Asthmaanfall, eine Epilepsie, Synkopen, eine Hyperekplexie, Shuddering attacks, eine Narkolepsie/Kataplexie oder auch Herzrhythmusstörungen können überwiegend durch die detaillierte Anamnese mit Alter, Kontext und Begleitsymptomen ausgeschlossen werden. Ein EEG oder EKG sollte somit nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden.
Trigger, welche einen Affektkrampf auslösen können, sollten, wenn möglich, reduziert werden, jedoch in dem Wissen, dass Schmerzreize nicht immer vermeidbar sind. In affektgeladenen Situationen sollte deeskalierend reagiert werden. Unangemessenen Wünschen des Kindes sollten konsequent Grenzen gesetzt werden, um Verhaltensstörungen und eine Chronifizierung zu vermeiden. Schütteln oder eine kardiopulmonale Reanimation sind zu unterlassen. Bei Kindern mit mehr als 2 schweren Affektkrämpfen ist eine Eisentherapie (5 mg/kg/Tag) über 16 Wochen zu empfehlen. Es konnte eine Reduktion der Häufigkeit der Episoden nachgewiesen werden, auch unabhängig davon, ob eine Anämie oder ein Eisenmangel nachweisbar waren (6, 7). Weitere medikamentöse Therapien werden aktuell nicht empfohlen. Einzelne positive Erfahrungen sind be schrieben, beispielsweise für Theophyllin, Atropin, Fluoxetin, Piracetam/Levetiracetam oder Risperidon (8–10). Auch eine Anfallsvorhersage durch Messung einer verlängerten Repolarisationszeit bei Affektkrämpfen wurde beschrieben (11).
Zusammenfassung
Affektkrämpfe treten bei ca. 5 Prozent aller Kleinkinder v. a. zwischen 6 und 18 Monaten auf. Obwohl sie meist harmlos sind und in der Regel vor dem 5. Lebensjahr eine spontane Remission eintritt, können sie für Eltern und Betreuungspersonen sehr beängstigend sein. Die Schulung von Betreuungspersonen und medizinischem Personal ist daher besonders wichtig. So kann die Diagnose überwiegend anhand der Anamnese gestellt werden, weitere Diagnostik wie ein EKG oder EEG ist Ausnahmefällen mit untypischem Verlauf vorbehalten. Bei den medikamentösen Therapien konnte einzig für eine Eisensubstitution mehrfach ein positiver Effekt mit Reduktion der «Anfallshäufigkeit» nachgewiesen werden, sie sollte daher bei mehr als 2 schweren Affektkrämpfen versucht werden.
Hinweise auf eine andere Ursache eines «Affektkrampfes» (5): • untypisches Alter des Kindes • fehlende auslösende Situation • komplexe Symptomatik • lange Dauer bzw. fehlende rasche Erholung • körperlich-neurologische Symptome im Inter-
vall
Korrespondenzadresse: Dr. med. Karoline Otten Oberärztin mbF Kinderspital Zentralschweiz Abteilung Neuropädiatrie Spitalstrasse 6000 Luzern 16
Interessenlage: Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen.
Literatur auf www.ch-paediatrie.ch abrufbar.
Geeignete Massnahmen und Therapie
Im Vordergrund steht die Aufklärung über das Störungsbild inklusive auslösender Faktoren, seiner Gutartigkeit und günstigen Prognose, aber auch des Rezidivrisikos. Geeignete Massnahmen vor und während eines Affektkrampfes sind Ablenkung, Beruhigung, Deeskalation. Im Intervall sollte auf ein angemessenes Interaktions- und Erziehungsverhalten geachtet und eine Überprotektion vermieden werden.
6 Pädiatrie 2/24
Literatur: 1. Hellström Schmidt S et al.: Overuse of EEG and ECG in children with breath-holding spells and its implication for the management of the spells. Acta Paediatrica. 2024;113:317-326. 2. Kruker AT, Schmitt-Mechelke T: Nicht-epileptische paroxysmale Ereignisse im ersten Lebensjahr. Epileptologie. 2016;33:117-122. 3. Kurlemann G et al.: Differentialdiagnose kindlicher paroxysmaler Bewegungsstörungen – nicht alles was zuckt ist epileptisch. Neuropädiatrie in Klinik und Praxis. 2009;8. Jg;Nr. 2. 4. Stephenson J et al.: Anoxic-epileptic seizures: home video recordings of epileptic seizures induced by syncopes. Epileptic Disorders. 2024;6;(1):15-19. 5. Bode H et al.: Affektkrämpfe. In: Psychosomatische Grundversorgung in der Pädiatrie, Thieme 2016. 6. Hecht EM et al.: Iron Supplementation for the Treatment of Breath-Holding Spells: A Systematic Review and Meta-Analysis. Clinical Pediatrics. 2020;59(8):819-822. 7. Arslan M et al.: Does iron therapy have a place in the management of all breathholding spells? Pediatr. Int. 2021;63(11):1344-1350. 8. Leung AKC et al.: Breath-holding Spells in Pediatrics: A Narrative Review of the Current Evidence. Current Pediatric Reviews. 2019;15:22-29. 9. Dai AI, Demiryurek AT: Effectiveness Oral Theophylline, Piracetam, and Iron Treatments in Children With Simple Breath-Holding Spells. Journal of Child Neurology.2020;35(1):25-30. 10. Ghazavi MR et al.: The Comparison of Levetiracetam and Piracetam Effectiveness on Breath-Holding Spells in Children: A Randomized Controlled Clinical Trial. Adv Biomed Res. 2021;10:47. 11. Khalilian MR et al.: Prediction of breath-holding spells based on electrocardiographic parameters using machine-learning model. Ann Noninvasive Electrocardiol. 2024;29:e13093.
Schwerpunkt
2/24 Pädiatrie
7