Transkript
Schwerpunkt
Das obstruktive SchlafapnoeSyndrom
Welche Kinder leiden darunter und welche Strategien sind sinnvoll?
Das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) steht bei Kindern meist mit einer adenotonsillären Hyperplasie in Verbindung. Bei einem gesunden Kind kann das Problem in der Regel durch eine partielle oder vollständige Ent fernung der Gaumen- und Rachenmandeln behoben werden. Kinder mit Kom orbiditäten bilden eine heterogene Patientengruppe, bei denen eine komplexe und multidisziplinäre Versorgung erforderlich ist.
Von Claudine Gysin
Nächtliche obstruktive Atemstörungen sind bei Kindern durch eine Dysfunktion der oberen Atemwege während des Schlafs gekennzeichnet, die sich durch Schnarchen bemerkbar macht. Dies ist häufig mit einer erhöhten Atemanstrengung verbunden, die aus einem erhöhten Widerstand der oberen Atemwege und einer pharyngealen Kollapsibilität resultiert. Obstruktive Atemstörungen umfassen verschiedene klinische Entitäten vom einfachen (primären) Schnarchen bis zum OSAS. Das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom ist die schwerwiegendste dieser Störungen und für die exakte Diagnose ist eine Schlafuntersuchung erforderlich. Das OSAS ist durch wiederholte Episoden einer vollständigen oder teilweisen Obstruktion der oberen Atemwege während des Schlafs gekennzeichnet, was zu Ventilationsstörungen und einer Beeinträchtigung der Schlafzyklen führt. Die Prävalenz des OSAS wird in der pädiatrischen Bevölkerung auf 2 bis 4 Prozent geschätzt. Als häufigste Ätiologie gilt die adenotonsilläre Hyperplasie. Das Risiko für ein OSAS nimmt bei Adipositas zu. Pädiatrische Patienten können in drei Gruppen unterteilt werden: • Gesunde Kinder, bei denen die häufigste Ursache für OSAS die adenotonsilläre Hyperplasie ist. Der Inzidenzgipfel liegt zwischen 2 und 6 Jahren, und Knaben und Mädchen sind gleich häufig betroffen. • Die zweite Gruppe umfasst übergewichtige Patienten. • Zur dritten Gruppe gehören Patienten mit assoziierten Komorbiditäten wie neuromuskuläre Erkrankungen, kraniofaziale Syndrome, Down-Syndrom, Prader-WilliSyndrom oder Mukopolysaccharidose. Während bei der ersten Gruppe die Adenotonsillektomie oder Adenotonsillotomie (partielle Entfernung der Gaumenmandeln) die Behandlung der Wahl darstellt und bei 80 Prozent oder mehr der Betroffenen kurativ wirkt, ist die Behandlung der beiden anderen Patientengruppen komplex und die Heilungsrate nach der Operation deutlich geringer.
Komplikationen im Zusammenhang mit OSAS
Die mit einem OSAS verbundenen Komplikationen lassen sich in kardiovaskuläre Komplikationen, Wachstums störungen und Verhaltensstörungen einteilen. Der Zusammenhang zwischen pädiatrischem OSAS und kardiovaskulärer Morbidität ist nicht so gut belegt wie bei Erwachsenen, und Studien kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen oder stellen diesen Zusammenhang sogar in Frage. Zu den traditionellen kardiovaskulären Komplikationen gehören die systemische arterielle Hypertonie, die pulmonale Hypertonie und das Cor pulmonale mit Herzinsuffizienz. Es erweckt allerdings den Anschein, dass bei gesunden Patienten die kardiovaskulären Morbiditäten sehr selten sind und gelegentlich beobachtete geringgradige Anomalien (u. a. leicht erhöhte Herzfrequenz) klinisch nicht signifikant sind. Bei Patienten mit präoperativ normalem Blutdruck kommt es postoperativ zu keiner Veränderung der Blutdruckwerte. Bei Patienten, die vor der Operation einen hohen Blutdruck haben, sinkt dieser hingegen nach der Adenotonsillektomie. Eine Polysomnographie wird derzeit bei Patienten mit Bluthochdruck und Schnarchen empfohlen.
Die mit einem OSAS verbundenen Komplikationen lassen sich in kardiovaskuläre Komplikationen, Wachstumsstörungen und Verhaltensstörungen einteilen.
Die Wachstumsverzögerung bei Kindern mit OSAS wird auf einen erhöhten Energiebedarf aufgrund der erhöhten nächtlichen Atmungsanstrengung, eine unzureichende Ernährung sowie eine veränderte nächtliche Wachstumshormonproduktion zurückgeführt. Nach einer Adenotonsillektomie wird insbesondere bei jüngeren Patienten häufig eine Zunahme des Gewichts beobachtet.
1/24 Pädiatrie
13
Schwerpunkt
Des Weiteren wurde in zahlreichen Studien über eine suchung. Es gibt international keinen klaren Konsens
Assoziation zwischen Verhaltensstörungen und OSAS be- bzgl. einer Klassifikation für kindliches OSAS. Der Index
richtet. Hyperaktivität, Aggressivität, Konzentrationsstö- der Apnoen und Hypopnoen pro Stunde (AHI), sowie die
rungen und schlechte Schulleistungen werden am häu- Differenzierung zwischen gemischten, obstruktiven und
figsten beobachtet und sind nach der Behandlung meist zentralen Apnoen wird zur Quantifizierung des Schwere-
reversibel.
grads des OSAS am häufigsten verwendet. Ein leichtes
Symptome des OSAS
OSAS liegt vor, wenn der AHI-Wert zwischen 1 und 4,9 liegt, ein mittelschweres OSAS bei einem AHI-Wert von 5
Das häufigste Symptom bei obstruktiven schlafbezoge- bis 9,9 und ein schweres OSAS bei einem AHI-Wert über
nen Atmungsstörungen ist Schnarchen, wobei nicht zwi- 10. Diese Kriterien gelten bis zum Alter von 18 Jahren. Ab
schen einfachem Schnarchen und OSAS unterschieden einem Alter von 13 Jahren können jedoch von den Schlaf-
werden kann. Häufig wird ein unruhiger Schlaf mit para- zentren auch die polysomnographischen Diagnosekrite-
doxer Mundatmung, Atempausen, interkostalen Einzie- rien für Erwachsene angewendet werden.
hungen, abnormal überstreckter Kopfposition und übermässigem Schwitzen beobachtet. Des Weiteren soll die Dauer und Häufigkeit der Symptome erfasst werden, ob
Polysomnographie, respiratorische Polygraphie und weitere Tests
sie permanent oder nur während Infektionen der oberen Die Indikation für eine PSG bei obstruktiven schlafbezo-
Luftwege auftreten und wie sie sich im Laufe der Zeit genen Atmungsstörungen unterscheidet sich je nach
verändern. Nächtliches Bettnässen, insbesondere nach Fachgesellschaft. Einige empfehlen diese Untersuchung
einer mehrmonatigen Kontinenzphase, ist ebenfalls cha- für alle Patienten, bei denen aufgrund der klinischen Be-
rakteristisch für ein OSAS.
urteilung der Verdacht auf ein OSAS besteht. Andere
Zu den Tagessymptomen gehören Mundatmung, Schwie- Fachgesellschaften empfehlen einen selektiven Einsatz
rigkeiten beim Aufwachen, wenig Appetit und Verhal- der PSG bei Risikopatienten (< 2 Jahren, kraniofazialen tensstörungen. Tagesmüdigkeit kommt bei Kindern mit Fehlbildungen, neuromuskulären Erkrankungen, Down- OSAS nicht häufig vor. Dieses für Erwachsene typische Syndrom, Mukopolysaccharidosen, Sichelzellenanämie, Symptom findet sich eher bei älteren und übergewichti- Adipositas) und wenn zwischen Eltern und Untersuchern gen Kindern, wobei die Pathophysiologie des OSAS ten- keine Übereinstimmung im Hinblick auf die Anamnese denziell die gleiche ist wie bei Erwachsenen. und die klinische Beurteilung besteht. Klinische Untersuchung Wie bereits erwähnt, ist die Prävalenz von OSAS bei schnarchenden Kindern hoch. Die Anzahl der pädiatri- Bei der klinischen Untersuchung sollte auf folgende An- schen Schlafzentren ist aber gering, die PSG ist eine teure zeichen geachtet werden: Mundatmung oder eine ge- Untersuchung und da die Beschwerden sich im Lauf der räuschvolle Atmung mit Stertor und Rhinorrhoe lassen Zeit ändern können, müsste diese Untersuchung je nach eine Adenoidhyperplasie vermuten. Bei der Untersuchung Fall wiederholt werden. Aus diesen Gründen können der Mundhöhle können die Grösse der Mandeln, die Form auch andere Diagnose- oder zumindest Screeninginstru- des Gaumens und die Grösse der Zunge beurteilt werden. mente eingesetzt werden. Die respiratorische Polygraphie wird Die Anamnese und klinische Untersuchung werden oft durch nächtliche Videoaufnahmen der Eltern vom Schlaf ihrer Kinder ergänzt, die zwar oft beeindruckend wirken, aber nicht geeignet sind, die Diagnose eines OSAS mit Sicherheit zu stellen. zu Hause durchgeführt. Dabei handelt es sich um eine vereinfachte Form der PSG. Insbesondere wird dabei kein Elektroenzephalogramm aufgezeichnet. Die Bedienung des Geräts erfordert nur eine kurze Inst- ruktion der Eltern. Die respiratorische Polygraphie ist weniger kostspielig, Dabei ist zu beachten, dass die Grösse der Mandeln kein ermöglicht die Aufzeichnung des Schlafs in der natürli- Prädiktor für ein OSAS oder den Schweregrad eines OSAS chen Umgebung des Kindes und weist eine sehr hohe ist. Eine Retrognathie, Mikrognathie oder Mittelgesichts- Sensitivität und Spezifität für die Diagnose von OSAS auf. hypoplasie können ebenfalls eine Obstruktion der oberen Derzeit ist sie die einzige anerkannte und gültige Alter- Atemwege verursachen oder dazu beitragen. Das Ge- native zur PSG bei gesunden Patienten über 3 Jahren. wicht, die Grösse und der Body-Mass-Index (BMI) sind Bei den weiteren verfügbaren Untersuchungen handelt ebenfalls zu erfassen. Obwohl ein OSAS in den meisten es sich um Screening-Tests, die eine Schlafuntersuchung Fällen allein auf eine adenotonsilläre Hyperplasie zurück- nicht ersetzen können. Die nächtliche Oxymetrie kann bei zuführen ist, sollte bei Dysmorphiezeichen oder einer ab- wiederholten Sauerstoffentsättigungen in der Nacht auf normalen neurologischen Untersuchung nach einem ge- die Diagnose eines OSAS hindeuten. Nicht alle Kinder mit netischen Ursprung gesucht werden. OSAS weisen eine Hypoxämie auf, so dass ein normaler Die Anamnese und klinische Untersuchung werden oft Befund nicht ausreicht, um eine obstruktive Atemstörung durch nächtliche Videoaufnahmen der Eltern vom Schlaf im Schlaf bei Kindern auszuschliessen. Fragebögen sind ihrer Kinder ergänzt, die zwar beeindruckend wirken, zwar nützlich, um die mit OSAS verbundene Morbidität aber nicht geeignet sind, die Diagnose OSAS mit Sicher- und Lebensqualität zu beurteilen und die Entwicklung heit zu stellen. Insbesondere erlauben sie keinen Rück- dieser Parameter vor und nach Adeno-Tonsillektomie/ schluss auf den Schweregrad des OSAS. Zu diesem Zweck Tonsillotomie zu vergleichen, aber nicht, um ein OSAS gilt die Polysomnographie (PSG) als Goldstandardunter- korrekt zu erkennen. 14 Pädiatrie 1/24 Schwerpunkt Gesunde Kinder Bei gesunden Kindern über 2 Jahren ist die adenotonsilläre Hyperplasie die Hauptursache für OSAS, und durch die Entfernung dieses Gewebes kann das Problem in 80 Prozent der Fälle behoben werden. Bei dieser Patientengruppe reichen Anamnese und klinische Beurteilung aus, um über eine Behandlung zu entscheiden, ohne systematisch auf eine objektive Schlafuntersuchung zurückzugreifen. Bei milden Symptomen kann als erste Massnahme eine konservative topische nasale Kortikosteroidbehandlung (Fluticason, Mometason) einmal täglich für sechs Wochen verschrieben werden. Ihre Wirksamkeit ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Falls sich die Symptome damit nicht bessern, kann die Entfernung der Rachen- und gegebenfalls Gaumenmandeln in Abhängigkeit des klinischen Befunds vorgenommen werden. Übergewichtige Kinder Das Risiko für ein OSAS ist bei übergewichtigen Kindern viel höher als bei gesunden und betrifft eher Kinder über dem Kleinkindalter und Jugendliche. Die Prävalenz von OSAS liegt zwischen 10 und 60 Prozent. Hier wird eine objektive Schlafuntersuchung empfohlen. Bei adenotonsillärer Hyperplasie ist eine chirurgische Behandlung indiziert. Bei diesem Patientenkollektiv wird eine Adeno tonsillektomie einer partielle Entfernung der Tonsillen vorgezogen. Es ist jedoch zu bedenken, dass die postoperative Komplikationsrate höher ist bei diesen Patienten. Die Erfolgsrate bei diesem Kollektiv liegt 40 und 60 Prozent. Etwa 2 bis 3 Monate nach dem Eingriff sollte eine objektive Schlafuntersuchung durchgeführt werden. Je nach Befund kann selbst postoperativ eine nächtliche Beatmung mit kontinuierlichem positivem Druck erforderlich sein. In jedem Fall müssen Massnahmen zur Gewichtsreduktion ergriffen werden. angezeigt, und die Behandlungsoptionen hängen von der Art der assoziierten Fehlbildungen ab. Eine endoskopische Untersuchung der oberen Atemwege unter Narkose kann hilfreich sein, um den Grad der Obstruktion und damit die Art der geplanten Operation zu präzisieren. Auch hier kann eine adenotonsilläre Hyperplasie chirurgisch behandelt werden. Vor einer Operation sollten die Operabilität, die Risiken einer Narkose und die potenziellen postoperativen Komplikationen beurteilt werden. Bei gesunden Kindern über 2 Jahren ist die adenotonsilläre Hyperplasie die Hauptursache für ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom. Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass OSAS bei Kindern eine relativ häufige Erkrankung ist, die meist mit einer adenotonsillären Hyperplasie einhergeht. Bei Kindern ohne assoziierte Komorbiditäten kann das Problem in etwa 80 Prozent der Fälle durch eine chirurgische Behandlung behoben werden. Bei allen Patienten mit assoziierten Komorbiditäten ist eine genaue Beurteilung des Problems sowie eine multidisziplinäre Behandlung angezeigt. Die Behandlung wird an die jeweilige Situation angepasst, wobei die Adenotonsillektomie auch in diesen komplexen Situationen häufig zu den Behandlungsoptionen gehört. Korrespondenzadresse: Dr. med. Claudine Gysin Universitäts-Kinderspital Zürich - Eleonorenstiftung Steinwiesstrasse 75 8032 Zürich Kinder mit Komorbiditäten Kinder mit Komorbiditäten bilden eine heterogene Patientengruppe, bei der eine komplexe und multidisziplinäre Behandlung erforderlich ist. Eine PSG ist in jedem Fall Interessenlage: Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen. 1/24 Pädiatrie 15