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Schwerpunkt
Wundversorgung in der Praxis
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen – dieser Satz fällt häufig in Bezug auf die Pädiatrie. Stimmt er auch in Bezug auf das Thema Wundmanagement? Im Grossen und Ganzen kann gesagt werden, dass die Wundheilung bei Kindern und Erwachsenen gleich verläuft. Unterschiede bestehen bei Themen rund um die Behandlung von Wunden. Dieser Artikel soll wichtige Punkte beleuchten, welche es in der Wundversorgung bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen zu beachten gilt.
Von Melanie Schmocker
Eine Wunde wird definiert als Teilung des Gewebes mit oder ohne Gewebeverlust, und sie kann mechanisch, thermisch, chemisch oder strahlenbedingt entstehen (1). Die Wundheilung besteht aus drei Phasen, der Exsudationsphase, der Granulationsphase und der Epithelisationsphase (2). Diese Phasen können durch das Wundmanagement beeinflusst und unterstützt werden. Zu den akuten Wunden gehören Schürfungen, RissQuetsch-Wunden (RQW), Schnittwunden, Stichwunden, Pfählungsverletzungen, Bisswunden, thermische Verletzungen usw. (1). Auch chronische Wunden treten im Kindesalter auf. Jede akute Wunde kann sich bei einer Wundheilungsverzögerung zu einer chronischen Wunde entwickeln, wenn diese Wunde länger als 3 Wochen besteht (1). Die Versorgung kann je nach Art der Wunde und Infektionsstatus primär oder sekundär erfolgen. In diesem Beitrag wird das Augenmerk auf die sekundäre Wundversorgung gelegt. Dabei geht es um infizierte und chronische Wunden und solche, die nicht primär verschlossen werden können (2). Für die akute Wundversorgung wird auf den Artikel «Wunden kleben oder nähen?» verwiesen, der ebenfalls in dieser Ausgabe der PÄDIATRIE erscheint.
Vorbereitung und Durchführung einer Wundversorgung
Als erster Schritt in der Behandlung von Wunden ist die Durchführung der Anamnese wichtig, um die Entstehungsart der Wunde und den Impfstatus zu erfragen (1). Primär sollen die Patient:innen und deren Familien auf die Wundversorgung vorbereitet werden. In diesem Rahmen sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, um die Versorgung der Wunde so zu gestalten, dass Ängste gemindert und Schmerzen verhindert werden können. Dafür besteht die Möglichkeit der nicht medikamentösen Schmerz- und Angstprävention (NIMSA). Diese beinhaltet verschiedene Möglichkeiten, die Patient:innen und ihre Familien zu unterstützen. In der Wundbehandlung können diese nicht medikamentösen Interventionen zur Ergänzung einer medikamentösen Intervention oder auch als alleinige Massnahme angewendet werden. Die medikamentösen
Interventionen bestehen aus Analgesie, Lachgas, Lokalanästhesie oder auch aus einer Analgosedation.
NIMSA in der Wundversorgung
Positive Sprache: Bei der Anwendung der positiven Sprache wird bewusst darauf geachtet, angstauslösende Wörter (Stich, Pieks, Schmerz usw.), Fachwörter und andere verunsichernde oder suggestive Formulierungen zu vermeiden. Wichtig ist, trotzdem ehrlich zu sein und schmerzhafte Prozeduren nicht zu verschweigen. Die Herausforderung liegt darin, dem Kind zu erklären, was geschehen wird, ohne es zu verunsichern. Zu vermeiden sind vor allem Bemerkungen wie «Es wird nicht weh tun, du brauchst keine Angst haben», weil Kinder in Stress situationen die Verneinung nicht wahrnehmen. Interventionen können mit Wörtern und Sätzen beschrieben werden, welche für Kinder nicht bedrohlich und leicht verständlich sind (3–7). Ablenkung: Die Ablenkung stellt eine einfache, auf kognitivem Verhalten basierende Intervention dar und kann ergänzend in der Schmerz- und Angstreduktion bei Kindern angewendet werden. Durch Ablenkung wird die Aufmerksamkeit weg von der schmerzhaften Prozedur hin zu etwas Angenehmerem gelenkt. Eine effektive Ablenkung muss dem Alter angepasst sein und kann über alle Sinne geschehen. Die Ablenkung ist umso effektiver, je mehr sich das Kind konzentriert und selbst aktiv wird (8, 9) (Tabelle 1). Comfort-Positionierungen: Das Konzept der Comfort-Positionierung wurde mit dem Ziel entwickelt, Angst, Stress und Abwehrbewegungen von Kindern bei invasiven Massnahmen zu reduzieren. Elementar wichtig für die Anwendung sind die Vorbereitung und das Miteinbeziehen des Kindes und der Bezugsperson. Das Ziel ist eine bequeme Positionierung, um die Mobilität einzuschränken und gleichzeitig eine ruhige, positive Atmosphäre zu wahren. Die Anwesenheit einer wichtigen Bezugsperson ist für die Stressreduktion des Kindes zentral. Durch die Comfort-Positionierung erhält die Bezugsperson ein gewisses Mass an Kontrolle, und sie kann schmerzhafte Interventionen aktiv mitgestalten. Die Comfort-Positionierung führt ebenso bei den Bezugspersonen zu einer
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gesteigerten Zufriedenheit, weil sie eine aktive Rolle übernehmen und emotionalen Support leisten können (9–14) (Abbildungen verschiedener Comfort-Positionierungen siehe Seite 18 im Artikel zu thermischen Wunden in dieser Ausgabe). Entspannungstechniken: Zur Entspannung können Musik, Atem- und Hypnosetechniken angewendet werden. Musik kann trösten, stärken und motivieren, bei Angst oder Schmerzen aber auch einfach helfen, sich zu entspannen und abzulenken. Ab dem 3. Lebensjahr können Atemtechniken zur Schmerzreduktion eingesetzt werden. Diese Interventionen stellen ein einfaches Angebot dar, um Schmerzen zu reduzieren. Aufgrund der ausgeprägten Fantasie der Kinder ist die Hypnose für diese besonders gut geeignet. Angst, Stress, Schmerzen und Vermeidungsverhalten können durch Hypnose überwunden und abgebaut werden. Hypnosetechniken können bei schmerzhaften Prozeduren zur Anwendung kommen und werden durch spezialisierte Personen durchgeführt (8, 9, 15, 16).
Wundversorgung sekundär heilender Wunden
Nach den vorbereitenden Interventionen findet die Wundversorgung statt. Diese besteht aus drei Schritten: der Wundreinigung, dem Débridement und der Auswahl und Applikation des Wundverbandes. Nassphase: Für die Reinigung der Wunde bestehen verschiedene Möglichkeiten. Die Art der Reinigungsflüssigkeit soll je nach Verschmutzungsgrad und Infektionsstatus gewählt werden. Wundantiseptika sind bei kritisch kolonisierten, infizierten Wunden und zur Prävention von Infekten bei akuten Verschmutzungen indiziert (17). Bei nicht infizierten Wunden können Wundspüllösungen verwendet werden. Meist wird die Nassphase mit einer getränkten Kompresse als Umschlag durchgeführt. Wundspülungen sind ebenso möglich. Bei der Verwendung von Octenisept® ist hierbei Vorsicht geboten. Es besteht die Gefahr einer Gewebeschädigung, wenn diese Spülung mit Druck in tiefere Gewebeschichten oder Wundhöhlen eingebracht wird. Zudem kann es in Kombination mit jodhaltigen Lösungen zu violetten Hautverfärbungen führen (18). Débridement: Um eine Wundheilung zu gewährleisten, sind saubere Wundverhältnisse nötig. Aus diesem Grund wird bei Bedarf ein Débridement mittels scharfem Löffel, Skalpell, Schere, Débridementpad usw. durchgeführt (19). Auf dem Markt gibt es zudem Wundspüllösungen und auch Wundauflagen, welche die Wundreinigung unterstützen und so das Débridement vereinfachen. Auswahl der geeigneten Wundauflage: Bei der Auswahl einer geeigneten Wundauflage kommt es auf die folgenden Punkte an. Art der Wunde, Alter der Patient:innen, Lokalisation der Wunde, Exsudationsgrad, Wundheilungsphase und Infektionsgefährdung der Wunde. Der Verband soll so gewählt werden, dass ein optimales Wundbett gewährleistet wird. Das bedeutet, dass die Wunde feucht gehalten und eine Temperatur von etwa 37 Grad beibehalten wird. Vor allem in der Granulationsphase soll die Wunde möglichst viel Ruhe erhalten, damit der Gewebeaufbau gelingen kann. Die einwandernden Zellen benötigen Wärme, Feuchtigkeit und Schutz vor Reizen (20). Deshalb soll das Exsudatmanagement so ge-
Tabelle 1:
Ablenkungsmöglichkeiten
Säuglinge Kleinkinder Schulkinder
Spielzeug
X X
X
Seifenblasen
X X
Schnuller
X
Singen
X X
X
Aufmerksamkeit auf
etwas in der Umgebung
lenken, das für das
Kind interessant sein
könnte
X X
X
Pop-up-Buch
X
Musik
X X
X
Partytröten X X
Kaleidoskop X X
Über etwas reden,
das nichts mit der
Intervention zu tun hat X X
Geschichten
X
Videos X X
Bücher X X
Witze
X
12 blaue Gegenstände
in der Umgebung
suchen und aufsagen X X
Ich sehe was, was du
nicht siehst (Spiel) X X
nach (9)
lingen, dass der Verband möglichst mehrere Tage verbleiben kann. Wichtig ist, dass die Wundauflagen korrekt nach Herstellerinformation angewendet werden, damit diese eine optimale Wirkung erzielen. Beim Thema Wundauflagen kann gesagt werden, dass viele Wege nach Rom führen und man sich den für die Wunde geeignetsten auswählen sollte. Wundauflagen gibt es etliche. Die verschiedenen Materialgruppen und ihre Indikationen sind in Tabelle 2 zusammengefasst (21).
Abschluss und Nachbereitung der Wundbehandlung
Nach schmerzhaften Interventionen behalten die Kinder die letzte Handlung im Gedächtnis. Aus diesem Grund sollte jedes Kind nach einer Intervention gelobt und belohnt werden. Beispielsweise können folgende Materialien zur Belohnung verwendet werden: Trösterbox mit Geschenken zum Aussuchen (Sticker, Seifenblasen, Buntstifte, Schlüsselanhänger usw.), Tapferkeitsurkunde, Ballons usw.
Nach der Wunde – die Narbenpflege
Die Narbenpflege ist stets ein Thema bei den Patient:innen und deren Familien. In der Epithelisationsphase beginnt die Narbenbildung. Zuerst Vermehren sich die Kollagenfasern schneller, meist kommt es hierbei zu einer Hypertrophie. Dann erfolgt die Kontraktion und es kommt zur Schrumpfung der Narbe. Dabei bildet sich die Hyper-
Jugendliche
X X
X X
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Tabelle 2:
Verschiedene Wundauflagen und ihre Eigenschaften
Wundauflage
Eigenschaften
Imprägnierte Wundgazen
Gaze mit einer weichen Paraffinbeschichtung
und Kontaktverbände
oder aus Silikon hergestellt
Hydrofiber-Verbände
Das Exsudat wird in der Faserstruktur
eingeschlossen und bildet eine gelartige Masse.
Hydrokolloid
Das Hydrokolloid kann bis zu 7 Tage auf der Wunde
belassen werden, wenn die Wundverhältnisse
dies zulassen.
Hydropolymerverbände,
Der Schaumstoff kann sehr viel Wundexsudat
Schaumstoffkompressen
aufnehmen und bleibt in seiner Struktur bestehen.
Superabsorber
Sie enthalten Superabsorberpartikel, die fest in
einem Zellstoffkern eingebettet sind und nach
dem «Pampersprinzip» arbeiten. Das Wundexsudat
wird aufgesogen und im Verband festgehalten.
nach (21)
Indikationen Schürfwunden, Risswunden, Verbrennungen und Verbrühungen 2. und 3. Grades, oberflächliche Hautläsionen, Hauttransplantationen, epithelisierende Wunden Wunden in der Reinigungsphase, stark exsudierende Wunden, als Wundfüller bei tiefen Wunden granulierende Wunden mit beginnender oder noch fehlender Epithelisierung, saubere oberflächliche Schürfwunden, oberflächliche Hautläsionen, schwach bis mässig exsudierende Wunden Wunden in der Reinigungsphase, mässige bis starke Exsudation, granulierende Wunden, Verbrennungen und Verbrühungen stark exsudierende Wunden
trophie meist zurück. In dieser Phase kann es zu einer Hypopigmentierung kommen, da Melanin in der Narbe fehlt. Später wandern jedoch Melanozyten ein und die Narben weisen eine Pigmentierung auf. Die Problematik einer möglichen pathologischen Narbenbildung kann genetisch disponiert, von der Ethnie und vom Hauttyp abhängig sein. Zudem wird sie von der Art der Verletzung, der Belastung der Narbe und der Körperregion beeinflusst. Die Gesamtdauer der Narbenreifung beträgt Monate bis Jahre. In dieser Zeit kann die Narbe mithilfe von Narbenpflege unterstützt werden. Hierzu sind folgende Punkte zu beachten: Eine direkte Sonneneinstrahlung auf die Narbe sollte vermieden werden, feuchtigkeitsspendende Crèmes und eine regelmässige Narbenmassage bilden eine gute Grundlage der Narbenpflege. Empfohlen wird die Durchführung 2- bis 5-mal täglich. Silikonauflagen und -gele sind ein wichtiges Hilfsmittel zur Prävention und Therapie. Oft wird ein gesteigerter Flüssigkeitsverlust im Narbenbereich im Vergleich zur gesunden Haut beobachtet. Dadurch kommt es zu einer Dehydratation der Keratinozyten und in der Folge zu einer
Zytokinausschüttung, was in einer vermehrten Kollagenausschüttung resultiert. Dies kann die Narbenbildung verstärken. Silikonprodukte scheinen diesem Mechanismus entgegenzuwirken und die Dehydratation zu verhindern. Die Patienten und deren Familien sollten beraten und zur Narbenpflege sollte eine Feuchtigkeitscrème mit Silikon zur Narbenmassage verschrieben werden (22).
Korrespondenzadresse: Melanie Schmocker Leitung Pflegeentwicklung Wundexpertin SAfW, Stoma- und Kontinenzberatung UKBB Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) Spitalstrasse 33 4031 Basel E-Mail: melanie.schmocker@ukbb.ch
Interessenlage: Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen.
Literatur auf www.ch-paediatrie.ch abrufbar.
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