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Schwerpunkt
Thermische Verletzungen
Verbrühungen und Verbrennungen im Kindesalter
Zirka 60% der thermischen Verletzungen betreffen Kinder und gehören weltweit zu den häufigsten Unfallursachen im Kindesalter. In diesem Beitrag werden die wesentlichen Punkte zu Massnahmen der ersten Hilfe, zur Wundbehandlung, zur Schmerztherapie, zu den plastischen und rekonstruktiven Behandlungsmöglichkeiten und zur Nachbehandlung aufgezeigt. Eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit ist bei diesen Patienten unabdingbar.
Von Bettina Hafner und Kathrin Neuhaus
Aufgrund von Verbrennungen und Verbrühungen werden in der Schweiz pro Jahr zirka 300 Kinder hospitalisiert, davon sind zwei Drittel unter 5 Jahre alt. Pro Jahr erleiden 20 bis 30 Kinder schwere thermische Verletzungen (> 20% der Körper oberfläche [KOF]) (1). Die Unfälle geschehen oft im häuslichen Umfeld im Beisein von Bezugspersonen. Prävention und Aufklä rungsarbeit spielen eine wichtige Rolle, da die meisten Unfälle durch Sicherheitsmassnahmen vermieden werden könnten.
Unterschiedliche thermische Verletzungen
Als thermische Verletzung wird eine Schädigung des Ge webes durch Hitzeeinwirkung bezeichnet. Es kann sich dabei um eine Verbrennung (Flamme), eine Verbrühung (Flüssigkeit), eine Kontaktverbrennung (Berühren heisser Gegenstände), ein Elektrotrauma (Unfall mit Stromein wirkung) oder Verletzung mit Chemikalien. Bei Kleinkindern handelt es sich bei 60 bis 85% der Fälle um Verbrühungen mit heissen Flüssigkeiten, verursacht zum Beispiel durch umstürzende Tassen und Kannen mit heissen Getränken, durch Herabziehen von Wasser kochern am herabhängenden Kabel in Reichweite des Kindes (was die typischen «Latzverbrühungen» ergibt) oder durch das Übergiessen der heissen Flüssigkeit beim
Tabelle 1:
Anhaltspunkte für die Ausdehnung einer Verbrennung bei Kindern
Region Kopf Arme Rumpf Beine Damm/Genitale
Kind ≤1 Jahr 20% 19% 32% 28% 1%
Kind ≤ 5 Jahre 16% 19% 32% 32% 1%
Kind ≤ 14 Jahre 14% 19% 32% 34% 1%
Die Tabelle gibt altersabhängig Auskunft über den prozentualen Anteil verschiedener Körperregionen von Kindern zur Gesamtkörperoberfläche (3).
Inhalieren. Eine einzige Tasse mit heissem Wasser kann bei einem Kleinkind eine lebensgefährliche Verbrühung von 20 Prozent der Körperoberfläche verursachen. Bei Kleinkindern sind auch Kontaktverbrennungen der Hände häufig, zum Beispiel durch Berühren heisser Backofen türen, Herdplatten oder von Glas geschützten Cheminées. Bei Schulkindern stehen Verbrennungen durch Spielen mit dem Feuer sowie durch den unsachgemässen Ge brauch von Brandbeschleunigern und Feuerwerkskörpern im Vordergrund (2).
Nicht akzidentelle Verletzungen
Bei einer inkongruenten Anamnese, auffälligen ElternKind-Interaktionen, verspäteter Vorstellung oder auffälli gen Verletzungsmustern muss an eine Kindsmisshand lung gedacht werden. Auffällige Verletzungsmuster zeigen sich als strumpf-/handschuhförmige Ausdehnung durch Eintauchen in heisse Flüssigkeiten, als kleinflächige runde, tiefe Verletzungen durch Zigaretten und durch Abdrücke von Gegenständen (1).
Erste Sofortmassnahmen
Nicht intensiv kühlen! Beim Kühlen sind folgende Punkte zu beachten: • Hitzeeinwirkung unterbrechen. • Kühlen nur mit 20 bis 25 Grad warmem Leitungswasser
über 5 bis 10 Minuten; wirkt schmerzlindernd. • Wenn möglich, nur das betroffene Areal kühlen; im
Anschluss soll das Kind gewärmt werden. • Bei Neugeborenen, Säuglingen und wenn > 20 Prozent
der KOF betroffen sind, soll die Kühlung ganz unter lassen werden. • In den ersten 30 Minuten nach der thermischen Ver letzung Analgesie verabreichen (1).
Flüssigkeitsmanagement: Bei > 10 Prozent betroffener KOF soll ein intravenöser Zugang gelegt werden, um Flüs sigkeit zu verabreichen. Bei schwierigen Venenverhält nissen kann die Leitung auch intraossär gelegt werden; initialer Bolus: 10 ml/kg KG und dann 10 bis 15 ml/kg KG in der folgenden Stunde (3). Lokale Therapie: Blasen sollen bei der Erstversorgung vor Ort belassen werden. Keine Applikation von Salben, Cremes oder sonstigen Mitteln. Nach Möglichkeit die
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Wunden mit sterilen Tüchern oder einer Rettungsfolie abdecken. Kriterien für eine Aufnahme in einem spezialisiertem Verbrennungszentrum (4) • Alle Patienten mit Verbrennungen an Gesicht/Hals,
Händen, Füssen, Anogenitalregion, Achselhöhlen, grossen Gelenken oder an sonstiger «komplizierter» Lokalisation, vor allem zirkuläre Läsionen • Patienten mit > 10 Prozent zweitgradig verbrannter KOF • Patienten mit drittgradig verbrannter KOF • Patienten mit relevanten Begleitverletzungen • alle Patienten mit Inhalationstrauma • Patienten mit relevanten Vorerkrankungen • Patienten mit Elektrotrauma oder chemischen Verlet zungen • Verdacht auf Kindsmisshandlung.
Tiefe und Ausdehnung der Verletzung
Der Schweregrad einer thermischen Verletzung wird nach Verletzungstiefe und -ausdehnung beurteilt. Die Verletzungstiefe wird in 3 Grade eingeteilt: Grad 1, Grad 2a (oberflächlich Epidermis), Grad 2b (tief, Epider mis und Dermis), Grad 3 (bis ins subkutane Fettgewebe). Die Verletzungstiefe einer thermischen Verletzung ist re levant für die weitere Behandlung und erfordert unter schiedliche Massnahmen. Für eine objektive Tiefenbe stimmung eignet sich die Laserdopplermessung. Die betroffene Stelle wird gescannt und die mikrovaskuläre dermale Perfusion einer Wunde evaluiert. Die Spezifität dieser Methode beträgt 90 bis 98 Prozent. Die farbige Darstellung der mikrovaskulären Perfusion gibt Auskunft über die voraussichtliche Heilungsdauer (Abbildung 1, Seite 16). Das Ausmass der betroffenen KOF ist vor allem für das Flüssigkeitsmanagement wich tig. Die betroffene Körperoberfläche (Verletzungen ersten Grades werden nicht mitgerechnet!) kann wie folgt be rechnet werden: Bei Erwachsenen wird die 9er-Regel nach
Wallace angewandt; bei Kindern kommt diese aber erst ab einem Alter von 14 Jahren zum Einsatz. Bei jüngeren Kindern müssen somit altersentsprechende Schemata verwendet werden, wie zum Beispiel «Lund and Brow der» oder die Handflächenregel: Die Handfläche inklusive Finger entspricht 1 Prozent der KOF (Tabelle 1).
Klinisches Erscheinungsbild
Die Diagnose einer thermischen Verletzung bezüglich Tiefengrade kann innerhalb der ersten 72 Stunden nicht definitiv gestellt werden. Einerseits wird die Verbren nungstiefe von Unerfahrenen oft unterschätzt und folg lich eine zu günstige Prognose gestellt. Andererseits er fährt eine bereits initial eindeutig als zweitgradig tiefe oder drittgradige Läsion beurteilte Verbrennung keine wesentliche Veränderung mehr, namentlich nicht in eine günstige Richtung. Somit ist die Indikation zur Hauttrans plantation früh zu stellen (3) (Tabelle 2).
Wundbehandlung
Die Ziele einer idealen Wundbehandlung sind: • maximale Unterstützung der Wundheilung • maximale Infektionsprophylaxe • maximaler Komfort für Patient und Anwender • minimale Schmerzen während des Verbandswechsels • minimale Kosten. Gerade oberflächliche thermische Verletzungen gehen immer mit Schmerzen und viel Wundexsudat einher. Um beidem gerecht zu werden, braucht es Wundauflagen, die eine hohe Saugkraft besitzen, längere Zeit auf der Wunde verbleiben können und atraumatisch entfernbar sind. Dazu eignen sich antibakterielle Polyurethan schaumstoffe, zum Beispiel Mepilex Ag® oder Polymem Ag®. Man kann sie bis zu einer Woche auf der Wunde belassen und sie verkleben nicht mit dem Wundgrund. Durch die gute Saugkraft kann bei reizlosen Wunden meist auf eine Wundreinigung verzichtet werden, was wiederum Schmerzen erspart.
Tabelle 2:
Klinisches Erscheinungsbild der unterschiedlichen Verletzungsgrade und deren Behandlung
Einteilung
Grad 1
Grad 2a
Grand 2b
Grad 3
Tiefe
Epidermis
Epidermis, oberflächliche Dermis
Epidermis tiefere Dermis
Epidermis Dermis Subcutis
Klinisches Erscheinungsbild
Heilungsdauer
Behandlung
gerötet, Haut ist intakt, schmerzhaft
ca. 1 Wo
Schmerzbehandlung, Feuchtigkeitscreme
Blasenbildung, feuchter
< 14 Tage Wundgrund, rosig, gute Rekapillarisierung, schmerzhaft Schmerzbehandlung, synthetischer Hautersatz aus Polymilchsäurecopolymer oder Polyurethanschaum mit Silber, konservative Behandlung Blasenbildung, feuchter bis trockener Wundgrund weisslich, verminderte Rekapillarisierung, fixiertes Erythem, schmerzhaft bis schmerzlos mehrere Polyurethanschaum mit Silber oder Wochen Silberfolie mit nanokristallinem Silber; operative Behandlung, ausser bei kleinen Arealen trockener Wundgrund, weiss ledrig, keine Rekapillisierung, schmerzlos keine Spontanheilung Folie mit nanokristallinem Silber, operative Behandlung Narben Nein Nein Ja Ja 5+6/23 Pädiatrie 15 Schwerpunkt Abbildung 1: Beurteilung einer Verletzung mit Laserdopplerbildgebung. A: 2 Tage nach der Verbrühung; B: Laserdoppleraufnahme; C: 8 Tage nach der Verbrühung. Die Farben in der Laserdoppleraufnahme zeigen die mikrovaskuläre Perfusion einer Wunde an und geben somit Auskunft über die voraussichtliche Heilungsdauer (Fotos: Zentrum für brandverletzte Kinder, Zentrum Kinderhaut, Universitäts-Kinderspital Zürich) Eine Alternative zu den Polyurethanschaumstoffen stellt Suprathel® dar. Es ist ein synthetischer Hautersatz aus Polymilchsäurecopolymer, haftet der Wunde an und ver bleibt dort bis zur vollständigen Heilung. Mit der Epithe lisation löst es sich selbständig ab und nur die äusseren Verbände müssen gewechselt werden. Somit ermöglicht dieser Verband ebenso atraumatische Verbandswechsel. Bei zweitgradig tiefen oder drittgradigen Anteilen, wel che transplantiert werden müssen, sollte auf eine maxi male Infektionsprophylaxe geachtet werden. In Zürich verwenden wir daher einen Folienverband mit nanokris tallinem Silber (Acticoat®). Eine gute Fixation der Verbände ist gerade bei Kindern, die sich viel bewegen, essenziell. Es braucht einen guten äusseren Verband mit Schlauchverbänden und einer sinn vollen Fixation auf der gesunden Haut mit Klebevlies, wie zum Beispiel Hypafix®. Im Kinderspital Zürich leiten erfahrene Pflegefachper sonen, die sich in der Wundbehandlung weitergebildet haben, die Wundsprechstunde für ambulante Patienten mit frischen Verletzungen. Das ärztliche Team der plas tisch-rekonstruktiven Chirurgie wird konsiliarisch hin zugezogen. Bei tiefen Verletzungen oder solchen, die deutlich länger als 2 Wochen brauchen, um zu heilen, werden bei Bedarf Physio- und Ergotherapeuten bereits Tabelle 3: Rekonstruktive Chirurgie nach thermischen Verletzungen bei Kindern Häufige Operationstechniken zur funktionellen Rekonstruktion nach thermischen Verletzungen Narbenexzision mit Direktverschluss Narbeninzision mit lokaler Verschiebelappenplastik (z. B. einfache/serielle Z-Plastik) Narbeninzision und Defektdeckung mit Vollhauttransplantation Narbeninzision und Defektdeckung mittels autologer Spalthaut- transplantation alleine oder Dermisersatz + autologe Spalthauttransplantation Narbenexzision mit Deckung nach vorheriger Hautexpansion (Gewebeexpander) Typische Indikationen/Vorteile/Nachteile selten ausreichend, nur für lineare Narben mit ausreichend mobilisierbarem gesundem Gewebe in der Umgebung, z. B. am Oberschenkel wird sehr häufig eingesetzt, gut geeignet für lineare Narbenstränge, z. B. Finger, Gesicht, Hals seitlich; keine zusätzliche Narbe, da keine Entnahmestelle, einzeitiges Verfahren für breite Narbenstränge mit kleinflächigem Defekt, der durch ein autologes Vollhauttransplantat (z.B. von retroaurikulär, inguinal) gedeckt werden kann; häufig im Gesicht oder an der Hohlhand/Handgelenk; neue Narbe auch an der Entnahmestelle, sehr gute Hautqualität für breite Narbenstränge oder Narbenplatten; der entstehende Defekt ist zu grossflächig für Vollhaut, z. B. am Hals bei sternomentalen Kontrakturen oder im Bereich von Gelenken; bei Dermisersatz zweizeitig mit Reifung über mehrere Wochen, aber hohe Qualität des Hautersatzes, funktionell und ästhetisch zweizeitiges Vorgehen, braucht mehrere Monate Zeit für Füllung der Expander, sehr gut geeignet für Narben am Skalp oder sehr grosse Narben am Stamm, hochwertige Hautqualität 16 Pädiatrie 5+6/23 • Atem- und Entspannungstechniken, Hypnose, Beloh nung • Kälte und Vibration (5). Die nicht medikamentösen Schmerzinterventionen haben sich in der Praxis als genauso wichtig und hilfreich er wiesen wie die medikamentösen Schmerzinterventionen. In einer Kinderarztpraxis ist daher eine aufeinander ab gestimmte Zusammenarbeit von MPA und ärztlichem Team essenziell, damit auch Interventionen wie Ablen kung, Entspannungstechniken und das Miteinbeziehen der Bezugsperson ihren Platz haben. Abbildung 2: Brandblase auf der Handinnenfläche (Foto: Universitäts-Kinderspital Zürich) in der Akutphase in Bezug auf Schienen oder sonstige Hilfsmittel eingeschaltet. Umgang mit Blasen Blasen sollten unserer Meinung nach grundsätzlich ab getragen werden. Eine Ausnahme bilden isolierte Blasen über den volaren Fingerendgliedern (dicke Haut). Wenn Blasen nicht abgetragen werden, ist der Wund grund nicht beurteilbar. Sie bilden einen Nährboden für Bakterien; insbesondere die hämorrhagischen Blasen stel len ein Infektionsrisiko dar. Hinzu kommen: Schmerzen, Spannung und eine eingeschränkte Mobilisation (z. B. Handfläche) (1) (Abbildung 2). Schmerzmanagement Am meisten Schmerzen verursacht die initiale Behand lung, wenn die Blasen abgetragen und die Wunden gereinigt werden müssen. Das initiale Debridement sollte in der Regel im Rahmen einer intravenösen Analgoseda tion erfolgen. Für kleinere Flächen kann ggf. auch eine Kombination von z. B. Fentanyl® nasal und Lachgas oder Dormicum® und Generika erfolgen. Bei kleinflächigen Verletzungen, die mit einer adäquaten Wundauflage versorgt wurden, reicht ein Basisanalgetikum bei den folgenden Verbandswechseln oft aus. Ansonsten kann wiederum auf Fentanyl® nasal oder Lachgas zurückgegrif fen werden. Grossflächige Verletzungen erfordern selbst verständlich eine differenzierte intravenöse Schmerz therapie über das initiale Debridement hinaus. Folgende nicht medikamentöse Interventionen können die Schmerzen reduzieren: • achtsame Sprache (die Art und Weise, wie kommuni ziert wird, beeinflusst die Schmerzwahrnehmung) • positive Rolle der Eltern (wie diese sich fühlen, denken und interagieren, hat Einfluss auf die Schmerzwahr nehmung des Kindes) • Glukose oral für Kinder < 1 Jahr (gute Evidenz bei Frühund Neugeborenen, schwache Evidenz bei Säuglingen) • Comfort-Positionen (Hautkontakt mit Bezugsperso nen) vermitteln Sicherheit und reduzieren die Schmerz wahrnehmung (Abbildung 3, Seite 18) • altersentsprechende Ablenkung Akute Komplikation Toxic Shock Syndrome (TSS) Das TSS ist die häufigste Ursache eines unerwarteten Todes bei Kindern mit kleinflächigen thermischen Ver letzungen. Jede Familie, die am Universitäts-Kinderspital in Zürich mit einem Kind vorstellig wird, das eine thermi sche Verletzung erlitten hat, wird über die Gefahr des TSS aufgeklärt und ein entsprechender Flyer wird abgegeben. Das TSS ist eine akut auftretende, schwere systemische Erkrankung, die bei zu später Diagnose/Therapie zum Tod führen kann. Eine Frühdiagnose und die sofortige Thera pieeinleitung sind daher zwingend notwendig. Pathoge netisch spielen Exotoxine bestimmter Bakterienstämme (Staphylococcus aureus oder Streptococcus pyogenes [Streptokokken der Gruppe A]) die zentrale Rolle. Als so genannte Superantigene umgehen sie die normalen Schritte der antigenvermittelten Immunantwort und lösen stattdessen eine überschiessende Immunantwort aus. Die so losgelöste «Zytokinlawine» führt rasch zu Gewebsschädigungen, disseminierter intravasaler Gerin nung (DIC) und Organfehlfunktionen bis hin zum Multi organversagen. Bei thermisch verletzten Patienten be steht ein höheres Risiko für ein TSS wegen der zerstörten Schutzfunktion der Haut, der häufig erhöhten Körper temperatur, welche die Toxinproduktion fördert, sowie aufgrund der Tatsache, dass nach einer bakteriellen Kolonisation ideale Bedingungen für eine Toxinproduk tion bestehen. Prinzipiell muss gesagt werden, dass das TSS eine klini sche Diagnose ist, die aufgrund einer Gesamtschau er hobenen Befunde gestellt wird. Folgende Symptome werden im Kinderspital Zürich für ein TSS in Zusammen hang mit e iner akuten thermischen Verletzung als obligat angesehen: • Fieber ≥ 39°C • reduzierter Allgemeinzustand • generalisiertes Exanthem/Erythrodermie. Weitere häufige Symptome sind: • Diarrhoe oder Erbrechen • neurologische Symptome (z.B. Wesensveränderung) • Lymphopenie • erhöhtes CRP. Die Behandlung des TSS besteht in einem Wunddebride ment mit Abstrichentnahme, einer antibiotischen Thera pie und der Applikation eines (ideal silberhaltigen) Wund verbandes. Chirurgische Interventionen Prinzipiell werden tiefe zweitgradige und drittgradige thermische Verletzungen chirurgisch behandelt. Die Stan dardmethode ist die Nekrosektomie und Deckung mit 5+6/23 Pädiatrie Schwerpunkt 17 Schwerpunkt Abbildung 3: Verschiedene Möglichkeiten von Comfort-Positionen (Fotos: B. Hafner) Korrespondenzadresse: Bettina Hafner Dipl. Pflegefachfrau HF, MAS Woundcare Stv. Leitung ambulanter Bereich Zentrum Kinderhaut Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung Steinwiesstrasse 75 8032 Zürich E-Mail: bettina.hafner@kispi.uzh.ch PD KD Dr. med. Kathrin Neuhaus Leitende Ärztin, Stellv. Leiterin Abteilung für Plastisch-Rekonstruktive Chirurgie und Verbrennungsmedizin Zentrum Kinderhaut, Chirurgische Klinik Universitäts-Kinderspital Zürich-Eleonorenstiftung Interessenlage: Die Autorinnen erklären, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen. Literatur auf www.ch-paediatrie.ch abrufbar autologer Spalthaut. Bei einer grossflächigen oder ge lenksübergreifenden drittgradigen Verletzung, sollte ein Dermisersatz erwogen werden. In bestimmten Situatio nen (Gesicht, Hals etc.) kann bei tiefer Verletzung auch eine Vollhauttransplantation sinnvoll sein (3). Die Entscheidung, ob eine Wunde chirurgisch mit einer Spalthauttransplantation angegangen werden muss, sollte bei Verbrühungen zwischen dem 10. und 14. Tag nach dem Trauma getroffen werden. Ist es bis dahin nicht zu einer fortschreitenden Epithelialisierung der Wunde gekommen, ist insbesondere beim Säugling und Klein kind in 70 Prozent der Fälle mit einer Narbenbildung zu rechnen (6). Bei Verbrennungen ist die Entscheidung für ein operatives Vorgehen in der Regel früher möglich. Die Ausnahme bildet die Hohlhand, bei welcher etwas länger zugewartet werden kann. Falls eine Operation indiziert ist, gelten für kleinflächige Verletzung folgende Regeln: • keine vitale Dermis entfernen • so blutsparend wie möglich operieren • Spalthautentnahme von der Kopfhaut, wenn möglich und sinnvoll (go for the scalp) • keine Netztransplantate (no mesh, no mess) (1). Etwa 30 Prozent der operierten Kinder benötigen trotz optimaler chirurgischer und rehabilitativer Behandlung später eine Narbenkorrektur. Meistens entsteht die funk tionelle Störung wie zum Beispiel eine Flexionskontraktur im Ellbogen auf Grund der gegenläufigen Dynamiken vom Wachstum des Kindes (Kleinkinder!) und des Schrumpfens der sehr oft hypertrophen Narben: Die Haut wird zu eng beziehungsweise zu klein. Die häufigsten Korrekturtechniken sind Narbenlösungen und dann De fektdeckung mittels lokalem Verschiebelappen (z. B. ZPlastik), (Voll)Hauttransplantate, künstliche Unterhaut und Expander (3) (Tabelle 3). Nachbehandlung Bei spontaner narbenloser Abheilung (2aVerletzungen) besteht die Nachbehandlung darin, die Haut gut zu pfle gen und vor der Sonne zu schützen. Die Nachbehandlung/Rehabilitation von tieferen Verlet zungen, die mit einer Spalthaut versorgt wurden, ist ein absolut unverzichtbarer Bestandteil des Behandlungs systems. Sie dient dazu, Körperfunktionen zu erhalten beziehungsweise wieder herzustellen. Sie beginnt am Unfalltag und hört erst auf, wenn das funk tionell und ästhetisch bestmögliche Langzeitresultat erzielt ist, was oft erst nach mehreren Jahren der Fall ist (3). Vor allem im ersten Jahr nach einer thermischen Ver letzung ist die Nach und insbesondere die Narben behandlung intensiv. Dies deshalb, da sich bei Kindern in der Regel hypertrophe Narben entwickeln, die während der Reifung noch beeinflussbar sind. Die ambulante interdisziplinäre Weiterbetreuung besteht aus folgenden Punkten: • Narbentherapie: – Narbenmassage und Applikation von Silikonproduk ten wie Silikonsheets oder Silikongels – Kompressionsbehandlung für 12 Monate; der durch das Tragen der Anzüge kontinuierlich ausgeübte Druck (20mmHgSäule → Kompressionsklasse 1) soll ein überschüssiges Narbenwachstum und die Bildung von Kelloiden unterdrücken (3) • Physiotherapie/Ergotherapie: Schienenbehandlung, Beweglichkeit wiedererlangen, fördern und erhalten der Beweglichkeit • gegebenenfalls Lasertherapie, je nach Ausmass und Symptomatik • «Spätkorrekturen» im Laufe des Wachstums. Auch nach der Reifung der Narben bleiben die Kinder in der Regel bis zum Wachstumsabschluss in Betreuung. Im Verlauf sind, wie oben bereits erwähnt, häufig rekonst ruktive Eingriffe zum Erhalt der Funktion oder zur Ver besserung der Ästhetik notwendig. Darüber hinaus sind auch dann gegebenenfalls noch Laserinterventionen sinnvoll und möglich. Das interdisziplinäre Team Zur umfassenden und erfolgreichen Betreuung thermisch verletzter Kinder muss ein aufeinander eingespieltes Team von erfahrenen und hochmotivierten Personen unter schiedlicher Professionen und Fachdisziplinen zur Verfü gung stehen. Nur mit Teamwork und gemeinsam mit den Patienten und ihren Angehörigen gelingt es, die Akutphase zu über winden, die jahrelange Rehabilitation effizient zu nutzen und die volle Reintegration zu bewerkstelligen (3). Das Ziel ist immer die vollständige Wiederherstellung, die bei kleinflächigen Verletzungen immer gelingt, auch wenn sichtbare Narben zurückbleiben können. Zu einem solchen Team gehören folgende Disziplinen: Chirurgie (auf Verbrennungs und rekonstruktive Chirur gie spezialisierte Ärzteschaft), pädiatrische Intensivmedi zin, Kinderanästhesie, spezialisiertes Pflegefachpersonal, Physiotherapie, Ergotherapie, Psychologie, Kindergarten, Schule und sonstige Therapien (3). 18 Pädiatrie 5+6/23 Schwerpunkt Literatur: 1. Neuhaus K: Besonderheiten der Verbrennungsmedizin bei Kindern und Jugendlichen. Zürcher Burn-Workshop. 2023. 2. Hautstigma:Verbrennungen.https://hautstigma.ch/verbrennungen/ 3. Schiestl C. (2017): Thermische Verletzungen. In Schiestl. C. et al (Hrsg): Plastische Chirurgie bei Kindern und Jugendlichen (1.Aufl. S.599-696). Springer Verlag. 4. American burn association, https://ameriburn.org/wp-content/uploads/2023/01/ one-page-guidelines-for-burn-patient-referral-16.pdf 5. Allianz Pädiatrische Pflege Schweiz (Hrsg.): Nationale Empfehlungen «Nicht medikamentöse Interventionen (NMI) bei (potenziell) schmerzhaften Prozeduren bei Kindern ab Geburt bis 18 Jahre» – Version 1.0. Allianz Pädiatrische Pflege Schweiz.2019. http://swisspediatricnursing.ch/verschiedenes 6 Schiestl C: Treatment of scald injuries in infants and toddlers: the Zurich concept. Handchir Mikrochir Plast Chir. 2007;39(5):356–359. 20 Pädiatrie 5+6/23