Transkript
Schwerpunkt
Auch für das Umstellen von der oralen auf die intravenöse Eisengabe gibt es nur wenige Indikationen. Die Um stellung kommt, in Absprache mit einem pädiatrischen Hämatologen, gemäss den Schweizer Guidelines unter den folgenden Bedingungen infrage: • kein Erfolg trotz guter Compliance nach mindestens
6 Monaten oraler Eisensubstitution und nachdem zwei verschiedene Präparate versucht wurden • nachgewiesene Malabsorption oder chronische Unver träglichkeit oraler Eisenpräparate. Die Kontraindikationen für Eisen i. v. sind eine aktive oder akute Infektion, allergische bzw. anaphylaktische Reak tionen auf Bestandteile der Präparate in der Vergangen heit, behandelbare Komorbiditäten, welche die Sym
ptome erklären (z. B. neurologische, psychiatrische und psychosomatische Störungen), sowie der Wunsch nach «Doping» in Bezug auf schulische und sportliche Leis tungen.
Renate Bonifer
Prof. Katrin Scheinemann: «Guideline Eisenmangel mit oder ohne Anämie». Session: Neues aus den Schwerpunkten 2. Jahresversammlung pädiatrie schweiz am 16. Juni 2023 in Interlaken.
Literatur: 1. Mattiello V, Schmugge M, Hengartner H et al.; SPOG Pediatric Hematology Working Group: Diagnosis and management of iron deficiency in children with or without anemia: consensus recommendations of the SPOG Pediatric Hematology Working Group. Eur J Pediatr. 2020;179(4):527-545.
Foto: RBO
Trends in der Wundversorgung
Neues zu Armfrakturen, Nagelquetschungen und Wundklebern
Gut gemachte Studien stellen Vorgehensweisen infrage, «die man schon immer so gemacht hat.» Drei eindrückliche Beispiele mit hoher Praxisrelevanz stellte PD Dr. med. Michelle Seiler, Kinderspital Zürich, an der Jahrestagung von pädiatrie schweiz vor.
PD Dr. med. Michelle Seiler
Weniger Gips bei distalen Vorderarmfrakturen
Bis anhin war es üblich, bei einer distalen Vorderarm fraktur den gesamten Arm in Gips zu legen, um mit dem Oberarmgips Drehbewegungen des Unterarms (Prona tion/Supination) zu verhindern, die zu sekundären Frak turen und Komplikationen führen können. Das Notfallteam am Kinderspital Zürich fragte sich, ob der Oberarmgips tatsächlich immer nötig sei und bei metaphysären, distalen Frakturen nicht doch ein Vorder armgips ausreichen könnte. Sie führten eine Studie mit Kindern und Jugendlichen im Alter von 4 bis 16 Jahren durch (1). Kinder unter 4 Jahren waren von der Studie ausgeschlossen, weil sie einen Vorderarmgips zu leicht abstreifen können. Die Studienteilnehmer wurden den beiden Behandlungs gruppen nach dem Zufallsprinzip zugeordnet bis mindes tens 60 Probanden pro Gruppe erreicht waren. Die Nach kontrollen erfolgten in der orthopädischen Sprechstunde am Kinderspital Zürich. Zwischen beiden Gruppen zeig ten sich keine Unterschiede bezüglich Analgesie und Frakturstabilität. Die Probanden mit dem Vorderarmgips hatten jedoch etwas weniger Einschränkungen im Alltag,
und nach der Entfernung des Gipses erlangten sie rascher wieder die volle Beweglichkeit des Ellenbogengelenks (median 4,5 Tage früher als nach einem Oberarmgips). Fazit: Kinder ab 4 Jahren mit metaphysären, distalen Vor derarmfrakturen erhalten künftig nur noch einen Vorder armgips.
Salbenverband bei Quetschverletzungen am Fingernagel
Auch für die Versorgung bei den typischen Quetschver letzungen am Fingernagel, wie sie zum Beispiel durch Einklemmen an Fenster, Türen oder Schubladen vorkom men, gibt es Neuigkeiten. Bisher musste, nach dem radiologischen Ausschluss einer Fraktur, bei einer solchen Verletzung zur Inspektion des Nagelbetts der gesamte Nagel abgenommen werden. Dann wurde das Nagelbett, falls nötig, genäht und an schliessend der Eigennagel (oder ein Kunstnagel) ange näht – insgesamt ein äusserst invasives Vorgehen, das eine Vollnarkose erfordern kann. Man begründete diese Methode damit, dass der Nagel wieder unter das Epo nychium geschoben werden müsse, um zu verhindern, dass das Eponychium und die Nagelmatrix verklebten,
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was zu kosmetischen und funktionellen Defiziten führen würde, erläuterte Seiler die Argumente für die klassische Methode. Weil nach der Erfahrung des Notfallteams am Kinderspital noch nie derartige Defizite bei Kindern zu sehen waren, deren Nagelverletzung nicht auf diese Art und Weise be handelt worden war, wuchsen die Zweifel, ob dieses in vasive Vorgehen wirklich notwendig ist. Auch hatte man bereits die Erfahrung gemacht, dass ein Salbenverband sowohl bei einer teilweisen als auch bei einer kompletten Nagelluxation nach 6 Monaten zu schönen neuen Finger nägeln führte. Deshalb verglich man die operative Behandlung mit dem Salbenverband in einer systemati schen, prospektiven Studie (2). Eingeschlossen wurden Patienten im Alter von 1 bis 16 Jahren mit einer proximalen oder kompletten Nagel luxation. Ausgeschlossen wurden Patienten mit einer dis lozierten Fraktur, mit Verletzungen > 1 mm von Nagelbett und Nagelwand sowie Patienten, die erst mit Verzöge rung den Arzt aufsuchten. Die Zuteilung zu den Gruppen war nicht randomisiert. «Wir wollten nicht, dass das Los entscheidet, ob ein Kind eine Narkose braucht», sagte Seiler. 50 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen, 38 von ihnen entschieden sich für den Salbenverband. Nach 6 Monaten wurde die Qualität des neuen Finger nagels anhand von Fotos durch Ärzte beurteilt, die keine Informationen zu den Patienten hatten. Hier zeigten sich keine Unterschiede zwischen beiden Vorgehensweisen. Auch die Zufriedenheit der Kinder und Eltern mit dem Aussehen des neuen Fingernagels war in beiden Gruppen gleich. Einen Unterschied gab es bei der Notwendigkeit analgeti scher Medikamente. Sie wurden in der Gruppe mit dem invasiven Vorgehen im Mittel 1,6 Tage benötigt, bei den Kindern mit dem Salbenverband waren es nur 0,8 Tage. Fazit: Bei einer einfachen Nagelluxationsverletzung im Kin des- und Jugendalter wird ein Salbenverband empfohlen.
Wunden kleben oder nähen?
Bei Riss-Quetsch-Wunden im Gesicht ist das Kleben eine gute Alternative zum Nähen. Es geht schneller, und es ist weniger schmerzhaft. Unklar ist, ob das Risiko für eine Wunddehiszenz beim Kleben etwas höher ist oder nicht.
In einer Studie am Kinderspital Zürich wurde der Lang zeitverlauf von Wunden, die entweder genäht oder ge klebt wurden, verfolgt (3). Das erste Follow-up erfolgte am Tag 5 bis 10, die Beurteilung der Narbe nach 6 bis 12 Monaten. Ob eine Wunde genäht oder geklebt wurde, entschieden die Ärzte in der Notfallambulanz, denn nicht jede Wunde eignet sich zum Kleben. 230 Patienten wurden in die Studie aufgenommen, bei 96 von ihnen wurde die Wunde geklebt, bei 135 wurde sie genäht. Die Narben wurden durchweg mit einem Score um 2 Punkte beurteilt; die Skala reichte von 1 (nor male Haut/keine Beschwerden) bis 10 (schlimmste Narbe/ heftigste Beschwerden). Die Narben der geklebten Wun den wurden etwas besser beurteilt als diejenigen der ge nähten Wunden. Fazit: Wundkleber und Wundnähte sind in Bezug auf das kosmetische Ergebnis ebenbürtig und bei beiden Metho den kommt es nur selten zu Komplikationen. Das Kleben bietet jedoch, bei korrekter Anwendung und dafür ge eigneten Wunden, beträchtliche Vorteile, weil es weniger Zeit und Kosten beansprucht. Auf Nachfrage wies die Referentin darauf hin, dass die Länge der Wunde und deren Lokalisation keinen Einfluss auf das Ergebnis hatte. Wichtig: Verschmutzte Wunden und Tierbisse werden prinzipiell nicht geklebt, sondern genäht!
Renate Bonifer
PD Dr. med. Michelle Seiler: «Less is more. The benefits of less invasive treatment approaches can improve pediatric emergency care». Session: Neues aus den Schwerpunkten 2. Jahresversammlung pädiatrie schweiz am 16. Juni 2023 in Interlaken.
Literatur: 1. Seiler M, Heinz P, Callegari S et al.: Short and long-arm fiberglass cast immobilization for displaced distal forearm fractures in children: a randomized controlled trial. Int Orthop. 2021;45(3):759-768. 2. Seiler M, Gerstenberg A, Kalisch M et al.: Non-operative treatment versus suture refixation of the nail plate in paediatric fingernail avulsion injuries. J Hand Surg Eur Vol. 2021;46(5):523-529. 3. Fontana S, Schiestl CM, Landolt MA et al.: A Prospective Controlled Study on LongTerm Outcomes of Facial Lacerations in Children. Front Pediatr. 2021;8:616151.
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