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Palliative Care für Kinder
In der Schweiz noch keine Selbstverständlichkeit
Schwerpunkt
Während sich die Palliativmedizin für Erwachsene meist auf die letzten Lebensmonate und die Sterbephase eines Menschen bezieht, ist die Lebensspanne von Kindern, die palliativer Versorgung bedürfen, wesentlich grösser. Die Kinder werden nicht nur in der Sterbephase, sondern häufig während vieler Jahre betreut.
Sie betreue heute noch Jugendliche, die 2008 erstmals am Universitäts-Kinderspital Zürich aufgenommen wurden, sagte PD Dr. med. Eva Bergsträsser und illustrierte damit einen wichtigen Unterschied der Palliative Care für Kinder im Vergleich mit Erwachsenen. Ihre Patienten seien oft keine Kinder in der Sterbephase, sondern Kinder, die eine besondere Betreuung und Begleitung benötigten. Zu den wesentlichen Unterschieden zwischen der Palliative Care für Kinder im Vergleich mit Erwachsenen gehören die folgenden Punkte: • Palliative Care beginnt bei Kindern früher und dauert
häufig länger; sie erfolgt parallel zu kurativen Behandlungsversuchen. • Der Anteil neurologisch erkrankter Kinder und Jugendlicher ist hoch. • Erbkrankheiten spielen eine grosse Rolle, davon können auch die Geschwister betroffen sein. • Das Kind entwickelt sich trotz seiner Erkrankung im Rahmen seiner Möglichkeiten weiter und muss gefördert werden. • Es geht nicht nur um den einzelnen Patienten, sondern immer um die ganze Familie, und die Trauerbegleitung spielt eine grosse Rolle.
«Wir versuchen, Familien auf das Schlimmste vorzubereiten, nämlich auf das Sterben des Kindes, und gleichzeitig Raum zu schaffen für das Leben des Kindes und das Leben zu feiern», fasste Bergsträsser das Prinzip der Palliative Care für Kinder zusammen.
Versorgung in der Schweiz
Aufgrund epidemiologischer Daten aus anderen europäischen Ländern schätze man, dass zirka 10 000 Kinder in der Schweiz einer palliativmedizinischen Versorgung bedürften, diese aber nur für weniger als 10 Prozent der Betroffenen tatsächlich erfolge, sagte Bergsträsser. Die restlichen 90 Prozent würden zwar auch betreut, aber auf Dauer «nicht am richtigen Ort», fügte sie auf Anfrage
hinzu. Besser geeignet als Intensivstationen und Spitäler seien in vielen Fällen heilpädagogische Langzeitinstitutionen, wie anhand eines Fallb eispiels deutlich wurde. In der Schweiz gab es 2022 insgesamt 7 Palliative-CareTeams für Kinder in Basel, Bern, Lausanne, St. Gallen, Zürich, Aarau und Genf (seit der Auflösung des Teams in Aarau sind es zurzeit nur noch 6 Teams). Die Teams in Lausanne, St. Gallen und Zürich sind rund um die Uhr an allen Tagen der Woche erreichbar. Von 5 Teams liegen für 2022 Daten über die Anzahl der betreuten Kinder und Jugendlichen vor, nämlich für Basel (60 Patienten in 2022), Bern (40), Lausanne (80), St. Gallen (150) und Zürich (184). Diese Teams führen auch Hausbesuche durch.
Vernetzung und künftige Projekte
Die Möglichkeit zur Vernetzung von Fachpersonen und Institutionen in der pädiatrischen Palliative Care in der Schweiz bietet das «Paediatric Palliative Care Network CH» (s. Link). In der Schweiz gibt es zurzeit 3 Initiativen für Kinderhospize, deren Projekte unterschiedlich weit fortgeschritten sind. In Bern wird noch umgebaut (Stiftung allani, geplante Eröffnung Winter 2023/24), das Kinderhospiz Zürich-Fällanden soll Ende 2025 fertig sein, und in Basel wurde ein Antrag auf Baugenehmigung eingereicht. Nach wie vor sei die Aus-, Weiter- und Fortbildung für pädiatrische Palliative Care ungenügend, ebenso die Finanzierung, bemängelte Bergsträsser die Situation in der Schweiz. Aber – und hier zeigte sich die Referentin optimistisch – man könnte gemeinsam kreativ und mutig innovative Lösungen für diese Kinder und deren Familien schaffen: «Kinder brauchen innovative Versorgungsstrukturen im häuslichen, ambulanten, stationären, heilpädagogischen und im Langzeitbereich.»
Renate Bonifer
Plenarsession 2: Palliativ Care bei Kindern in der Schweiz – noch keine Selbstverständlichkeit. Jahresversammlung pädiatrie schweiz am 16. Juni 2023 in Interlaken.
PD Dr. med. Eva Bergsträsser https://www.rosenfluh.ch/qr/ppcn
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