Transkript
Schwerpunkt
Obstruktion der Atemwege als Ursache chronischer Schläfrigkeit
Angesichts der Spontanheilungstendenz im Kindesalter kann bei ansonsten gesunden Kindern ohne Risikofaktoren bei Verdacht auf eine obstruktive Ventilationsstörung (OSAS) einige Monate abgewartet und die Symptomatik dann reevaluiert werden. Als Screeningtool bei unklaren Fällen können eine Pulsoxymetrie oder Polygrafie zu Hause nützlich sein. Der Goldstandard zur Diagnose des OSAS bleibt aber die Polysomnografie im Schlaflabor. Bei bestätigtem, behandlungsbedürftigem OSAS wird in erster Linie eine Adeno-/ Tonsillektomie durchgeführt.
Von Philip Engi, Anja Jochmann und Daniel Trachsel
D ie respiratorisch bedingte chronische Schläfrigkeit ist Ausdruck einer ungenügenden Schlafqualität, welche sich über häufige Arousals mit entsprechender Schlaffragmentierung erklärt. Die Arousals können im Kindesalter typischerweise auch subkortikal ohne objektives Aufwachen erfolgen, haben aber ebenso ungünstige Auswirkungen auf die Schlafqualität. Sie können auch Parasomnien zugrunde liegen. Respiratorische Ursachen einer chronischen Schläfrigkeit sind im Kindes- und Jugendalter seltener als nicht re spiratorische; vielleicht werden sie gerade deshalb häufig unterschätzt beziehungsweise unterdiagnos tiziert. Dies trifft insbesondere Kinder mit psycho motorischer Entwicklungsretardierung, welche auch prädestiniert sind für behaviorale oder chronobiologische Schlafstörungen. Respiratorische Störungen können sowohl obstruktiv als auch zentral bedingt sein, wobei zentrale Ereignisse nicht zu Dyspnoe und viel seltener zu Weckreaktionen führen und deshalb auch besser toleriert werden. Auch untere Atemwegsobstruktionen, das heisst eine nächtliche Asthmaaktivität, können zu einer gestörten Nachtruhe führen. Dieser Beitrag wird sich auf die obstruktiven Ventilationsstörungen im Schlaf beschränken. Schätzungen gehen von einer Inzidenz der primären Rhonchopathie im Kindesalter von 8 bis 10 Prozent und des obstruktiven Schlafapnoesyndroms (OSAS) von 1 bis 3 Prozent aus, wobei der Häufigkeitsgipfel im Vor schulalter liegt (1–4). Am häufigsten tritt ein OSAS bei adenotonsillärer Hypertrophie auf. Das trifft bis zum Ende des Primarschulalters auch für übergewichtige Kinder mit OSAS zu; erst mit der Adoleszenz gewinnen Fettdepositionen und der parapharyngeale Gewebedruck pathogenetisch an Bedeutung. Es gibt aber Patientengruppen mit einem deutlich erhöhten Risiko der Entwicklung eines OSAS, wobei hauptsächlich anatomisch-strukturelle und neuromuskulär-funktionelle Eigenschaften ausschlagg ebend sind.
Wie erfassen wir ein OSAS?
Wie meist im klinischen Alltag stellen die präzise Erfassung der Symptome und des bisherigen Verlaufs sowie eine gute körperliche Untersuchung die wesentlichen Elemente der Diagnose dar. Auch wenn weder die Anamnese noch der Lokalstatus ein OSAS zweifelsfrei bestätigen oder ausschliessen, spielen sie für den Zeitrahmen und die Art des weiteren Vorgehens eine entscheidende Rolle. Ein abwartendes Vorgehen über einige Monate ist bei einem Kind ohne Komorbidität häufig gerechtfertigt, wenn die Beschwerdelast keinen unmittelbaren Handlungsbedarf ergibt. Die wichtigsten Anhalts-
Kasten 1:
Klinische Symptome bei OSAS
Direkt durch die Atemwegsobstruktionen verursacht: • habituelles Schnarchen, nasale Obstruktion, chronische Mundatmung • erhöhte Atemarbeit, Einziehungen • beobachtete Atempausen, allenfalls mit Aufwachreaktionen • Hyperextensionshaltung des Kopfes
Indirekte und unspezifische Symptome: • nächtliches Schwitzen • wenig erholsamer Schlaf mit gestörter Schlafarchitektur, hieraus resultierende
Tagesmüdigkeit bis hin zu neuropsychologischen Symptomen (ADHS-Symptome, aggressives Verhalten, kognitive Defizite, schulische Schwierigkeiten) • morgendliche Kopfschmerzen • morgendliche Mundtrockenheit • nächtlicher Husten • (sekundäre) Enuresis nocturna • mangelnder Appetit, Gedeihstörung • Wachstumsverzögerung
1/23 Pädiatrie
27
Schwerpunkt
Kasten 2:
Klinische Untersuchung im Hinblick auf OSAS
Spezielles Augenmerk in der körperlichen Untersuchung: • Allgemeinzustand, Über-/Untergewicht1, Körpergrösse, halonierte Augen2 • Mundatmung, nasale Obstruktion, Facies adenoidea • mögliche orofaziale Auffälligkeiten: Mikro-/Retrognathie, Makroglossie, Malokklu-
sion (Kreuz-, Über- oder Unterbiss), hoher Gaumen, Mittelgesichtshypoplasie, Nasenseptumdeviation3 • Tonsillenhypertrophie4 • arterielle Hypertonie5
1 Bei adipösen 8- bis 11-Jährigen liegt die Inzidenz des OSAS gemäss einer amerikanischen Studie bei 13%, bei 16-bis 19-Jährigen indes bei 43% (6). Für jede BMI-Zunahme um 1 kg/m2 über der 50. Perzentile soll das OSAS-Risiko (im Adoleszentenalter) um 12% steigen (7). Moderates Übergewicht erhöht das OSAS-Risiko in der Präadoleszenz wenig, stark adipöse Kinder können jedoch bereits im Kleinkindesalter schwere nächtliche Hypoventilationen und Atemwegsobstruktionen aufweisen.
2 Die allgemeinen körperlichen Befunde sind typischerweise unspezifisch, halonierte Augen können z. B. auch bei Allergien oder bei chronischer Sinusitis beobachtet werden.
3 Bei Verdacht auf kraniofaziale Fehlbildungen ist eine spezialärztliche Beurteilung indiziert (je nach Befund und örtlicher Expertise Zahnmedizin, Kieferchirurgie, HNO, Pneumologie).
4 Zu erwähnen ist, dass nur eine mässige Korrelation zwischen der Tonsillengrösse und dem Auftreten eines OSAS besteht; insbesondere schliesst das Fehlen einer Tonsillenhypertrophie ein OSAS nicht aus (8).
5 Spätsymptom als Folge des erhöhten Sympathikotonus, welches jedoch als relevanter Risikofaktor für das in der Regel erst im Erwachsenenalter auftretende metabolische Syndrom gesehen wird.
Kasten 3:
Krankheitsbilder, die eine grosszügige Abklärung erfordern
Prioritäres Vorgehen bezüglich OSAS-Diagnostik und Therapie (adaptiert gem. ERS Task Force [9]): • Kinder unter 2 Jahren • Down-Syndrom • Prader-Willi-Syndrom • Achondroplasie • neuromuskuläre Erkrankungen (z. B. spinale Muskelatrophie, M. Duchenne),
typischerweise erst im Verlauf Auftreten eines OSAS • kraniofaziale Fehlbildungen: Pierre Robin Sequenz (Trias aus Mikrognathie,
Glossoptosis und oberer Atemwegsobstruktion*) und Syndrome mit Mittelgesichtshypoplasie • massives Übergewicht
*Hierbei empfiehlt sich die Suche nach typischen Begleiterscheinungen/-fehlbildungen. Nebst gastrointestinalen und pulmonalen Anomalien sind bei Kindern mit Pierre-Robin-Sequenz vor allem zentralnervöse und kardiale Anomalien mit einer deutlich erhöhten Mortalität vergesellschaftet. Sie sollen bei der initialen diagnostischen Aufarbeitung gesucht werden (10).
punkte in der Anamnese und der körperlichen Unter suchungen sind in Kasten 1 und 2 festgehalten. Unmittelbar können Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität und Aggressivität beziehungsweise eine emotionale Instabilität sowie eine verminderte Aufmerksamkeitsspanne oder ein abnehmendes Interesse an täglichen Aktivitäten auftreten, wobei von der für das Erwachsenenalter typischen Tagesmüdigkeit nur bei etwa einem Viertel der Kinder berichtet wird. Als mögliche Spätfolgen eines OSAS bei Kindern stehen im Kindesalter kognitive Defizite sowie Verhaltensprobleme und schulische Schwierigkeiten im Vordergrund, während eine Gedeihstörung, ein metabolisches Syndrom oder eine manifeste kardiale Belastung selten sind (5).
Bei gewissen Krankheitsbildern besteht eine deutlich erhöhte Gefahr der Entwicklung einer schlafassoziierten Atemstörung, das heisst sowohl einer relevanten zentralen Atemdysregulation als auch eines OSAS. Bei diesen Kindern gilt die Abklärung einer Atemstörung im Schlaf, insbesondere eines OSAS, in der Betreuung als prioritär; sie soll sich deshalb nicht ausschliesslich auf die anamnestische Angabe von Beschwerden stützen (9). Wichtige betroffene Krankheitsbilder sind im Kasten 3 aufgelistet.
Verdacht auf OSAS: Wie weiter?
Etablieren einer Verdachtsdiagnose: Anamnese und klinische Untersuchung (Kasten 1 und 2) erlauben es nicht, ein OSAS zuverlässig nachzuweisen oder ausschliessen (11). Keiner der unterschiedlichen Fragebögen zur Unterscheidung von einfachem Schnarchen und OSAS hat sich bisher durchgesetzt (12, 13). In einer 2021 publizierten Metaanalyse hat sich der SRBD-PSQ-Fragebogen als zuverlässigster erwiesen mit einer Sensitivität von 76 Prozent und einer Spezifität von 43 Prozent (14). Das bedeutet aber, dass auch dieser Fragenkatalog jedes vierte Kind mit OSAS verpasst und jedes zweite erfasste Kind gar kein OSAS hat. In den untersuchten Populationen mit zirka 30 Prozent OSAS-Kindern lag der positiv prädiktive Wert bei etwa 30 Prozent, der negative prädiktive Wert bei rund 75 Prozent (14). Nicht selten bringen besorgte Eltern heutzutage Tonoder Videoaufnahmen ihrer Kinder mit. Diese lassen mitunter obstruktive Ereignisse klar erkennen, erlauben allerdings keine zuverlässige Quantifizierung. Tonaufnahmen sind zudem sehr unzuverlässig für die Unterscheidung zwischen primärem Schnarchen und einem OSAS. Es gibt nur wenige objektivierte Daten über die Aussagekraft dieser digitalen Hilfsmittel. Videoaufzeichnungen können eine Sensitivität von über 90 Prozent aufweisen, wenn die Eltern gut instruiert wurden; dies allerdings nur mit einer eingeschränkten Spezifität, weshalb mitgebrachte Aufzeichnungen mit entsprechendem Vorbehalt als wertvolle Ressource betrachtet werden können (15, 16).
Sind weiterführende Untersuchungen notwendig?
Ob eine weitergehende Diagnostik angezeigt ist, hängt von der Beschwerdelast für das Kind und die ganze Familie sowie von der Prognose ab, das heisst der Aussicht auf eine Spontanheilung. Ein proaktives Vorgehen empfiehlt sich auf jeden Fall bei einer erheblichen Störung der Schlafqualität und Nachtruhe und bei Kindern, bei denen ein OSAS als prioritär betrachtet wird (Kasten 3) (9). Kinder mit erheblichen Verhaltensauffälligkeiten oder Symptomen, welche an ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom erinnern, sollen ebenfalls grosszügig abgeklärt werden, da ein OSAS entsprechende Symptome imitieren kann. Letztlich lohnt sich ein exspektatives Prozedere auch bei Kindern weniger, deren Aussicht auf Spontanheilung geringer ist (Kasten 4). Bei allen anderen, sonst gesunden Kindern kann der Spontanverlauf über 6 bis 9 Monate beobachtet und in dieser Zeit vorderhand meist auch auf weiterführende Untersuchungen verzichtet werden. Obwohl keine objektivierten longitudinalen Daten zu den schlafassoziierten Atemstörungen im Kleinkindesalter vorliegen, gilt die
28
Pädiatrie 1/23
Schwerpunkt
Spontanheilungsrate in dieser Alterskategorie als recht hoch (19). Zudem haben auch Studien über die häufig angesprochenen negativen Auswirkungen auf die neurokognitive Entwicklung im Vorschulalter wenig harte Fakten geliefert. Je nach Studie waren meist keine oder nur einige wenige, aber unterschiedliche Domänen betroffen (20). Robuster ist die Datenlage bei älteren Kindern. Eine Spontanheilung bei 5- bis 9-Jährigen wurde bei 46 Prozent der Kinder innert 6 Monaten beobachtet (21), zwischen dem Primarschul- und dem Teenageralter haben gar bis zu 90 Prozent der sonst gesunden Studien teilnehmenden die Symptomatik verloren (6). Mit einer umgekehrten Entwicklung, also einer Zunahme der OSAS-Prävalenz, muss bei übergewichtigen Kindern gerechnet werden (6, 22).
Kasten 4:
Krankheitsbilder mit erhöhter Wahrscheinlichkeit der Persistenz eines OSAS
• Übergewicht und steigende BMI-Perzentile • signifikante OSAS-Symptomatik (üblicherweise mit einem AHI-Index > 5/Stunde
assoziiert) • Tonsillenhypertrophie Grad III bis IV • Fazies adenoidea, enger Gaumen* • afrikanische Ethnie • männliches Geschlecht (geringer Effekt) • positive Familienanamnese (7)
adaptiert gem. ERS Task Force (9), AHI: Apnoe-/Hypopnoe-Index
Untersuchungsmethoden
Ambulante diagnostische Methoden, wie die Heim pulsoxymetrie oder -polygrafie haben eine niedrige Sensitivität (67%) und Spezifität (60%) für die Diagnose eines OSAS (23). Nachteile der Polygrafie bestehen darin, dass im Gegensatz zur Polysomnografie (PSG) «micro arousals», welche ohne Hypoxämie vorkommen können und zu einer Schlaffragmentierung führen, nicht erfasst werden (24). Ein OSAS führt typischerweise zu Clustern wiederholter Desaturationen. Mehr als 2 Cluster mit Desaturationen um mindestens 4 Prozent und mehr als 2 Desaturationen unter 90 Prozent über eine Beobachtungszeit von 6 Stunden haben einen relativ hohen positiven prädiktiven Wert für das Vorliegen eines moderaten oder schweren OSAS (sog. McGill-Kriterien). Dieses Muster mag mitunter genügen, um weitere Schritte einzuleiten. Kinder können jedoch obere Luftwegsobstruktionen durch Lagewechsel, Kopfübertrecken oder Tonuserhöhungen rasch kompensieren, bevor es zu einer Desaturation kommt (25). Deshalb macht das Fehlen von Desaturationen eine zumindest mittelschwere schlafassoziierte obstruktive Atemstörung zwar unwahrscheinlich, kann ein be handlungsbedürftiges OSAS aber nicht ausschliessen. Sättigungsabfälle können jedoch auch durch Bewegungsartefakte entstehen und so zu einem erhöhten Entsättigungsindex (oxygen desaturation index, ODI) beitragen. Bei der Heimpolygrafie ist häufig unklar, wann das Kind wach ist und wann es schläft. Informationen über die Schlafstadien oder die Körperposition, in denen das Kind allfällige Obstruktionen der Atemwege hat, können nicht gewonnen werden. Erfahrungsgemäss gehen im Heimsetting die nasale Flowsonde und das Pulsoxymeter im Laufe der Nacht häufig verloren, und sie werden nicht wieder angebracht. Die Pulsoxymetrie kann als Screeningmethode in einem ersten Schritt, nicht zuletzt aufgrund der hohen Kosten und der eingeschränkten Verfügbarkeit der PSG, verwendet werden (26). Zumindest bei Kindern mit erhöhtem OSAS-Risiko, bei Übergewichtigen und bei Kindern unter 3 Jahren wird zur Bestätigung jedoch eine PSG empfohlen. Die PSG ist der Goldstandard zur Diagnose eines OSAS. Hier können mittels kontinuierlichem EEG-Monitoring die Schlafstadien analysiert sowie etwaige epileptische Potenziale beobachtet werden. Die Video- und Audioaufzeichnung erlaubt eine umfassende Beurteilung der respiratorischen Situation, inklusive kurzer obstruktiver
*Bei Fazies adenoidea (englisch: long face syndrome) ist wahrscheinlich ebenfalls ein proaktives Vorgehen zu empfehlen. Die Pathogenese ist nicht vollständig geklärt, zumal weniger als 50% der Kinder mit einem OSAS betroffen sind. Eine Hypotonie der fazialen Muskulatur spielt als Folge oder primär eine Rolle. Die Fazies adenoidea ist assoziiert mit Malokklusionen, bei chronischer Mundatmung auch mit einer verschlechterten Mundhygiene und nicht zuletzt auch mit einem sozialen Stigma (17). Der Ausdruck «mouthbreather» wird in den USA seit den 1940er-Jahren umgangssprachlich als Verunglimpfung verwendet und soll jemanden als minder intelligent darstellen. Studien haben gezeigt, dass eine Therapie, das heisst eine Adenoidektomie, gegebenenfalls mit Tonsillektomie, orthodontischen Massnahmen oder Logopädie, die Entwicklung der Fazies adenoidea günstig beeinflussen und im Vorschulalter potenziell auch revertieren kann (18). Diesem Umstand und den sozialen Implikationen sollte zumindest bis ins Kindergartenalter Beachtung geschenkt werden.
Apnoen ohne begleitende Desaturationen, welche die Schlafarchitektur stören. Nächtliche Ereignisse, die nicht respiratorisch bedingt sind, wie eine epileptische Aktivität oder Parasomnien, können ebenfalls dokumentiert werden (25). In der Diagnostik des OSAS wird der Apnoe-/Hypopnoe-Index (AHI), welcher die Anzahl der Apnoen und Hypopnoen pro Zeiteinheit angibt, verwendet. Ein Wert an obstruktiven Apnoen oder Hypopnoen grösser als 1 gilt im Kindesalter bereits als pathologisch, wobei die Relevanz eines leicht erhöhten Werts unklar bleibt, zumal es Überlappungen zu Gesunden gibt. Ein AHI von 5 bis 10/Stunde bezeichnet ein mittelschweres OSAS, ein AHI > 10/Stunde ein schweres OSAS. In der Erwachsenen medizin gilt erst ein AHI-Wert über 5/Stunde als pathologisch und ein AHI-Wert über 30/Stunde als schwer. Der Therapieentscheid hängt massgeblich von der Schwere des OSAS ab.
Was tun bei einem behandlungsbedürftigen OSAS?
Gewisse lebenshygienische Massnahmen sind je nach Risikoprofil zu empfehlen, zum Beispiel eine Gewichtsabnahme bei Übergewicht, Sistieren der aktiven oder passiven Rauchexposition, eines allfälligen Alkohol- oder Kaffeekonsums sowie der Einnahme potenziell sedierend wirkender Medikamente oder Drogen. Bei Hinweisen auf eine Adenoidhyperplasie wird häufig eine probatorische Therapie mit einem topischen nasalen Glukokortikoid angesetzt. Allerdings bestehen dafür, wie auch für die Behandlung mit Leukotrienrezeptorantagonisten (LTRA), keine guten Daten, welche die Effektivität bei der Behandlung eines OSAS belegen würden. Bei bestätigtem, behandlungsbedürftigem OSAS wird in erster Linie eine Adeno-/Tonsillektomie durchgeführt. Eine Besserung des AHI wird bei fast allen Patienten beobachtet, zu einem vollständigen Rückgang kommt es je
1/23 Pädiatrie
29
Schwerpunkt
nach Schweregrad aber nicht bei allen Kindern. Bei mildem OSAS (AHI< 5/Stunde) kann in zirka zwei Drittel der Fälle und bei schwerem OSAS (AHI > 10/ Stunde) in zirka einem Drittel der Fälle mit einer Heilung gerechnet werden, wobei moderates Übergewicht die Erfolgsrate vor der Adoleszenz kaum beinflusst (27). Bei Persistenz des OSAS ist im Weiteren eine nicht invasive Atemunterstützung, in der Regel mittels kontinuierlicher positiver Atemdrucktherapie (CPAP) zu diskutieren, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sämtliche Möglichkeiten einer definitiven alternativen Therapie inklusive orthodontischer Eingriffe evaluiert wurden beziehungsweise ausgeschöpft sind. Die Pathogenese der schlafassoziierten obstruktiven Atemwegserkrankungen ist im Kindesalter heterogen und verlangt eine differenzierte Herangehensweise. Eine CPAP-Therapie, welche im Erwachsenenalter die Therapie der ersten Wahl darstellt, voreilig und undifferenziert bei einem Kind zu installieren, ist weder kindgerecht noch medizinisch vertretbar. Die Indikationsstellung dieser Therapien soll deshalb an ausgebildete Spezialistinnen und Spezialisten übergeben werden.
Zusammenfassung
• Nebst hämatologischen, kardialen, infektiologischen und metabolischen Ursachen ist auch das OSAS eine mögliche Erklärung für eine chronische Schläfrigkeit im Kindesalter. Bei einer suggestiven Anamnese für Rhonchopathie, Apnoen oder entsprechenden Auffälligkeiten in der klinischen Untersuchung lohnt es sich, an die Differenzialdiagnose eines OSAS zu denken.
• Da das OSAS im Kindesalter eine Spontanheilungstendenz zeigt, kann bei einem sonst gesunden Kind ohne Risikofaktoren für eine Persistenz und ohne Grund erkrankung einige Monate abgewartet und die Symptomatik dann reevaluiert werden.
• Als Screeningtool bei unklaren Fällen kann eine Pulsoxymetrie oder Polygrafie zu Hause durchgeführt werden. Der Goldstandard zur Diagnose des OSAS bleibt aber die PSG im Schlaflabor.
• Insbesondere Kinder unter 2 Jahren oder solche mit syndromalen Erkrankungen, die eine Einengung der oberen Atemwege begünstigen, sowie Kinder, die unter einer neuromuskulären Erkrankung leiden, sollen prioritär behandelt und in einem Schlaflabor abgeklärt werden.
• Devices für zu Hause, welche ein EEG ableiten und eine Schlafstadieneinteilung sowie Arousalerkennung im ambulanten Setting ermöglichen würden, sind in Entwicklung und Gegenstand klinischer Studien.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Daniel Trachsel Pädiatrische Pneumologie und Intensivmedizin Universitäts-Kinderspital beider Basel UKBB Spitalstrasse 33 4056 Basel E-Mail: daniel.trachsel@ukbb.ch
Literatur: 1. Brockmann PE et al.: Prevalence of habitual snoring and associated neurocognitive consequences among Chilean school aged children. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2012;76:1327-1331. 2. Erickson BK et al.: Changes in incidence and indications of tonsillectomy and adenotonsillectomy, 1970-2005. Otolaryngol Head Neck Surg. 2009;140:894-901. 3. O'Brien LM et al.: Neurobehavioral implications of habitual snoring in children. Pediatrics. 2004;114:44-49. 4. Rosen CL et al.: Prevalence and risk factors for sleep-disordered breathing in 8- to 11-year-old children: association with race and prematurity. J Pediatr. 2003;142:383389. 5. Katz ES et al.: Growth after adenotonsillectomy for obstructive sleep apnea: an RCT. Pediatrics. 2014;134:282-289. 6. Spilsbury JC et al.: Remission and incidence of obstructive sleep apnea from middle childhood to late adolescence. Sleep. 2015;38:23-29. 7. Redline S et al.: Risk factors for sleep-disordered breathing in children. Associations with obesity, race, and respiratory problems. Am J Respir Crit Care Med. 1999;159:1527-1532. 8. Nolan J, Brietzke SE: Systematic review of pediatric tonsil size and polysomnogram-measured obstructive sleep apnea severity. Otolaryngol Head Neck Surg 2011;144:844-850. 9. Kaditis AG et al.: Obstructive sleep disordered breathing in 2- to 18-year-old children: diagnosis and management. Eur Respir J. 2016;47:69-94. 10. Costa MA et al.: Robin sequence: mortality, causes of death, and clinical outcomes. Plast Reconstr Surg. 2014;134:738-745. 11. Brietzke SE, Katz ES, Roberson DW: Can history and physical examination reliably diagnose pediatric obstructive sleep apnea/hypopnea syndrome? A systematic review of the literature. Otolaryngol Head Neck Surg. 2004;131:827-832. 12. Chervin RD et al.: Pediatric sleep questionnaire: prediction of sleep apnea and outcomes. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2007;133:216-222. 13. Montgomery-Downs HE et al.: Snoring and sleep-disordered breathing in young children: subjective and objective correlates. Sleep. 2004;27:87-94. 14. Incerti Parenti S et al.: Diagnostic accuracy of screening questionnaires for obstructive sleep apnea in children: A systematic review and meta-analysis. Sleep Med Rev. 2021;57:101464. 15. Sivan Y, Kornecki A, Schonfeld T: Screening obstructive sleep apnoea syndrome by home videotape recording in children. Eur Respir J. 1996;9:2127-2131. 16. Thomas RJ et al.: Smartphone videos to predict the severity of obstructive sleep apnoea. Arch Dis Child. 2022;107:148-152. 17. Harari D et al.: The effect of mouth breathing versus nasal breathing on dentofacial and craniofacial development in orthodontic patients. Laryngoscope. 2010;120:20892093. 18. Mattar SE et al.: Changes in facial morphology after adenotonsillectomy in mouth-breathing children. Int J Paediatr Dent. 2011;21:389-396. 19. Bonuck KA et al.: Prevalence and persistence of sleep disordered breathing symptoms in young children: a 6-year population-based cohort study. Sleep. 2011;34:87584. 20. Biggs SN et al.: Long-Term Cognitive and Behavioral Outcomes following Resolution of Sleep Disordered Breathing in Preschool Children. PloS one. 2015;10:e0139142. 21. Marcus CL et al.: A randomized trial of adenotonsillectomy for childhood sleep apnea. N Engl J Med. 2013;368:2366-2376. 22. Chan KC et al.: How OSA Evolves From Childhood to Young Adulthood: Natural History From a 10-Year Follow-up Study. Chest. 2019;156:120-130. 23. Kirk VG et al.: Comparison of home oximetry monitoring with laboratory polysomnography in children. Chest. 2003;124:1702-1708. 24. Brouillette RT et al.: Nocturnal pulse oximetry as an abbreviated testing modality for pediatric obstructive sleep apnea. Pediatrics. 2000;105:405-412. 25. Trachsel D, Datta AN: [Sleep-Disordered Breathing in Childhood]. Praxis 2019;108:97-102. 26. Kaditis A, Kheirandish-Gozal L, Gozal D: Pediatric OSAS: Oximetry can provide answers when polysomnography is not available. Sleep Med Rev. 2016;27:96-105. 27. Bhattacharjee R et al.: Adenotonsillectomy outcomes in treatment of obstructive sleep apnea in children: a multicenter retrospective study. Am J Respir Crit Care Med. 2010;182:676-683.
Interessenlage: Die Autoren erklären, das keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag bestehen.
30
Pädiatrie 1/23