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Schwerpunkt
Immer schläfrig oder müde?
Ein Leitfaden für die Abklärung in der Kinderarztpraxis
Wenn Kinder oder Jugendliche häufig schläfrig oder müde sind, können viele Ursachen dafür verantwortlich sein. In diesem Beitrag werden spezifische Phänotypen vorgestellt, anhand derer in der Praxis rasch erkannt werden kann, um welches Problem es sich im individuellen Fall handelt. Ein praktischer Algorithmus hilft darüber hinaus bei dem Entscheid, ob eine Zuweisung an ein spezialisiertes Zentrum notwendig ist oder nicht.
Von Alexandre N. Datta
Schläfrigkeit und Müdigkeit sind in der Gesamtbevölkerung, aber auch im Kindes- und Jugendalter häufige Phänomene, auch wenn bei einem grossen Teil der Betroffenen nicht unbedingt von einer Störung mit relevantem Einfluss auf den Alltag, sondern vielmehr von einem transitorischen Problem ausgegangen werden kann. Die Begriffe Schläfrigkeit und Müdigkeit werden zwar im Volksmund oft gleichgesetzt, aber sie bedeuten nicht dasselbe und müssen deutlich voneinander abgegrenzt werden.
Schläfrigkeit
Schläfrigkeit bedeutet per Definition die Schwierigkeit, ein
adäquates Niveau an Wachheit aufrechtzuerhalten. Davon
betroffene Kinder und Jugendliche weisen eine Hypersom-
nolenz mit imperativem Schlafdrang und eine vermehrte
Schläfrigkeit mit nicht kontrollierbarem Schlafdrang auf,
und sie schlafen in inadäquaten Momen-
Schläfrigkeit und Müdigkeit sind nicht dasselbe.
ten und an inadäquaten Orten ein. Die Prävalenz einer vorübergehenden vermehrten Schläfrigkeit ist relativ verbrei-
tet. Sie wird im präpubertalen Alter auf
10 bis 20 Prozent und in der Adoleszenz auf 16 bis 47
Prozent geschätzt (1, 2).
Je nach Ursache kann sie einer von vier Gruppen zugeteilt
werden (siehe Kasten):
• ungenügende Schlafdauer bzw. Schlafdeprivation
• Fragmentierung des Schlafs
• zirkadiane Phasenverschiebung
• Erkrankung mit erhöhtem Schlafbedarf.
Schläfrigkeit wegen zentraler Hypersomnolenzen
Schläfrigkeit aufgrund einer Erkrankung mit erhöhtem Schlafbedarf ist sehr selten. Sie ist der Gruppe der zentralen Hypersomnolenzen zuzuordnen, von denen die Narkolepsie die bekannteste ist. Die Prävalenz der zentralen Hypersomnolenzen liegt in einem Bereich von 0,05 Prozent in Europa und 0,18 Prozent in Japan; die Inzidenz liegt in der Kindheit und Adoleszenz bei 1:100 000 Personenjahre (3, 4).
Es gibt verschiedene Formen zentraler Hypersomnolenzen. Dazu gehören zwei Formen der Narkolepsie (Typ 1 und Typ 2), die idiopathische Hypersomnie und die periodische Hypersomnolenz/Hypersomnie wie beim Kleine-Levin-Syndrom. Bei der Narkolepsie Typ 1 kommt es zu einer inkonsistenten Ausschüttung von die Wachheit fördernden Neurotransmittern und insbesondere zu einer eingeschränkten bis fehlenden Produktion des Wachheitshormons Orexin, wobei von einer noch nicht völlig geklärten immunologischen Ursache auf dem Boden einer genetischen Prädisposition ausgegangen wird (4). Besondere Beachtung sollte möglichen, mit der Narkolepsie Typ 1 assoziierten Symptomen geschenkt werden, wie zum Beispiel den Kataplexien. Durch Emotionen getriggert kommt es bei der Kataplexie zu einem Tonusverlust, der durch eine verminderte Aktivität von REM-Schlaf-kontrollierenden Regionen und eine erhöhte Aktivität von Neuronen, welche die REM-SchlafAtonie fördern, zustande kommt (4). Dabei ist zu beachten, dass Kataplexien bei Kindern und Jugendlichen eine sehr diskrete Symptomatik haben können: Ein Erschlaffen der Gesichtsmuskulatur, ein Öffnen des Mundes mit Herausfallen der Zunge, eine vorübergehende Ptose oder ein nach vorne Fallen des Kopfes können im Alltag oft fehlgedeutet und nicht als Kataplexien erkannt werden, was die weitere Diagnostik und damit die Therapie verzögern kann (5). Zur Behandlung bei Narkolepsie gibt es eine Reihe von Medikamenten, welche die diversen Symptome erfolgreich minimieren können (6), wenngleich die Evidenz im Kindesalter durch fehlende Studien eingeschränkt ist. Zentrale Hypersomnolenzen müssen im Schlaflabor abgeklärt werden. Sie sind behandelbar, gehören aber in die Hände von Spezialisten für pädiatrische Schlafmedizin. Es wird in der Regel eine Aktigrafie durchgeführt, um ein verzögertes Schlafphasensyndrom oder eine ungenügende Schlafdauer auszuschliessen. Anschliessend erfolgt eine nächtliche Polysomnografie (PSG), um sicherzustellen, dass keine anderen Ursachen den Schlaf stören, wie zum Beispiel schlafassoziierte Atemstörungen. Am Folgetag finden Multiple-Sleep-Latency-Tests (MSLT)
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Kasten:
Differenzialdiagnosen bei vermehrter Schläfrigkeit
Ungenügende Schlafdauer • Insomnie, Ein- und Durchschlafschwierigkeiten (behaviorale Einschlafstörung,
Bettresistenzprobleme, Schlafhygieneprobleme, Restless-Legs-Syndrom [RLS] mit Einschlafschwierigkeiten, psychiatrische Störung)
Fragmentierter Schlaf • behavioral (Einschlafschwierigkeiten) • schlafassoziierte Atemstörung (obstruktive Schlafapnoe, Upper-Airways-
Resistance-Syndrom, zentrale Schlafapnoe) • schlafassoziierte Bewegungsstörung (RLS, periodische Beinbewegungen mit
Arousals, Bruxismus, head banging/body rocking) • Grunderkrankung, die den Schlaf unterbricht (Asthma, atopische Dermatitis oder
andere Hauterkrankung, Epilepsie mit nächtlichen Anfällen, Zystische Fibrose, gastroösophagealer Reflux) • von der Umgebung ausgehende Störungen (Lärm, Co-Sleeping)
statt, die nach erholsamem nächtlichen Schlaf in mehreren Durchläufen die Einschlaflatenz bei Dunkelheit messen, welche bei der Narkolepsie und bei der idiopathischen Hypersomnie unter 8 Minuten liegt und für die Narkolepsie Typ 1 und 2 typischerweise mindestens 2 frühe Übergänge in ein REM-Schlafstadium aufweist (6).
Screening-Fragebögen für die Praxis
Fragebögen zur Erfassung der typischen Symptome der Schläfrigkeit existieren in unterschiedlicher Ausführlichkeit und Spezifität. Für die Schläfrigkeit eignet sich am besten die Epworth Sleepiness Scale für Kinder und Jugendliche (7); ausführlichere Schlaffragebögen wie die Sleep Disturbance Scale for Children (SDSC) (8) und der Children’s Sleep Habit Questionnaire (CSHQ) (9) sind Alternativen. Im Alltag ist jedoch der von Owens kreierte BEARS-Fragebogen von grossem Wert, weil sich damit in kurzer Zeit alle wichtigen Pathologien rund um den kindlichen Schlaf detektieren lassen (9, 10) (Tabelle 1).
Zirkardiane Störung
Vermehrte Schläfrigkeit hat viele Gesichter
• zirkardiane Rhythmusstörung (Verzögertes-Schlafphasen-Syndrom,
Eine vermehrte Schläfrigkeit äussert sich je nach Alter des
kein 24-Stunden-Schlaf-Wach-Rhythmus)
Kindes ganz unterschiedlich. Statt schläfrig zu wirken und
oft zu gähnen, können die Kinder auch primär unruhig,
Erhöhtes Schlafbedürfnis • neurologische Störung (Schädel-Hirn-Trauma, intrakranielle Druckerhöhung) • Hypersomnolenz: temporär (medikamentös), periodisch (Kleine-Levin-Syndrom)
oder permanent (Narkolepsie Typ 1 und 2, idiopathische Hypersomnie, hypo- thalamische Läsionen [Astrozytome, Kraniopharyngeome, traumatisch, vaskulär], angeborene Störungen [z. B. Prader-Willi-Syndrom])
adaptiert nach (2)
ruhelos, hyperaktiv, emotional labil oder aggressiv sein und in der Schule durch ihr Verhalten auffallen. Ebenso ist es möglich, dass schläfrige Kinder vor der Pubertät sehr ruhig, aber nicht bei der Sache sind; sie fallen in der Schule und im Alltag kaum auf. Tagesschläfrigkeit kann auch durch Phänomene entstehen, die den Schlaf in seiner Kontinuität stören. Dazu gehören obstruktive Schlafapnoen oder das Upper-Air-
way-Resistance-Syndrom oder häufig auf-
tretende Parasomnien und periodische
Beinbewegungen, welche zu vermehrten
Arousals führen, sowie viele andere Er-
krankungen, wie Asthma mit nächtlichem
Husten, Hauterkrankungen mit nächtli-
chem Juckreiz oder gastroösophagealer
Reflux (s. Kasten).
Eine ungenügende Schlafdauer ist eben-
falls eine mögliche Ursache. Altersab
hängige Normwerte für Kinder und
Jugendliche wurden von der amerikani-
schen Gesellschaft für Schlafmedizin defi-
niert (Tabelle 2).
Da bei diesen Normwerten eine grosse in-
dividuelle Variabilität besteht, ist es wich-
tig, den individuellen Schlafbedarf des
Kindes herauszufinden. Das gelingt in der
2. oder 3. Ferienwoche am besten, nach-
dem ein anstehender Schlafmangel kom-
pensiert werden konnte. Zudem ist ent-
scheidend, den Chronotyp des Kindes
oder Jugendlichen zu definieren, um die
richtigen Massnahmen für eine erfolgrei-
che Verbesserung des Schlafs zu treffen.
Einerseits können unbehandelte Schlaf
Abbildung 1: Hauptkategorien und Phänotypen von Schläfrigkeit und Müdigkeit; Erläuterungen zu
probleme, assoziiert mit vermehrter
den verschiedenen Profilen sowie Angaben zu den jeweils indizierten Abklärungen sind im Abschnitt Tagesschläfrigkeit, auf Dauer Verhaltens-
«Phänotypen von Schläfrigkeit und Müdigkeit» zu finden; OSAS: Obstruktives Schlafapnoesyndrom; probleme, Stimmungsschwankungen, de-
EBV: Epstein-Barr-Virus.
pressive Verstimmungen, Affektdysregula-
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tionen, neurokognitive Störungen und ein erhöhtes Risiko für Alkoholabhängigkeit und andere Suchterkrankungen zur Folge haben (11, 12). Andererseits kann Schlafmangel, der zu Tagesschläfrigkeit führt, auf Dauer das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes Typ 2, einer Adipositas und kardiovaskulärer Dysfunktionen erhöhen (9).
Müdigkeit
Die Müdigkeit muss klar von der Schläfrigkeit differenziert werden. Müdigkeit beinhaltet Abgeschlagenheit, fehlende Energie und Motivation. Das Chronic-Fatigue-Syndrom (CFS) ist als eine über 6 Monate bestehende, beeinträchtigende Müdigkeit mit 4 oder mehr der folgenden Symptome definiert: • eingeschränkte Konzentration oder eingeschränktes
Gedächtnis • unerholsamer Schlaf • Malaise nach Anstrengung • Muskelschmerzen • neu auftretende Kopfschmerzen • Schmerzen in mehreren Gelenken • leicht geschwollene axilläre Lymphknoten (13). Das CSF muss abgegrenzt werden von Müdigkeit, welche durch Eisenmangel, Vitamin-D-Mangel, Hypothyreose, eine depressive Erkrankung oder postinfektiöse Müdigkeitssyndrome (Post-EBV- und Long-Covid-Syndrom) hervorgerufen wird. Auf diese Ursachen von Müdigkeit wird in der folgenden Charakterisierung von Phänotypen genauer eingegangen.
Phänotypen und Leitsymptome
Um die Schläfrigkeit und die Müdigkeit sowie die verschiedenen Erkrankungen als mögliche Ursachen gut differenzieren zu können, werden verschiedene Phänotypen anhand von Kardinalsymptomen beschrieben. Die Definition spezifischer Phänotypen soll deren möglichst rasche Erkennung im Praxisalltag erleichtern, um die adäquaten diagnostischen Schritte in die Wege leiten zu können und den optimalen Therapieansatz auszuwählen. Im Wesentlichen bestehen 3 Hauptkategorien, denen sich verschiedene Profile zuordnen lassen (Abbildung 1): • Hauptkategorie 1: Phänotyp «immer schläfrig» • Hauptkategorie 2: Phänotyp «zu spezifischen Zeiten
schläfrig» • Hauptkategorie 3: Phänotyp «immer müde, aber nicht
schläfrig».
Phänotyp «immer schläfrig»
Die Betroffenen können an inadäquaten Orten einschlafen und sie müssen stets gegen das Einschlafen ankämpfen. Profil 1: Typ idiopathischer Hypersomniker: Immer schläfrig. Kommt nach der Schule nach Hause, schläft, wacht für das Abendessen wieder auf, fühlt sich aber weiter nicht frisch. Geht früh zu Bett, schläft recht gut durch. Kommt morgens fast nicht aus dem Bett, fühlt sich weiter schläfrig. Die Tagesschlafphasen sind kurz oder lang und nicht erfrischend. Abklärungen: Aktigrafie, PSG, MSLT. Profil 2: Typ Narkoleptiker: Oft mit imperativem Schlafdrang, schläft an inadäquaten Orten ein, kämpft am Tag oft mit dem Einschlafen und bewegt sich darum viel. Hat Halluzinationen beim Einschlafen und Aufwachen, träumt
Tabelle 1:
Schlaffragebogen BEARS für das alltägliche Screening in der Kinderarztpraxis
2–5 Jahre
6–12 Jahre
13–18 Jahre
Bettzeit-
Hat Ihr Kind
Hat Ihr Kind
Hast Du am Abend
probleme
irgendwelche
irgendwelche
Mühe einzuschlafen?
Probleme, ins Bett
Probleme, ins Bett
zu gehen?
zu gehen?
Einzuschlafen?
Einzuschlafen?
Hast Du Probleme
einzuschlafen?
Exzessive
Ist Ihr Kind tagsüber Hat Ihr Kind Probleme, am Fühlst Du Dich
Tagesschläfrigkeit übermüdet oder
Morgen aufzuwachen,
tagsüber schläfrig?
schläfrig? Schläft
ist es tagsüber schläfrig In der Schule?
Ihr Kind immer noch oder schläft es
tagsüber?
tagsüber noch?
Fühlst Du Dich tagsüber
oft schläfrig?
Aufwachen
Wacht Ihr Kind
Wacht Ihr Kind
Wachst Du nachts oft
nachts
nachts oft auf?
nachts oft auf?
auf oder hast Du
Schlafwandelt es oder
Probleme, wieder
hat es Albträume?
einzuschlafen?
Wachst Du nachts oft
auf oder hast Du
Probleme, wieder
einzuschlafen?
Regelmässigkeit Hat Ihr Kind regel-
Wann geht Ihr Kind ins Wann gehst Du
der Schlafdauer mässige Bett- und
Bett und wann steht es normalerweise
Wachzeiten?
an Schultagen auf?
während der Schul-
Wann sind diese
Wann am Wochenende? zeit abends zu Bett?
Zeiten?
Denken Sie, dass Ihr
Wann am Wochen-
Kind lang genug schläft? ende? Wie viele
Stunden schläfst Du
normalerweise?
Schnarchen
Schnarcht Ihr Kind
Atmet Ihr Kind nachts
Schnarcht Ihr
nachts häufig oder
laut, schnarcht es oder Teenager laut?
hat es Atemprobleme? hat es irgendwelche
Atemprobleme?
Nicht kursiv: Fragen an die Eltern; kursiv: Fragen an das Kind oder den Jugendlichen; adaptiert nach (2)
Tabelle 2:
Schlafbedarf von Kindern und Jugendlichen
Säuglinge, Kleinkinder Kleinkinder Vorschulalter Schulkinder Jugendliche
Alter 4–12 Monate
1–2 Jahre 3–5 Jahre 6–12 Jahre 13–18 Jahre
Schlafbedarf 12–16 Stunden* 11–14 Stunden* 10–13 Stunden* 9–12 Stunden 8–10 Stunden
*Tagesschlafphasen eingeschlossen nach (14)
viel. Empfindet Power Naps tagsüber als erfrischend, hat nächtliche Paralysen; mit (Narkolepsie Typ 1) oder ohne Kataplexien (Narkolepsie Typ 2). Abklärungen: Aktigrafie, PSG, MSLT, ev. HLA-Typisierung, Bestimmung des Orexinspiegels im Liquor, Magnetresonanztomografie des Schädels (cMRI).
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Abbildung 2: Abklärungsalgorithmus nach Owens (2); Diagnosen sind grün hinterlegt; PSG: Polysomnografie, MSLT: Multipler Schlaflatenztest; OSAS: Obstruktives Schlafapnoesyndrom, RLS: Restless-Legs-Syndrom, PLMD: Periodic Limb Movement Disorder.
Profil 3: periodische Hypersomnie, Kleine-LevinSyndrom: Mindestens 2 wiederholte Episoden; über 2 Tage bis 5 Wochen ausgeprägte Schläfrigkeit mit mindestens 1 der folgenden Symptome: kognitive Dysfunktion, veränderte Wahrnehmung, verändertes Essverhalten, disinhibiertes Verhalten. Das Kind bzw. der Jugendliche kommt morgens nicht aus dem Bett, fühlt sich weiter schläfrig; die Tagesschlafphasen sind kurz oder lang und nicht erfrischend. Abklärungen: Aktigrafie, PSG, MSLT, ev. HLA-Typisierung, Bestimmung des Orexinspiegels im Liquor, cMRI.
Phänotyp «zu spezifischen Zeiten schläfrig»
Auch diese Patienten können an inadäquaten Orten einschlafen und sie müssen stets gegen das Einschlafen ankämpfen. Profil 4: Schlafassoziierte Atemstörung, OSAS: Am Morgen unausgeschlafen, teils wie erschlagen, mit trockenem Mund, bei Infekten sind die Beschwerden noch ausgeprägter; schnarcht auch ausserhalb des Infekts, aber nicht zwingend. Abklärung: PSG Profil 5: Typ Restless-Legs-Syndrom: Betroffene können abends nicht einschlafen, weil sie ein unangenehmes Gefühl in den Beinen verspüren; sie haben das Bedürfnis, die Beine zu bewegen, sodass sich das Einschlafen verzögert. Abklärungen: Eisen-, Ferritin- und Vitamin-D-Status.
Profil 6: Syndrom des ungenügenden Schlafs, Insomnie, Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, Bettresistenz: Kleinkind mit Ein- und Durchschlafproblemen; es steht immer wieder auf, braucht zum Einschlafen die Präsenz der Eltern. Oder: Das Kind wehrt sich gegen das Einschlafen, sucht nach Ausreden, um nicht ins Bett gehen zu müssen. Oft sind die Eltern schläfrig und erschöpft und nicht die Kinder! Profil 7: Typ Delayed-Sleep-Phase-Syndrom: Kommt morgens nicht aus dem Bett, ist dann aber ab einer gewissen Zeit fit; abends oft sehr fit, kann nicht einschlafen. Ist spätabends und nachts am wachsten und schläft tagsüber. Abklärungen: Aktigrafie, ev. Melatoninprofil. Profil 8: Hypersomnie bei Langschläfern: Fühlt sich im Alltag morgens nicht erfrischt, ist aber deutlich frischer, wenn in den Ferien länger geschlafen werden kann. Abklärungen: Evaluation des eigenen Schlafbedarfs, Aktigrafie. Profil 9: Hypersomnie bei psychiatrischen Erkrankungen: Hypersomnolenz/Hypersomnie und Müdigkeit/ Fatigue treten oft kombiniert auf; es fehlt auch an Energie und Motivation. Mehr Schlaf löst das Problem nicht. Abklärung: psychiatrische Beurteilung.
Phänotyp «immer müde, aber nicht schläfrig»
Die Betroffenen haben keine Energie, sie fühlen sich abgeschlagen und lustlos.
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Profil 10: Typ Eisenmangel: Blass, mag nicht spielen, reduziert, antriebsarm, ev. Restless-Legs-Syndrom. Abklärungen: Blutbild, Eisen-, Ferritin- und Vitamin-D-Status. Profil 11: Typ Hypothyreose: Antriebslos, Verstopfung, Blässe, verzögerte Sprachentwicklung, anfällig für Infekte; evtl. verzögertes Wachstum und verspätete Zahnbildung. Abklärungen: Bestimmung von TSH, T3 und fT4. Profil 12: Typ Post-EBV-, Post-Infekt-Syndrom: Erschöpfung, Müdigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit, Konzentrationsprobleme, Vergesslichkeit, respiratorische Symptome. Abklärungen: serologische Untersuchungen. Profil 13: Long-Covid-Syndrom: Müde, fehlende Energie, rasches Ermüden, eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen; Husten oder das Gefühl, schlecht Luft zu bekommen; Konzen trationsstörungen und eine verminderte geistige Leistungsfähigkeit.
Abklärungsalgorithmus
Einerseits erlaubt der Algorithmus von Owens (Abbildung 2) (2) eine rasche Entscheidung, ob es sich um eine exzessive Tagesschläfrigkeit (kontinuierlich oder episodisch) mit unkontrollierten Einschlafattacken handelt, die auf alle Fälle in einem spezialisierten Schlaflabor in Hinsicht auf die Gruppe der zentralen Hypersomnolenzen weiter abgeklärt werden muss. Andererseits ist er nützlich, von Anfang an medizinische oder psychiatrische Erkrankungen als Ursache der Symptomatik auszuschliessen. Am Beginn des dritten Abklärungspfads wird in dem Algorithmus nach der gesamten Schlafdauer gefragt. Ist diese altersentsprechend, könnte eine schlafassoziierte Atemstörung oder eine schlafassoziierte Bewegungsstörung Ursache der Schläfrigkeit sein. Falls die angegebene Schlafdauer nicht altersgerecht ist, stellt sich die Frage nach einem verschobenen Tag-Nacht-Rhythmus, einer Ein- oder Durchschlafstörung aufgrund von ungünstigen Ritualen und Gewohnheiten, nach einer verminderten Schlafhygiene oder nach Ängsten – Ursachen und Sym ptome, die durch entsprechende Schlafhygiene-, behavioralen oder kognitiven Massnahmen beseitigt bzw. gebessert werden können. Auch Melatonin, je nach Indikation in unterschiedlicher Verabreichung, kommt zuweilen zum Einsatz, während andere Medikamente in der Pädiatrie, bis auf die Behandlung bei zentralen Hypersomnolenzen, eine grosse Ausnahme darstellen.
Zusammenfassung
• Tagesschläfrigkeit bei Kindern und Jugendlichen kann auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein.
• Gewisse Schwierigkeiten sind entwicklungsassoziiert und lassen sich durch einfache Massnahmen wie eine Verbesserung der Schlafhygiene, ein Schlaftraining zum Erlernen des selbstständigen Einschlafens oder eine langsame Rückversetzung des Tag-Nacht-Rhythmus korrigieren, was zu einem Verschwinden der Schläfrigkeit beim Kind beziehungsweise seinen Eltern führt.
• Es gibt seltene Krankheiten, die mit einer erhöhten Schläfrigkeit und einem erhöhten Schlafbedarf einhergehen. Sie gilt es in einem spezialisierten Zentrum für pädiatrische Schlafmedizin abzuklären. Meist gelingt
es diesen Kindern und Jugendlichen, mithilfe der kor-
rekten Therapie wieder ein relativ normales Leben mit
wenigen Einschränkungen zu führen.
• Um Schlafprobleme von eigentlichen Schlafstörungen
abzugrenzen und ihrer Ursache auf den Grund zu kom-
men, sind Fragebögen wie der in diesem Artikel vor-
gestellt BEARS-Fragebogen hilfreich, um Phänotypen
der Schläfrigkeit zu identifizieren und die Abgrenzung
gegenüber Phänotypen der Müdigkeit zu ermöglichen.
• Der ebenfalls hier vorgestellte Algorithmus soll zudem
den Kolleginnen und Kollegen in der Praxis rasch Klar-
heit für den Entscheid verschaffen, welche Kinder und
Jugendliche einem spezialisierten Zentrum zugewiesen
werden müssen und welche primär in der Praxis ge-
managt werden können. Bei Unklarheiten ist es aber
immer ratsam, den Patienten in die Schlafsprechstunde
zu schicken, um die Sachlage zu beurteilen.
Korrespondenzadresse:
PD. Dr. med. Alexandre N. Datta, Leitender Arzt
Abteilungsleiter Neuro- und Entwicklungspädiatrie a.i.
Leiter Epileptologie und Elektroencephalographie (EEG)
Co-Leiter Zentrum für Schlaf- und Chronomedizin
der Basler Universitätskliniken USB, UKBB, UPK
Leiter Forschungsgruppe «pediatric epilepsy & sleep»,
Departement Klinische Forschung, Universität Basel
Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
Spitalstrasse 33
4031 Basel
E-Mail: Alexandre.Datta@ukbb.ch
Interessenlage: Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen.
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