Transkript
Topisch und systemisch
Neurodermitis multifaktoriell behandeln
Dermatologie
Angesichts der multifaktoriellen Genese und der vielfältigen Triggerfaktoren der Neurodermitis reicht ein einziges Therapieangebot nicht aus. In diesem Beitrag werden wichtige Punkte zum Einsatz von Antimykotika, Steroiden, Calcineurin-Inhibitoren und zum Biologikum Dupilumab anhand eines Fallbeispiels zusammengefasst.
Von Christiane Bayerl
Die Neurodermitis (atopisches Ekzem, atopische Dermatitis) basiert auf einem multifaktoriellen Erbgang mit Schwellenwerteffekt. Das Mikrobiom mit Staphylococcus-aureus-Überbesiedlung und der herabgesetzte Hautschutzmantel bei Filaggrindefekten sind Co-Faktoren, die den Schweregrad der Ausprägung beeinflussen. Es ist aber nicht nur die bakterielle Fehlbesiedlung, die eine Rolle spielt.
Neurodermitis an Gesicht und Nacken
Die Verteilung bei unserer Kasuistik (s. Kasten) spricht für die Head-Neck-Shoulder-Form der atopischen Dermatitis. Neben der Besiedlung liegt häufiger eine Sensibilisierung gegen Saprophyten der Spezies Malassezia, einem Hefepilz, vor. Die Sensibilisierung kann auch im Prick-Test und mit Bestimmung des spezifischen IgE nachgewiesen werden. Es werden Autoimmunphänomene induziert, die dazu führen, dass Patienten auf körpereigene Proteine kreuzreagieren und sich der Hautzustand verschlechtert. Entsprechend wird die Therapie auch mit topischen Antimykotika durchgeführt, zum Beispiel mit Ketoconazol oder Ciclopiroxolamin. Eine Therapie mit den systemischen Antimykotika Itraconazol oder Ketoconazol (in der Schweiz nicht auf dem Markt) ist ebenfalls effektiv. Die Therapien wurden nach Studienlage über ein bis zwei Monate durchgeführt.
Nässen an den Ohren
Die honiggelben Krusten sprechen für eine bakterielle Superinfektion. Reibung und Irritation durch die Bänder der COVID-Schutzmasken fördern die Entzündung. Ein bakteriologischer Abstrich mag sinnvoll sein, ist jedoch kein Grund, die Therapie hinauszuzögern. Topische Antibiotika werden wegen des Risikos für Resistenzentwicklungen immer weniger eingesetzt. Eine gute Option ist eine Rezeptur nach NRF*, die statt Antibiotika Desinfizienzien wie Octenidin sowie Prednicarbat enthält. Kontaktallergien auf Octenidin sind selten. Erinnern Sie die Patienten und ihre Eltern daran, nach dem Duschen und Haarewaschen das Shampoo und andere waschak-
Kasuistik
Erstmals stellte sich ein 15-jähriger Junge mit einer seit Jahren bestehenden Neurodermitis vor, die bei asiatischem Hauttyp von Lichenifikation und Hyperpigmentierung, Kratzexkoriationen und Krustenbildung an der Gesichtshaut, im Nacken, an den Schultern und am oberen Rücken geprägt war. An den Ohren zeigten sich gelbliche Krusten und Nässen. Ein atopisches Handekzem beugeseits an den Handgelenken lag vor. Die weiteren Hautregionen waren nahezu frei, aber es zeigte sich eine ausgeprägte Sebostase. Die Familie hatte eine Behandlung mit Steroiden aufgegeben, und es wurden nur pflegende Externa aufgetragen. Der Juckreiz war ausgeprägt. Therapie: Topisch wurden eine Ketoconazol-Creme morgens und zur Haarwäsche ein Ketoconazol-haltiges Shampoo eingesetzt. Am Abend kam 1-mal täglich sowohl in der Ohrumgebung als auch für alle Partien mit Ekzem eine Rezeptur mit hydrophiler Prednicarbat-Creme 0,25 mit Octenidindihydrochlorid 0,1 Prozent (NRF* 11.145) für 14 Tage zum Einsatz, danach 14 Tage lang an jedem zweiten Abend. Im Anschluss erfolgte die proaktive Therapie mit Tacrolimus-Salbe (0,03%), geplant für 3 Monate. Für die Rückfettung 1-mal täglich beziehungsweise für die Hände mehrfach täglich wurde eine glycerinhaltige Pflegecreme empfohlen. Ein Gespräch über eine Systemtherapie mit Dupilumab fand statt, die Familie war zurückhaltend. Das Angebot wird beim nächsten Schub erneut erfolgen.
tive Substanzen mit klarem Wasser möglichst rückstandslos abzuspülen und die Haut in der Ohrumgebung zart und gut abzutrocknen. Rückstände der Emulgatoren aus Shampoo und Duschgels entfetten nicht nur das Haar, sie entziehen der Haut auch Lipide.
Auswahl und Einsatz von Steroiden
Der kurzfristige Einsatz topischer Steroide hat nach wie vor seinen Stellenwert bei der Neurodermitis. Aber welche Steroide sind die richtigen? Eine Hilfe ist die Bestimmung des therapeutischen Index (TIX) der Glukokortikoide. Er setzt die positive Wirkung der Steroide mit Vasokonstriktion und Wirksamkeit bei atopischer Dermatitis in Relation zu den unerwünschten Effekten wie Hautatrophie und Suppression der Nebennierenrindenachse. Als günstig haben sich zum Beispiel Mometasonfuroat, Methylprednisolonaceponat und Prednicarbat erwiesen (1, 2).
*NRF: Neues Rezeptur-Formularium, das von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) herausgegeben wird. Das NRF enthält Formeln, Standardisierungen und Herstellungstechniken von Arzneimitteln in der Apotheke (Magistralrezepturen).
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Topische Calcineurin-Inhibitoren
Die proaktive Therapie wird mit topischen Calcineurin-Inhibitoren nach Abschluss der akuten Phase fortgesetzt. Das Präparat wird 2-mal in der Woche 1-mal täglich abends an den ehemals besonders betroffenen Stellen aufgetragen. Die «Black Box»-Warnung zur Lymphomentstehung konnte entkräftet werden, und sie ist wissenschaftlich widerlegt. UV-Strahlung ist in Kombination mit Calcineurin-Inhibitoren weiterhin zu meiden. Damit die Tube nicht frustriert in die Ecke geworfen wird, sollte unbedingt darauf hingewiesen werden, dass die Salbe in den ersten 2 bis 3 Tagen des Auftragens zu einem Bitzeln und Brennen an der Haut führt, das bei weiterer Anwendung verschwindet. Es handelt sich nicht um eine Allergie, sondern um eine typische und vorübergehende Nebenwirkung, die tolerierbar ist, aber nur toleriert wird, wenn ärztlicherseits darauf hingewiesen wird.
Systemtherapie bei Kindern
Systemische Steroide sollten auf keinen Fall länger als 3 Wochen eingesetzt werden. Ebenso ist bei Neurodermitis im Gegensatz zur chronisch spontanen Urtikaria der Einsatz von Antihistaminika für länger als 14 Tage obsolet (3). Histamin ist nicht die Leitsubstanz der Entzündung bei der atopischen Dermatitis. Ab dem 6. Lebensjahr ist der IL-4/IL-13R-Antagonist Dupilumab als Erstlinientherapie zugelassen, wenn schwer ausgeprägte Ekzeme mit topischen Massnahmen allein nicht ausreichend behandelbar sind. Dupilumab hat das bisher auf Platz 1 stehende Leitlinienpräparat Ciclosporin verdrängt. Mit systemischen Therapien bei Kindern sind viele Eltern noch zurückhaltend, so auch in der beschriebenen Kasuistik. Eine topische Vorbehandlung ist sinnvoll, um schnell Superinfektion und Fehlbesiedlung in den Griff zu bekommen. Die chronische Entzündung darf nicht langfristig mit systemischen Steroiden angegangen werden. Die moderne Option ist jetzt die Gabe eines Il-4/ IL-13R-Antagonisten. Auf der AWMF-Homepage können unter der Leitlinie «Neurodermitis» (Registernummer 013–027; www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/013-027. html) Checklisten heruntergeladen werden, die schnell ausgefüllt sind und zum Beleg beziehungsweise zur Rechtfertigung der Indikationsstellung der Patientenakte beigelegt werden können. Die Applikation von Dupilumab erfolgt mit einem Pen oder mit Spritzen, was in der Sprechstunde mit den Familien geübt werden kann. Eine Laborvorbereitung oder Laborwerte zum Verlaufsmonitoring sind aufgrund der guten Verträglichkeit nicht nötig. Lokalreaktionen an der Einstichstelle und periaurikuläre Entzündungen treten mitunter auf. Augentropfen mit Hyaluronsäure oder andere «künstliche» Tränenflüssigkeiten werden dann eingesetzt. Die Irritation/Trockenheit am Auge ist die häufigste Nebenwirkung, die sich so aber gut beherrschen lässt.
Mehr als ein Therapieangebot nötig
Bei der multifaktoriellen Genese und den vielfältigen Triggerfaktoren der Neurodermitis reicht ein einziges Therapieangebot nicht aus. Eine serielle Abfolge der Angebote und seit der Biologikaentwicklung erfreulicherweise auch gut verträgliche und lang wirksame Systemtherapien stehen nun zur Verfügung, und sie ermöglichen unseren Neurodermitispatienten nahezu Symptomfreiheit.
Wesentliches für die Praxis
● Die Neurodermitis (atopisches Ekzem, atopische Dermatitis) basiert auf einem multifaktoriellen Erbgang mit Schwellenwerteffekt.
● Nicht nur die bakterielle Fehlbesiedelung spielt dabei eine Rolle.
● Bei der multifaktoriellen Genese und den vielfältigen Triggerfaktoren der Neurodermitis reicht ein einziges Therapieangebot nicht aus.
● Das Therapiespektrum wird sich in den nächsten Jahren auch für Kinder deutlich und erfreulich erweitern.
Insbesondere ist die Malassezia-Behandlung mit Antimykotika bei Kindern sinnvoll. Bei Jugendlichen war unter Dupilumab aufgefallen, dass sich Kopf- und Halsekzeme verschlimmerten oder erstmals auftraten. Deshalb wurde bei unserem Patienten als Erstes die Behandlung von Malassezia durchgeführt. Bei einer chronischen Entzündung wie der Neurodermitis werden dennoch weitere Systemtherapien nach dem Prinzip der Rotationsbehandlung gebraucht. Klinische Studien zu systemischen Therapeutika laufen zu JAK-1-Kinase-Inhibitoren (für Erwachsene zugelassen), zu Blockaden am Histamin-4-Rezeptor und zur topischen Anwendung von Aryl-Hydrokarbon-Rezeptor-Antagonisten wie Tapinarof und zu PDE-4-Rezeptor-Antagonisten wie Crisaborol (zugelassen in den USA) sowie zu weiteren vielversprechenden topischen JAK-Kinase-Inhibitoren (4). Das Spektrum in der Therapie bei Kindern wird sich etwas zeitlich versetzt zur Zulassung bei Erwachsenen in den nächsten Jahren auch für Kinder deutlich und erfreulich erweitern.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Christiane Bayerl Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Klinik für Dermatologie und Allergologie Hauttumorzentrum Wiesbaden Ludwig-Erhardt-Strasse 100 D-65199 Wiesbaden E-Mail: christiane.bayerl@helios-gesundheit.de
Interessenlage: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag besteht.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift «Kinderärztliche Praxis» 4/2022. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgte mit freundlicher Genehmigung durch die Autorin und den Verlag Kirchheim.
Literatur: 1. Schackert C et al.: Qualitative and quantitative assessment of the benefit-risk ratio of medium potency topical corticosteroids in vitro and in vivo. BioDrugs. 2000;13: 267-277. 2. Luger T et al.: Topische Dermatotherapie mit Glukokortikoiden – Therapeutischer Index. JDDG. 2004;7:629-634. 3. Deutsche Dermatologische Gesellschaft e.V. (DDG): S2k-Leitlinie Neurodermitis. Stand: 31.03.2015 (in Überarbeitung). https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ ll/013-027.html. 4. Werfel T: Systemtherapie der atopischen Dermatitis. Neuzulassungen und aktuelle Studienprogramme. Hautnah Dermatologie. 2022;38:6-14.
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