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Schwerpunkt
Kinder- und jugendgynäkologische Notfälle
Das Spektrum der gynäkologischen Notfälle im Kindes- und Jugendalter ist breit. Es reicht von Verletzungen über Ovarialtorsion und vaginale Fremdkörper bis zu lebensgefährlichen Blutungen – um nur einige Diagnosen zu nennen, die im Folgenden mit ihren Leitsymptomen und dem jeweils indizierten Vorgehen erläutert werden.
Von Franziska Cajöri und Eva Berger-Olah
B ei den dringenden Konsultationen auf der Notfallstation handelt es sich in der hormonellen Ruhephase vorwiegend um genitale Blutungen, schmerzhafte Vulvovaginitiden, Genitalulzera oder den Verdacht auf sexuellen Missbrauch. Aber auch bei akuten Bauchschmerzen ist an Ovar- oder Adnexpathologien zu denken, die einen echten Notfall darstellen. Bei den postmenarchalen Mädchen überwiegen die abnormen uterinen Blutungen, die Hymenalatresie ist seltener.
Grätsch- oder Spreizverletzungen
Leitsymptome: Trauma, Blutung und Schmerzen. Bei Grätsch- oder Spreizverletzungen (straddle injury) handelt es sich um traumatische Verletzungen des Genitales, die meist durch einen (ungebremsten) vertikalen Aufprall, häufig mit gespreizten Beinen, zustande kommen. Beispiele sind Traumen beim Wippen, Fahrradverletzungen mit Aufprall auf die Querstange, Abrutschen am Schwimmbadrand, an Turnstangen usw. (Abbildung 1). Typischerweise handelt es sich um Prellungen und Rissquetschwunden des äusseren Genitales (äussere und in-
nere Labien und Perineum) (Abbildung 2). Die inneren Strukturen – Vestibulum, Hymen, Urethra – sind weniger betroffen, da sie durch die Labia majora geschützt sind. Eine Ausnahme bilden Pfählungsverletzungen, bei denen die inneren Strukturen wie Vagina oder Rektum Verletzungen aufweisen können (1). Wichtig ist eine ausführliche Anamnese zum Hergang des Ereignisses: Ist die Anamnese konsistent? Handelt es sich um ein beobachtetes Ereignis? Neben der anogenitalen Untersuchung muss immer eine ganzkörperliche Untersuchung, insbesondere nach Haltespuren und auffälligen Hämatomen, erfolgen (2). Bei möglichen weiteren Verletzungen, im Besonderen bei zusätzlichen stumpfen Abdominaltrauma, sollten grosszügig Bildgebung und Labordiagnostik initiiert werden (3). Die anogenitale Untersuchung erfolgt in Rückenlage unter kolposkopischer Vergrösserung. Sie sollte möglichst nur einmalig und, wenn nötig, unter guter Analgesie, gegebenenfalls unter Analgosedation oder Narkose durchgeführt werden (4). Eine gründliche Dokumentation der Verletzungen ist unerlässlich, vor allem hinsichtlich der Frage nach einem sexuellen Übergriff. Je nach Ausmass der Verletzung ist ein Beizug der Kolleginnen und Kollegen aus der Kinderchirurgie zur Versorgung der Verletzung indiziert (Tabelle). Bei ausgedehnter Hämatombildung und stark blutender Wunde ist neben der Verletzung tiefer liegender Strukturen zusätzlich an eine angeborene Gerinnungsstörung wie M. von Willebrand oder eine Thrombozytenfunk tionsstörung zu denken (5–7).
Abbildung 1: A: Ursachen von Grätschverletzungen, die 2005 bis 2010 am Kinderspital Zürich behandelt wurden; B: Lokalisation der Grätschverletzungen
Ovarial-/Adnextorsion
Leitsymptome: Unterbauchschmerzen, Erbrechen, Synkope, reduzierter Allgemeinzustand. Adnextorsionen kommen in allen Altersstufen vor, und sie sind wegen der Gefahr des Organverlusts immer als gynäkologischer Notfall zu betrachten. Etwa ein Viertel der Fälle ereignen sich in der hormonellen Ruhephase, deshalb sollte bei akuten Unterbauchschmerzen bei Mädchen differenzialdiagnostisch auch die Ovarialtorsion bedacht werden. Die Mädchen werden fast immer mit der Verdachtsdiagnose Appendizitis zugewiesen.
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Zwei Drittel der Adnextorsionen sind rechtsseitig, die linke Adnexe ist, bedingt durch das den Beckenraum ausfüllende Sigma, weniger mobil. Durch eine teilweise oder vollständige Rotation der Adnexe um ihre Gefässachse kommt es zuerst zu einem venösen und lymphatischen Abflusstau. Bedingt durch die muskelstarken Arterien bleibt der Blutzufluss zunächst noch erhalten. Es kommt zu einer ödembedingten Vergrösserung des Ovars, die Follikel werden dabei an den Rand der Kapsel gedrängt. Der zunehmende Druckanstieg innerhalb des Ovars führt zur Einschränkung und schliesslich zum Sistieren des arteriellen Zuflusses und dadurch zu Ischämie, Thrombosen und dann Nekrosen des Gewebes (3, 8). Klinisch präsentieren sich die Mädchen mit plötzlich auftretenden, meist einseitigen Unterbauchschmerzen, die im Verlauf häufig mit Erbrechen assoziiert sind. Der Schmerz kann im weiteren Verlauf an Intensität variieren (9). Eine vollständige Regredienz im Intervall zwischen zwei Schmerzepisoden ist möglich, ebenso ein konstant anhaltender Schmerz bis zur Abwehrspannung als Zeichen der peritonealen Reizung. Die Diagnosestellung ist oft schwierig und verzögert. Sonografisch findet sich bei fortgeschrittener Ischämie eine einseitige Ovarvergrösserung mit perlschnurartig randständig angeordneten Follikeln. In der Doppleruntersuchung zeigen sich pathologische Flüsse und gegebenenfalls freie Flüssigkeit in der Umgebung (3) (Abbildung 3). Therapie der Wahl ist eine zügige, laparoskopisch-operative Versorgung mit Retorquierung und Organerhalt. Die Regeneration des hämorrhagisch erscheinenden Ovarialgewebes ist erstaunlich, wie postoperative Ultraschallkontrollen zeigen.
Vaginaler Fremdkörper
Leitsymptome: Ausfluss, Geruch, Blutung. Vaginale Fremdkörper werden durch Exploration selbst eingeführt. Ein blutig tingierter vaginaler Ausfluss oder eine vaginale Blutung ist die häufigste klinische Präsentation. Vaginale Fremdkörper sind ab etwa 5 mm sonografisch darstellbar, typisch ist eine Impression der Blasenwand von dorsal. Diagnostik der Wahl ist die Vaginoskopie, gegebenenfalls in Sedation (Lachgas) oder Narkose. Die Entfernung des Fremdkörpers erfolgt vaginoskopisch (10), mit Spülen der Vagina mit NaCl. Nicht selten gelingt es, einen Fremdkörper von rektal her zu tasten und über die Vagina auszustreichen. Bei Verdacht auf eine intravaginal liegende Knopfbatterie ist die notfallmässige chirurgische Entfernung indiziert (11). An Fremdkörpern finden sich unter anderem: Filzstiftdeckel, Kinderspielzeuge, Perlen, Schmuckstücke usw. (Abbildung 4). Sofern keine Verletzung der vaginalen Schleimhaut vorliegt, ist keine weitere Therapie notwendig (12). Bei Jugendlichen, die Gegenstände mit Deckel (Deo, breite Filzstifte) für die Selbstbefriedigung in die Vagina eingeführt haben, kann es bei längerer Lage zu Blasenfisteln oder rektalen Fisteln kommen (11, 12).
Präpubertäre Vulvovaginitis
Leitsymptome: Juckreiz, Schmerzen, vulväre Dysurie bis zu Harnverhalt. Klinisch unterscheiden wir zwischen der Vulvitis (Rötung der Vulva) und der Vulvovaginitis, bei der auch die Vagina be-
Abbildung 2: Grätsch- oder Spreizverletzungen (straddle injury) A: Hämatom Labia majora; B: Rissquetschwunde Fossa navicularis/hintere Kommissur
Abbildung 3: Ovarial-/Adnextorsion (A). Sonografisch findet sich bei fortgeschrittener Ischämie eine einseitige Ovarvergrösserung mit perlschnurartig randständig angeordneten Follikeln, und in der Doppleruntersuchung zeigen sich pathologische Flüsse und gegebenenfalls freie Flüssigkeit in der Umgebung (B).
troffen ist und die sich zusätzlich durch Ausfluss manifestiert, sowie der infektiösen, unspezifisch entzündlichen und der spezifisch entzündlichen Vulvovaginitis (10) (Kasten 1). In der Neugeborenen- und Säuglingsphase ist das Genital residuell östrogenisiert, gegebenenfalls findet eine vertikale Übertragung spezifischer Keime statt (z. B. Chlamydien, Trichonomaden); typisch sind in diesem Alter die Windeldermatitis und der Windelsoor. In der hormonellen Ruhephase (2. bis 8./10. Lebensjahr) ist das Genitale nicht östrogenisiert (Kasten 2). Typisch sind unspezifische Vulvovaginitiden, deren Ursachen meist auf lokale Reizung (wie urethravaginaler Reflux) und nicht ausreichende oder übertriebene Hygiene zurückzuführen sind.
Abbildung 4: Vaginaler Fremdkörper (Stopfmaterial einer Puppe)
Tabelle:
Vorgehen bei Verletzungen
Schweregrad der Verletzung
Therapie
Follow-up
Minor: • schwache oder gestoppte Blutung • Miktion spontan und uneingeschränkt Sportdispens für 24 Stunden
Mandelölbäder lokalanästhetische Creme oder Hautschutzcreme Basisanalgetika
niedergelassener Pädiater oder Hausarzt
Non-minor: • ungestillte Blutung • Lazeration • unklare Grösse/ Tiefe der Verletzung • fehlende/erschwerte Miktion • Sorge/Bedenken des Untersuchers
Management siehe Text; ggf. chirurgisch und in Narkose bei fehlender Miktion Blasenkatheter erwägen (z.B. bei grossem) Vulvahämatom
kindergynäkologisches Team kinderchirurgisches Team
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Abbildung 5: Präpubertäre Vulvovaginitis. A: Streptokokken-A-Anitis; B: Vulvovaginitis mit Fluor; C: Oxyuren/Hymen altus; D: Vulvitis mit Smegma; E: Vulvitis
respiratorischer Infekte oder auch bei Wurmbefall. Oxyuren führen zu massiven nächtlichen Schmerzepisoden und sind nicht selten für eine Notfallkonsultation nachts oder anderntags verantwortlich. Behandlungsbedürftige spezifische Erreger sind vor allem Streptokokken A, Hämophilus (Typ influenzae) und die sehr selten diagnostizierten Shigellen (Kasten 2). Differenzialdiagnostisch sollte an Fremdkörper, einen superinfizierten Lichen sclerosus der Vulva, bei persistierendem, blutigem Fluor an eine Neoplasie (Rhabdomyosarkom) oder an Gewalt gegen die sexuelle Integrität gedacht werden. Bei adoleszenten, sexuell aktiven Patientinnen oder vermutetem Missbrauch müssen Chlamydien und Gonokokken mittels PCR gesucht werden. Cave: Eine Chlamydieninfektion verläuft oft asymptomatisch. Die Therapie richtet sich nach der Ätiologie. In der hormonellen Ruheperiode fokussiert sich diese häufig auf Korrektur und Unterstützung der Hygienemassnahmen. Eine Antibiotikatherapie ist eher selten indiziert und richtet sich bei infektiöser Ätiologie nach Wachstum und Antibiogramm des Vaginalsekrets.
Abbildung 6: Urethralprolaps
Abbildung 7: Lichen sclerosus
Eine der häufigsten Ursachen ist der bereits genannte urethravaginale Reflux. In diesem Fall kommt es bei der Miktion zum Eintritt von Urin in die Scheide. Beim Aufstehen entleert sich der Urin zwischen die Schamlippen und führt zur lokalen Reizung der Vulvahaut. Einfache Massnahmen wie breitbeiniges und aufrechtes Sitzen auf der Toilette verringern den Influx von Urin in die Scheide. Regelmässige Sitzbäder mit Antidry® Wash oder Antidry® Bath führen zur raschen Besserung. Candidainfektionen sind in der hormonellen Ruhephase sehr selten. Meist treten sie im Rahmen eines Diabetes mellitus oder einer Immundefizienz auf. Die Diagnostik beginnt mit einer kolposkopischen Inspektion in Rückenlage zur Beurteilung der gesamten Vulva sowie zur Ausdehnung und Art der entzündlichen Hautveränderung. Durch Traktion und Separation entfalten sich im Normalfall das Hymen und der Introitus vaginae, und meist wird das vordere Drittel der Vagina einsehbar (Abbildung 5). Eine bakterielle Sekretentnahme ist nur bei Vaginitis und Fluor notwendig und insbesondere in der hormonellen Ruhephase unangenehm bis schmerzhaft. Falls eine Entnahme dennoch indiziert ist, kann sie eleganterweise mittels neonatologischem Doppelabsaugkatheter unter Traktion ohne Berühren des Hymens erfolgen (10). Unspezifische Erreger finden sich vor allem im Rahmen
Urethralprolaps
Leitsymptome: Blutflecken in der Unterhose, keine Schmerzen. Ein Urethralprolaps kommt vorwiegend bei dunkelhäutigen Mädchen und nur in der hormonellen Ruhephase vor. Der Häufigkeitsgipfel liegt bei 4 bis 8 Jahren. Bei der Inspektion findet sich eine zirkuläre, ödematöse teilweise auch hämorrhagische Ausstülpung am Meatus urethrae externus (doughnut sign). Bei geübter Separation ist sowohl das Hymen als auch der Introitus vaginae gut darstellbar (10) (Abbildung 6). Als mögliche Ursachen werden erhöhte Mobilität der Urethra bei schlechter muskulärer Verbindung und erhöhtem abdominellem Druck postuliert. Blutende urethrale Polypen und paraurethrale Zysten sind insgesamt selten und würden weder zirkulär noch ödematös imponieren. Die Therapie erfolgt mit Tannosynt®-Sitzbädern und lokaler Anwendung von Östrogencreme (Ovestin®). Ein operativer Eingriff ist selten notwendig. Je nach Ausprägung erfolgt ein Sportdispens (Reiten, Velofahren).
Lichen sclerous der Vulva
Leitsymptome: Blutung, Juckreiz, Dysurie. Grund der dringlichen Vorstellung ist meist die genitale Blutung respektive die Hauteinblutungen. Nicht selten werden die Mädchen mit Frage nach einem sexuellen Missbrauch vorstellig (10). Die genauen Ursachen des Lichen sclerosus sind ungeklärt, vermutet werden autoimmune, genetische und hormonale Komponenten. Eine gestörte Hautbarriere und die Irritation der Vulvahaut scheinen ebenfalls Lichen sclerosus zu begünstigen. Im Verlauf kommt es zur T-Zell-vermittelten Entzündung unter Beteiligung der Gefässe (13). Die Diagnose wird klinisch gestellt (Abbildung 7). Typischerweise finden sich perlmutt-/porzellanartige weissliche Veränderung sanduhrförmig um Vulva und Anus. Dabei ist der Bereich der Klitoris, der hinteren Kommissur und der kleinen Labien betroffen. Nicht selten finden sich eingeblutete Areale, die Haut erscheint pergamentartig und empfindlich. Meist zeigen sich neben
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weisslichen Veränderungen Rötungen, Rhagaden, teilweise vulnerable Hautstellen mit Petechien und Blutungen. Durch Kratzen oder bei offenen Wunden kann es sehr leicht zu Superinfektionen kommen. Die Therapie besteht aus einem hoch dosierten Steroid (Clobetasol), lokal 2-mal täglich für 2 Wochen, dann Reduktion auf 1-mal täglich für weitere 2 Wochen. Danach bei Abheilen des Lichens Umstellung auf Tacrolimus (0,03%), anfänglich täglich, dann ausschleichende Therapie im Wechsel mit lokaler Rückfettung. Erfahrungsgemäss kann der Lichen damit gut kontrolliert werden, regelmässige Verlaufskontrollen sind jedoch notwendig.
Abnorme uterine Blutung (AUB)
Leitsymptome: Blutung, Schwäche, Synkope, Schock. Von einer abnormen uterinen Blutung wird bei einer Zyklusdauer < 21 Tage, einer Blutungsdauer > 7 Tage, einem Bindenwechsel alle 1 bis 2 Stunden, nächtlichem Bindenwechsel, bei Koagel > 2,5 cm Durchmesser, bei tropfendem Blut oder bei einem Blutrinnsal gesprochen. Eine akute AUB ist eine starke Blutung, welche eine rasche Intervention erfordert. Hauptgrund sind anovulatorische Zyklen aufgrund einer unreifen Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse. Eine genaue (Menstruations-)Anamnese ist unerlässlich und hilft, die aktuelle Situation von den mannigfaltigen Differenzialdiagnosen abzugrenzen. Diese reichen von der hämorrhagischen Diathese über eine endokrinologische Ursache bis zur Pathologie im Reproduktionstrakt, Schwangerschaft, Trauma usw. Das Management auf der Notfallstation erfordert ein rasches Evaluieren der Vitalparameter und die Entscheidung, ob es sich um eine stabile oder eine instabile Patientin handelt (9). Eine ausführliche Anamnese, auch betreffend der Gerinnungsproblematik (Epistaxis, Zahnfleischbluten, Hämatomneigung), und die körperliche Untersuchung stehen im Vordergrund. Eine genitale Untersuchung erfolgt bei Verdacht auf Trauma, sexuell übertragbare Krankheiten (STD) oder Verletzung der sexuellen Integrität. Je nach Situation (aktive Blutung? Trauma? Virilisierung?) richtet sich die Fragestellung an die weiterführende Labordiagnostik. Minimal notwendig sind Differenzialblutbild, MCV, RDW, Ferritin (Cave: Infekt) und Gerinnungsscreening (Quick, INR, aPTT, Fibrinogen, Blutgruppe, vWF funktionell/Antigen, PFA 100, nicht Vitamin-K-abhängige Gerinnungsfaktoren). Ein Von-Willebrand-Faktor-Mangel oder eine Thrombozytenfunktionsstörung ist nicht selten die Ursache juveniler Menometrorrhagien. Bei Akne oder Hirsutismus muss differenzialdiagnostisch an ein polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS) gedacht werden, bei sexueller Aktivität an eine Schwangerschaft respektive einen Abort oder eine Extrauteringravidität. Auch STD wie Chlamydien können über eine Endometritis zu Blutungsstörungen führen. Nicht jede AUB bedarf einer sofortigen Intervention oder Therapie. Bei stabiler Patientin, normalem Hb-Wert und unauffälligem Untersuchungsbefund reichen eine gute Aufklärung, die Implementierung eines Menstruationskalenders und ein Follow up nach 3 Monaten. Bei leichter bis moderater Blutungsstörung (Hb > 10 g/dl) kann primär eine nicht hormonelle Therapie mit einem NSAR wie Mefenaminsäure (500 mg, 3-mal täglich) versucht und eine Reduktion des Blutverlusts herbeigeführt
Abbildung 8: Hämatokolpos mit Entleerung von ca. 1 Liter Altblut
werden. Tranexamsäure (ab dem 1. Tag der Menstruation 1 g 3- bis 4-mal täglich) reduziert den Blutfluss ebenfalls wirksam um zirka 50 Prozent (14, 15). Mönchspfeffer über 3 bis 6 Monate hilft, den Zyklus zu stabilisieren und zu normalisieren. Eine starke, akute Blutung kann in den meisten Fällen mit Gabe eines hoch dosierten, kombinierten Kontrazeptivums (0,03 mg Ethinylestradiol/0,15 mg Levonorgestrel, alle 6 bis 8 Stunden) gestoppt werden, unbedingt zusammen mit einem Antiemetikum. Besonderes Augenmerk erfordert hier das erhöhte Thromboserisiko durch die Östrogene. Kontraindikation ist eine Migräne mit Aura. Als Alternative sollte in diesem Fall ein reines Gestagenpräparat verwendet werden (16).
Kasten 1:
Erregerspektren bei spezifischer und unspezifischer Vulvovaginitis
Spezifische Vulvovaginitis: • Beta-hämolysierende Streptokokken A • Haemophilus influenzae B • Shigellen, Yersinien • Herpes (v. a. Autoinokulation) • Condylomata accuminata • obligat sexuell übertragene Keime: o Chlamydien, Gonokokken (> 2. Lebensjahr; vorher perinatal möglich)
Unpezifische Vulvovaginitis: • E. coli • Enterokokken • Staphylokokken • Gardnerella vaginalis • Oxyuren
Kasten 2:
Besonderheiten der hormonellen Ruheperiode (2. bis 8./10. Lebensjahr)
Fehlende Barriere: • äussere Schamlippen Introitus
nicht überdeckend • keine Pubesbehaarung
Nähe zum Anus: • Darmkeime • Hygiene (hinten nach vorn)
Fehlendes Östrogen/Glykogen: • Epithel atroph, dünn • fehlende Laktobazillen • pH alkalisch • kein reinigender Fluor
Diese Faktoren begünstigen: • Infektanfälligkeit • Smegma und Urinreste (feucht, Mazeration)
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Hymenalatresie
Leitsymptome: Vor der Menarche asymptomatisch, mit Einsetzen der Menarche progrediente Schmerzen, Druckgefühl im Unterbauch bis zu Miktionsbeschwerden und Obstipation, fehlender Fluor albus, Intervall Thelarche bis Menarche ist überschritten (normal sind 2 bis max. 3,5 Jahre). Bei der Hymenalatresie handelt es sich um den kompletten Verschluss des Hymens. Es ist die häufigste Verschlussstörung bei normaler Vaginal- und Uterusanlage. Leider erfolgt die Diagnosestellung oft erst im Adoleszentenalter aufgrund zunehmender Unterbauchschmerzen bei fehlendem Abgang des Menstruationsbluts und Ausbildung eines Hämatokolpos (3). Klinisch findet sich ein gespanntes, druckempfindliches Abdomen sowie bei Inspektion des Genitales eine sich normal darstellende Urethra, jedoch keine Vaginalöffnung oder gegebenenfalls ein bläulich vorgewölbtes Hymen. Neben der klinischen Untersuchung ist die Ultraschalldiagnostik die Methode der Wahl. Mittels abdominalen Ultraschalls lässt sich ein zystischer hyperdenser Befund, zumeist den Unterbauch ausfüllend, darstellen. Die chirurgische Inzision/Exzision des Hymens führt zur Entleerung von meist mehreren 100 ml Altblut (Abbildung 8). Eine frühzeitige Diagnosestellung im Neugeborenenalter oder anlässlich der pädiatrischen Vorsorgeuntersuchung ist wichtig, um konsekutive Schmerzen und verspätete Diagnosestellungen im Adoleszentenalter zu verhindern. Mädchen mit Hämatokolpos haben ein erhöhtes Endometrioserisiko.
Korrespondenzadresse: Dipl. med. Franziska Cajöri OAe Kinder- und Jugendgynäkologie Universitäts-Kinderspital Zürich - Eleonorenstiftung OAe Kindernotfall Kantonsspital Aarau AG E-Mail: franziska.cajoeri@kispi.uzh.ch
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Interessenlage: Die Autorinnen erklären, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag bestehen.
Alle Grafiken und Fotos wurden von Dr. med. Renate Hürlimann zur Verfügung gestellt.
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