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Schwerpunkt
Genitale Ulzera bei Mädchen und Jugendlichen
Nicht nur Infektionen mit Viren, Bakterien oder Parasiten können die Ursache für genitale Ulzera sein. Auch Erkrankungen wie Morbus Behçet oder Morbus Crohn können mit vulvären Manifestationen einhergehen, sodass ein breites Spektrum möglicher Ursachen für die Ulzera infrage kommt und entsprechend abzuklären ist.
Von Noémie Stähli
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G enitale Ulzera bei Mädchen und weiblichen Jugendlichen sind regelmässige Gründe für eine Vorstellung in unserer kinder- und jugendgynäkologischen Sprechstunde. Die betroffenen Patientinnen äussern in aller Regel teils starke Schmerzen im Genitalbereich sowie eine vulväre Dysurie. Je nach Lokalisation berichten sie uns auch über eine schmerzhafte Defäkation mit konsekutiver Obstipation. Bei genitalen Ulzera muss an ein breites Spektrum von Differenzialdiagnosen gedacht werden, wovon im Folgenden die Wichtigsten genannt und erläutert werden.
Infektionen
Genitaler Herpes (HSV I oder II): Bei genitalen Ulzera muss in allen Altersgruppen, auch ohne Vorliegen von Bläschen, an eine genitale Herpes-simplex-Virus-(HSV-) Infektion gedacht werden. Eine entsprechende PCR-Diagnostik (HSV-1 und HSV-2) vom Bläschengrund oder Ulkus ist bei genitalen Ulzera und Bläschen zwingend erforderlich. Bei genitaler Manifestation ist die Infektion mit HSV-1 inzwischen weitaus häufiger als die Infektion mit HSV-2. Es können immer wieder Rezidive auftreten, diese jedoch häufiger bei HSV-2 (1, 2). Die Übertragung ist sowohl sexuell als auch durch Autoinokulation (z.B. bei Herpesstomatitis) oder durch Betreuungspersonen möglich, welche mit einem HSV infiziert und beim Wickeln oder bei der Intimhygiene des Kleinkindes involviert sind (1, 2). Das Vorliegen eines alleinigen genitalen HSV-Infekts ohne weitere verdächtige Befunde oder anamnestische Hinweise ist gemäss den aktuellen Kriterien nicht hinweisend für einen sexuellen Missbrauch (3). Bei Kindern im Alter > 5 Jahre muss aber aufgrund der meist selbstständig durchgeführten Intimpflege und Intimhygiene daran gedacht und die Anamnese diesbezüglich sensibel erweitert werden. Meist reichen eine topische Lokaltherapie mit einem Bepanthen-Zink-Creme-Gemisch und reinigende Sitzbäder, beispielsweise mit Mandelöl, sowie eine adäquate Basisanalgesie aus. Symptomatische Jugendliche > 12 Jahre sollen bei Vorstellung in den ersten 5 Tagen mit Valgancyclovir (oder Famciclovir) oral behandelt werden. Bei häufigem Auftreten von Rezidiven kann eine antivirale Prophylaxe diskutiert werden.
Treponema pallidum (Lues): Treponema pallidum ist ein zu den Spirochäten zählendes gramnegatives Bakterium, welches rein sexuell übertragen wird. Das Primärstadium der Lues manifestiert sich typischerweise durch ein Ulcus durum, ein schmerzloses Ulkus vulvär, anal/ rektal oder oropharyngeal mit einer häufig ebenfalls auftretenden lokoregionalen Lymphadenopathie (4). Die Diagnosestellung kann via Direktn achweis oder Serologie erfolgen. Sie ist aber dadurch erschwert, dass Letztere frühestens 2 Wochen nach Auftreten des Ulkus positiv wird und der Direktnachweis nicht immer gelingt. Wir empfehlen deshalb, bei Verdacht auf Lues die Kolleginnen und Kollegen der Infektiologie früh zu involvieren und die entsprechende Diagnostik und Therapie gemeinsam zu besprechen. Varicella-zoster-Virus (VZV): Im Rahmen der Primoinfektion oder einer Gürtelrose k önnen die typischen Effloreszenzen auch vulvär auftreten und zu schmerzhaften Bläschen und Erosionen im Intimbereich führen. Hier empfiehlt sich die gleiche Lokaltherapie wie bei der HSV-Infektion (siehe oben). Enteroviren (z.B. Hand-Fuss-Mund-Krankheit): Wie bei VZV kann die Haut der Vulva bei Enteroviren stark von Effloreszenzen betroffen sein, selten durch Ulzerationen. Davon betroffene Kinder weisen die üblichen sonstigen Zeichen einer Enterovirusinfektion auf. Human Immunodeficiency Virus (HIV): Im Rahmen einer HIV-Infektion können selten mukokutane Ulzerationen auftreten. Bei einer sexuell aktiven Jugendlichen oder bei stattgehabtem beziehungsweise möglichem sexuellen Missbrauch sollte in jedem Fall eine HIV-Serologie durchgeführt werden. Eine HIV-Infektion kann frühestens 3 Monate nach ungeschütztem Kontakt zur infizierten Person ausgeschlossen werden.
Non-Sexually Acquired Genital Ulcers (NSAGU)
NSAGU (Lipschütz-Ulzera, Ulcus vulvae acutum) sind definiert als akutes Auftreten von schmerzhaften Ulzera im Genitalbereich mit perifokaler Rötung bei Mädchen und Frauen, welche nicht durch sexuell übertragbare Erkrankungen bedingt sind. In der pädiatrischen Population sind die betroffenen Patientinnen meist nicht sexuell
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aktiv (5, 6). Die Ätiologie und die Pathogenese der Ulzera bleiben unklar. Am ehesten geht man von einer immunologischen, parainfektiösen Genese mit überschiessender immunologischer Reaktion auf virale, bakterielle sowie parasitäre Infektionen und konsekutive Immunkomplexablagerungen aus (5, 6). Es wurden diverse Erreger identifiziert, die bei NSAGU/Lipschütz-Ulzera nachgewiesen werden konnten (5–8). Unter anderem sind dies: • Viren: EBV, CMV, Parvovirus B19, Mumps, Influenza,
SARS-CoV-2, FSME • Bakterien: Mycoplasma pneumoniae, Salmonella
enteritidis, Streptokokken der Gruppe A • Parasiten: Toxoplasma gondii. Meist gelingt jedoch ein ursächlicher Erregernachweis nicht, und die Ursache bleibt in bis zu 70 Prozent der Fällen unklar. Die betroffenen Mädchen präsentieren sich manchmal mit einer Prodromalphase mit grippalen Symptomen oder bei Salmonella enteritidis mit entsprechenden gastro intestinalen Beschwerden. Einige Tage später kommt es zum Auftreten von meist > 1 cm grossen, scharf begrenzten, perifokal geröteten, fibrinbelegten Ulzera, welche meist symmetrisch angeordnet sind (kissing lesions). In der Regel sind mehrere Läsionen vorhanden. Typische Lokalisationen sind vor allem die Innenseite der inneren Labien und das Vestibulum vaginae (siehe Abbildung). Bei den NSAGU handelt es sich um eine Ausschlussdia gnose. Dementsprechend muss ein genitaler Herpes gesucht und ausgeschlossen werden. Bei berichteter oder vermuteter sexueller Aktivität sowie bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch ist eine Abklärung hinsichtlich sexuell übertragbarer Erkrankungen (sexually transmitted diseases [STD]) nötig, insbesondere Lues und HIV. Bei Verdacht auf NSAGU empfehlen wir die grosszügige Abklärung hinsichtlich EBV und CMV, der beiden häufigsten Auslöser eines NSAGU. Je nach sonstiger Symptomatik kann eine erweiterte infektiologische Diagnostik erwogen werden (siehe oben). NSAGU heilen typischerweise ohne Narbenbildung innerhalb von Tagen ab. Es gibt gemäss der aktuellen Literatur aufgrund fehlender Studien keine standardisierte Therapie, welche nachweislich zu einer raschen Besserung führt. Wir haben gute Erfahrungen mit dem lokalen Auftragen von Clobetasol (Haftgel oder Salbe), ölig basierten Sitzbädern zur Reinigung des Intimbereichs und ausgebauter Analgesie gemacht. Aufgrund der zum Teil sehr starken Schmerzen bei der Miktion kann eine Hospitalisation mit Ableitung des Urins über einen Dauerkatheter notwendig sein. Es kommt bei zirka 30 Prozent der betroffenen Mädchen und Jugendlichen zu einem Rezidiv der Ulzera bei erneuter viraler oder bakterieller Infektion, auch mit anderen Erregern als bei der ersten Episode.
Morbus Behçet
Hierbei handelt es sich um eine chronische, systemische inflammatorische Erkrankung mit Autoinflammation und Vaskulitis (9). Insgesamt tritt die Krankheit selten im Kindesalter auf. Die familiäre Herkunft der betroffenen Mädchen liegt häufig in Ländern entlang der sogenannten Seidenstrasse (v. a. Türkei). Es handelt sich meist um ein spontanes Auftreten, es gibt aber auch Fälle mit familiären Clustern, bei denen auch Knaben betroffen sein können. Bei den betroffenen Mädchen treten häufig neben
rezidivierenden, schmerzhaften genitalen Ulzera, welche nur sehr langsam und teilweise mit Narben verheilen, auch rezidivierende orale Aphthen auf. Bei rezidivierenden genitalen Ulzera oder langsamem Verheilen muss an einen M. Behçet gedacht werden und nach Rücksprache mit den Kolleginnen und Kollegen der Rheumatologie eine weiterführende Abklärung erfolgen. Besonders wichtig ist hierbei auch die ophthalmologische Untersuchung zum Nachweis beziehungsweise zum Ausschluss von Uveitis und retinaler Vaskulitis. Bei genitalen Ulzera im Rahmen eines M. Behçet kann die gleiche Therapie wie bei den NSAGU angewendet werden. Betreffend der notwendigen systemischen Therapie empfehlen wir ein interdisziplinäres Vorgehen zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der Rheumatologie.
Seltene Ursachen
Zu den weiteren seltenen Ursachen für genitale Ulzera zählt die vulväre Manifestation von M. Crohn (vulvar Crohn’s disease) (10, 11). Hierbei handelt es sich um eine granulomatöse Infiltration der vulvären Haut, welche zu Schwellungen der äusseren Labien und Ulzerationen sowie Erosionen führen kann. Meistens haben die betroffenen Mädchen eine perianale Symptomatik, wenngleich die vulväre Manifestation vor der gastrointestinalen auftreten kann. Des Weiteren gehören zu den seltenen Ursachen für genitale Ulzera • Steven-Johnson-Syndrom/toxische epidermale Nekro-
lyse • bullöse Impetigo • Pyoderma gangraenosum • Trauma • Leukämie • Hypersensitivität (NSAR fixed drug eruption).
Betreuung der Kinder und Jugendlichen mit genitalen Ulzera
Aufgrund der Seltenheit der Diagnosen und der zum Teil relevanten notwendigen Überlegungen sowie der weiteren Abklärungen empfehlen wir die grosszügige Zu weisung an eine kinder- und jugendgynäkologische Sprechstunde zur gemeinsamen Weiterbehandlung der Patientin.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Noémie Stähli Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung Steinwiesstrasse 75 8032 Zürich E-Mail: noemie.staehli@kispi.uzh.ch
Interessenlage: Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag bestehen.
Literatur: 1. Schweizer Empfehlungen für das Management des Herpes genitalis und der
Herpes-simplex-Virus-Infektion des Neugeborenen. Schweiz Ärzteztg. 2005;86(13):780-792. 2. Reading R et al.: Genital herpes in children under 11 years and investigations for sexual abuse. Arch Dis Child. 2011; 96:752-757. 3. Adams JA, Farst KJ, Kellogg ND: Interpretation of Medical Findings in Suspected Child Sexual Abuse: An Update for 2018. J Pediatr Adolesc Gynecol. 2018;31(3):225-231.
Abbildung: A: NSAGU im Bereich des Vestibulum vaginae sowie der hinteren Kommissur; B: gleiche Pa tientin 5 Tage später mit fast vollständigem Aushei len ohne Narbenbildung (Foto: N. Stähli [8]).
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4. O´Byrne P, MacPherson P: Syphilis. BMJ. 2019;365:l4159. 5. Rosman IS et al.: Acute genital ulcers in nonsexually active young girls: case series,
review of the literature, and evaluation and management recommendations. Pediatr Dermatol. 2012;29(2):147-153. 6. Vieira-Baptista P et al.: Lipschutz ulcers: should we rethink this? An analysis of 33 cases. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 2016;198:149-152. 7. Vieira-Baptista P et al.: Mycoplasma pneumoniae: a rare cause of vulvar ulcers or an undiagnosed one? J Low Genit Tract Dis. 2013;17(3):330-334. 8. Meyer Sauteur PM et al.: Mycoplasma pneumoniae-induced non-sexually acquired genital ulceration (Lipschütz ulcers). Arch Dis Child. 2020;105(5):517-518. 9. Koné-Paut I et al.: Consensus classification criteria for paediatric Behçet›s disease from a prospective observational cohort: PEDBD. Ann Rheum Dis. 2016;75(6):958964. 10. Granese R et al.: Vulvar involvement in pediatric Crohn›s disease: a systematic review. Arch Gynecol Obstet. 2018;297(1):3-11. 11. Barret M et al.: Crohn›s disease of the vulva. J Crohns Colitis. 2014;8(7):563-570.
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