Transkript
Kardiologie
Ist das Herz in Ordnung?
Wenn Herzgeräusche, Synkopen und Arrhythmien Angst machen
Die häufigsten Zuweisungsgründe in der pädiatrischen Kardiologie sind Herzgeräusche, Synkopen, Thoraxschmerzen und Arrhythmien. KD Dr. med. Hans Peter Kuen erläuterte am FOMF WebUp Pädiatrie, in welchen Situationen Kinder mit diesen Symptomen ans Spital zugewiesen werden sollten.
Linktipps
Lava SAG und Sekarski N: Thoraxschmerzen und Herzgeräusche im Kindes- und Jugendalter. PÄDIATRIE. 2019;24(3):4-8. www.rosenfluh.ch/qr/lava-sekarski
Herzgeräusche im Kindesalter Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Kardiologie und angeborene Herzfehler (DGPK) www.rosenfluh.ch/qr/dgpk-herzgeraeusch
Tachykardie Leitlinie der DGPK www.rosenfluh.ch/qr/dgpk-tachykardie
Allein schon der Begriff Herzgeräusch löse bei Eltern Ängste aus, sagte KD Dr. med. Hans Peter Kuen, Kardiologe am Kinderspital in Luzern. Das Gleiche gelte für Thoraxschmerzen, Synkopen und Arrhythmien. Diese Ängste müsse der Arzt ernst nehmen, aber je jünger das Kind, desto grösser sei das Risiko für Fehldiagnosen. Insofern sei es sicher richtig, Säuglinge und Kleinkinder eher zu überweisen als ältere Kinder, bei denen bereits klinisch ein Herzfehler mit grösserer Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Im Zweifelsfall sollten Neugeborene innert Stunden, Säuglinge innert Tagen und ältere Kinder innert Wochen zugewiesen werden, und das prinzipiell eher früher als später, empfahl der Referent (Kasten 1).
Herzgeräusche sind oft harmlos
Die meisten Herzgeräusche sind funktioneller Natur. Etwa die Hälfte aller Kinder haben Herzgeräusche, aber nur 1 Prozent von ihnen hat einen Herzfehler. Die Auskultation ist das wichtigste diagnostische Hilfsmittel, aber sie ist Erfahrungssache. «Wir stellen fest, dass die Fähigkeiten zur Auskultation abnehmen, weil die jungen Kollegen nicht mehr genügend geschult werden», sagte Kuen. Das mit Abstand häufigste funktionelle Herzgeräusch bei Kindern ist das musikalische Systolikum. Es tritt typischerweise im Alter von 2 bis 8 Jahren auf, manchmal auch bei Säuglingen. Das Geräusch ist über dem Erb-Punkt mit einem Lautstärkegrad von 2/6 bis 3/6 (Kasten 2) midsystolisch, nieder- bis mittelfrequent wahrnehmbar. Beim Aufrichten ist es eventuell leiser. Bei Fieber, Anämie usw., das heisst, wenn das Herz stärker arbeiten muss, ist es lauter. Es ist weder ein Schwirren noch eine Hyperaktivität des Herzens palpierbar, und der Patient ist asymptomatisch. Das häufigste Herzgeräusch bei Neugeborenen beruht auf der Reifung der Pulmonalarterien. Neugeborene weisen zunächst eine physiologische periphere Pulmonalstenose auf, weil sich die Pulmonalarterien nach der Geburt nur allmählich entfalten. Zunächst sind sie noch recht klein, was Turbulenzen im Blutstrom verursacht, die man als kurzes, mittelfrequentes Systolikum ubiquitär, also auch axillär und am Rücken auskultieren kann. Das
Kasten 1:
Indikationen für eine Echokardiografie
Unabhängig von Herzgeräuschen ist eine Echokardiografie in folgenden Situationen angebracht: ● Herzgeräusch und bestimmte Syndrome (z. B. Down-
Syndrom) ● inspiratorischer Stridor von Geburt an, chronische Atem-
wegsinfekte, Schluckstörungen (Gefässring?) ● unklare Synkopen (Kardiomyopathie, Koronaranomalien?) ● Thoraxschmerz und Fieber (Perikarditis, Myokarditis?) ● Fieber und Arrhythmien (Myokarditis?) ● chronische Gedeihstörung ● hyperaktives Prekordium ● prekordiales Schwirren (spürt man in den Fingen beim
Palpieren) ● schwache Femoralpulse (typisches Anzeichen bei einer
Aortenisthmusstenose, immer ertasten, sie wird oft zu spät erkannt) ● arterielle Hypertonie ● abnormales EKG ● auffälliges Thoraxröntgenbild
Geräusch verschwindet in den ersten 3 bis 6 Lebensmonaten von selbst. Abgeklärt werden muss es nur, wenn das Geräusch über die ersten Lebenmonate hinaus persistiert. Als «Nonnensausen» bezeichnet man ein kontinuierliches (systolisch-diastolisch), eher tiefes Geräusch, das auf physiologischen Turbulenzen in den Jugularvenen beruht. Es tritt im Alter von 3 bis 6 Jahren auf, aber nur in aufrechter Position. Es verschwindet, wenn das Kind den Kopf dreht oder wenn man mit dem Daumen auf die Jugularvenen drückt.
Bedenkliche Herzgeräusche
Isolierte diastolische Geräusche sind nie normal. Das Gleiche gilt für Herzgeräusche, die lauter als Grad 3/6 sind und von palpatorischem Schwirren begleitet werden. Ebenfalls bedenklich sind ein abnormaler zweiter Herzton und hochfrequente Geräusche. Letztere sind typisch für Ventrikelseptumdefekte und Mitralinsuffizienz. Holosys-
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Kardiologie
Kasten 2:
6-stufige Lautstärkeskala der Herzgeräusche
● 1/6 – nur mit Mühe bei der Auskultation hörbar ● 2/6 – leise, jedoch bei Auskultation immer hörbar ● 3/6 – laut, jedoch ohne Schwirren ● 4/6 – lautes Geräusch mit Schwirren ● 5/6 – hörbares Geräusch auch ohne vollständiges Auf-
legen des Stethoskops ● 6/6 – ohne Stethoskop hörbares maximal lautes Geräusch
tolische Geräusche sind typisch für mittelgrosse Ventrikelseptumdefekte, raue Geräusche für eine Aorten- und Pulmonalstenose. Abnormale Klicks können ebenfalls auf eine Aorten- und Pulmonalstenose hinweisen sowie auf einen Mitralklappenprolaps. Auffällig sind ausserdem Herzgeräusche mit atypischer Ausstrahlung (z. B. im Rücken bei Kindern über 6 Monate).
Synkopen
Synkopen sind nicht selten, und sie können viele verschiedene Ursachen haben. Unabhängig von der Ursache erleiden zirka 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen vor dem 18. Lebensjahr eine Synkope, bei den Erwachsenen sind es im Lauf des Lebens 50 Prozent, und bei einem Drittel der Betroffenen kommt es wiederholt zu Synkopen. Am häufigsten treten sie im Alter von 9 bis 21 Jahren auf. Synkopen haben nur selten kardiale Ursachen – aber falls doch, kann es gefährlich werden. Die gute Nachricht: «Wir können zwar oft keine Diagnose stellen, aber gefährliche Dinge ausschliessen, nämlich strukturelle Herzfehler und arrhythmogene Herzprobleme», sagte Kuen. Entscheidend ist eine gute Anamnese. Alarmsignale und Anlass für die sofortige Zuweisung bei Synkopen sind ● das Fehlen von typischen Triggern ● das Fehlen von Prodromi und Aura ● das Auftreten einer Synkope bei Belastung, insbeson-
dere beim Schwimmen ● das Auftreten einer Synkope im Liegen oder Sitzen
ohne vorausgehende körperliche Belastung ● eine Assoziation mit Brustschmerz oder Palpitation ● eine sehr kurze Synkope mit Verletzung ● eine positive Familienanamnese für plötzlichen Herz-
tod (auch Ertrinken oder tödliche Autounfälle vor dem 40. Lebensjahr) ● bekannte Herzfehler, Arrhythmie oder sonstige Herzerkrankungen. Typische Trigger für Synkopen sind sensorische beziehungsweise situative Reize wie zum Beispiel ein unerwarteter, unerfreulicher Anblick, ein Geruch, eine Blutentnahme, Blut zu sehen, Husten, Niesen oder Lachen, gastrointestinale Stimuli oder das Anspielen von Blasinstrumenten. Auch Schmerz kann Synkopen triggern. Das Gleiche gilt für orthostatische Probleme, wie sie bei langem Stehen, körperlicher Belastung, Flüssigkeitsmangel oder beim Wechsel in eine aufrechte Position auftreten können. Typische Prodromi einer Synkope sind Schwindel, Schwarzwerden vor den Augen, Augenflimmern, verschwommenes Sehen, Hitze- oder Kältegefühl und Schweissausbrüche.
Thoraxschmerzen
Sie treten im Kindesalter häufig auf, aber die meisten betroffenen Kinder sind ansonsten gesund, sofern sie keine weiteren Symptome haben. Kardiale Ursachen seien bei Thoraxschmerzen extrem selten, sagte Kuen. Ein reproduzierbares Auftreten unter Belastung kann für eine kardiale Ursache sprechen. Warnsignale bei Thoraxschmerzen sind ● Belastungsabhängigkeit ● Synkope, Palpitation oder Dysthythmie ● Fieber, Dyspnoe, Zyanose ● Tachykardie, Hypotonie ● Nachtschmerz, Aufwachen ● familiäre Belastung bezüglich plötzlichen Herztods ● pathologische Untersuchungsbefunde (Geräusche,
Klicks, Reiben, Arrhythmien) ● Vorerkrankungen (Herzoperation, Kawasaki-Syndrom,
Sichelzellanämie usw.).
Arrhythmien
Auch bei den Arrhythmien besteht in der Praxis meist keine kritische Situation, sofern das Kind weder Fieber noch sonstige Begleiterkrankungen hat. Arrhythmien sind bei Kindern oft mit der Atmung verbunden: Der Puls wird schneller beim Einatmen und langsamer beim Ausamten . Diese Schwankungen könnten «sehr krass sein und oft beunruhigend, sind aber bei Kindern ein völlig normales Phänomen», so Kuen. Extrasystolen sind im Kindesalter sehr häufig. Sie können beispielsweise durch Medikamente, Energiedrinks oder Koffein ausgelöst werden – aber in seltenen Fällen auch durch eine Myokarditis. Generell gilt jedoch: Extrasystolen sind meist gutartig und ohne erkennbare Ursache, wenn das Kind ansonsten gesund ist, keine anderweitigen Symptome bestehen und in der Familie keine Herzkrankheiten aufgetreten sind. Die häufigste therapiebedürftige Rhythmusstörung im Kindesalter ist die AV-Reentry-Tachykardie (WPW-Syndrom). Die Prävalenz beträgt 0,1 bis 0,3 Prozent, ein Viertel der Fälle tritt im 1. Lebensjahr auf. Die Pulsfrequenz steigt auf > 220/min bei Säuglingen und > 180/min bei Kindern und Adoleszenten. Das Herz ist morphologisch meist normal, aber es besteht eine Assoziation mit Herzfehlern (Ebenstein-Anomalie, Transposition der grossen Arterien [L-TAG]). Im Zusammenhang mit der Bradykardie nannte der Referent zwei Hauptmechanismen: die physiologische Sinusbradykardie und den gefährlichen AV-Block. Eine Bradykardie im Kindesalter ist häufig asymptomatisch mit allenfalls unspezifischen Symptomen wie Trinkschwäche und Lethargie bei Säuglingen und Kleinkindern oder Schwächegefühl, Schwindel, Synkope oder Belastungsintoleranz bei älteren Kindern verbunden. Die Liste potenzieller Bradykardieursachen ist lang. Ausserhalb des Spitals ist sie etwas häufiger bei Sportlern zu finden, bei Anorexiepatienten und bei Patienten mit einem erhöhten Hirndruck.
Renate Bonifer
Quelle: Vortrag von KD Dr. med. Hans Peter Kuen: «Kinderkardiologische Probleme in der Praxis». FOMF WebUp Pädiatrie am 8. Februar 2022.
Linktipps
Synkope im Kindes- und Jugendalter Leitlinie der DGPK www.rosenfluh.ch/qr/dgpk-synkope
Thoraxschmerzen im Kindes- und Jugendalter Leitlinie der DGPK www.rosenfluh.ch/qr/dgpk-thorax
Bradykarde Herzrhythmusstörungen im Kindes- und Jugendalter sowie bei jungen Erwachsenen mit einem angeborenen Herzfehler (EMAH) Leitlinie der DGPK www.rosenfluh.ch/qr/dgpk-bradykardie
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