Transkript
Schwerpunkt
Einblick ins Innere der Zähne
Wann sind Röntgenaufnahmen im Kindesalter notwendig?
Ob bei der Kariesdiagnostik oder bei kieferorthopädischen Behandlungen – Röntgenaufnahmen sind wichtige oder gar unverzichtbare Hilfsmittel. Doch wie sieht es mit der Strahlenbelastung aus? Wir sprachen darüber mit Dr. med. dent. Dorothea Dagassan, Leiterin des Kompetenzzentrums Dental Imaging am Universitären Zentrum für Zahnmedizin in Basel.
Dr. med. dent. Dorothea Dagassan
PÄDIATRIE: Frau Dr. Dagassan, wie relevant ist die Strahlenbelastung durch das Röntgen der Zähne im Kindesalter? Dr. med. dent. Dorothea Dagassan: Grundsätzlich sind die Röntgenaufnahmen in der Zahnmedizin im Niedrigdosisbereich anzusiedeln. Die Aufnahmen sind unter anderem durch die Digitalisierung im Vergleich zu früheren Zeiten mit einer erheblich niedrigeren Dosis verbunden. Diese niedrige Strahlendosis darf aber nicht dazu verführen, Röntgenbilder häufiger als wirklich notwendig aufzunehmen. Wenn das alle beachten, sind wir beim zahnmedizinischen Strahlenschutz in der Schweiz extrem gut aufgestellt.
Wie viele Röntgenbilder der Zähne liegen in der
Kindheit im Rahmen der Strahlenschutzgrenzwerte?
Dagassan: Es braucht immer eine rechtfertigende Indi-
kation, das heisst, jedes Röntgenbild, das angefertigt
wird, muss aus zahnärztlicher Sicht begründet werden.
Hierbei gilt es, das Risiko durch strahleninduzierte Schä-
den gegenüber dem Nutzen der durch diese Aufnahmen
gelieferten Information abzuwägen. Strahlenschutzgrenz-
werte gibt es nur für beruflich strahlenexponierte Perso-
nen, aber nicht für Patienten.
Die häufigsten Aufnahmen in der Zahnmedizin sind klein-
formatige, intraorale Einzelröntgenaufnahmen. Mit einer
besonderen Positionierung der Bildempfänger gehören
hierzu auch die sogenannten Bissflügelaufnahmen zur
Kariesdiagnostik. Daneben kommen bei Kindern in der
Kieferorthopädie noch wenige extraorale Aufnahmen
hinzu, nämlich Panoramaschicht- oder seitliche Fernrönt-
genaufnahmen.
Eine niedrige Strahlendosis darf
Wie gering die Do-
nicht dazu verführen, Röntgen-
sen beim Einzel-
bilder häufiger als wirklich not-
zahnröntgen in der
wendig aufzunehmen.
Zahnmedizin sind,
sieht man beispiels-
weise auch daran, dass zahnärztliches Personal, das die
oben erwähnten intraoralen Einzelröntgenaufnahmen
anfertigt, vom BAG nicht dosimetriert wird. Die mögliche
Dosis, die diese Personen durch die tägliche Arbeit er-
reichen könnten, überschreitet nicht die zulässige Ge-
samtdosis für die normale Bevölkerung.
Wann sind Röntgenbilder der Zähne bei Kindern und Jugendlichen wirklich notwendig? Dagassan: Röntgenstrahlen kommen immer dann zum Einsatz, wenn Zähne und Knochen sichtbar gemacht werden müssen, weil wir mit der Inspektion von aussen nicht alle notwendigen Informationen erhalten können. Röntgenbilder werden auch aufgenommen, um den Status quo zu bestimmten Zeitpunkten festzuhalten oder Veränderungen zu dokumentieren. Ein wichtiges Thema ist die frühzeitige Erkennung von Karies. Die Seitenzähne sind dick, und sie haben breite Kontaktpunkte zueinander, sodass wir Veränderungen, insbesondere Karies, von aussen nicht rechtzeitig erkennen können. Um Prophylaxemassnahmen und Therapien zum Erhalt der Zähne wirksam umsetzen zu können, verwenden wir Röntgenaufnahmen. In der Regel wird deshalb eine Bissflügelaufnahme nach dem abgeschlossenen Zahnwechsel empfohlen. Wie bereits erwähnt, muss die Anfertigung jedes einzelnen Röntgenbildes gerechtfertigt und begründet sein. Gerade bei der Karieskontrolle spielen weitere Faktoren wie die Mundhygiene, Ernährungsgewohnheiten und die Besiedlung mit bestimmten Bakterien eine Rolle bei der Entscheidung, ob und wann ein Röntgenbild angefertigt werden soll. In Basel-Stadt ist es häufig so, dass die Schulzahnärzte bei den Reihenuntersuchungen an den Schulen die Kinder erfassen, bei denen solch eine Aufnahme sinnvoll wäre. Die Eltern erhalten dann eine Einladung zu uns ans UZB.
Wie kann die Strahlenbelastung minimiert werden? Dagassan: Die Strahlenbelastung muss immer so weit wie möglich minimiert werden. Es gilt hier das sogenannte ALARA-Prinzip, ein Akronym für «as low as reasonably achievable». Das heisst, es muss so viel Röntgenstrahlung wie nötig eingesetzt werden, um ein gutes Bild zu erzeugen, anhand dessen eine sichere Diagnose gestellt werden kann. Und gleichzeitig soll es so wenig Röntgenstrahlung wie möglich sein, damit wir das Risiko für Gewebeschäden so weit wie möglich reduzieren. Wir erreichen das mit der schon mehrfach genannten strengen Indikationsstellung, also einer genauen Überprüfung, ob ein Röntgenbild notwendig ist oder nicht.
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Darüber hinaus muss die angewendete Technik dem aktuellen Stand entsprechen. Hier kommt uns die Digitalisierung enorm entgegen, da mit den neuen digitalen Verfahren deutlich Dosis eingespart werden kann. Mittlerweile sind nicht nur hier bei uns am UZB, sondern auch in den Zahnarztpraxen digital erfasste Röntgenbilder die Regel. Es gibt nur sehr wenige Zahnärzte, die noch mit Filmen arbeiten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Blenden zu verwenden, welche die Röntgenstrahlen genau auf den Bildempfänger fokussieren und die Bestrahlung des umgebenden Gewebes erheblich vermindern. Der Einsatz dieser Blenden erfordert allerdings Übung, damit keine Wiederholungsaufnahmen notwendig werden. Selbstverständlich müssen auch Schutzmittel genannt werden, mit denen wir gerade unsere kleinen Patientinnen und Patienten vor Streustrahlung schützen. Hier gilt es in der Zahnmedizin vor allem die Schilddrüse zu schützen, die im Wachstum besonders empfindlich auf Strahlen reagiert.
Welche Verfahren sind besonders dosisintensiv, welche eher nicht? Dagassan: In der Zahnmedizin sind im Vergleich zur Humanmedizin fast alle Verfahren mit sehr niedriger Dosis verfügbar. Zudem ist die Grösse unserer Aufnahmen meist sehr viel kleiner als in der Humanmedizin. Wenige Aufnahmemodalitäten, die nur in Spezialfällen zur Anwendung kommen, können höhere Dosen aufweisen. Das ist die digitale Volumentomografie (DVT), ein dreidimensionales Röntgenverfahren. Wenn solche Aufnahmen gemacht werden müssen, geht es um besondere Fälle, bei denen ohne die dreidimensionale Information zur Anatomie oder zu pathologischen Strukturen keine adäquate Therapie möglich ist. Aber auch hier haben wir spezielle Protokolle, damit die Strahlenbelastung für die Kinder so gering wie möglich ist und trotzdem eine gute Bildqualität erreicht wird. Das UZB bietet das gesamte Spektrum zahnärztlich-radiologischer Aufnahmen auch Privatpraktikern an, die nicht über diese speziellen Geräte verfügen.
Röntgenaufnahmen erfordern ein gewisses Mass an Kooperation seitens des Patienten. Wie schaffen Sie das bei Kindern? Dagassan: Mit der richtigen Kommunikation klappt es gut, und Kinder sind im Zweifelsfall, wenn sie gut geführt werden, sehr viel tougher und kooperationsbereiter als mancher Erwachsene. Darüber hinaus sind wir am UZB speziell auf Kinder eingerichtet. So sind beispielsweise die Speicherfolien und Sensoren für intraorale Aufnahmen kleiner als bei den Erwachsenen. Auch während des Röntgens ermöglichen wir den Blickkontakt zwischen Eltern und Kindern mithilfe einer durchdachten Anordnung von Bleiglasfenstern und Spiegeln. Falls das bei einem besonders ängstlichen Kind nicht ausreicht, darf die vertraute Bezugsperson notfalls auch im Röntgenraum bleiben, selbstverständlich nur mit einer Bleischürze, also einem entsprechenden Strahlenschutz.
Bildgebende Verfahren in der Zahnmedizin
● Einzelröntgenaufnahme Statt der früher üblichen kleinformatigen Röntgenfilme zur Aufnahme von ein-
zelnen beziehungsweise wenigen Zähnen werden heutzutage meist Speicher- folien oder Sensoren verwendet, die das Bild digital erfassen. Speicherfolien werden nach der Aufnahme in einem separaten Gerät ausgelesen, Sensoren verfügen über eine direkte Verbindung zum Computer.
● Bissflügelaufnahme Bissflügelaufnahmen werden mit Speicherfolien/-sensoren erstellt, die innen zum
Beispiel seitlich mithilfe eines kleinen Flügels durch Zubeissen fixiert werden. Diese Aufnahmen dienen der Kariesdiagnostik, und sie bilden nur die Kronen- bereiche der Zähne im Unter- und Oberkiefer ab.
● Panoramaschichtaufnahme Es handelt sich um eine zweidimensionale Übersichtsaufnahme des gesamten
Kieferbereichs, das auch als Orthopantomogramm (OPG) bezeichnet wird. Die Röntgenquelle umfährt dabei den Kopf um 180 Grad.
● Seitliche Fernröntgenaufnahme Bei der seitlichen Fernröntgenaufnahme (Fernröntgenseitenbild [FRS]) wird der
gesamte Schädel im Profil aufgenommen. Die Röntgenquelle ist dabei relativ weit vom Kopf entfernt, die Bildaufzeichnung hingegen ganz nah. Dadurch wird ein paralleler Strahlengang ermöglicht, der zu einem weitgehend verzerrungsfreien Bild führt.
● Dreidimensionale digitale Volumenschichtaufnahme (DVT) Die DVT erlaubt eine detaillierte dreidimensionale Aufnahme des Kieferbereichs.
Die DVT bietet gegenüber der Computertomografie (CT) eine Reihe von Vorteilen (u. a. eine wesentlich niedrigere Strahlenbelastung und die scharfe Abbildung in allen Ebenen). Anwendungsgebiete sind die Beurteilung von Weisheitszähnen, die Implantologie sowie die Beurteilung von Zahntraumata oder deren Spätfolgen.
RBO
Dagassan: Die Weitergabe von Röntgenbildern ist aktiver Strahlenschutz. Röntgenbilder gehören den Patientinnen und Patienten und sollten diesen immer zur Verfügung gestellt werden. Bei der Weitergabe geht es meistens darum, dass sich Kollegen ebenfalls ein Bild von der Situation machen wollen und keine zusätzlichen Aufnahmen gemacht werden sollen. Hier gilt es lediglich, auf den Datenschutz der Patienten zu achten. Sie müssen mit der Weitergabe ihrer Bilder an Dritte einverstanden sein. Gegebenenfalls ist also das Einverständnis der Patienten vor der Weitergabe der Bilder an Kollegen notwendig. Ansonsten sind wir Zahnärztinnen und Zahnärzte verpflichtet, Röntgenbilder mindestens 10 Jahre lang aufzubewahren. Mit der Verwendung digitaler Bilddaten ist die Weitergabe von Röntgenbildern kein Problem, da wir, anders als früher, vom Originalbild beliebig viele verlustfreie Kopien erstellen können.
Frau Dr. Dagassan, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview wurde von Dr. Renate Bonifer geführt.
Sind Zahnärzte verpflichtet, die Bilder den Patienten beziehungsweise ärztlichen Kollegen auszuhändigen?
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