Transkript
Infektiologie
Masern in der Schweiz
Impfquote ist gestiegen, aber sie reicht noch nicht aus
Im Rahmen des weltweiten WHO-Programms zur Elimination der Masern hat sich auch die Schweiz das Ziel gesetzt, die Masern dauerhaft zu eliminieren. Am Schweizer Impfkongress informierte Dr. med. Michelle Raess, BAG, wie weit man bis anhin damit gekommen ist.
Masern sind extrem ansteckend, und die Übertragung des Virus ist bereits 4 Tage vor dem Auftreten von Symptomen möglich. Im Durchschnitt infiziert ein Erkrankter 12 bis 18 weitere Personen. 90 Prozent der nicht gegen Masern geimpften Personen erkranken nach dem Kontakt mit einem Masernpatienten. Für eine langfristige Eliminierung der Masern ist eine Durchimpfungsrate von mindestens 95 Prozent notwendig. In der Schweiz wird die Masernimpfung allen Kindern empfohlen, mit der 1. Dosis im 9. Lebensmonat und der 2. Dosis im Alter von 12 Monaten. Wer nach 1963 geboren wurde und nicht gegen Masern geimpft ist, sollte ebenfalls noch geimpft werden (2 Dosen). Als «eliminiert» gelten die Masern gemäss WHO dann, wenn in einer definierten Region in den letzten 12 Monaten keine endemische Transmission des Masernvirus stattgefunden hat, das heisst, dass ein Masernausbruch mit derselben Virusvariante nicht länger als 12 Monate andauerte. Dieses Ziel wurde in der Schweiz ab 2018 erreicht. Auch für 2020 wird dies erwartet, der offizielle Bescheid der WHO stand Ende Oktober 2021 aber noch aus.
Fallzahlen seit 1999
Die Masern sind seit 1999 eine meldepflichtige Krankheit. Von 1999 bis 2006, in der sogenannten prä-epidemischen Phase, wurden mit einer Ausnahme jeweils we-
niger als 100 Fälle pro Jahr gemeldet, nur 2003 waren es deutlich mehr, nämlich 604 Fälle. Von 2007 bis 2011 erstreckte sich die epidemische Phase mit dem Maximum von 2220 Fällen im Jahr 2008 sowie jeweils gut 1000 Fällen in den Jahren 2007 und 2009 und erneut 650 Fällen im Jahr 2011 (Inzidenz 8,48/100 000 Einwohner), nachdem 2010 nur 43 Fälle gemeldet worden waren. Seit 2012 spricht das BAG von einer post-epidemischen Phase mit meist unter 100 Fällen pro Jahr, mit Ausnahme der Jahre 2013 (176 Fälle), 2017 (104 Fälle) und 2019 (222 Fälle). 2020 zählte man 37 Fälle, und für 2021 sind noch keine Masernfälle gemeldet (Stand: 16. November 2021). Von 2012 bis 2019 fanden insgesamt 97 Masernausbrüche statt (pro Jahr zwischen 4 und 33 Ausbrüche). Pro Ausbruch waren 2 bis 97 Fälle involviert (median 2 Fälle). Die Ausbrüche dauerten 1 bis 22 Wochen (median 3 Wochen). Das mittlere Alter der Erkrankten betrug bei den Ausbrüchen 16 Jahre, bei den sporadischen Einzelfällen 26 Jahre. 4 Todesfälle wegen Masern wurden in der Schweiz seit 1999 gemeldet. Hierbei müsse man aber von einer deutlichen Unterschätzung der tatsächlichen Zahlen ausgehen, sagte die Referentin. Das BAG berichtet auf seiner Homepage von 2 Todesfällen seit Anfang 2019: Ein zuvor gesunder, ungeimpfter junger Erwachsener sowie ein
2 Dosen im Alter von 2 Jahren
2 Dosen im Alter von 16 Jahren
95–100%
90–94%
85–89%
80–84%
Abbildung: Kantonale Impfquoten von 2017 bis 2020 gemäss kantonalem Durchimpfungsmonitoring (Familien mit Kindern im Alter von 2, 8 und 16 Jahren werden vom jeweiligen Kanton eingeladen, den Impfausweis oder eine Kopie einzuschicken bzw. auf eine sichere Onlineplattform hochzuladen)
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älterer Mann, der wegen eines Krebsleidens immunsupprimiert war, verstarben an Masern.
Höheres Erkrankungsalter
Verschoben hat sich das Altersspektrum der Masernpatienten. Während in der prä-epidemischen Phase hauptsächlich Kinder erkrankten (median 12 Jahre), liegt das Alter der Masernpatienten mittlerweile im Mittel bei 19 Jahren. Parallel dazu werden Komplikationen anteilsmässig etwas häufiger gemeldet. Auch der Anteil der Masernpatienten, die ins Spital müssen, ist in der post-epidemischen Phase gestiegen, was ebenfalls auf die veränderte Altersstruktur der Erkrankten zurückgeführt werden könne, so die Referentin. In den letzten 8 Jahren war die Pneumonie mit 8 Prozent die häufigste einzeln erfasste Komplikation, danach folgt die Otitis mit 3 Prozent, während die Enzephalitis nur bei 0,4 Prozent der Masernpatienten gemeldet wurde. In der mit über 20 Prozent grössten Gruppe der Komplikationen wurden verschiedene Erkrankungen subsummiert (z. B. Zystitis, Bronchitis, Hepatitis, Fieberkrämpfe u.a.). Bekanntermassen gehen Masern meist mit Fieber, Konjunktivitis, Husten und dem typischen Exanthem einher, aber sie können in seltenen Fällen auch mit anderen, beispielsweise gastrointestinalen Symptomen verknüpft sein.
pen, aber die Krankheit ist weltweit immer noch recht weit verbreitet. Deshalb müssen die Bemühungen fortgesetzt werden», sagte Raess. Gemäss kantonalen Umfragen ist die Impfquote (2 Impfungen) von 1999 bis 2020 deutlich gestiegen. Sie erreichte 2020 bei den 2-Jährigen 93 Prozent, bei den 8-Jährigen 94 Prozent und bei den 16-Jährigen 95 Prozent. Allerdings sind diese Zahlen mit Vorsicht zu interpretieren, denn es dürften sich an den Umfragen überwiegend Personen mit einer positiven Einstellung gegenüber der Impfung beteiligt haben, sodass es sich eher um Schätzungen als um harte Daten handelt. Die für die Eliminierung der Masern notwendige Schwelle von 95 Prozent Geimpften in der Gesamtbevölkerung wurde schweizweit noch nicht überschritten. Bei der Impfquote gibt es grosse kantonale Unterschiede (s. Abbildung). Die Anzahl der bestellten und gelieferten Impfdosen zeigt, dass die Impfquote wegen der Coronapandemie in den Jahren 2020 und 2021 wieder gesunken ist: «Darum möchten wir gern dazu aufrufen, dass die während der Pandemie gesunkene Durchimpfungsrate wieder auf das frühere Niveau gebracht werden muss, um die Masernelimination dauerhaft aufrechterhalten zu können», sagte die Referentin.
Renate Bonifer
Impfquote
«Die Impfung hat zu einer deutlichen Abnahme der Erkrankungszahlen geführt, und zwar in allen Altersgrup-
Dr. med. Michelle Raess, BAG: Masern-Epidemiologie und Durchimpfungsrate in der Schweiz – aktueller Stand. XI. Schweizer Impfkongress, 28. bis 29. Oktober 2021. Masernstatistik gemäss www.bad.admin.ch, abgerufen am 16. November 2021.
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