Transkript
Schwerpunkt
Im falschen Körper geboren?
Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen
Im Zusammenhang mit dem Phänomen der Genderdysphorie im Kindes- und Jugendalter stellen sich in der Praxis viele Fragen, die in diesem Artikel diskutiert werden: Ab wann muss man Genderdysphorie ernst nehmen? Wer ist für die Diagnose zuständig? Ab wann kann man die Diagnose Geschlechtsinkongruenz stellen, und ab wann sind irreversible Eingriffe gerechtfertigt? Sollte man nicht doch vielleicht abwarten und wenn ja, wie lang? Was sind die Vorund Nachteile des Abwartens?
Von Brigitte Contin
Auch bei uns in der Kinder- und Jugendpsychia trie (KJP) in der Psychiatrie Baselland ist in den letzten Jahren eine zunehmende Nachfrage bezüglich Abklärung, Therapie und Beratung rund um das Thema Transgender festzustellen. Rund um Fragen der Geschlechtsidentitätsfindung ist eine allgemeine,
grosse Verunsicherung feststellbar, so dass wir seit mehreren Jahren bei uns in der KJP eine Spezialsprechstunde eingerichtet haben. Dieser Artikel geht vor allem auf
einige wichtige Aspekte ein, mit denen wir bei dieser
Thematik immer wieder konfrontiert werden. Das Thema wird seit einiger Zeit ausserdem vermehrt in unterschiedlichen Medien aufgegriffen. Das gesellschaft-
liche Interesse, die Sensibilität und die Sensibilisierung für das Thema haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Es gibt inzwischen zahlreiche Berichterstattun-
gen, speziell auch zum Thema Transkinder. Es ist deshalb
nicht verwunderlich, dass wir unsere ursprüngliche
Sprechstunde für Ge-
Allgemein ist eine grosse Verunsicherung feststellbar, sowohl aufseiten der Behandler als auch aufseiten der Eltern und Betroffenen.
schlechtsidentitätsfragen ausbauen konnten und immer wieder diverse Supervisionsanfragen aus den Nachbarkantonen und von Kollegen aus der
Praxis erhalten. Allgemein
ist eine grosse Verunsicherung feststellbar, sowohl auf-
seiten der Behandler als auch aufseiten der Eltern und Betroffenen. Die Verunsicherung zeigt sich auf verschiedenen Ebenen:
● Bezüglich der Begrifflichkeiten trans, Transidentität, Transgender, Cisgender, queer, homosexuell vs. lesbisch, genderfluid
● Ein zweiter grosser Themenkreis, der Verunsicherung auslöst, ist die Anrede er/sie/es beziehungweise mit den weiblichen/männlichen Vornamen. Die intensive Auseinandersetzung mit der Wahl des Rufnamens löst
immer wieder spannende therapeutische Prozesse aus
(s. Fallbeispiel).
Fallbeispiel Vivienne/Victor
Ein Transjugendlicher, der längere Zeit bei uns in Abklärung und Behandlung war, kam, nachdem er längere Zeit bereits als Victor geoutet war, beim Thema der offiziellen amtlichen Festlegung des männlichen Namens zu der Erkenntnis, dass er den weiblichen Namen doch nicht aufgeben wollte, und kam so sukzessive zur weiblichen Identität zurück. Nichtsdestotrotz war für ihn/sie das Leben als junger Mann über 2 Jahre inkl. Hormonblocker und gegengeschlechtliche Hormongabe eine wichtige Phase, die er/sie nicht missen wollte.
Einige wichtige Begrifflichkeiten
Trans/cis/queer: Menschen, deren Geschlechtsidentität, also das innere Wissen darüber, welchem Geschlecht sie angehören, nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt, nennt man trans. Transfrauen wurde bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen, Transmännern das weibliche. Menschen, die nicht trans sind, nennt man Cispersonen. Es gibt auch zum Teil veraltete Begriffe wie transsexuell, transgender und transident. Queer (englisch für «abweichend») ist ein Sammelbegriff für sexuelle und geschlechtliche Identitäten, er ist offen und uneindeutig. Psychisches Geschlecht: Das psychische Geschlecht zeigt sich an der Geschlechtsidentität einer Person. Es ist ein subjektives Erleben, das sich weder am Verhalten noch an der sexuellen Orientierung ablesen lässt. Man ist sich heute in der Fachwelt weitgehend darüber einig, Queer- und Transidentität als gesunde Normvariationen anzuerkennen. Diese Überzeugung zeigt sich zunehmend deutlich an einer Entpathologisierung in den dia gnostischen Klassifikationssystemen.
4 Pädiatrie 1/22
Schwerpunkt
Biologisches Geschlecht: Manifestiert sich an den inneren und äusseren Genitalien, an den sekundären Geschlechtsmerkmalen und den Gehirnstrukturen. Intergeschlechtliche Zustände: Bezeichnen das angeborene Vorhandensein genetischer und/oder anatomischer und/oder hormoneller Geschlechtsmerkmale, die nicht der Geschlechternorm von Mann und Frau entsprechen. Sexuelle Orientierung: Die sexuelle Orientierung ist losgelöst von der Geschlechtsidentität. Dieser Begriff bezieht sich auf das Begehren einer Person. Ebenfalls eine sexuelle Orientierung ist die Pansexualität (griechisch Pan: alles umfassend). Dem biologischen Geschlecht oder der Geschlechtsidentität wird hierbei keine Bedeutung zugemessen, sie spielt keine Rolle.
Paradigmenwechsel in ICD-11
Während noch in dem multiaxialen Klassifikationsschema der WHO für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 (International Classification of Diseases) die Diagnose Transsexualismus F64.0 besteht (1), wird in der seit 2022 gültigen ICD-11 (2) neu im Abschnitt «condition related to sexual health» der Begriff «genderincongruence» (deutsch: Geschlechtsinkongruenz) definiert. Geschlechtsinkongruenz wird zudem nach dem Lebensalter unterschieden. ● In HA60: Geschlechtsinkongruenz während der Puber-
tät oder im Erwachsenenalter (genderincongruence of adolescent or adultant). ● In HA61: Geschlechtsinkongruenz während der Kindheit (genderincongruence of childhood). Die Diagnose ist ausdrücklich nicht als psychische Störung eingeordnet, sondern als Zusatzform der sexuellen Gesundheit (condition of sexual health). Heute wissen wir, dass die Erscheinungsformen des Geschlechts unendlich vielfältig und individuell sind. Das Wissen um die unterschiedlichen Ebenen und Ausprägungen des Geschlechts ist in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Suchen und im Finden ihrer Geschlechtsidentität eine wichtige Voraussetzung. Gemäss DSM-V, der letzten Ausgabe des amerikanischen «Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders», werden transspezifische Diagnosen in der eigenen Kategorie «genderdysphoria» (deutsch: Geschlechtsdysphorie) geführt (3). Im Fokus steht dabei der Leidensdruck aufgrund der Geschlechtsinkongruenz. Erst wenn ein Leidensdruck in klinisch relevantem Ausmass vorliegt (Kriterium B), hat die subjektiv empfundene und per se nicht psychopathologische Geschlechtsinkongruenz gemäss DSM-V einen Störungswert. Nicht binäre Identitäten sind explizit eingeschlossen. Diagnostisch wird zwischen Geschlechtsdysphorie bei Kindern (Ziff. 302.6) und Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen und Erwachsenen (Ziff. 302.85) unterschieden. Sie ist definiert als ausgeprägte Inkongruenz zwischen dem empfundenen und dem zugewiesenen Geschlecht von mindestens 6 Monaten Dauer sowie als starker Wunsch, einem anderen als dem zugewiesenen Geschlecht anzugehören (Kriterium A) (Preuss, 2016). Mit dem Übergang der ICD-10 zu ICD-11 ist ein grundlegender Paradigmenwechsel erfolgt. Die Konzeptionen der sexuellen Devianz der 1940er-Jahre wurden zu einem Modell weiterentwickelt, welches neurowissenschaftli-
che Erkenntnisse und klinische Praxiserfahrung berücksichtigt. Die bis anhin erlebte Stigmatisierung durch die Diagnose als psychische Störung fällt mit der neuen Einordnung weg, gleichzeitig blieb der Zugang zur Gesundheitsversorgung offen. Da sich die Diagnose nicht mehr im psychiatrischen Kapitel befindet, sondern in jenem der sexuellen und geschlecht-
lichen Gesundheitszustän- Mit ICD-11 geht für die de, geht für die Psychiatrie Psychiatrie eine geschlechtseine geschlechtsnormie- normierende Ära zu Ende.
rende Ära zu Ende (4). Trotzdem sollte im diag nostischen Prozess das gesamte Spektrum der Diagnosen im Kindes- und Jugendalter im Auge behalten werden. Geschlechtsinkongruente Kinder und Jugendliche haben insgesamt eine erhöhte psychische Belastung mit depressiven Verstimmungen, Suizidalität und selbstverletzendem Verhalten. Dazu gibt es zahlreiche Studien (5).
Prävalenz der Geschlechtsinkongruenz
Eine Metaanalyse von 21 klinischen Studien zeigte eine Gesamtprävalenz der Geschlechtsinkongruenz von 4,6 pro 100000 (6). Im Rahmen von Studien wurden junge Erwachsene aus der Schweiz zur Geschlechtsidentität befragt: 0,4 Prozent der 24- bis 26-Jährigen bezeichnen sich als trans. Ähnliche Zahlen zeigt eine Gesundheitsbefragung der Stadt Zürich von 1068 Schülerinnen und Schülern: 0,5 Prozent der befragten Mädchen gaben an, sich als Junge zu fühlen, 0,7 Prozent der Jungen, sich als Mädchen zu fühlen (7).
Verunsicherte Eltern in der Sprechstunde
Aufgrund der bereits genannten Sensibilisierung auf das
Thema «trans» sind viele Eltern bezüglich der Namens-
gebung verunsichert. Wir hatten kürzlich eine Anfrage
von Eltern, ob sie ihrem Kind einen männlichen, einen
weiblichen oder einen neutralen Namen bei der Geburt
geben sollten. Öfter zeigen sich Eltern auch verunsichert
bezüglich der weiblichen/
männlichen Spielsachen, die sie einem Kind geben sollten, oder bei Jungen, die lieber mit typischem Mädchenspielzeug spielen, Mädchenkleider anziehen wollen usw. Wir
Zwei Drittel der präpubertären geschlechtsvarianten oder genderdysphorischen Kinder werden im Jugendalter keine dauerhafte Transidentität entwickeln.
raten diesen Eltern je-
weils, in dieser Situation offen und so neutral wie mög-
lich zu bleiben und dem Kind die verschiedenen Dinge
des Lebens anzubieten – immer im Bewusstsein, dass
zwei Drittel der präpubertären geschlechtsvarianten oder
genderdysphorischen Kinder später im Jugendalter keine
dauerhafte Transidentität entwickeln (8, 9).
Es gibt neuere Studien, die diese älteren Studien zum Teil
aufgrund methodischer, theoretischer Bedenken kritisch
diskutieren und die Resultate entsprechend infrage stel-
len (10, 11).
Eine weitere wichtige Frage ist die nach der Persistenz. Es
ist zu klären, inwiefern sich das geschlechtervariante Ver-
halten in der Pubertät zu einer hetero- oder einer homo-
sexuellen Identität entwickeln wird. Unsere persönlichen
Erfahrungen zeigen, dass zahlreiche Faktoren zu berück-
1/22 Pädiatrie
5
Schwerpunkt
sichtigen sind und sehr individuell abgeklärt werden
muss, wie die spezifischen familiären Umstände ausse-
hen. Dazu gehören unter anderem die Wünsche der El-
tern (Wunschgeschlecht der Eltern vs. eigentlichen
Wunsch des Kindes), die Geschwisterkonstellation des
Kindes, seine Schulsituation, sein Entwicklungsstand,die
Frage, unter welchem Einfluss das Kind steht beziehungs-
weise welche Influencer auf das Kind einwirken.
Jede Situation ist einzig-
Allein geschlechtsvariante Verhaltensweisen und Präferenzen gelten als unzureichende Diagnosekriterien.
artig und komplex, sodass grundsätzlich eine kinderund jugendpsychiatrische Abklärung bei dieser Fragestellung, die weitge-
hende Weichenstellungen
zur Folge hat, gerechtfertigt ist. Gemäss Literatur gibt es
gewisse Prädiktoren für die Persistenz einer Geschlechts-
inkongruenz (8). Als Prädiktoren für eine Persistenz gel-
ten eine starke Intensität und ein früher Beginn.
Wer stellt die Diagnose?
Da es kein evidenzbasiertes Testverfahren und keinen
Labormarker gibt, die eine sichere Diagnose erlauben,
basiert die Diagnose einer dauerhaften Geschlechtsin-
kongruenz auf dem subjektiven Erleben einer Person. Es
sollte vor allem nach einer offenen Exploration über die
Zeit, im Sinne einer Verlaufsbeobachtung, entschieden
werden (12, 13, 14). Ganz wichtig ist unserer Meinung
nach der Einbezug der Eltern, ihrer Vorstellungen und
Wünsche in Bezug auf die Geschlechtsidentität ihrer Kin-
der. Das Erleben pubertätsbedingter Körperveränderun-
gen, die Frage danach,
Die Diagnose kann nicht vor Beginn der Pubertät gestellt werden.
wie das Kind auf die pubertären Veränderungen vorbereitet ist und wie die diesbezüglichen Vorstel-
lungen aussehen, sowie
Wünsche und Ängste sind wichtige Themen, die in die-
sem Zusammenhang betrachtet werden müssen. Weitere
wichtige Themen in der Exploration sind Fragen zu den
folgenden Aspekten: Coming-out, Schule, Peers, soziale
Erfahrungen und Akzeptanz hinsichtlich des Geschlech-
terrollenwechsels, Leidensdruck, Wunsch nach ge-
schlechtsangleichenden Massnahmen, psychische Ge-
sundheit, bestehende psychiatrische Erkrankungen,
Suizidalität, Depression, Selbstverletzungen und Essstö-
rungen.
Bezüglich der Differenzialdiagnosen sollten die ichdys-
tone Sexualorientierung (ICD-10: F66.1) sowie die sexu-
elle Reifungskrise (F66.0) ausgeschlossen werden können.
Definition der Geschlechtsinkongruenz bei präpubertären Kindern
Gemäss ICD-11 ist die Geschlechtsinkongruenz bei präpubertären Kindern folgendermassen definiert: ein Nichtübereinstimmen zwischen dem empfundenen und dem zugewiesenen Geschlecht. Die Geschlechtsinkongruenz muss rund 2 Jahre bestehen. Dies beinhaltet: ● ein starkes Verlangen, ein anderes als das zugewie-
sene Geschlecht zu haben. ● eine starke Abneigung des Kindes gegenüber den pri-
mären und den erwarteten sekundären Geschlechtsmerkmalen
● den grossen Wunsch nach den primären und/oder den erwarteten sekundären Geschlechtsmerkmalen, die dem empfundenen Geschlecht entsprechen
● Spielaktivitäten und Spielkameraden, die für das empfundene Geschlecht und weniger für das zugewiesene Geschlecht typisch sind. Zu beachten dabei ist, dass allein geschlechtsvariante Verhaltensweisen und Präferenzen als unzureichende Diagnosekriterien gelten.
Definition bei Jugendlichen
● Die Geschlechtsinkongruenz ist durch ein ausgeprägtes und andauerndes Nichtübereinstimmen zwischen dem empfundenen und dem zugewiesenen Geschlecht gekennzeichnet.
● Dies führt häufig zu dem Wunsch nach Transition mittels hormoneller und/oder chirurgischer Behandlung, den eigenen Körper so weit dem empfundenen Geschlecht anzupassen, um als Person dem empfundenen Geschlecht entsprechend leben zu können und akzeptiert zu werden.
● Cave: Die Diagnose kann nicht vor Beginn der Pubertät gestellt werden! Geschlechtsvariante Verhaltensweisen und Präferenzen allein gelten als unzureichende Diagnosekriterien.
Ab wann sind irreversible Eingriffe gerechtfertigt?
Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen Geschlechtsdysphorie beziehungsweise Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen und Erwachsenen. Zwischen irreversiblen Eingriffen und Abwarten liegt ein breites Feld. Bei einer eindeutigen, gesicherten Diagnose ist ein Abwarten nicht gerechtfertigt, da sich das Kind beziehungsweise der Jugendliche nicht gehört und erkannt fühlt und es zu Folgestörungen wie depressiven Verstimmungen, sozialem Rückzug, Schulabsentismus, Essstörungen und Suchtverhalten kommen kann. Mit einer entsprechenden psychotherapeutischen und medizinischen Behandlung der Geschlechtsinkongruenz klingen diese Symptome ab, oder sie verschwinden im Verlauf (15). Das Problem ist jedoch die gesicherte Diagnosestellung respektive die Persistenz der Geschlechtsinkongruenz, wobei auch die Frage nach der Persistenz kontrovers diskutiert werden kann, da der letztliche Entscheid dem jeweils aktuellen Zustand gerecht werden sollte. Die Orientierung sollte jeweils nach dem Zustandsbild erfolgen. Transkinder, die geschlechtlich selbstbestimmt, authentisch leben können, haben ein kleineres Risiko, an reaktiven Störungen zu erkranken (14). Die soziale Akzeptanz sowie eine angemessene medizinische Behandlung zur Linderung von Leiden am eigenen Körper aufgrund der Geschlechtsinkongruenz spielen dabei eine wichtige Rolle. Wichtig ist also eine adäquate Unterstützung, die zur Verminderung von Stress und der psychischen Belastung führt. Elterliche Unterstützung, Akzeptanz durch Gleichaltrige, Schutz vor Diskriminierung sowie der Zugang zur somatomedizinischen Behandlung können als Schutzfaktoren für eine bessere psychische Gesundheit und letztlich als Schutzfaktoren zur Reduktion des Suizidrisikos identifiziert werden.
6 Pädiatrie 1/22
Psychotherapie
Nicht alle Transkinder und Transjugendlichen benötigen eine Psychotherapie im engeren Sinn. Eine beratende Begleitung in grösseren Abständen ist jedoch sicher indiziert. Die therapeutische Haltung muss offen und akzeptierend sein, sodass die Betroffenen Raum erhalten, um sich mit der eigenen Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen. Ziel einer therapeutischen Begleitung ist es, den subjektiv empfundenen Leidensdruck zu lindern und nicht etwa zu versuchen, die empfundene Geschlechtsidentität zu korrigieren oder zu ändern. Die Rolle aller involvierten Fachpersonen ist fachlich beratend. Es geht darum, die Vor- und Nachteile von medizinischen Behandlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, das Kind/den Jugendlichen im Entscheidungsprozess zu unterstützen und unrealistische Vorstellungen hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten zu korrigieren. Auch die Beratung der Eltern bezüglich ihrer zahlreichen Fragen, die Aufklärung über mögliche Verläufe und eine Entlastung von ihren Sorgen sind wichtig. Die Eltern müssen auf ihre Weise ebenfalls eine Transition durchmachen: Sie haben eine Tochter zur Welt gebracht und werden nun auf einmal keine Tochter mehr, sondern einen Sohn haben oder umgekehrt.
Transgender-Network und die Fachgruppe Trans*
Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Vermittlung von Kontakten zu weiterführenden Informationen und Be-
troffenengruppen wie das Transgender-Network of Switzerland (TGNS) (www.milchjugend.ch) oder die Fachgruppe Trans* – eine unabhängige, multiprofessionelle, trans/cis inklusive Arbeitsgruppe für Geschlechtervarianz (www.fachgruppetrans.ch). Die Fachgruppe Trans ist eine spezielle Gruppe von Fachpersonen aus unterschiedlichen Bereichen wie Psychiatrie, Psychotherapie, Psychologie, Chirurgie, Endokrinologie, Gynäkologie, Dermatologie, Logopädie, Phoniatrie, soziale Arbeit und Pflege. Sie befasst sich mit der Reflektion, Weiterentwicklung und Verbesserung der derzeitigen Versorgungssituation von Transpersonen. Die Fachgruppe trifft sich regelmässig in Zürich.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Brigitte Contin Direktorin der Kinder-und Jugendpsychiatrie Psychiatrie Baselland Bienentalstrasse 7 4410 Liestal E-Mail: brigitte.contin@pbl.ch
Interessenlage: Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen.
Schwerpunkt
Schwerpunkt
Literatur: 1. World Health Organization (WHO). The ICD-10 Classification of Mental and Behavioural Disorders. 1993. 2. World Health Organization (WHO): ICD-11 International Classification of Diseases 11th Revision. https://www.who.int/classifications/classification-of-diseases, abgerufen am 14.12.2021. 3. American Psychiatric Association: Diagnostic and statistical manual of mental disorders: DSM-5 (5. Ed). Washington, DC: American Psychiatric Publ, 2013. 4. Garcia D: Die Psychiatrie ist keine Gender-Wachhündin. psyCHiatrie. Das Magazin der SGPP und SGKJPP. 2021;1:8-9. 5. Veale JF et al.: Mental Health Disparities Among Canadian Transgender Youth. J Adolesc Health. 2017;60(1):44-49. 6. Acelsus J et al.: Systematic review and meta-analysis of prevalence studies in transsexualism. Eur Psychiatry. 2015;30(6):807-815. 7. Stadt Zürich: Gesundheit und Lebensstil von Jugendlichen der Stadt Zürich 2017/18. Resultate der Schülerbefragung Schuljahr 2017/18. https://www.stadt-zuerich.ch/ ssd/de/index/gesundheit_und_praevention/publikationen_und_broschueren/ gesundheit_und_lebensstil_von_jugendlichen_der_stadt_zuerich_17-18.html, abgerufen am 14.12.2021. 8. Steensma TD et al.: Factors associated with desistence and persistence of childhood gender dysphoria: a quantitative follow-up study. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 2013;52(6):582-590. 9. Wallien MS, Cohen-Kettenis PT: Psychosexual outcome of gender-dysphoric children. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 2008;47(12):1413-1423. 10. Brooks J: The Controversial Research on «Desistance» in Transgender Youth. 2018; https://www.kqed.org/futureofyou/441784/the-controversial-research-ondesistance-in-transgender-youth, abgerufen am 27.6.2018. 11. Temple Newhook J et al.: A critical commentary on follow-up studies and «desistance» thoeries about transgender and gendernonconforming children. Int J Transgenderism. 2018;19(2):212-224. 12. Pauli D: Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik, Psychotherapie und Indikationsstellungen für die hormonelle Behandlung. Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel, 2017. 13. Telfer MM et al.: Australian standards of care and treatment guidelines for transgender and gender diverse children and adolescents. Med J Aust. 2018;209(3): 132-136. 14. Möller B et al.: Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter. Behandlung und Entwicklungsförderung im Spannungsfeld von gesellschaftlichen Kontroversen, Wertewandel und Kindeswohl. Kinderanalyse. 2018;26(3):228-263. 15. Preuss WF: Geschlechtsdysphorie, Transidentität und Transsexualität im Kindesund Jugendalter. Diagnostik, Psychotherapie und Indikationsstellungen für die hormonelle Behandlung. Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel, 2016.
8 Pädiatrie 1/22