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GASTROENTEROLOGIE
Neugeborene und ihr Mikrobiom
Welchen Einfluss haben Prä-, Pro- und Antibiotika?
Prä- und Probiotikapräparate sowie damit angereicherte Lebensmittel werden bereits für Säuglinge und Kleinkinder angeboten, aber wie sinnvoll sind sie in diesem Alter? Am SGP-Repetitorium fasste Dr. med. Carolyn Luhmann Lunt die wichtigsten Punkte zum Stellenwert von Prä- und Probiotika bei Neu geborenen zusammen.
Die Vernix caseosa ist das erste Präbiotikum.
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Rund um die Geburt beeinflussen viele Faktoren die Entwicklung des kindlichen Mikrobioms. Dazu gehören das Gestationsalter, Infektionen und Er krankungen der Mutter, der Aufenthalt im Spital und nicht zuletzt ein allfälliger Antibiotikaeinsatz. Bei einer vaginalen Geburt werden in erster Linie mütterliche Keime auf das Kind übertragen, während bei einem Kai serschnitt Bakterien aus dem Spitalumfeld dominieren können. Das sei aber auf keinen Fall ein Grund, auf einen Kaiserschnitt zu verzichten, betonte Dr. med. Carolyn Luhmann Lunt vom Kantonsspital Luzern, zumal sich das Mikrobiom von Kaiserschnittkindern in seiner Zusam mensetzung und Vielfalt nach 6 bis 8 Monaten an das jenige vaginal geborener Kinder angleiche. Unter Präbiotika versteht man komplexe, meist kohlen hydratreiche Nahrungsmittel, die für den menschlichen Organismus unverdaulich sind, aber durch die Mikro organismen des gastrointestinalen Mikrobioms verstoff wechselt werden können. Die Metaboliten fördern ein günstiges Mikrobiom. Probiotika sind hingegen Mikro organismen, die zugeführt werden, um einen vermuteten Mangel an diesen Bakterien oder Hefen auszugleichen. Die Vernix caseosa ist das erste natürliche Präbiotikum. Sie entwickelt sich ab der 14. Schwangerschaftswoche und besteht aus Wasser (81%), Protein (10%) und Lipi den zum Schutz der Hautbarriere (9%) sowie antimikro biellen Substanzen. Sie hat einen niedrigen pH-Wert, trägt zur Hydratation der Haut des Neugeborenen bei und schützt gegen Pathogene. Ihre Wirkung ist nicht auf die Haut beschränkt, sondern sie fördert auch die Ent wicklung der Darmschleimhaut und die Entwicklung des Mikrobioms, wenn sie, wie man annimmt, vom Kind in utero oder während der Geburt geschluckt wird. Die Muttermilch enthält neben Nährstoffen eine ganze Reihe bioaktiver Bestandteile, wie Immunglobuline, HMO (human milk oligosaccharides: kurzkettige Zucker), Leu kozyten, antimikrobielle Polypeptide, MicroRNA (epige netisch aktive, regulatorische RNA) und probiotische Bakterien (Bifidobakterien, Lactobacilli, Streptokokken). Den heute üblichen Formulanahrungen werden Probio tika beigemischt, um eine günstige Entwicklung des Mi krobioms zu fördern. Während diese Strategie von der European Society for Paediatric Gastroenterology, Hepa
tology and Nutrition (ESPGHAN) gutgeheissen wird, gibt es für die Beimischung von Präbiotika zur Formulanah rung mangels guter Studien noch keinen Konsens unter den Fachleuten.
Probiotika zur Therapie
Einige Probiotika werden bereits zu therapeutischen Zwecken empfohlen: ● Koliken bei Säuglingen: Lactobacillus reuteri DSM
17938 (BiGaia® Tropfen) für gestillte Säuglinge; man kann es auch nicht gestillten Säuglingen geben, für diese ist aber keine Wirksamkeit belegt. ● Akute infektiöse Diarrhö: Saccharomyces boulardii (Perenterol®) kann die Symptomdauer um 1 Tag redu zieren (kontraindiziert bei immunsupprimierten Kin dern). ● Nekrotisierende Enterokolitis (NEC) bei Frühgebore nen: Probiotika reduzieren die NEC-Inzidenz und die NEC-assoziierte Mortalität (Cave: Probiotika können NEC auch hervorrufen und eine Sepsis verursachen!).
Antibiotikaeinsatz bei Neugeborenen
Als Kollateralschaden werden, besonders bei Antibiotika mit einem breiten Erregerspektrum, zunächst immer auch nützliche Mikroorganismen zerstört. Damit wird sowohl die Balance der Mikroben im Darm gestört als auch die Verstoffwechselung von Nährstoffen. So kön nen bestimmte Metabolite plötzlich fehlen, oder schäd liche Metabolite werden nicht mehr neutralisiert. Bei Neugeborenen auf der Intensivstation am Kantonsspital Luzern sei eine mithilfe des Markers Procalcitonin ge steuerte Antibiotikagabe bereits heute die Regel, sagte die Referentin. Dank dieser Steuerung würden weniger Antibiotika für kürzere Zeiträume eingesetzt, und sie sei davon überzeugt, dass eine individualisierte Antibiotika gabe schon in weniger als 10 Jahren weitverbreitet sein werde.
Renate Bonifer
Quelle: Vortrag von Dr. med. Carolyn Luhmann Lunt: «Prä-, Pro- und Antibiotika in der Neonatalogie» am SGP-Repetitorium, 19. März 2021, online.
Pädiatrie 6/21