Transkript
Integrative Dermatologie
Was bedeutet das bei atopischer Dermatitis oder bei Akne?
Schwerpunkt
Damit ein integrativer Ansatz sowohl bei der Diagnose als auch bei der Therapie nützlich ist, sei eine fundierte schulmedizinische Ausbildung notwendig, betonte die Dermatologin Dr. med. Kristin Kernland, Kantonsspital Baden. Anhand häufiger dermatologischer Erkrankungen erläuterte sie, wie komplementärmedizinische Methoden in der Praxis sinnvoll integriert werden können.
Eine klare Grenze zwischen der dermatologischen Schulmedizin und der integrativen Dermatologie lasse sich nicht ziehen, sagte die Referentin. Als Beispiel nannte sie Teebaumölpräparate, die bei einer Demodex-Blepharitis zum Einsatz kommen, um die Milbenbesiedelung an den Meibom-Drüsen der Wimpern zu entfernen. Eines davon ist Naviblef® Daily Care*, ein Schaum, der bei Kindern ab 3 Jahren verwendet werden kann. Bereits nach 3 bis 4 Anwendungen sei ein Kind in der Regel ohne weitere Massnahmen beschwerdefrei, und das bleibe auch so, wenn man die Behandlung bei Bedarf wiederhole. Auch Reinigungstücher (z. B. Systane Lid Wipes®, Cliradex Lid Wipes®) sind verfügbar. Betroffene Teenager sollte man darauf hinweisen, ihre Mascara häufig zu wechseln. Integrative Dermatologie sei aber mehr als die Anwendung von Medikamenten, die nicht chemisch oder molekularbiologisch hergestellt wurden, sagte Kernland. Vielmehr müsse sich die koordinierte Anwendung von konventionellen und komplementären Therapien auch auf eine erweiterte Diagnostik stützen. Zum Beispiel bedeutet das bei einem Kind mit Ekzemen, nicht nur auf die üblichen klinischen Aspekte, sondern auch auf die Konstitution des Kindes zu achten.
Welcher Ekzemtyp liegt vor?
Wie unterschiedlich die Konstitution der jungen Patienten und die Ausprägung von Ekzemen in der Praxis sind, illustrierte die Referentin am Beispiel von zwei Säuglingen. Auf der einen Seite steht das Kind mit einem «klassischen» atopischen Ekzem: Das Ekzem ist flächig, es gibt auch feuchte Ekzemareale, aber diese sind eher krustig aufgelagert. Das Kind ist schlank, friert leicht und wirkt deutlich belasteter als das Kind auf der anderen Seite des Spektrums. Dort steht ein kräftiges Kind mit münzförmigen, nässenden Ekzemen, die wegen bakterieller Superinfektionen fast immer gelblich belegt sind (Tabelle 1). Es handle sich dabei selbstverständlich um ein Kontinuum, denn ein Kind werde so gut wie nie nur der einen oder der anderen Kategorie angehören, sagte Kernland.
Tabelle 1:
Ekzeme: Merkmale der Endpunkte eines Kontinuums
Klassisches atopisches Ekzem Juckreiz Xerodermie grossflächige Ekzeme trockene Ekzeme an Extremitäten in Beugen (älteres Kind) chronischer Verlauf schlechtes Einschlafen wärmebedürftig Gedeihstörung starke Funktionsstörung der Hautbarriere
Nummuläres Ekzem primär kein Juckreiz keine Xerodermie münzförmige Ekzeme nässende Ekzeme an Extremitäten streckseitig selbstlimitierend mit 12 bis 24 Monaten gutes Einschlafen verträgt keine Wärme gutes Gedeihen Verschlechterung unter okklusiver Therapie! Obstipation korreliert oft mit Intensität des Ekzems
Je nachdem, welche Seite ausgeprägter ist, sind unterschiedliche therapeutische Grundsätze zu beachten. Bei einem eher klassischen atopischen Ekzem gilt prinzipiell:
Ziel ist die Wiederherstellung der Hautbarriere Ölzusatz im Badewasser Wärme (nicht heiss).
Für Kinder mit einem eher nummulären Ekzem: Haut pflegen, nicht fetten (Basishautpflege nicht okkludierend) paraffinhaltige Behandlungen vermeiden nicht zu heiss baden, Kleidung nicht zu eng, Hautpflege nicht zu fettig nach Obstipation fragen und ggf. behandeln.
Ein tägliches kurzes Bad (max. 36 °C) wird für beide Ekzemformen empfohlen. Bei Kindern mit einem eher klassischen atopischen Ekzem empfahl Kernland für die ers-
*Die Referentin legte Wert auf die Feststellung, dass bezüglich aller in dem Bericht genannten Produkte kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird und auch keinerlei diesbezügliche Interessenkonflikte bestehen.
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ten 3 bis 4 Tage bei einem akuten Schub Ölbäder mit Equisetumöl (z. B. WALA® Equisetum Ex Herba W 5% Oleum pro balneo), ansonsten Mandelöl. Die Öle kann man in einem zugeschraubten Glas mit Wasser aufschütteln, um sie zu dispergieren. Es gibt auch spezielle Geräte für Öldispersionsbäder nach Junge gemäss anthroposophischer Medizin, die eine feine Verteilung von Badeölen im Wasser ermöglichen (WALA, ca. 250.– Franken). Für Kinder mit akuten nässenden Ekzemen ist Tannosynt® als Badezusatz geeignet; falls die Eltern das ablehnen, kann man auch Eichenrinde verwenden, die «in der Literatur nicht so gut wegkommt, in der Praxis aber hilfreich ist», so Kernland. Eichenrindensud ist als Fertigpräparat verfügbar (z. B. Weleda Quercus Ethanol. Decoctum 20% Externum).
Nach dem Bad eincremen: Womit?
Es gibt eine grosse Auswahl an Emollienzien und Lotionen für die Basisbehandlung. Sie sollten parfümfrei sein, allergenarm und möglichst wenige Zusatzstoffe, wie zum Beispiel Emulgatoren, enthalten. Unter anderem sei Imlan®, eine emulgatorfreie Creme mit Birkenkorkextrakt, ein interessantes Präparat, sagte Kernland. Sie habe damit bei jungen Mädchen mit Lichen sclerosus als adjuvante Therapie sehr gute Erfahrungen gemacht. Je nach Ausprägung der Ekzeme sind im akuten Schub topische antientzündliche und gegebenenfalls auch antimikrobielle Behandlungen notwendig. Als antientzündliche Therapie empfahl die Referentin die Beimischung von Kortikosteroiden zur Basispflege in der Verdünnung 1:5 oder 1:10 (z. B. Creme Cicaplast Baume B5 mit Elocom®). Bei ausgedehnten Ekzemen könnten auch fettfeuchte Ganzkörperverbände ein guter Einstieg in die Therapie sein. Bei Kindern mit einem eher nummulären Ekzem darf keine okklusiv wirkende Creme verwendet werden, sie sollte kein Paraffin enthalten und ein Öl-in-Wasser-Produkt sein. Anders bei einem klassischen atopischen Ekzem: Hier sind rückfettende Cremen notwendig und als Basispflege sehr gut wirksam. Die permanente Rückfettung der Babyhaut hat bei gesunden Kindern, anders als früher angenommen, jedoch keine präventive Wirkung. Neuere Präparate, die eine Wiederherstellung der Haut-
Tabelle 2:
Aknetherapie bei Jugendlichen
Akneform A. comedonica A. papulopustulosa (leicht)
A. papulopustulosa (schwer)
A. nodulocystica oder A. conglobata
Therapie der Wahl
topisches Retinoid
topisches Retinoid + Benzoylperoxid +/oder topisches Antibiotikum
topisches Retinoid + Benzoylperoxid +/oder topisches Antibiotikum +/oder orales Antiandrogen (ältere weibl. Jugendliche)
Isotretinoin systemisch weibl. Jugendliche: orale Kontrazeption mit Antiandrogenen
Alternativen Benzoylperoxid, Desinfektion, Salicylsäure Azelainsäure
orales Antibiotikum
barriere bei einem klassischen atopischen Ekzem bewirken sollen, enthalten Bitterstoffe, welche die Bildung von Lipiden in Keratinozyten stimulieren (1). Entsprechende Präparate seien in Deutschland bereits auf dem Markt (Velanskincare), über aussagekräftige Erfahrungen verfüge sie damit aber noch nicht, sagte die Referentin. Auch an probiotischen Badezusätzen im Zusammenhang mit atopischer Dermatitis wird gearbeitet (2).
Wann braucht es weitere Abklärungen?
In der Regel bessere sich ein Ekzem unter Therapie nach 5 bis 7 Tagen, sagte Kernland. Wenn ein Ekzem jedoch protrahiert verläuft und innert nützlicher Frist, das heisst nach rund 3 Wochen, nicht auf die Therapie anspricht, immer wieder rezidiviert oder andere klinische Aspekte hinzukommen (z. B. Gedeihstörung), braucht es weitere Abklärungen. Dabei sollte man nicht immer nur an Nahrungsmittelallergien und an Hausstaubmilben denken, sondern auch an eine Immundefizienz und an Kontaktekzeme. Letztere sind bei Säuglingen und Kleinkindern zwar eher selten, scheinen aber häufiger zu werden.
Akne integrativ behandeln
Die Aknetherapie basiere seit Jahren auf erprobten Wirkstoffen, die zumindest bei Beginn der Behandlung meist in Kombination angewendet werden müssten, sagte die Referentin und verwies auf einen bekannten Behandlungsalgorithmus in Abhängigkeit der Akneform (Tabelle 2): «Diese Algorithmen sind wirksam und mit den modernen Kombinationsmitteln gut anzuwenden.» Die Zusammenarbeit mit einer erfahrenen, zertifizierten Kosmetikerin ist sinnvoll, vor allem bei zystischer Akne. In der Regel sind 1 bis 3 Behandlungen notwendig. Eine Behandlung sollte nicht mehr als 80 Franken kosten. Die Kosten werden von der Krankenkasse meist nicht mehr übernommen. Aus anthroposophischer Sicht werde die Akne dem Stoffwechsel-Gliedmassen-System zugeordnet, sagte Kernland. Als integrativer Ansatzpunkt ergebe sich daraus, dass eine zusätzliche, auf den Stoffwechsel abzielende Therapie bei Akne sinnvoll sei, unter anderem mit Präparaten aus den Früchten der Mariendistel. Neben ihrer seit Langem bekannten systemischen Wirkung bei Lebererkrankungen weiss man seit einigen Jahren, dass topisch angewendete Extrakte der Mariendistelfrüchte, ebenso wie topische Retinoide, den sogenannten «comedonic switch» hemmen können (4, 5), einen der ersten Schritte in der Aknepathogenese: Die Akne beginnt mit einer vermehrten Bildung von Schuppen am Ausführungsgang der Talgdrüsen, es kommt zu einem Pfropf, der als Komendo sichtbar ist. Ein topisches Präparat mit Mariendistelextrakt ist verfügbar (Avène Cleanance Comedomed). Der Effekt sei sehr gut, aber: «Das ist nichts für den akuten Schub, sondern für die Prävention», sagte Kernland.
Renate Bonifer
Vortrag von Dr. med. Kristin Kernland (Integrative Behandlung der Kinderhaut in der Praxis) an der virtuellen Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie am 11. Juni 2021.
nach (3), aus Kinderärzte Schweiz News 2/2017
Literatur unter www.ch-paediatrie.ch
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