Transkript
Editorial
Z um ersten Mal war die integrative Medizin Thema einer Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie. Integrative Medizin stehe für eine patientenzentrierte Versorgung, bei der aufgrund von Evidenz und Erfahrung alle angemessenen präventiven und therapeutischen Methoden einschliesslich komplementärer Therapien eingesetzt würden, um Gesundheit und Heilung bestmöglich zu fördern, so steht es auf der Homepage der Schweizerischen Interessengruppe für Integrative Pädiatrie (SIGIP).
licherweise war das auch dem virtuellen Format geschuldet. Echte Diskussionen brauchen wohl doch den persönlichen, unmittelbaren Kontakt vor Ort. Wie sonst ist es zu erklären, dass es beispielsweise nicht einen kritischen Kommentar gab, als eine Ärztin allen Ernstes das Handlesen zur Beurteilung charakterlicher Eigenschaften eines Kindes oder Jugendlichen empfahl? Warum löste es keine Diskussion aus, als ein Referent in einer Plenarsitzung zunächst ausdrücklich die Notwendigkeit betonte, dass integrative Medizin evidenzbasiert sein müsse,
Dr. Renate Bonifer Redaktorin PÄDIATRIE renate.bonifer@rosenfluh.ch
Evidenz nicht so wichtig?
Demnach betreiben Pädiater ganz selbstverständlich und schon immer integrative Medizin mit einem mehr oder weniger grossen Anteil an Komplementärem. Überdies werden viele Kinder und Jugendliche bekanntermassen auch ohne Wissen ihres Kinderarztes komplementärmedizinisch behandelt. Es ist also in der Tat wichtig, dass Kinderärzte neben ihrer soliden medizinischen Ausbildung auch über den Sinn und Unsinn komplementärmedizinischer Methoden Bescheid wissen, nicht zuletzt auch um ihre Patienten «dort abzuholen, wo sie stehen», wie es häufig an der Tagung zu hören war. Eine kritische Auseinandersetzung darüber, welche komplementärmedizinischen Methoden nun in der Tat sinnvoll sind und welche nicht, fand an der Tagung allerdings nicht statt. Mög-
und kurz danach die Homöopathie kommentarlos als selbstverständlichen Teil derselben aufzählte? Es mag vielleicht auch daran liegen, dass die Verwendung komplementärmedizinischer Methoden in der Praxis anscheinend eher von der Nachfrage als der medizinischen Notwendigkeit befeuert wird: Die Entscheidung, welche komplementärmedizinische Therapie man anwende, hänge von der persönlichen ärztlichen Erfahrung, von den Bedürfnissen des Patienten und von den gesellschaftlichen und kulturellen Einflüssen ab, so formulierte es ein Praktiker und liess dabei die Evidenz gleich ganz aussen vor.
Renate Bonifer
4/21 Pädiatrie
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