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Schwerpunkt
Fraktursonografie in der Pädiatrie
Die Fraktursonografie bietet im Vergleich mit der Röntgendiagnostik nicht nur wegen der fehlenden Strahlenbelastung Vorteile. Sie ist relativ einfach zu erlernen, und Anfänger können schon bald Frakturen mittels Sonografie ausschliessen. Bei fortgeschrittenen Kenntnissen können auch schwieriger zu evaluierende Frakturtypen korrekt beurteilt werden.
Von David Troxler
Die eindrückliche Entwicklung der Ultraschallgeräte in den letzten Jahrzehnten sowie das wachsende Bewusstsein für den Strahlenschutz, insbesondere in der Pädiatrie, eröffneten ab der Jahrtausendwende neue Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Frakturdiagnostik im Kindes- und Jugendalter mittels Ultraschall. Das zeigt sich auch in der seit 2014 zunehmenden Anzahl von Publikationen auf diesem Gebiet (1– 4).
Prinzip der Fraktursonografie
Zur Fraktursonografie werden hochfrequente Linearschallköpfe verwendet. Durch die hohe Differenz der Schallleitungsgeschwindigkeit (Impedanz) zwischen Weichteil und Knochen werden die Schallwellen fast vollständig von der Knochenoberfläche reflektiert. Treffen die Schallwellen in einem rechten Winkel auf die Knochenoberfläche, so erscheint diese als helle Linie. Im Gegensatz zum Röntgenbild, welches ein Summationsbild darstellt, ist beim Ultraschall immer nur eine Oberfläche des Knochens sichtbar (Abbildung 1). Der Schall-
kopf wird einmal um den Knochen herumgeführt, um ihn möglichst von allen Seiten einzusehen. Dabei werden Bilder in 3 bis 4 Standardebenen (dorsal, volar, medial, lateral) zur Dokumentation gespeichert. Während der gesamten Untersuchung soll darauf geachtet werden, die verletzte Extremität möglichst wenig zu bewegen und sie mit dem Schallkopf vorsichtig zu umfahren. Eine Vorlaufstrecke, zum Beispiel mit viel Ultraschallgel, ist insbesondere bei oberflächennahen Strukturen, wie dem distalen Unterarm oder der Clavicula, günstig.
Vorteile der Fraktursonografie
Abgesehen von der Reduktion der Belastung durch Röntgenstrahlen hat die Sonografie diverse weitere Vorteile. Die Fraktursonografie kann sowohl in der Praxis als auch im Spital direkt am Patientenbett durchgeführt werden. Die Beurteilung erfolgt unmittelbar, und eine entsprechende Therapie kann ohne Verzögerung eingeleitet werden. Für das Kind ist die Untersuchung wesentlich angenehmer als das Röntgen. Die Untersuchung kann in der spontan vom Kind gewählten Schonhaltung durchgeführt werden, indem der Schallkopf um die verletzte Extremität herum bewegt wird. Zudem können die Eltern im Gegensatz zur Röntgendiagnostik beim Kind bleiben. Die Schallwellen moderner hochfrequenter Ultraschallgeräte sind für den Patienten nicht spürbar. Das kühle Ultraschallgel wird sogar oft als schmerzlindernd wahrgenommen (unveröffentlichte Daten aus eigener Studie).
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Abbildung 1: Vergleich zwischen Ultraschall- und Röntgendiagnostik. A: Laterales Röntgenbild des Handgelenks mit einer dorsalen Wulstbildung des Radius. B: Ultraschallbilder des Radius von anterior und posterior gespiegelt zusammengesetzt.
Ausbildung und Umsetzung
Die Fraktursonografie ist einfach zu erlernen. Im Zertifikat für Point-of-Care-Ultraschall (POCUS) der Schweizer Vereinigung für Ultraschall in der Pädiatrie und Praxis (SVUPP) ist ein Modul zur Fraktursonografie integriert (5). Initial ist insbesondere der Ausschluss von Frakturen einfach zu erlernen. Bei Unsicherheiten hilft der Seitenvergleich mit der gesunden Gegenseite. Bei fortgeschrittenen Kenntnissen können auch schwieriger zu evaluierende Frakturtypen korrekt beurteilt werden. Bei unklaren Frak-
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dorsal
Radius
Ulna
lateral
volar
Abbildung 2: Standardebenen der Sonografie am distalen Unterarm
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Abbildung 3: Wulstfraktur im Röntgen- und im Ultraschallbild. A: Laterales Röntgenbild des Handgelenks mit feiner dorsaler Wulstbildung des Radius. B: Ultraschallbild dieser Wulstbildung des Radius von dorsal.
Abbildung 4: Rotation des Oberarms zur volaren Untersuchung des Unterarms ohne schmerzhafte Supinationsbewegung, dorsale Stützung hier durch den Untersucher (alternativ durch eine Hilfsperson) (Foto: UKBB).
turbildern mit Dislokation oder potenzieller sekundärer Dislokation gilt als aktuelle Empfehlung, weiterhin eine Röntgendiagnostik mit anschliessender Stellungskon trolle durch Röntgen im Verlauf durchzuführen.
mit einer Drehung des Oberarms etwas «aufgerichtet» und untersucht werden. Eine Hilfsperson sollte dabei den Unterarm dorsal vorsichtig stützen, während die volaren Ultraschallaufnahmen angefertigt werden (Abbildung 4).
Distaler Unterarm
Der distale Unterarm ist die am häufigsten frakturierte Körperregion im Kindes- und Jugendalter. Sie bietet sich aufgrund der einfachen Darstellbarkeit besonders für das Erlernen der Fraktursonografie an. Die Standardebenen (Abbildung 2) entsprechen einer dorsalen, volaren und seitlichen Aufnahme von Radius und Ulna. Idealerweise wird der Knochen mit dem Schallkopf umfahren, und bei diesem Vorgang werden Bilder in den Standardebenen dokumentiert. Bei Auffälligkeiten sollte zudem die Ebene der maximalen Dislokation aufgezeichnet werden, sofern diese zwischen den Standardebenen liegt. Im Vergleich zum Röntgenbild ist die Abbildung der gestauchten Fraktur mit Wulstbildung gut zu erkennen (Abbildung 3). Praxistipp: Der Unterarm sollte auf einer Unterlage liegen und dann geschallt werden, um Bewegungsartefakte und Druck auf ein Minimum zu reduzieren. Um die volaren Ultraschallaufnahmen durchzuführen, kann der Unterarm zur Vermeidung der schmerzhaften Supination
Proximaler Humerus
Der proximale Humerus bietet sich aufgrund seiner exponierten Lage besonders gut für eine Ultraschalluntersuchung an. Es werden dabei insbesondere die drei Ebenen von anterior, lateral und posterior untersucht. Bei unauffälliger Untersuchung kann eine vierte Ebene (medial) durch Abduktion im Schultergelenk einbezogen werden, sofern dies schmerzbedingt tolerierbar ist. Dabei sollte eine Hilfsperson den Arm vorsichtig passiv abduzieren und in dieser Stellung stützen.
Ellenbogen
Bei Schmerzen im Ellenbogenbereich kann der Gelenkerguss (Hämarthros) im Ellenbogengelenk richtungsweisend sein. Ist beim longitudinalen Schnitt durch die Fossa olecrani der dort eingebettete Fettkörper durch einen Erguss abgehoben, besteht ein sogenanntes «positives fat pad sign». In diesem Fall ist eine Fraktur im Kontext eines Traumas sehr wahrscheinlich, und eine Röntgendiagnostik ist indiziert. Ist kein Erguss ersichtlich, sind bei
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Abbildung 5: Fraktur am diametaphysären Übergang, welche nur durch proximales Verschieben des Schallkopfs dargestellt werden kann. A: Ultraschallaufnahme von dorsal mit Ansicht der Epiphysenfuge ohne Frakturzeichen. B: Nach Verlagerung nach proximal wird in der seitlichen Aufnahme am diametaphysären Übergang eine Fraktur sichtbar.
entsprechenden klinischen Befunden die extraartikulären Teile des Ellenbogens, insbesondere der Radiushals und die proximale Ulna, bei der Untersuchung nicht zu vergessen. Cave: Ein kleiner Erguss kann übersehen werden. Bei Unsicherheit sollte immer der Vergleich mit der Gegenseite erfolgen. In einer Studie am Universitäts-Kinderspital beider Basel wird zurzeit unter anderem die Sensitivität dieser Untersuchung beurteilt. Bis eine solide Datenlage zur Ellenbogenuntersuchung vorhanden ist, wird eine Röntgenkontrolle bei entsprechendem klinischen Erscheinungsbild wegen der langfristigen Konsequenz einer verpassten Fraktur an dieser Stelle weiterhin empfohlen.
Metacarpalia und Phalangen
Aufgrund der feinen Strukturen sind für die Untersuchung von Metacarpalia und Phalangen Ultraschalllinearschallköpfe mit Frequenzen von 12 Megahertz und mehr zu empfehlen. Die Standardebenen beschränken sich auf eine dorsale und eine volare Aufnahme sowie eine laterale für Digitus I und Digitus V. Identisch zu den anderen Lokalisationen wird auch hier empfohlen, sowohl von
dorsal als auch von volar durch Abkippen des Schallkopfes bis zu 90 Prozent der Knochenoberfläche einzusehen. Bei Schmerzen in den Interphalangealgelenken sollten selbstverständlich seitliche Bilder sowohl von radial als auch von ulnar zur besseren Befundung ergänzt werden. Praxistipp: Verletzte Gelenke werden häufig schmerzbedingt geschont und nicht gestreckt. Volarseitig sind jedoch die Frakturzeichen häufig besser zu erkennen, insbesondere wenn es sich um Hyperextensionstraumata handelt. Deshalb sollte, wenn möglich, eine volare Ansicht dokumentiert werden. Gelingt auch mit einer entsprechenden Vorlaufstrecke, zum Beispiel mit einer angemessenen Menge Ultraschallgel, keine gute volare Aufnahme, kann behelfsmässig eine hochfrequente Curved-Sonde oder eine kürzere lineare Sonde (Hockeyschlägersonde) angewendet werden. Alternativ können verletzte Finger auch im Wasserbad untersucht werden. Damit kann man die Distanz zwischen Sonde und Finger beinahe beliebig vergrössern. Beim Seitenvergleich hilft eine identische Untersuchungsmethode und eine ähnliche Flexion im entsprechenden Gelenk, um die Bilder korrekt zu interpretieren.
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Abbildung 6: Von dorsal sichtbarer Versatz der Radiusepiphyse zur Metaphyse als Hinweis auf eine SalterHarris-II-Fraktur. A: Laterales Röntgenbild des Handgelenks mit einer Salter-Harris-II-Fraktur des Radius. Markiert ist der Versatz der Epiphyse von dorsal gesehen. B: Ultraschallbild von dorsal mit dem Versatz der Radiusepiphyse. Die Fraktur an sich ist nur im volaren Ultraschallbild zu sehen.
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Abbildung 7: A: Unauffälliges Röntgenbild von lateral eines vierten Fingers der linken Hand. B: Ultraschallbild dieses Fingers von volar, in welchem am proximalen Interphalangealgelenk (PIP) als Zusatzinformation gegenüber dem konventionellen Röntgenbild ein Gelenkerguss zu sehen ist.
Weitere Lokalisationen
Die Handwurzelknochen sind aufgrund ihrer Form und ihrer Überlagerungen leider nicht für die Fraktursonografie geeignet. Bei fraglicher Subluxation des Radiusköpfchens kann mittels Ultraschall im Seitenvergleich ein erhöhter Abstand zwischen dem knorpeligen Anteil des Radiusköpfchens und dem knorpeligen Anteil der radialen Kondyle sichtbar sein. Ist das Ligamentum anulare radii dazwischen interponiert, kann das als hyperechogene Aussparung mitunter dargestellt werden. Die Clavicula stellt bei der Sonografie aufgrund ihrer geschwungenen Struktur und ihres oberflächennahen Verlaufs eine gewisse technische Herausforderung dar. Mit etwas Übung können Claviculafrakturen jedoch gut abgebildet werden. Bei Kindern und Jugendlichen bis zu 12 Jahren reicht der sonografische Beweis des Fragmentkontakts zur konservativen Behandlungsplanung aus. Bei jugendlichen Sportlern mit wenig Wachstums- und Korrekturpotenzial sowie einer längeren Heilungsdauer ist eine mögliche Verkürzung der Clavicula gegebenenfalls konventionell radiologisch zu kontrollieren.
Hinweise für Sonografieanfänger
Wird bei den langen Röhrenknochen nur die Standardansicht mit Darstellung der Epiphysenfuge angesehen, kann eine Fraktur am diametaphysären Übergang verpasst werden. Deshalb sollte man bei jeder Ansicht den Schallkopf zur Diaphyse hin verschieben (Abbildung 5). Der Unterschied zwischen Salter-Harris-II-Frakturen und Wulstfrakturen kann schwierig zu erkennen sein, insbesondere bei intakter Kortikalis auf der Gegenseite. Der Frakturspalt kann im Knocheninneren nicht mit Ultraschall verfolgt werden. Einen Hinweis auf die Dislokation einer Salter-Harris-II-Fraktur ergibt insbesondere die nach «hinten» verlagerte Epiphyse auf der gegenüberliegenden Seite der Dislokation (Abbildung 6). Bei Gelenkverletzungen (insbesondere Finger) kann die Sonografie wertvolle Zusatzinformationen liefern. So kann neben dem Frakturausschluss auch ein auf dem
Röntgenbild nicht sichtbares Hämatom im Gelenk, zum Beispiel aufgrund einer Kapselläsion, nachgewiesen werden (Abbildung 7). Bei Unsicherheit hilft oft ein Seitenvergleich weiter. Passt das Ultraschallergebnis nicht zum klinischen Erscheinungsbild, ist im Zweifelsfall eine ergänzende Röntgenuntersuchung zu veranlassen.
Korrespondenzadresse: David Troxler Oberarzt Interdisziplinäre Notfallstation Universitäts-Kinderspital beider Basel Spitalstrasse 33 4056 Basel E-Mail: david.troxler@ukbb.ch
Interessenlage: Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen.
Literatur: 1. Ackermann O et al.: Ultraschallbasierte Therapiesteuerung bei subkapitalen Humerusfrakturen im Wachstumsalter. Z Orthop Unfall. 2013;151(1):48-51. 2. Eckert K et al.: Ultrasound diagnosis of supracondylar fractures in children. Eur J Trauma Emerg Surg. 2014;40(2):159-168. 3. Eckert K, Ackermann O: Fraktursonografie im Kindesalter. Unfallchirurg. 2014;117(4):355-368. 4. Eckert K et al.: Sonographic diagnosis of metaphyseal forearm fractures in children: a safe and applicable alternative to standard x-rays. Pediatr Emerg Care. 2012;28(9):851-854. 5. https://www.svupp.ch/de/ultraschall/pocus/
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