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Schwerpunkt
Frakturen im Wachstumsalter
Was ist daran besonders?
In der Kindertraumatologie können aufgrund des wachsenden Skeletts andere Therapieprinzipien als beim Erwachsenen angewendet werden. Das Wachstumspotenzial bietet abhängig vom Alter, vom Ort und von der Art der Fraktur in unterschiedlichem Ausmass die Möglichkeit, posttraumatische Fehlstellungen in die Primärtherapie zu integrieren und dem sogenannten Remodeling – also der Spontankorrekturfähigkeit – zu überlassen.
Von Benjamin Frei, Raphael Vuille-dit-Bille und Johannes Mayr
Abbildung 1: Anteil der jeweiligen Wachstumsfugen am Längenwachstum eines Röhrenknochens
Das Längenwachstum der Röhrenknochen findet an den Epiphysenfugen statt, ist zeitlich begrenzt und endet in der Pubertät gegen das 12. Lebensjahr, bei Mädchen meist 2 Jahre früher als bei Knaben. Spontane Korrekturen von Fehlstellungen können mit klinischer Relevanz nur in diesem Zeitraum auftreten. Das Längenwachstum erfolgt in unterschiedlichem Ausmass an allen Epiphysenfugen der langen Röhrenknochen (Abbildung 1). Die aktivsten Epip hysenfugen des Kindes sind die proximale Humerusepiphysenfuge sowie die distale Radiusepiphysenfuge mit einem Anteil von jeweils 80 Prozent am Längenwachstum von Ober- beziehungsweise Unterarm. An der unteren Extremität überwiegt hingegen das Längenwachstum an den knienahen Wachstumsfugen bei Femur und Tibia. Frakturen in diesem Bereich weisen ein ausgeprägtes Remodelingpotenzial auf. Das Korrekturpotenzial korreliert negativ mit dem Alter der Kinder. Junge Kinder haben deshalb deutlich mehr Spontankorrekturpotenzial als ältere. Es gilt: Je jünger das Kind ist, je schneller es wächst und je näher die benachbarte Wachstumsfuge zur Fraktur liegt, desto grösser ist das Spontankorrekturpotenzial. Generell ist das Remodeling bei Fehlstellungen besonders gut, wenn die Fehlstellungsebene mit der Hauptbewegungsebene des nächstgelegenen Gelenks übereinstimmt. Damit eine Fehlstellung im weiteren Wachstum korrigiert werden kann, muss zuerst die Frakturheilung abgeschlossen sein.
Die 3 Phasen der Knochenheilung
Die Knochenheilung kann prinzipiell primär (direkt) oder sekundär (indirekt) erfolgen. Im Wachstumsalter findet die Knochenbruchheilung nahezu immer sekundär über die Bildung einAebsb.F1rakturkallus statt. Auch typische Osteosyntheseverfahren für Kinder, wie beispielsweise die Kirschner-Draht-Osteosynthese oder die ESIN-Osteosynthese (elastisch stabile intramedulläre Nagelung), ge-
hen mit einer sekundären Knochenheilung einher. Die Knochenheilung verläuft in 3 Phasen. Inflammatorische Phase: Nach einer Fraktur kommt es zuerst zur inflammatorischen Phase. Dabei entstehen über einen Entzündungsprozess Wachstumsfaktoren, Zytokine und aktivierte Stammzellen. Es entsteht ein fibrinreiches Frakturhämatom. Reparative Phase: Das Frakturhämatom wird in der reparativen Phase zuerst in Granulationsgewebe und in der Folge in einen zunehmend harten, knöchernen Kallus umgewandelt. Die Kallusbildung kann sowohl klinisch als auch radiologisch festgestellt werden. Ein klinisch indolenter Frakturkallus ist in der Knochenheilung ein wichtiger Meilenstein. Die Ruhigstellung kann beendet und der Bewegungsaufbau begonnen werden. Remodelingphase: Nach konsolidierter Fraktur beginnt die Remodelingphase. Diese kann mehrere Monate bis Jahre in Anspruch nehmen. Dabei wird einerseits der Frakturkallus wieder in hochwertigen neuen Knochen umgewandelt und andererseits über spezifische Mechanismen die Knochenform und auch die Belastungsfähigkeit weitgehend dem Ausgangsniveau vor der Fraktur angeglichen.
Ruhigstellungszeiten
Wichtig ist zu erwähnen, dass die Zeit bis zur bewegungsstabilen Konsolidierung einer Fraktur beim Kind deutlich kürzer ausfällt als beim Erwachsenen. So kann beispielsweise die Ruhigstellung einer distalen Unterarmfraktur bei bis zu 10-jährigen Kindern nach 3 Wochen beendet werden und die Bewegungsfreigabe nach Massgabe der Beschwerden erfolgen. Bei älteren Kindern und Jugendlichen sind in der Regel 4 bis 5 Wochen Ruhigstellung an den oberen Extremitäten ausreichend. An den unteren Extremitäten braucht es aufgrund der Gewichtsbelastung etwas längere Ruhigstellungszeiten. Tabelle 1 fasst die in unserer Abteilung gängigen Ruhigstellungszeiten entsprechend den derzeit gültigen Empfehlungen
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an unserem Zentrum für die häufigsten kindlichen Frakturen zusammen.
Prinzipien der Spontankorrektur (Remodeling)
Es werden direkte von indirekten Korrekturmechanismen unterschieden. Während die direkten Korrekturmechanismen als Folge der Frakturheilungsprozesse auftreten,
Tabelle 1:
Ruhigstellungsphasen in Wochen nach einer Fraktur der oberen oder unteren Extremität
Lokalisation Clavicula
Wochen Ruhigstellung nach Alter < 5 Jahre 5–10 Jahre > 10 Jahre
2 2–3 3
Sportdispens* +2
Oberarm proximal diaphysär distal
2–3 3
3
3 3 – 4 4 – 5
334
+2 +3 +3
Unterarm proximaler Radius proximale Ulna diaphysär distal, Stauchung distal, übrige
1
10 Tage
10 Tage
334
3 4 4 – 6
2 2 – 3 3
334
+2 +2 +3 +2 +3
Hand Scaphoid volar Lip und SH-III Basis P2/P3 Phalangen subcapital übrige
10 Tage
10 Tage 2
4 10 Tage
10 Tage 3
6 – 8 10 Tage
10 Tage 3
+3 +2
+2 +3
Femur proximal diaphysär distal
3–– 3–– 346
+3 +3 +4
sind die indirekten Korrekturmechanismen Teil von physiologischen Veränderungen am Knochen während des normalen Wachstums. Als Beispiel für indirekte Mechanismen können die physiologischen Detorsionsvorgänge am Femur- und am Humerusschaft dienen. Für die Primärtherapie sind die indirekten Vorgänge nicht zuverlässig genug, und sie spielen deshalb in den therapeutischen Überlegungen eine untergeordnete Rolle. Wichtiger für das Therapieprinzip bei Frakturen im Wachstumsalter sind die direkten Korrekturmechanismen, welche sowohl an der Epiphysenfuge über asymmetrisches Wachstum als auch über periostale oder endostale Prozesse auf Höhe der Fehlstellung erfolgen. Im Prinzip kann der wachsende Organismus Fehlstellungen in allen 3 Ebenen des Raums korrigieren: frontal, sagittal und transversal. Dabei gibt es aber deutliche Unterschiede beim Umfang und beim Tempo des Remodelings. Generell korrigieren sich Fehlstellungen in der Hauptbewegungsebene des Körpers, also der Sagittalebene, am besten, danach folgen Fehlstellungen in der Frontalebene. Rotationsfehlstellungen hingegen korrigieren sich wenig bis gar nicht, höchstens noch bei Kleinkindern im Rahmen der physiologischen Detorsions vorgänge am Femur oder Humerus. Weiter korrigiert sich eine Valgusfehlstellung am gesamten Körper weniger gut als eine Varusfehlstellung. Auch die Frakturlokalisation am Knochen spielt eine Rolle. Im Bereich der Metaphyse/Epiphyse besteht eine deutlich höhere Korrekturfähigkeit als an der Diaphyse. Das bedeutet, dass das Remodeling einer Fraktur im Bereich der Metaphyse/Epiphyse schneller vor sich gehen wird als bei einer Fehlstellung im Schaftbereich. Schliesslich hängt die Spontankorrekturtendenz noch von der funktionellen Belastung und von den Bewegungsebenen und der Nähe des nächstgelegenen Gelenks ab.
Mechanismen und Ziel des Remodelings
Das Remodeling des Frakturkallus hat zum Ziel, die ursprüngliche Form, Funktion und Stabilität des Knochens wiederherzustellen. Das findet einerseits durch asymmetrisches Längenwachstum der Epiphysenfuge und andererseits über Knochenapposition und Knochenresorption im Bereich der Frakturstelle statt.
Unterschenkel proximal diaphysär distal distal, Übergangsfrakturen
3 3 3 –
4 5 4 –
4 6 5 6
+3 +4 +3 +4
Fuss Talus/Calcaneus Fusswurzel Metatarsalia Phalangen
34 6
+3
34 6
+3
3 4 4 – 5 +3
23 4
+3
Es handelt sich um orientierende Angaben entsprechend den derzeitigen Empfehlungen an unserem Zentrum. Bei Bedarf ist eine individuelle Anpassung nötig.
* Dauer Sportdispens = Dauer Ruhigstellung plus mindestens die hier genannte Anzahl von Wochen. Bedingungen für Sportfreigabe: – annähernd freie Funktion = verbleibende Funktionseinschränkung von maximal 20 Grad – keine Beschwerden im Alltag ohne Belastung
Achsknick und Seit-zu-SeitVerschiebungen
Der therapeutisch wichtigste Mechanismus des Remodelings betrifft die Korrektur von Achsknicken, also den Ausgleich von Varus und Valgus sowie von Ante- und Rekurvation. Der überwiegende Anteil der Korrektur erfolgt über die Wachstumsfuge, welche sich durch asymmetrisches Wachstum wieder senkrecht zur Belastungsachse aufrichtet. Im Bereich der Diaphyse vollzieht sich das Remodeling durch Knochenapposition im Bereich der grössten Druckbeanspruchung, also auf der konkaven Seite der Fraktur, und durch gleichzeitige Resorption auf der konvexen Seite der Fraktur, wo die grösste Zugbeanspruchung besteht. Auch die Korrektur von Seit-zuSeit-Verschiebungen (ad latus) geschieht durch Knochenabbau auf der Zugseite und Knochenanbau auf der Druckseite. Grundvoraussetzung für diese Remodelingvorgänge ist die Bewegung beziehungsweise die Belastung der betroffenen Extremität.
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Tabelle 2:
In die Primärtherapie integrierbare Fehlstellungen am distalen Unterarm – Metaphyse/Epiphyse
Alter
< 5 Jahre 5–10 Jahre > 10 Jahre (offene Fugen)
dorsal 40° 30° 20°
Angulation volar 30° 20° 15°
radial/ulnar 20° 20° 10°
Ad latus dorsal/palmar (Schaftbreite)
100% / 50% 60% / 40% 40% / 20%
Rotationsfehlstellungen
Rotationsfehlstellungen weisen altersabhängig nur eine geringe oder fehlende Spontankorrektur auf. Nur im Rahmen von physiologischen Derotationsvorgängen ist eine minimale Korrekturfähigkeit gegeben. Sie erfolgt allerdings indirekt und kann deshalb nicht in die primäre Therapiestrategie einbezogen werden. Relevante Rotationsfehlstellungen stellen häufige Indikationen für eine Revisions- oder Korrekturoperation dar.
Posttraumatische Verkürzungen
Die Korrektur der posttraumatischen Verkürzungen erfolgt direkt, aber ungezielt und rein epiphysär durch vermehrte Aktivität der nächstgelegenen Wachstumsfuge. Das Ausmass der zu erwartenden Verlängerung ist nicht vorhersagbar und kann deshalb nicht zuverlässig in die Therapie einfliessen. Ausgeprägte Verkürzungsfehlstellungen führen aufgrund der langen Remodelierungsphase am Ende mitunter zu einer Verlängerung des betroffenen Knochens. Typisches Beispiel hierfür ist die Femurschaftfraktur.
Welche Fehlstellungen können dem Remodeling überlassen werden?
Fehlstellungen nach Fraktur, die in der Hauptbewegungsebene des Körpers und in der Nähe einer hoch potenten Wachstumsfuge liegen, können und sollen bei einem jungen Kind dem Remodeling überlassen werden, beispielsweise eine metaphysäre distale Radiusfraktur mit Abkippung nach dorsal bei einem 5-jährigen Kind. Demgegenüber steht beispielsweise eine in Rotationsfehlstellung verheilte Unterschenkelschaftfraktur bei einem 12-jährigen Mädchen. Es ist kein wesentliches Remodeling zu erwarten, bei störendem Ausmass der Rotationsfehlstellung muss eine operative Korrektur angestrebt werden. Frakturen mit den in den Tabellen 2 und 3 aufgeführten Fehlstellungswerten können aus Sicht der Autoren problemlos dem Remodeling überlassen werden. Die abgebildeten Werte entsprechen den derzeit gültigen Empfehlungen an unserem Zentrum. Die tatsächliche, maximale Remodelierungskapazität wird als noch potenter eingeschätzt.
Einfluss auf die Therapie
Die oben geschilderten Phänomene führen in der Kindertraumatologie zu einem grossen Anteil konservativ durch Gipsruhigstellung behandelbarer Frakturen. Dementsprechend kommen der Gipstechnik und der Gipsqualität eine besondere Bedeutung bei der Behandlung von Frakturen bei Kindern zu.
Tabelle 3:
In die Primärtherapie integrierbare Fehlstellungen am Unterschenkelschaft
Fehlstellung
Antekurvation Rekurvation Varus Valgus Seit-zu-Seit-Verschiebungen (Schaftbreite) Verkürzung Rotation
< 10 Jahre
15° 10° 10° 5° 100%
> 10 Jahre (offene Fugen)
10° 5° 5° 3° 50%
1,5 cm 8°
0,5 cm keine
Gips im Kindesalter
Die Gipsbehandlung im Kindesalter hat zwei wesentliche Ziele. Zum einen kann eine rasche und suffiziente An algesie erreicht werden, andererseits können Frakturen stabilisiert, retiniert und sogar redressiert werden. Zur Verfügung stehen Schienen sowie Kunststoffgipsverbände, die je nach Härte und Zusammensetzung als SoftCast, HardCast oder CombiCast bezeichnet werden. Aufbau: Sowohl den Cast-Schienen als auch dem CombiCast liegt ein Unterbau zur Polsterung zugrunde. Diesem Unterbau, also der Polsterungsschicht, welche direkt auf der Haut des Patienten aufliegt, kommt eine spezielle Bedeutung zu. Sie soll einerseits eine ausreichende Polsterung zum Schutz der Weichteile und der prominenten anatomischen Stellen gewährleisten und es andererseits ermöglichen, die harten Materialien genügend eng anzulegen, um eine ausreichende Stabilität der Fraktur zu erreichen. Wir verwenden zwei verschiedene Arten von Unterbauten. Den Unterbau mit Polsterwatte (Abbildung 2) verwenden wir prinzipiell in der Akutphase nach einer Fraktur, wenn die Weichteile noch stark geschwollen sind, und bei allen Frakturen, welche potenziell gekeilt werden müssen. Unserer Erfahrung nach ist die Keilung mit Anwendung der oszillierenden Säge auf einem Unterbau mit Polsterwatte für den Patienten angenehmer als auf einem Unterbau von nur 2 Strümpfen. Einen Unterbau mit punktueller Polsterung über den anatomisch prominenten Strukturen und 2 übereinandergelegten Trikotschläuchen (Abbildung 3) verwenden wir in der Regel
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nach Abschwellung der Weichteile, wenn ein Gipswechsel notwendig wird. Auf dem Unterbau wird dann entweder die Schiene oder der CombiCast aufgebaut. Schiene: Zur Analgesie sind oft schon Gipsschienen ausreichend, welche mit einer elastischen Binde an der betroffenen Extremität fixiert werden. Auf dem Unterbau wird eine HardCast-Longuette in der gewünschten Position angebracht und nach Aushärten mit einer elastischen Binde fixiert (Abbildung 4). CombiCast: Bei Frakturen, welche stabilisiert, retiniert oder redressiert werden müssen, kommen idealerweise CombiCasts zur Anwendung. Auf dem Unterbau wird in 3 Lagen der CombiCast aufgebaut (Abbildung 5). Dieser besteht aus einer Kombination von semirigidem SoftCast- und rigidem HardCast-Kunststoff. Der CombiCast bietet eine aus Sicht der Autoren ideale Form der Ruhigstellung im Kindesalter. Einerseits ist er durch den
weichen SoftCast-Anteil ausreichend flexibel, um Druckstellen und Durchblutungsstörungen zu verhindern. Andererseits bieten die integrierten HardCast-Longuetten dort Stabilität, wo sie notwendig sind. Ein reiner SoftCast bietet keine ausreichende Stabilität zur Retention einer Fraktur. Ein kompletter HardCast birgt das Risiko der Entstehung von Druckstellen. Weiter ist das «Gipshandling» beim reinen HardCast erheblich erschwert, da Anpassungen und auch die Cast-Entfernung mit einer oszillierenden Säge erfolgen müssen. Das wird von vielen Kindern als belastend und furchteinflössend empfunden. Der CombiCast hingegen kann sehr einfach mit einer CastSchere entfernt werden. Merke: Bei jedem zirkulären Cast besteht die Möglichkeit für ein Anschwellen der Weichteile und die nachfolgende Ausbildung eines Kompartmentsyndroms, wenn die Weichteile nicht ausreichend Platz finden. Es ist
1 2 3a 3b
1 2a 2b 3
1a 1b 2
3
1
2a 2b
3
Fotos: UKBB-Behandlungsrichtlinien zur Gipstechnik. 8
Abbildung 2: Unterbau mit Polsterwatte, schrittweiser Aufbau. In unserer Institution wird auf die Polsterwatte eine Schicht Haftan zur besseren Kompression der Watte aufgetragen. Wichtig erscheint uns, dass nicht zu viel Polsterwatte verwendet wird. Wir empfehlen, die Lagen jeweils 50 Prozent überlappend aufzutragen. 1: Strickstrumpf, Aussparung Daumen; 2: Trikotschlauch Daumen, Polsterung Beugefalte und Daumengrundglied; 3a/b: Polsterwatte
Abbildung 3: Unterbau mit Doppelstrumpf und punktueller Polsterung, schrittweiser Aufbau 1: Strickstrumpf, Aussparung Daumen 2a/b: Trikotschlauch Daumen, punktuelle Polsterung: Beugefalte Daumen, distaler Radius, distale Ulna 3: zweiter Trikotschlauch über punktueller Polsterung
Abb. 2
Abbildung 4: Aufbau einer dorsalen Unterarmschiene 1a/b: Anlage HardCast-Longuette, Metakarpalköpfchen frei, Faustschluss möglich, feuchte elastische Binde (2 bis 3 Minuten zum Aushärten und Modellieren) 2: Umlegen von Polsterung und Schlauchenden 3: elastische Wickelung
Abb. 3
Abbildung 5: Aufbau eines Oberarm-CombiCast mit dorsovolarer Longuette 1: tiefe SoftCast-Lage zirkulär 50 Prozent überlappend bis Ellenbeuge wickeln, Ellenbogen durch 8er-Tour fixieren, dann weiter zirkulär bis 4 Querfinger unter Acromion, kein Hautkontakt des SoftCast, Metakarpalköpfchen frei, distale Beugefalte der Hand frei, Faustschluss möglich 2a/b: Anlage der HardCast-Longuette: Longuette dorsal auflegen und auf Höhe Ellenbogen umschlagen, feuchte elastische
Abb. 4Binde (2 bis 3 Minuten zum Aushärten und Modellieren)
3: Polsterung und Strumpfenden umlegen, obere SoftCast-Lage zirkulär 50 Prozent überlappend abgewickelt, kein Hautkontakt des SoftCast, feuchte elastische Binde (2 bis 3 Minuten zum Aushärten und Modellieren)
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bei jeder Cast-Anwendung auf eine gezielte Aufklärung von Eltern und Patient zu achten. Bei primär zirkulär angelegtem Cast empfehlen wir eine klinische Kontrolle innerhalb von 24 Stunden nach Anlage.
Anmodellierter CombiCast und der Cast-Index
Zur Retention einer Fraktur im CombiCast muss darauf geachtet werden, dass der Cast-Verband gut, das heisst anatomiegerecht angelegt beziehungsweise gut anmodelliert wird. Das ist am gesamten Skelett wichtig, gilt aber ganz besonders für Frakturen am Unterarm. Zu berücksichtigen ist im Besonderen die unterschiedliche Form im proximalen beziehungsweise im distalen Unterarmbereich. Proximal ist der Unterarmquerschnitt rund, wohingegen er im distalen Drittel eher einem ovalen Querschnitt entspricht (Abbildung 6). Diesen Gegebenheiten muss bei der Anpassung eines Cast-Verbands Rechnung getragen werden. Bei der Anlage eines Unterarm- oder auch Oberarm-Cast ist darauf zu achten, dass der CombiCast im distalen Drittel mit den Händen gut anmodelliert und so der ovalen Form des distalen Unterarms angepasst wird: ● möglichst wenig «Luft» zwischen Haut und Cast ● somit optimal stabile Verhältnisse ● Verringerung der Gefahr für eine sekundäre Disloka-
tion. Das Modellieren geschieht am besten durch flächigen Druck mit den Handflächen. Findet kein anatomisches Anmodellieren statt, legt sich der Gipsverband dem distalen Unterarm im Querschnitt rund wie ein Rohr an. Folge ist eine unzureichende Stabilität und damit verbunden die Gefahr der sekundären Dislokation der Fragmente, vorzugsweise nach dorsal und radial. Merke: Kein Anpressen des Cast-Verbands mit den Fingerspitzen – es können Druckstellen entstehen! Cast-Index: Bewertet werden kann die Qualität des anmodellierten Cast-Verbands mit dem sogenannten Cast-Index (CI). Der CI beschreibt das im konventionellen Röntgenbild gemessene Verhältnis des Gipsinnendurchmessers im lateralen Strahlengang zum Gipsinnendurchmesser im anteriorposterioren (a.p.) Strahlengang. Das gilt nur für Frakturen im distalen und mittleren Drittel des Unterarms. Der Zielwert des CI (Gipsinnendurchmesser lateral/Gipsinnendurchmesser a.p.) beträgt ≤ 0,8 (Abbildung 7).
proximal distal
Freiraum distal, wenn Cast nicht anmodelliert wird
Abbildung 6: Illustration der anatomischen Gegebenheiten am Unterarm sowie Definition des Cast-Index (Grafiken: UKBB-Behandlungsrichtlinien zur Gipstechnik). Am proximalen Unterarm ist der Querschnitt rund, am distalen Unterarm oval. WirdAbb. 6 der Cast distal nicht anmodelliert, entsteht zu viel Freiraum im Cast.
jedoch vorzeitig, sodass schliesslich eher eine Verkürzung der betroffenen Extremität entsteht. Während der Verschlussphase (auch Übergangsphase genannt) hat ein Trauma eine Beschleunigung dieses Fugenverschlusses zur Folge. Im klinischen Alltag spielt die stimulative Wachstumsstörung praktisch nur an der unteren Extremität eine Rolle, beispielsweise im Rahmen einer Beinlängendifferenz nach Femurschaftfraktur. Dabei wird während der Remodelingprozesse die distale Femurepiphyse stimuliert, und es kommt zu einer Längenzunahme. Die Überstimulation ist zeitlich begrenzt und endet nach zirka 18 Monaten. Es besteht Konsens, dass die Beinlängendifferenz bei ausgeprägten und länger andauernden Remodelierungsprozessen sowie nach Mehrfachmanipulationen, wie beispielsweise Nachrepositionen, grösser ausfällt. Die ehemals praktizierte «prophylaktische Verkürzungsstellung» nach Femurfraktur, die mit der Annahme einherging, dass eine belassene Beinlängenverkürzung einer zukünftigen Verlängerung der betroffenen Extremität vorbeugen würde, wurde wieder verlassen. Es liessen sich eher posttraumatische Verlängerungen fest-
Wachstumsstörungen
Nach traumatischen Verletzungen im Kindes- und Jugendalter können stimulative und hemmende Wachstumsstörungen auftreten. Diese können jeweils Teile der Fuge oder auch die gesamte Fuge betreffen. Die Folgen der Wachstumsstörungen sind vom Alter des Patienten und vom Aktivitätszustand der betroffenen Wachstumsfuge abhängig. Stimulative Wachstumsstörungen: Die stimulativen Wachstumsstörungen sind zeitlich eng mit dem Trauma verbunden und im Ausmass abhängig von der Dauer der Reparationsvorgänge und vom Reifegrad der betroffenen Fuge. Bei offenen Fugen kommt es zu einem Mehrwachstum des betroffenen Skelettabschnitts. Bei prämaturen Fugen entsteht primär ebenfalls eine Längenzunahme, im weiteren Verlauf verschliesst sich die betroffene Fuge
45 mm
64 mm
lateral
a.p.
Abbildung 7: Beispiel für einen Cast-Index 0,7 (45/64 = 0,7) aus den UKBB-Behandlungsrichtlinien zur Gipstechnik
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Abbildung 8: Beispiel einer medialen Konsolidationsstörung nach proximaler metaphysärer Tibia-Grünholzfraktur bei einem 6-jährigen Kind; a/b: Unfall; c/d: radiologischer Verlauf nach 14 Tagen
stellen. Grund dafür ist die zum Ausgleich der Verkürzung notwendige längere Phase des Remodelings und somit eine längere «Überstimulation» der Wachstumsfuge. Partiell stimulierende Wachstumsstörungen: Ein im klinischen Alltag relevantes Beispiel für eine partiell stimulierende Wachstumsstörung ist die proximale metaphysäre Tibia-Grünholzfraktur. Eine funktionell und kosmetisch störende Folge kann eine posttraumatische Genu-valgum-Fehlstellung sein. Es kommt in diesem Bereich typischerweise zu einer Grünholzfraktur mit medial klaffendem Frakturspalt und umschriebener Periostzerreissung, wohingegen fibularseitig Kortikalis und Periost weitgehend intakt bleiben. Es resultiert schon primär immer eine Valgusfehlstellung, auch wenn diese häufig nur minimal ausgeprägt erscheint und auch radiologisch kaum sichtbar ist. Dennoch bedeutet ein medial einsehbarer Frakturspalt immer auch eine Valgusfehlstellung. Es besteht das Risiko, dass es zu einer Zunahme dieser Valgusfehlstellung kommt (Abbildung 8). Der genaue Mechanismus ist nicht vollständig geklärt. Das Phänomen wird nach seinem Erstbeschreiber auch Cozen-Phänomen genannt (1). Einen wesentlichen Teil der Problematik scheint der grundlegende «Charakter» einer Grünholzfraktur auszumachen, das heisst die asymmetrische Knochenheilung beziehungsweise Konsolidierung, welche auf der konvexen Seite der Fraktur aufgrund der fehlenden Kompression zu einer Verzögerung der Ausheilung führt. So wird die mediale Fuge partiell über einen längeren Zeitraum stimuliert als der laterale Fugenanteil, wodurch es zu einer zunehmenden Valgisierung kommt. Dabei erreicht die Fehlstellung ihr maximales Ausmass im ersten Jahr nach Trauma. Zur Verhinderung der oben beschriebenen Folgen muss in der Primärtherapie auf eine möglichst achsgerechte Frakturstellung mit Kompression des medialen Frakturspalts geachtet werden. In der Regel ist die initiale Fehlstellung minim ausgeprägt, und es besteht keine Indikation zur Reposition in Narkose. Es wird folglich ein Oberschenkel-CombiCast angelegt. Dabei ist es sehr wichtig, diesen in Varusstress anzumodellieren, um dadurch Kompression auf den medialen Frakturanteil zu erzielen. Das lässt sich jedoch nur erreichen, wenn der Oberschenkel-CombiCast bei gestrecktem Knie (maximale Flexion im Kniegelenk sollte 5 bis 10° nicht über-
steigen) angelegt wird und nicht wie üblich in 20 bis 25°
Flexionsstellung (Abbildung 8).
Weit verbreitet ist die Empfehlung, die betroffenen Kin-
der alle 6 bis 12 Monate über einen Zeitraum von
3 Jahren nach dem Trauma klinisch und radiologisch
nachzukontrollieren. Allerdings scheint es fragwürdig, ob
diese regelmässigen orthopädischen oder chirurgischen
Nachkontrollen sinnvoll sind, da die Rate an Kindern, die
ein Valgusfehlwachstum von > 10° entwickeln, bei ledig-
lich 1,1 Prozent liegt (2). Somit empfehlen wir, die Eltern
und Patienten über das Risiko und den möglichen Verlauf
der zunehmenden Valgusfehlstellung aufzuklären, gege-
benenfalls Nachkontrollen in der Kinderarztpraxis durch-
zuführen und sich nur bei klinisch auffälliger Beinachse
zur kinderorthopädischen Nachkontrolle vorzustellen.
HtuemmssmtöernudnAegbeWbn.a8scishtsietruemn setrösrtumnigteAnb: sHcehmlumssednedse
WachsWachs-
tums, das heisst, die Auswirkungen eines vollständigen
oder partiellen vorzeitigen Fugenschlusses aggravieren
bis zum Abschluss des Wachstums. Je jünger der Patient
und je grösser der Wachstumsanteil der betroffenen Fuge
ist, desto ausgeprägter fällt die Verkürzung beziehungs-
weise die Achsabweichung aus.
Es kommt in der Regel zu einer direkten traumatischen
Schädigung der Chondrozyten durch eine Fraktur oder zu
einer Durchblutungsstörung mit konsekutiver Nekrose.
Infolge der Schädigung wird der Fugenknorpel durch
Knochengewebe ersetzt. Es entsteht eine Knochenbrü-
cke im Bereich des Fugenknorpels. Diese Verknöcherung
kann die Fuge partiell oder komplett betreffen. Eine the-
rapeutische Beeinflussung im Sinne einer Vermeidung
der hemmenden Wachstumsstörung ist nicht möglich.
Der vorzeitige Verschluss der gesamten Wachstumsfuge
führt zur Verkürzung des betroffenen Knochens (Fallbei-
spiel siehe Abbildung 9).
Die therapeutischen Ansätze nach Fugenverschluss sind
chirurgischer Natur. Es stehen die Epiphysiodese zur Ver-
ringerung von relevanten Längendifferenzen und ver-
schiedene Verfahren zur Verlängerung der betroffenen
Extremität mit Fixateur-externe-Systemen oder verlänger-
baren intramedullären Nägeln zur Verfügung.
Partieller vorzeitiger Verschluss einer Wachstums-
fuge: Eine fugenkreuzende Fraktur oder eine nicht ana-
tomisch reponierte Fugen-Gelenk-Fraktur kann die Bil-
dung einer Knochenbrücke verursachen. Dabei treten der
epiphysäre und der metaphysäre Knochen in Kontakt
Abbildung 9: Polytraumatisiertes 8-jähriges Kind mit Sturz aus grosser Höhe; a: im Bereich des linken distalen Unterschenkels fugennahe Fraktur mit zentraler Zerstörung der Wachstumsfuge; b: Verlauf nach ca. 4 Monaten: mittig im Bereich der Tibia-Epiphysenfuge zeigt sich bereits ein knöcherner Fugenverschluss; c: kompletter vorzeitiger Fugenschluss 10 Monate nach Trauma
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und bilden dadurch eine
wachstumshemmende
Knochenbrücke (Abbil-
dung 10). Je ausgedehn-
ter eine Knochenbrücke
ist, umso eher bleibt sie
bestehen und verursacht
hemmende Wachstums-
störungen.
Therapeutisch stehen chi-
rurgische Massnahmen
zur Behandlung von knö-
chernen Wachstumsfu-
genbrücken zur Verfü-
gung. Verbreitet sind bei
jungen Kindern mit gros-
Abbildung 10: Vorzeitiger partieller Fugenschluss mit konsekutiver Varusfehlstellung nach Salter-Harris-IV-Fraktur der distalen Tibia
sem Wachstumspotenzial die Knochenbrückenresektion und das Auffüllen des Defekts mit einem Fettinterponat oder auch mit anderen Materialien
wie Muskelgewebe, Kno-
chenwachs, Silikon oder Knochenzement. Bei Kindern im
Pubertätsalter stehen hingegen Beinverlängerungen und
Achskorrekturen als Behandlungsverfahren im Vorder-
grund.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Benjamin Frei Stv. Oberarzt Chirurgie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) Spitalstrasse 33 4031 Basel E-Mail: benjamin.frei@ukbb.ch
Interessenlage: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen.
Literatur: 1. Cozen L: Fracture of the proximal portion of the tibia in children followed by valgus deformity. Surg Gynecol Obstet. 1953;97(2):183-188. 2. Yang BW et al.: Prevalence of Cozen‘s Phenomenon of the Proximal Tibia. J Pediatr Orthop. 2019;39(6):e417-e421.
Weiterführende Literatur: Marsell R, Einhorn TA: The biology of fracture healing. Injury. 2011;42(6):551-555. von Laer L, Schneidmüller D, Heil AK: Frakturen und Luxationen im Wachstumsalter. Thieme-Verlag, Stuttgart 2020. Waters MD et al. (Ed): Rockwood and Wilkins Fractures in Children. 9th ed. Lippincott Williams and Wilkins; Philadelphia, PA, 2019. Weinberg AM, Tscherne H (Hrsg.): Unfallchirurgie im Kindesalter. Springer, 2006. Wilkins KE: Principles of fracture remodeling in children. Injury. 2005;36 Suppl 1:A3A11.
Abb. 10
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