Transkript
Psychotherapie online?
Interview mit Prof. Stefanie Schmidt, Universität Bern
eHealth
© Luca Christen, 2019
Es gibt unzählige Apps und Programme, die Hilfe bei der Prävention von Krankheiten oder zum Lösen gesundheitlicher Probleme versprechen. Wir sprachen mit Prof. Stefanie Schmidt, Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Bern, über die Möglichkeiten einer Online-Psychotherapie für Kinder und Jugendliche.
PÄDIATRIE: Frau Prof. Schmidt, welche Möglichkeiten der Online-Psychotherapie gibt es zurzeit? Prof. Dr. phil. Stefanie Schmidt: Online-Psychotherapie ist ein breiter Begriff, der oft auch sehr unterschiedlich verwendet wird. Damit sind ganz allgemein internetbasierte Therapien gemeint, die unterschiedliche Formate haben können. Das können beispielsweise Therapien sein, die zwar persönlich von einer Fachperson durchgeführt werden, aber aus der Distanz via Chat, E-Mail oder Video stattfinden. Es gibt aber auch internetgestützte Selbsthilfeprogramme. Die betroffene Person kann sich online einloggen. Dann erhält sie Informationen und Übungen zum gewünschten Thema. Sie kann dabei die Inhalte allein oder mit Unterstützung einer Fachperson, beispielsweise im Chat, durcharbeiten. Eine andere Form, sich online Unterstützung zu suchen, sind Foren, in denen sich Betroffene austauschen, ähnlich wie in klassischen Selbsthilfegruppen.
Besteht nicht die Gefahr, dass Selbsthilfeforen ohne fachliche Begleitung eher wenig hilfreich sind, falls die Teilnehmer nur jammern und damit ihre Probleme ungewollt noch verstärken? Schmidt: In der Tat wissen wir noch recht wenig darüber, wie wirksam solche Foren sind, um Probleme zu lindern. Es gibt sicher beides. Manchen Betroffenen wird es damit besser gehen, weil sie sehr viel soziale Unterstützung von Gleichaltrigen in diesen Foren erfahren und sie vielleicht auch die Möglichkeit haben, erstmals über ihre psychischen Probleme zu sprechen. Aber es besteht natürlich auch die Gefahr, dass es negatives Feedback von der Gruppe gibt, dass man sich über Probleme wie beispielsweise selbstverletzende Verhaltensweisen austauscht und diese dadurch noch verstärkt. Solche Foren können also durchaus riskant sein, und sie sind sicherlich nicht für alle Personen geeignet, vor allem wenn ein schnelles Intervenieren erforderlich ist.
Was weiss man über die Wirksamkeit der eingangs erwähnten internetgestützten Therapien, bei denen die Betroffenen bestimmte Aufgaben erledigen müssen?
Schmidt: Bei internetgestützten Selbsthilfeprogrammen wissen wir, dass sie für Erwachsene so gut wie eine konventionelle Psychotherapie wirken können. Ob das auch bei Kindern und Jugendlichen so ist, wissen wir noch nicht so genau, denn die meisten Programme wurden für Erwachsene entwickelt und evaluiert. Es gibt aber erste Studien, die zeigen, dass sie auch in dieser Altersgruppe wirksam sind, zum Beispiel bei verschiedenen Ängsten oder Depressionen, also bei Problemen, die wir im Kindes- und Jugendbereich häufig haben. Wir wissen auch, dass eine gewisse Begleitung, auch wenn sie nur online erfolgt, durchaus sinnvoll und hilfreich ist. Das kann beispielsweise eine wöchentliche Zusammenfassung dessen sein, was man gut gemacht hat, oder eine Rückmeldung, was man vielleicht noch verbessern könnte, oder ein Reminder, wieder einmal eine Übung zu machen. Allerdings ist die Anzahl an Studien im Kindes- und Jugendalter mit guter methodischer Qualität und mit langen Nachverfolgungszeiträumen immer noch sehr gering. Ausserdem haben wir die Schwierigkeit, dass besonders Jugendliche die Motivation schnell verlieren und das Programm vorzeitig abbrechen.
Prof. Stefanie Schmidt
Für welche Kinder und Jugendliche ist eine OnlinePsychotherapie besonders gut geeignet? Schmidt: Ein grosses und wichtiges Anwendungsfeld ist
sicherlich die Prävention, denn Kinder und Jugendliche
suchen in der Regel von sich aus kaum professionelle
Hilfe, besonders wenn die psychischen Probleme noch
nicht stark ausgeprägt sind. Wir wissen auch, dass sie es
als sehr stigmatisierend empfinden, bei einer Fachperson
Hilfe zu suchen. Über-
dies müssen sie zu Gerade Jugendliche können lange auf Termine von Online-Psychotherapie warten, und sie wollen profitieren, da sie die auch gern viel autono- Psychotherapie von überall aus mer sein und lieber in ihrem eigenen Tempo selbst aktiv für ihre und mit mehr Anonymität psychische Gesundheit durchführen können.
sorgen. Deshalb denke
ich, dass gerade Jugendliche von Online-Psychotherapie
profitieren können, da sie die Psychotherapie überall in
ihrem eigenen Tempo und mit mehr Anonymität durch-
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führen können. Das sollte die Schwelle zur Hilfesuche hoffentlich senken.
Gibt es denn überhaupt Online-Psychotherapie von Angesicht zu Angesicht für Kinder und Jugendliche in der Schweiz? Schmidt: Es gibt Psychotherapie, die vom Therapeuten oder von der Therapeutin via Video oder Chat durchgeführt wird. Internetgestützte Therapien sollen kein Ersatz sein, wenn eine Face-to-Face-Therapie notwendig ist, sondern idealerweise eine Ergänzung. Deshalb gibt es zurzeit viele Überlegungen, wie man ein solch ergänzendes Angebot gestalten könnte, sodass keine Redundanz entsteht und die Online-Aufgaben einen zusätzlichen Nutzen haben. Das könnten beispielsweise Expositionen mit angstauslösenden Situationen sein, die beim nächsten Face-to-Face-Termin besprochen werden. Auch wäre es oft sehr wichtig, die Erfahrung im Moment des Erlebens zu erfassen, was beispielsweise per Smartphone sehr viel einfacher wäre. Und wir könnten uns als Fachpersonen dank dieser Informationen gezielter auf den nächsten Gesprächstermin vorbereiten.
Wie läuft es in der Praxis, wenn man einem Kind oder Jugendlichen eine Online-Psychotherapie verordnen möchte? Wo kann man sich informieren? Schmidt: Ein Problem ist sicher, dass es derzeit sehr viele Apps im Internet und in App-Stores gibt, sodass es schwierig ist, zu beurteilen, welche davon geeignet sind und welche nicht. Man sollte sich systematisch auf den Websites informieren. Dabei sollte bei seriösen Anbietern direkt ersichtlich sein, welche Qualifikation die Anbieter des Programms haben, wer das Programm eigentlich durchführt, ob das Programm wissenschaftlich untersucht wurde oder wird, welche Kosten entstehen, was das Programm umfasst, in welchem Umfang eine Fach-
Empfehlenswerte Websites zur Online-Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter
Allgemeine Informationen zu Online-Therapieangeboten in der Schweiz https://www.psychologie.ch/psychologen-finden/onlineinterventionen
Online-Selbsthilfe an der Universität Bern für alle Altersgruppen http://www.online-therapy.ch
Verzeichnis zu geprüften digitalen Gesundheitsanwendungen in Deutschland https://diga.bfarm.de
Beispiele für Online-Therapien in der Schweiz
Selbsthilfeprogramm für Jugendliche mit sozialen Ängsten SOPHIE (Universität Bern) https://selfhelp.psy.unibe.ch/sophie/homepage
App Robin Z zur Frühintervention bei erhöhtem Psychoserisiko im Jugendalter Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universität Zürich https://www.robinz.uzh.ch
Online-Programm zur Behandlung bei Essanfällen/Binge-Eating i-BEAT (Universität Fribourg) http://fns.unifr.ch/beat/
person involviert und bei Fragen verfügbar ist, wie der Datenschutz garantiert wird und unter welchen Umständen das Programm sich nicht eignet. Im Moment werden die meisten internetgestützten Selbsthilfeprogramme im wissenschaftlich-akademischen Kontext entwickelt und bezüglich ihrer Wirksamkeit untersucht (s. Infokasten). Wenn ein Arzt oder eine Ärztin einem Kind eine Online-Therapie verordnen möchte, kann sich die betroffene Person bei dem Kontakt auf der Website des Programms melden. Danach findet in der Regel eine Abklärung statt, ob sich das Programm für die betroffene Person eignet.
Bietet die Universität Bern auch eine Online-Psychotherapie für Jugendliche und Kinder an? Schmidt: Wir haben ein internetgestütztes Selbsthilfeprogramm für die Behandlung von sozialen Ängsten im Jugendalter entwickelt. Das Programm wurde sowohl als Präventionsprogramm als auch für die Behandlung von Jugendlichen mit der Diagnose einer sozialen Phobie konzipiert. Das Programm wird im Rahmen der wissenschaftlichen Studie voraussichtlich ab März 2021 kostenlos verfügbar sein (Website für Anmeldung und Information: https://selfhelp.psy.unibe.ch/sophie/homepage). Sowohl Fachpersonen als auch Eltern und Betroffene können sich auf der Website vorab über das Programm und die Studie informieren. Bei Interesse werden wir prüfen, ob die betroffene Person so stark ausgeprägte soziale Ängste hat, dass sie von dem Programm profitieren könnte. Danach erhält sie Zugang zu dem entsprechenden Programm, und sie wird dann jede Woche bestimmte Module bearbeiten können. Wir können aber keine Krisenintervention leisten. Personen, die beispielsweise akut suizidal sind, verweisen wir an andere Fachpersonen.
Werden die behandelnden Hausärzte oder Pädiater in Ihrem Programm ein Feedback zum Behandlungserfolg bekommen? Schmidt: Bislang ist unser Programm nicht so konzipiert, und alle Studienmitglieder unterliegen der Schweigepflicht. Wir legen Wert darauf, dass die Personen anonym teilnehmen können, zum Beispiel auch mit einer fiktiven E-Mail-Adresse, weil uns die Datensicherheit und die Anonymität der Teilnehmenden sehr wichtig sind. Wir wissen auch aus Studien, dass die Datensicherheit im Internet für Kinder und Jugendliche ein äusserst wichtiges Thema ist und es sie davon abhält, internetgestützte Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn das nicht sichergestellt ist.
Wird eine Online-Psychotherapie von den Krankenkassen bezahlt? Schmidt: Programme wie unseres sind meist kostenlos, weil sie im Rahmen von Forschungsprojekten angeboten und finanziert werden. Generell sind aber in der Schweiz die schon erforschten Online-Programme noch nicht Teil der Routineversorgung und werden meist nicht ohne Einschränkungen von der Krankenkasse bezahlt. Deshalb sollte man am besten vorab bei der jeweiligen Krankenkasse nachfragen, ob eine Online-Psychotherapie übernommen wird. Teilweise sind beispielsweise Kontingente speziell für Video-Psychotherapie vorhanden.
Das Interview führte Dr. Renate Bonifer.
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