Transkript
Kurz oder lang?
Optimale Dauer der Antibiotikagabe bei Pneumonie
Schwerpunkt
Während man früher empfahl, Antibiotika sicherheitshalber ein paar Tage länger zu nehmen, geht der Trend mittlerweile in die entgegengesetzte Richtung. Wie viele Tage aus heutiger Sicht notwendig und sinnvoll sind, erläuterte Dr. med. Julia Bielicki, Leitende Ärztin Pädiatrie und Infektiologie am Universitätskinderspital beider Basel, an der Fortbildung «Pädiatrie Update Refresher» am Beispiel der Pneumonie.
Wahrscheinlich wird bei vielen Infektionen immer noch zu lang mit Antibiotika behandelt. Gemeinsam mit einem Team des Medical Research Council am University College London hat Dr. med. Julia Bielicki die Studie CAP-IT zur Antibiotikagabe bei unkomplizierter, ambulant erworbener Pneumonie im Kindesalter durchgeführt. Die Publikation ist eingereicht, aber noch nicht erschienen. So viel darf man vorab verraten: Es spielte für den Therapieerfolg keine Rolle, ob diese Kinder 3 oder 7 Tage mit Antibiotika behandelt wurden. In beiden Fällen mussten gleich viele Kinder innert 4 Wochen nochmals mit Antibiotika behandelt werden. In der Schweiz werden für Kinder mit unkomplizierter, ambulant erworbener Pneumonie zurzeit 7 Tage Amoxicillin (80 mg/kg pro Tag, verteilt auf 2 Dosen) empfohlen. Die WHO empfiehlt 5 Tage, in Grossbritannien und Deutschland sind es 5 bis 7 Tage, in Kanada 7 bis 10 Tage und in den USA 10 Tage, wobei jeweils nicht nur die empfohlene Dauer der Antibiotikagabe, sondern auch deren Dosierung unterschiedlich ist. Worauf beruhen all diese Empfehlungen? Die Datenbasis dafür ist erstaunlich dünn. Empfehlungen für eine längere Therapiedauer scheinen von den frühen Erfahrungen mit Tuberkulosepatienten geprägt zu sein. Damals, vor mehr als 70 Jahren, wurde mit Streptomycin die weltweit erste randomisierte Studie durchgeführt. In den folgenden Jahren zeigten sich zwei grundlegende Phänomene: einerseits die Entstehung von Resistenzen und andererseits die Tatsache, dass eine möglichst lange Therapiedauer für die Tuberkulosepatienten von Vorteil war. Eine monatelange Antibiotikatherapie bei Tuberkulose ist zwar auch heute noch indiziert – für viele andere Infektionskrankheiten gilt jedoch: Weniger ist mehr.
Antibiotika bei Pneumonie im Kindesalter
Noch vor wenigen Jahren galten 10 bis 14 Tage als empfehlenswerte Dauer der Antibiotikagabe bei Pneumonie im Kindesalter. Auch diese Empfehlung stützte sich letzt-
lich auf eine wackelige Datenbasis, nämlich nicht auf
randomisierte Studien, wie wir sie heute kennen, son-
dern auf retrospektive
Beobachtungen aus dem frühen 20. Jahrhundert. An der Empfehlung hielt man
Wahrscheinlich wird bei vielen Infektionen immer noch zu lang mit Antibiotika behandelt.
über Jahrzehnte fest,
obwohl mit der Zeit immer deutlicher wurde, dass das
Risiko von Resistenzen wächst, wenn zu lange und zu viel
mit Antibiotika behandelt wird.
Erst in den letzten Jahren begann sich hieran etwas zu
ändern. Bei der Behandlung von Kindern mit Pneumonie
ist man in internationalen Guidelines mittlerweile bei
5 Tagen als Untergrenze angekommen:
● Milde Pneumonie: 5 bis 10 Tage
● Schwere Pneumonie: 5 bis 14 Tage
● Atypische Pneumonie: 5 bis 7 Tage
● Staphylococcus-aureus-Pneumonie: 21 bis 28 Tage
Es ist zu erwarten, dass sich nach der Publikation der
CAP-IT-Studie mit der Zeit die 3-tägige Antibiotikathera-
pie für Kinder mit milder, unkomplizierter Pneumonie
durchsetzen wird.
Letztlich sei die Frage «3 oder 5 Tage?» aber nicht so
entscheidend wie die Frage, welche Kinder mit milder,
unkomplizierter Pneumonie überhaupt ein Antibiotikum
benötigten, sagte die Referentin. In den meisten Fällen
benötigen sie es wahrscheinlich nicht. So ergab eine Studie in Malawi (1), dass die Symptome einer «fast breath
ing pneumonia» bei 93 Prozent der Kinder nach 4 Tagen
ohne Antibiotika verschwanden, mit Antibiotika war das
bei 96 Prozent der
Kinder der Fall. Aller- Es stellt sich die Frage, welche dings unterscheiden Kinder mit milder, unkompliziersich die Bedingungen ter Pneumonie überhaupt ein dieser Studie erheb- Antibiotikum benötigen.
lich von denjenigen
hierzulande. Ob ähnliche Resultate auch in europäischen
Industrieländern zu erwarten sind, wird die «Schwester-
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studie» von CAP-IT klären. Sie wurde in Arztpraxen in Grossbritannien durchgeführt und soll demnächst zur Publikation eingereicht werden. Bei schwerer Pneumonie und auch bei anderen Infektionen stellt sich die Frage, ob und wie lange Antibiotika i.v. verabreicht werden sollten. Auskunft über den derzeitigen Stand des Wissens liefert eine 2016 publizierte Übersicht (2). Die WHO empfiehlt eine parenterale Antibiotikagabe bei schwerer Pneumonie für mindestens 5 Tage. Hierzulande seien derart schwere Fälle selten, sagte die Referentin. Zu einem Problem könne die WHO-Empfehlung aber in Entwicklungsländern werden, weil eine lange i.v.-Behandlung des Kindes mit erheblichen Belastungen seiner Familie verbunden sein könnte (Lohnausfall, hohe Kosten, erhöhtes Risiko nosokomialer Infektionen usw.). Aus diesem Grund plant das CAP-IT-Team eine neue Studie in Afrika, die klären soll, wie viele Tage i.v.-Antibiotikagabe bei schwerer Pneumonie im Kindesalter wirklich notwendig sind.
Biomarker eher keine Hilfe
In der Erwachsenenmedizin werden Biomarker wie Procalcitonin zur besseren Steuerung der Antibiotikagabe empfohlen. Wäre das nicht auch bei Kindern mit Pneumonie eine Möglichkeit? Wenn es um stationär aufgenommene Kinder gehe, sei das erwägenswert, in der Ambulanz jedoch eher nicht, sagte Bielicki. Es sei nicht praktikabel, alle Kinder mit bakteriellen Infektionen nach der Bestimmung von Biomarkern erneut einzubestellen. Sie empfiehlt stattdessen klinische, nicht laborbasierte Algorithmen – zumal sich in einer Studie in Frankreich bei Erwachsenen mit Pneumonie zeigte, dass die Antibiotika-
gabe mit klinischen Parametern genauso gut gesteuert werden konnte wie mittels Procalcitonintest (3).
Und bei anderen Infektionskrankheiten?
Ein Dauerbrenner in der Praxis ist die Antibiotikagabe bei Otitis media. In aktuellen Guidelines (siehe Artikel «Otitis und Tonsillitis: Antibiotika bei Kindern nur mit Bedacht einsetzen» in dieser Ausgabe der PÄDIATRIE auf Seite XXX) werden 10 Tage für Kinder unter 2 Jahren mit schwerer Otitis media empfohlen. Auf die Frage aus dem Auditorium, ob diese 10 Tage wirklich unbedingt sein müssten, sagte die Referentin, dass viele Eltern wahrscheinlich bereits ohnehin nach 5 Tagen damit aufhörten. In der Regel würden sie damit wohl keinen Schaden anrichten – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass es keine schwere systemische Infektion sei.
Renate Bonifer
«Kurz oder lang: optimale Dauer der antibiotischen Therapie», Referat von Dr. med. Julia Bielicki am FOMF Pädiatrie Update Refresher am 26. Oktober 2020 in Zürich.
Literatur: 1. Ginsburg AS et al.: Placebo vs Amoxicillin for Nonsevere Fast-Breathing Pneumonia in Malawian Children Aged 2 to 59 Months: A Double-blind, Randomized Clinical Noninferiority Trial. JAMA Pediatr. 2019;173(1):21–28. 2. McMullan BJ et al.: Antibiotic duration and timing of the switch from intravenous to oral route for bacterial infections in children: systematic review and guidelines. Lancet Infect Dis. 2016;16(8):e139-e152. 3. Montassier E et al.: Guideline-Based Clinical Assessment Versus Procalcitonin-Guided Antibiotic Use in Pneumonia: A Pragmatic Randomized Trial. Ann Emerg Med. 2019;74(4):580–591.
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