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Schwerpunkt
Ärztliches Zeugnis für die Betreuung des kranken Kindes
Berufstätige Eltern, die der Arbeit fernbleiben müssen, um sich um ihr krankes Kind zu kümmern, haben einen gesetzlich verankerten Anspruch auf drei freie Tage. Welche Punkte es bei der Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses für diese Eltern zu beachten gilt und in welchen Fällen mehr als drei Tage möglich sind, wird im Folgenden zusammengefasst.
Von Ursina Pally
Zur besseren Lesbarkeit wird in der Regel nur die männliche Form verwendet, auch wenn alle Geschlechter gemeint sind.
Grundsätzlich haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Familienpflichten ein Anrecht auf drei freie Tage, um sich um ihre kranken Kinder zu kümmern. Dies jedoch nur dann, wenn sie ein ärztliches Zeugnis vorlegen (1). Dieses Recht kann von demjenigen Elternteil, der für die Kinderbetreuung zuständig ist, in Anspruch genommen werden, solange das zu betreuende Kind sein 15. Altersjahr noch nicht vollendet hat (2). Grundsätzlich ist es nicht möglich, dass sich zwei Elternteile gleichzeitig auf die Freistellung berufen, es sei denn, ganz besondere Umstände (z. B. Lebensgefahr des Kindes) liegen vor. Allerdings können die Elternteile bei längerer Krankheit des Kindes nacheinander freigestellt werden. Für die Entscheidung, welcher der beiden Elternteile mit Betreuungspflichten freigestellt werden kann, ist von Bedeutung, wer zum fraglichen Zeitpunkt die Betreuung innehat, wer beim Arbeitgeber abkömmlicher ist, aber auch, wessen Anwesenheit beim Kind als notwendiger erscheint (3). Je nach der familiären Betreuungssituation und den konkreten Umständen können andere Personen einen solchen Anspruch geltend machen. Infrage kommen eingetragene Partner eines Elternteils, Stiefeltern, Pflegeeltern, Grosseltern, Geschwister oder nahestehende Personen. Denkbar ist dies, wenn die Eltern ihre Betreuungspflicht nicht wahrnehmen können und die Drittperson eine diesbezügliche Pflicht trifft (4). Die Dauer von drei Tagen soll es den Betreuenden erlauben, sich während dieser Zeit einerseits persönlich um das Kind zu kümmern, andererseits aber auch eine danach notwendig werdende Ersatzbetreuung zu organisieren (5).
Wer hat Anspruch auf drei (und mehr) Tage?
Die Freistellung von drei Tagen gilt pro Krankheitsfall und Kind, und der Anspruch darauf besteht unabhängig vom Beschäftigungsgrad des Arbeitnehmers (6).
Der Anspruch auf drei Tage Freistellung steht nur Arbeitnehmern zu, die unter das Arbeitsgesetz fallen. Nicht dazu gehören beispielsweise Angestellte von Bundesverwaltungen, sofern diese nicht per Verordnung dem Arbeitsgesetz unterstellt sind, sowie Arbeitnehmer in Betrieben der landwirtschaftlichen Urproduktion oder in privaten Haushaltungen, Arbeitnehmer in höherer leitender Tätigkeit, Lehrer an Privatschulen und Arbeitnehmer in Familienbetrieben (7). Für Arbeitnehmer, die nicht unter das Arbeitsgesetz fallen, oder in Fällen, in welchen die Betreuung des kranken Kindes nicht delegiert werden kann und eine längere Abwesenheit notwendig ist, richtet sich der Anspruch nach dem Obligationenrecht. In diesen Fällen ist es möglich, den Anspruch auf mehr als drei Tage zu verlängern, wobei zumutbare Massnahmen getroffen werden müssen, um der Arbeitspflicht möglichst rasch wieder nachkommen zu können. Darunter fallen die Suche nach einer Betreuungsalternative sowie die Unterstützung des Heilungsprozesses. Das Ergreifen dieser Massnahmen sichert den Lohnanspruch der Eltern trotz Arbeitsplatzabwesenheit. Im Gegensatz zur Regelung gemäss Arbeitsgesetz gilt die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers allerdings nur, solange der gesetzliche Anspruch besteht. Dessen Dauer richtet sich nach der Anzahl der bisher geleisteten Dienstjahre, ist aber immer länger als die nach Arbeitsgesetz gewährten drei Tage, sofern er innerhalb des laufenden Dienstjahrs nicht bereits durch andere ähnliche Ereignisse aufgebraucht worden ist (8).
Was muss im Zeugnis stehen?
Der behandelnde Arzt des Kindes hat in seinem Zeugnis die Krankheit des Kindes zu bestätigen. Dies ab dem ersten Tag der Krankheit. Die Vorlage dieses Zeugnisses genügt, um den Freistellungsanspruch zu begründen (9). Die Krankheit des Kindes muss dergestalt sein, dass eine intensivere Betreuung als sonst notwendig oder die Anwesenheit des Arbeitnehmers besonders wünschens-
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wert erscheint, das Kind also gerade wegen der Krankheit auf die Betreuung angewiesen ist. Diese Notwendigkeit ist gegeben, wenn das Kind wegen seines Alters nicht allein gelassen werden oder nicht in die Obhut der üblichen Betreuungspersonen oder Institutionen wie Schule oder Krippe gebracht werden kann (10). Beweispflichtig für die Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit ist der Arbeitnehmer, weshalb es sinnvoll ist, im ärztlichen Zeugnis neben der Bestätigung einer Erkrankung des Kindes (ohne eine Diagnose zu nennen) auch zu bestätigen, dass die Anwesenheit der Betreuungsperson notwendig ist (11). Die Standesordnung der FMH verlangt, dass der Arzt bei der Ausstellung des Zeugnisses alle Sorgfalt anwenden und seine Überzeugung nach bestem Wissen ausdrücken muss. Das Zeugnis muss die ärztliche Beurteilung eindeutig wiedergeben. Es hat sich auf die notwendigen Informationen für den Empfänger zu beschränken. Weitere Informationen, wie beispielsweise eine Diagnose oder Behandlungen, dürfen nur mit Einwilligung des Patienten, bei dessen Urteilsunfähigkeit seines gesetzlichen Vertreters, erteilt werden (12).
Gefälligkeitszeugnisse sind strafbar
Stellt ein Arzt vorsätzlich ein falsches Zeugnis aus, droht ihm eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, bei Fahrlässigkeit eine Busse im Umfang von max. 10 000 Franken (13). Bestraft wird der Arzt, wenn er ein unwahres Zeugnis ausstellt, was zum Beispiel bei einem Gefälligkeitszeugnis der Fall sein kann.
Zeugnis ohne Untersuchung?
Grundsätzlich setzt die Ausstellung eines wahren Zeugnisses voraus, dass das Kind ordnungsgemäss untersucht wurde. Kann diese Untersuchung nicht durchgeführt werden, ist das zu deklarieren. Ohne Untersuchung genügt ein Zeugnis nur dann, wenn es auf einer anderen ausreichenden Beurteilungsgrundlage beruht, zum Beispiel auf Auskünften des Kindes und/oder der Eltern oder auf der Krankengeschichte (14). Es ist ausnahmsweise möglich, das Zeugnis auf telefonische Anfrage auszustellen. Dies sollte nur geschehen, wenn der Arzt das Kind kennt und es kurz zuvor behandelt hat, seine medizinische Situation also ebenfalls bekannt ist. Das dürfte wohl nur bei länger andauernder Erkrankung und Behandlung regelmässig der Fall sein (15).
Zeugnisse nie rückdatieren
Ärztlichen Zeugnissen kommt kein absoluter Beweiswert zu, sodass sich jeder Richter darüber hinwegsetzen darf, falls sich aus anderen Umständen ergibt, dass die Angaben im Zeugnis falsch sind (16). Auch der Arbeitgeber kann ein ärztliches Zeugnis, das in ihm Zweifel an der Richtigkeit aufkommen lässt, überprüfen lassen.
Gründe für Zweifel sind oft im Nachhinein ausgestellte ärztliche Zeugnisse, weil sich der behandelnde Arzt dann kaum auf objektive, das heisst selbst erhobene Befunde stützen kann, sondern sich auf die Patientenschilderung verlassen muss. Deshalb wird empfohlen, ärztliche Zeugnisse rückwirkend für nur wenige Tage, maximal einen Zeitraum von einer Woche auszustellen und mit dem Vermerk zu versehen, dass die Angaben vom Patienten stammen. Auch ist festzuhalten, wann das Zeugnis ausgestellt wurde, es ist auf keinen Fall rückzudatieren. Ebenso sind der Beginn der Arbeitsunfähigkeit und das Datum einer allfälligen ersten Behandlung festzuhalten (17).
Korrespondenzadresse: Dr. iur. Ursina Pally Hofmann Rechtsanwältin Generalsekretärin/Leiterin Abteilung Rechtsdienst FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte Nussbaumstr. 29 3000 Bern 15 E-Mail: ursina.pally@fmh.ch
Referenzen: 1. Art. 36 Abs. 3 Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel vom 13. März 1964 (Arbeitsgesetz, ArG), SR 822.11. 2. Art. 36 Abs. 1 ArG. 3. Rüetschi David, in: Die Rechte des Arbeitnehmers bei der Betreuung kranker Kinder und anderer Angehöriger, in: Büchler Andrea/Müller-Chen Markus (Hrsg.), Private Law – national – global – comparative, Festschrift für Ingeborg Schwenzer zum 60. Geburtstag (Band I und II), Bern 2011, 1449 ff., 1455 f. 4. Hensch Angela, in: AJP/PJA, Arbeitnehmer mit Familienpflichten, 12/2016 S. 1631 ff., B. und B.1.b. m.w.H. 5. Seco, Wegleitung zum Arbeitsgesetz und den Verordnungen 1 und 2, 2019; Hensch, B.1.a. m.w.H. 6. Hensch, B.1.d. m.w.H. 7. Art. 2 ff. ArG; Hensch, B.1.b. m.w.H. 8. Art. 324a Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911 (Stand am 1. April 2020), SR 22, (OR); Hensch, B.1.d., 2.a.ii. ff. m.w.H. 9. Hensch, B.1.c.m.w.H. 10. Hensch, B.1.c. m.w.H. 11. Art. 8 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (Stand am 1. Januar 2020), SR 210 (ZGB); Hensch, B.2.a.vii. m.w.H. 12. Art. 34 Standesordnung der FMH; Leitfaden. S. 141 ff. m.w.H. 13. Art. 318; Art. 106 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (Stand am 3. März 2020), SR 311.0. 14. Niggli Marcel Alexander, Wiprächtiger Hans (Hrsg.), Basler Kommentar zum Strafrecht II., Art. 137–392 StGB, Jugendstrafgesetz, 4. Auflage, Freiburg / Luzern 2018, N 3 f. zu Art. 318 StgB. 15. Rechtliche Grundlagen im medizinischen Alltag, Ausgabe 2020 (Leitfaden), S. 146 f. m.w.H. 16. Urteil des Bundesgerichts (1C_64/2008) vom 14.4.2008. 17. Rechtliche Grundlagen im medizinischen Alltag, Ausgabe 2020 (Leitfaden), S. 146 m.w.H.
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