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Schwerpunkt
Stellenwert der Opioide in der pädiatrischen Praxis
Opioide gehören zu den stärksten Analgetika, und sie sind für die Behandlung von Schmerzen sowohl in der Erwachsenenmedizin als auch in der Pädiatrie essenziell. Als psychoaktive Substanzen haben sie hohes Abhängigkeitspotenzial. Eine «Opioidepidemie», wie sie in den USA beschrieben wird, ist momentan in der Schweiz nicht vorhanden. Ein behutsames Vorgehen bei der Verordnung von Opioiden, vor allem bei Jugendlichen, ist trotzdem unerlässlich.
Von Diana Reppucci und Sandra Jeker
Opioide werden vorwiegend im stationären und weniger oder kaum im ambulanten Bereich angewandt. Im Kinderspital werden Opioide von mehreren Fachdisziplinen, unter anderem von Kinderanästhesisten, Intensivmedizinern, Notfallärzten und Onkologen sowie von Palliativmedizinern, eingesetzt.
Wirkmechanismus und Einteilung der Opioide
Opioide binden an spezifische Rezeptoren, die zur Superfamilie der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren gehören. Diese Rezeptoren befinden sich im zentralen Nervensystem, insbesondere im Kortex, Thalamus, Hypothalamus, Hirnstamm und in Strukturen des limbischen Systems. Weiterhin findet man sie im Hinterhorn des Rückenmarks (Spinal- und Epiduralanästhesie) sowie in peripheren Nervenzellen (Lokalanästhesie), Immunzellen und anderen Zellen (z. B. Oozyten). Opioide binden an der prä- und postsynaptischen Zellmembran im zentralen Nervensystem (ZNS). Nach der Bindung an den jeweils spezifischen Rezeptor kommt es zu einer Konformationsänderung des Rezeptors und demzufolge zu einer Aktivierung der G-Protein-gekoppelten Signalkaskade. Das führt schliesslich zu einer
Tabelle:
Einteilung der Opioide nach Herkunft
Natürlich
Halbsynthetisch
Synthetisch
Morphin Codein Heroin
Hydromorphon Oxycodon Oxymorphon Hydrocodon Buprenorphin
Pethidin Methadon Fentanyl und Analoga (Alfentanil, Remifentanil, Sufentanil) Tramadol Tilidin
verminderten Freisetzung von exzitatorischen Neurotransmittern (u. a. Glutamat) am präsynaptischen Ende. Postsynaptisch kommt es zu einer Hyperpolarisation der Nervenzelle und somit zur verminderten Erregbarkeit. Mehrere Opioidrezeptoren wurden identifiziert, darunter: µ (für Morphin), δ und κ. µ-Rezeptoren kann man weiterhin einteilen in: µ1- (supraspinale und spinale Analgesie) und µ2-Rezeptoren (Atemdepression, Hemmung der gastrointestinalen Motilität, Miosis, Toleranz, Abhängigkeit). µ1-, δ- und κ-Rezeptoren finden sich präsynaptisch, µ2-Rezeptoren hingegen postsynaptisch. In der Regel werden Opioide bei mässigen bis schweren und seltener auch bei neuropathischen Schmerzen verordnet. Es gibt verschiedene Verabreichungsformen: oral, transdermal, subkutan, intramuskulär, intravenös und intranasal. Die Einteilung der Opioide kann aufgrund ihrer Wirkungsstärke in schwache und starke oder nach ihrer Herkunft in natürliche, semisynthetische und synthetische erfolgen (Tabelle). Darüber hinaus kann man sie nach ihrer Funktion in Agonisten, partielle Agonisten, gemischte Agonisten-Antagonisten oder Antagonisten einteilen.
Wo werden Opioide normalerweise eingesetzt?
Opioide sind ein wichtiger Bestandteil des peri- und postoperativen Schmerzmanagements. Sie wirken nicht nur analgetisch, sondern auch sedativ. Auf der Intensivstation werden sie zur prozeduralen Sedation (z. B. Einlage einer Thoraxdrainage oder eines zentralvenösen Katheters), zur Sedation von intubierten Kindern, meist in Kombination mit Benzodiazepinen, oder allgemein zur Analgesie von Verbrennungspatienten angewandt. Eine weitere Patientengruppe, die Opioide benötigt, sind chronisch kranke Kinder, die auch von Palliativmedizinern betreut werden, sowie onkologische Patienten. Auf der pädiatrischen Notfallstation werden Opioide unter anderem zur Erstbehandlung von Frakturen (primär
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in der Triage zur Analgesie und sekundär bei Repositionen) oder bei Patienten mit Sichelzellanämie eingesetzt.
Welche Opioide kommen zum Einsatz?
Eine neuere einfache Methode der Opioidverabreichung ist die intranasale Gabe. Intranasales Fentanyl kann rasch, ohne Notwendigkeit eines intravenösen Zugangs, zur Analgesie bei mässigen bis schweren Schmerzen eingesetzt werden (1). Studien haben eine sichere Anwendung auch bei 6 Monate alten Säuglingen bestätigt. Bei Frakturen langer Röhrenknochen hat intranales Fentanyl im Vergleich zu Morphin einen gleichwertigen Effekt, wird jedoch rascher verabreicht. Auf der pädiatrischen Notfallstation kann das, im Vergleich zu intravenösem Morphin, zu einer Reduktion von bis zu 25 Minuten bis zur ersten Verabreichung von Schmerzmedikamenten führen (2, 3). Auch bei vasookklusiven Krisen von Sichelzellenanämiepatienten wurde mit intranasalem Fentanyl eine deutliche Reduktion der Schmerzintensität (4) und eine kürzere Spanne bis zur Verabreichung gezeigt (5). Morphin ist in der Regel der Goldstandard für die Analgesie, es hat jedoch eine niedrige Bioverfügbarkeit. In einer Studie wurde die analgetische Wirkung der primären Behandlung mit oralem Morphin oder oralem Ibuprofen bei Kindern mit unkomplizierten Frakturen auf der Notfallstation verglichen. Es zeigte sich keinen Unterschied in der analgetischen Wirkung zwischen beiden Gruppen, die Morphingruppe hatte jedoch mehr unerwünschte Nebenwirkungen wie Nausea (6). Bei starken Schmerzen werden häufig intravenöse Opioide wie Fentanyl oder Morphin eingesetzt. Die bevorzugte Wahl des intravenösen Opioids ist von Spital zu Spital unterschiedlich, da es keine Studien gibt, in denen Morphin, Fentanyl und Hydromorphon direkt miteinander verglichen wurden. Meperidin (Pethidin) sollte aufgrund der Akkumulation der Metaboliten nicht verwendet werden.
Zweistufenschema der Schmerzbehandlung bei Kindern
1986 führte die WHO im Hinblick auf die Schmerzbehandlung bei Kindern zunächst ein Dreistufenschema gemäss Schweregrad der Schmerzen ein. Bei milden Schmerzen werden primär Nichtopioid-Analgetika wie Paracetamol und Ibuprofen empfohlen, da sie, anders als die Opioide, nicht zu Toleranz oder körperlicher Abhängigkeit führen können. Auch nicht steroidale antiinflammatorische Medikamente (NSAR) und Metamizol (Cave: Agranulozytose!) kommen bei milden Schmerzen infrage. Bei mittleren und starken Schmerzen ist eine Kombination von opioid- und nicht opioidhaltigen Medikamenten sehr effektiv. Die Kombination von Paracetamol mit Opio iden führt zu einem reduzierten Gebrauch an Opioiden. Bei sehr starken Schmerzen bringt eine alleinige Gabe von Nichtopioiden nur eine geringe Schmerzlinderung. Zu beachten ist, dass es beim Auftitrieren der Opioidboli keine Maximaldosis gibt. Die Gesamtdosis richtet sich nach der schmerzlindernden Wirkung. 2012 wurde das Dreistufenschema in der Pädiatrie durch ein Zweistufenschema ersetzt (Abbildung). Gründe hierfür waren das Weglassen des Codeins (s. unten) und die
Intensität der Schmerzemnässig bis schwer
leicht
Stufe 1
nicht opioidhaltige Analgetika (Paracetamol, NSAR, Metamizol)
Stufe 2
starke Opioide (Morphin, Fentanyl, Hydromorphon)
+/– nicht opioidhaltige Analgetika
Abbildung: Das seit 2012 gültige Zweistufenschema der WHO zur Schmerztherapie bei Kindern mit persistierenden Schmerzen im Rahmen einer Erkrankung (nach [7])
fehlende Wirksamkeit der mässig starken Opioide (inter-
mediate potency opioids) (7).
Opioide können vor allem in höheren Dosen zu Atemde-
pression und Sedation oder gar zu Apnoen führen. In der
Regel sind sie unter Anwendung eines Stufenschemas bei
Kindern sicher. Starke Opioide wie Fentanyl und Morphin
haben keinen analgetischen Ceiling-Effekt, wie da es bei
Paracetamol oder Ibuprofen der Fall ist. Somit sollte man
mit kleinen Fentanyl- beziehungsweise Morphindosen
beginnen und diese bis zur gewünschten Wirkung titrie-
ren. Auf diese Weise können mögliche unerwünschte
Nebenwirkungen ver-
mieden werden. Es ist Als potenteste Analgetika
ausserdem wichtig, in regelmässigen Abständen das Vorhanden-
sind Opioide für die Behandlung von Schmerzen sowohl in der Erwachsenenmedizin als
sein und den Schwere- auch in der Pädiatrie essenziell.
grad der Schmerzen zu
erfragen, um die Wirksamkeit der verabreichten Opioide
zu überprüfen.
Codein und Tramadol unter 12 Jahren kontraindiziert
Im Mai 2013 hatte die Food and Drug Administration (FDA) in den USA eine Warnung bezüglich Codein herausgegeben. Bei Kindern unter 12 Jahren mit Tonsillektomie und Adenotomie waren 13 Todesfälle beschrieben worden (8). Codein wird in der Leber durch CYP2D6 zum zehnmal potenteren Morphin metabolisiert. Die Aktivität des P450-Enzyms CYP2D6 variiert je nach genetischem Polymorphismus, der die Population in schnelle oder langsame Metabolisierer einteilt. Bei einer raschen Metabolisierung kann es zu einer Atemdepression, bei einer langsamen hingegen zu einer ungenügenden Analgesie kommen. 10 Prozent der kaukasischen Population haben im Vergleich mit anderen Populationen, zum Beispiel mit China, einen langsamen Metabolismus. Ultraschnelle Metabolisierer findet man in der arabischen und nordafrikanischen Population. Bei Kindern bis zum 5. Lebensjahr ist die Aktivität von CYP2D6 unvorhersehbar.
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Codein wird heutzutage mehrheitlich als Antitussivum eingesetzt. Ein analgetischer Effekt zeigt sich nach 20 bis 30 Minuten. Codein hat eine aussergewöhnlich geringe Affinität zu den Opioidrezeptoren. Die ana lgetische Wirkung kommt vor allem durch die Konversion zu Morphin zustande. 2017 gab die FDA bekannt, dass Tramadol und Codein bei Kindern unter 12 Jahren als Analgetikum oder Antitussivum kontraindiziert sind.
Opioidkrise in den USA
In den letzten zwei Dekaden hatte sich in den USA
zunehmend gezeigt, dass Kinder auf der Notfallstation
im Hinblick auf Schmerzen unterbehandelt wurden. Das
führte zu einem erheblichen Druck auf die behandelnden
Ärzte und zu einer Steigerung der Opioidanwendung
und -rezeptierung. Die Opiatverordnungen und somit der
Gebrauch und Missbrauch von Opiaten haben in den
USA seit den
Eine «Opioidepidemie», wie sie in den USA beschrieben wird, ist momentan in der Schweiz nicht vorhanden.
1990er-Jahren drastisch zugenommen. Sie sind zu einem wichtigen nationalen Gesundheits-
problem geworden.
Besonders aufmerksam wurde man in den USA auf die
«Opioidepidemie», als in einem Artikel im «New England
Journal of Medicine» über eine Assoziation zwischen
Opioiden und einer steigenden Anzahl von Todesfällen
berichtet wurde (9).
Auch bei Kindern und Adoleszenten haben die Opioid-
verordnungen in den USA in den letzten 10 Jahren stark
zugenommen (10), bei Adoleszenten haben sie sich zum
Teil verdoppelt (11). In den USA sterben jährlich 500 Kin-
der und Jugendliche an einer Opioidüberdosierung (12).
Die jährliche pädiatrische Mortalitätsrate für Opiatver-
giftungen hat sich innert 17 Jahren fast verdreifacht,
wobei die meisten Fälle (80%) unbeabsichtigt und zu
Hause stattfanden. Nur 5 Prozent der Vergiftungen
erfolgten in suizidaler Absicht. Eine weitere Studie in den
USA zeigte, dass die meisten Expositionen und Todesfäl-
le im Hinblick auf Opioidintoxikationen vermeidbar
gewesen wären.
Zwischen 1997 und 2012 hatte sich die Hospitalisations-
rate infolge von Opioidintoxikationen bei Kindern und
Adoleszenten in den USA fast verdoppelt, wobei die
höchste Rate bei Jugendlichen zu finden war. Die stärkste
Zunahme (205%) fand man aber erstaunlicherweise bei
Kleinkindern im Alter von 0 bis 4 Jahren (12). Für Kinder
bis zum 2. Lebensjahr ist das Risiko, eine Opiatüberdosie-
rung zu erleiden, erhöht, wenn ihren Müttern Opioide
(meist Codein) und Antidepressiva verordnet wurden (13).
Auch negative Erlebnisse in der Kindheit wie Kindsmiss-
brauch, Vernachlässigung und vorbestehender Substan-
zenmissbrauch eines Familienmitglieds erhöhen das Risiko
für einen späteren Opiodmissbrauch (14).
In den USA entwickeln 6 bis 14 Prozent der postoperati-
ven Opioidanwender einen persistierenden Verbrauch.
5 Prozent der Adoleszenten geben an, Opioide bis zu
90 Tage nach der Operation weiter einzunehmen. Das
führt zu einem erhöhten Opioidmissbrauchsrisiko (15).
Der legitime Gebrauch von Opioiden im Adoleszentenal-
ter ist mit einem um 33 Prozent erhöhten Risiko von
Opioidkonsum im jungen Erwachsenenalter (35 Jahre) assoziiert (16). Ein weiteres Problem ist die Überverordnung der Opiate. Eine prospektive Beobachtungsstudie in Kanada zeigte, dass Kindern zu hohe Mengen an Opioiden verordnet werden und die übrig gebliebenen Medikamente, durchschnittlich gut zwei Drittel der verordneten Menge, zu Hause an einem unsicheren Ort aufbewahrt und nicht in die Apotheke zurückgebracht werden (17). Andere Studien ergaben, dass 70 Prozent der verordneten Opioidtabletten nicht benötigt werden und über die Hälfte der Patienten nicht mehr als 25 Prozent der verschriebenen Medikamente einnehmen (18, 19). Diese restlichen Medikamente werden zu einem späteren Zeitpunkt selbst konsumiert oder innerhalb der Familie oder im Freundeskreis weitergegeben.
Wie sieht es in Europa aus?
Auch in Europa hat die Anzahl der Verordnungen von Opioiden zugenommen (20), zum Beispiel in Schottland um das 18-Fache (21). Gemäss OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) liegt die Schweiz gemäss Opioidverordnungen auf Rang 7, wobei zu berücksichtigen ist, dass bei den Angaben aus der Schweiz auch Suchtpatienten einbezogen sind, die eine Substitutionsbehandlung erhalten. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die aktuelle Situation der Einnahme psychoaktiver Medikamente in der Schweiz dokumentiert: Von 2006 bis 2013 ist die Anzahl der Opioidverordnungen in der Schweizer Bevölkerung signifikant gestiegen. Der Konsum starker Opio ide hat sich mehr als verdoppelt (+121%), während der Gebrauch schwacher Opioide um 13 Prozent anstieg. Das Durchschnittsalter der Konsumenten liegt zwischen 57 und 64 Jahren, und mehrheitlich sind Frauen betroffen. Beim Gebrauch starker Opioide liegt Fentanyl an erster Stelle. Die Studie zeigt zudem interkantonale Unterschiede in der Verordnung von Schmerzmitteln. Starke Opioide wurden in den untersuchten Jahren zunehmend in den Kantonen Basel-Stadt, Fribourg, Jura, Uri und Schaffhausen, schwache Opioide vorwiegend in der französischen Schweiz verordnet (22). Auch die Daten von Swissmedic dokumentieren eine Steigerung der Lieferung opioidhaltiger Schmerzmittel an Ärzteschaft, Apotheken und Spitäler. Obwohl auch in der Schweiz ein signifkanter Anstieg des Opioidgebrauchs zu verzeichnen ist, wird im Gegensatz zu den USA in der Schweiz nicht von einer Opioidkrise oder «Epidemie» gesprochen. In Europa ist die Zunahme der Opioidanwender weniger ausgeprägt und das Risiko für eine Opioidabhängigkeit offenbar eher gering. Allerdings gibt es in den meisten europäischen Ländern kein Überwachungssystem zur Erkennung von Opioidmissbrauch und unbeabsichtigter Überdosierung (23, 24). Daten des BAG zeigen, dass Jugendliche und ältere Menschen stärker gefährdet sind, psychoaktive Medikamente zu missbrauchen (25). Bei den Jugendlichen beruht diese Gefährdung vor allem auf Experimentierfreudigkeit. So werden beispielsweise Hustenmittel mit Codein oder Dextromethorphan wegen der dissoziativen und halluzinogenen Wirkung dieser Substanzen gebraucht. Das Suchtmonitoring Schweiz hat 2016 eine Telefonbefragung mit rund 11000 Teilnehmern durchgeführt. Es
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zeigt sich, dass der grösste Teil der Befragten die Schmerzmittel direkt beim Arzt bezieht (61,6%). Auf Rezept in den Apotheken erhalten 19,9 Prozent der Befragten die Medikamente, der Rest bekommt sie im Freundes- oder Bekanntenkreis. Tox Info Suisse wurden in den vergangenen Jahren 6 bis 13 Opioidvergiftungen bei Kindern pro Jahr gemeldet. Häufig sind die Kinder asymptomatisch, oder sie haben leichte Symptome. Schwere Verläufe sind selten. Todesfälle bei Kindern wurden in den letzten 20 Jahren nicht dokumentiert (26).
Massnahmen gegen Opioidmissbrauch
Als Massnahme gegen den erhöhten Opioidmissbrauch und die demzufolge erhöhte Todesrate in den USA hat die FDA ein Aktionsplan zur Bekämpfung des Opioidmissbrauchs eingeführt. Dazu gehören unter anderem zusätzliche Warnhinweise auf den Medikamentenpackungen, Guidelines zur Verschreibungspraxis, Studien über Langzeitfolgen von Opioiden und die Entwicklung neuer Schmerzmittel (27). Die amerikanische Society for Pediatric Anesthesia hat 2019 eine Taskforce einberufen und Empfehlungen für den peri- und postoperativen Gebrauch von Opioiden bei Kindern herausgegeben (28). Opioidverordnungen sollen auf die erwartete postoperative Zeit beschränkt sein, und die Eltern müssen auch über die angemessene Aufbewahrung und Entsorgung informiert werden. Für die Prävention des Opioidmissbrauchs ist die 4-K-Regel bei der Verschreibung wichtig: ● klare Indikation ● klare Dosis ● kurze Anwendung ● kein abruptes Absetzen. Es werden viel zu grosse Packungen über zu lange Zeit verschrieben. Bei akuten Schmerzen sollte die niedrigere Dosis über kurze Zeit verordnet werden. Bei chronischen Schmerzen ist es wichtig, Verlaufskontrollen zu organisieren und die Menge der Opioide so zu wählen, dass sie nur bis zum nächsten Termin ausreichen. Ärzte, die Adoleszente unter Opioidtherapie betreuen, sollten spezifisch auf den nicht medizinischen Gebrauch achten sowie diejenigen Patienten identifizieren, die ein erhöhtes Risiko für Substanzstörungen haben (29). In vielen Spitälern wurde ein sogenanntes StewardshipProgramm für das Schmerzmanagement eingeführt.
Dieses Konzept fokussiert auf ein optimales Schmerzmanagement mit dem Ziel, den Opioidgebrauch, die opioidassoziierten Nebenwirkungen sowie die Spitalaufenthaltsdauer zu reduzieren. Das Stewardship-Team besteht in der Regel aus einem Pharmazeuten, einem Arzt und einem Krankenpfleger. Das Team gibt anderen Kollegen des Spitals das Konzept des Schmerzmanagements weiter. Die Mitglieder des Teams stehen zudem auch konsiliarisch zur Verfügung, um Risikopatienten frühzeitig zu identifizieren und potenziell gefährliche Opioidverordnungen zu vermeiden. Für hospitalisierte Kinder ist eine multimodale Analgesie für das Management akuter Schmerzen von zentraler Bedeutung. Diese beinhaltet sowohl pharmakologische als auch nicht pharmakologische Massnahmen (30). Die WHO empfiehlt neben dem Zweistufenkonzept, die Medikamente in regulären Intervallen (by the clock) zu verabreichen, möglichst oral (by the mouth) und den Bedürfnissen des Patienten angepasst (by the individual) (7).
Zusammenfassung
Als potenteste Analgetika sind Opioide für die Behandlung von Schmerzen sowohl in der Erwachsenenmedizin als auch in der Pädiatrie essenziell. Sie gehören aber auch zu den psychoaktiven Substanzen und haben ein hohes Abhängigkeitspotenzial. Eine «Opioidepidemie», wie sie in den USA beschrieben wird, ist momentan in der Schweiz nicht vorhanden. Daten über die Prävalenz von Opioidverordnungen durch Kinderärzte in der Schweiz sind nicht bekannt. Die Anzahl der Verordnungen und somit die Fälle von Opioidmissbrauch steigen jedoch bei den Jugendlichen und Erwachsenen auch hier in Europa. Ein behutsames Vorgehen bei der Indikation und der Verordnung von Opioiden, vor allem bei Jugendlichen, bleibt somit unerlässlich.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Diana Reppucci Oberärztin Intensivmedizin Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) Spitalstrasse 33, 4056 Basel E-Mail: diana.reppucci@ukbb.ch
Interessenlage: Die Autorinnen erklären, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag bestehen.
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