Transkript
Die Macht der Worte
Worte können als Plazebo oder Nozebo wirken
Schwerpunkt
Worte prägen unser Leben, unsere Erfahrungswirklichkeit, unseren Alltag. Auch im Arbeitsalltag mit Patienten sind wir stets am Kommunizieren, sprich: Worte verwenden. Oft machen wir uns nicht bewusst, was wir mit Worten auslösen. Wir können deren Wirkung jedoch auch gezielt einsetzen und unerwünschte Wirkungen vermeiden. In Folgenden fokussieren wir auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient.
Von Ursula Fuchs-Egli und Manfred Koch
Worte sind ein für uns prägendes Kulturgut. In der Genesis beginnt die Schöpfung der Welt mit Worten: «Und Gott sprach: Es werde Licht.» Die Zehn Gebote wurden nicht als Bilder dargestellt, sondern in Worten auf die Tafel geschrieben – sogar das Gebot: «Du sollst dir kein Bildnis machen!» Rhetorik zieht sich durch viele gesellschaftsrelevante Gebiete. Als zentrale politische Institution trägt das Parlament das Sprechen in seiner Bezeichnung, und das Debattieren und das Diskutieren sind der Kern parlamentarischer Aktivität. Im religiösen Kontext sind es Predigten, die gehalten werden, in politischen Reden, von «I have a dream» bis zu stündlichen Twitternachrichten ranghoher Politiker, werden Meinungen und Haltungen in Worten formuliert. Die Werbung spielt mit Worten, sodass die Firma dahinter gar nicht mehr genannt werden muss, wie zum Beispiel bei «Just do it» oder «Wer hat’s erfunden?». Über die Namen ihrer Kinder zerbrechen sich die meisten Eltern den Kopf, weil uns klar ist, dass das Wort, mit dem wir bezeichnet werden, identitätsstiftend ist; in einigen Sprachräumen ist im Namen automatisch die familiäre Herkunft enthalten. Die ersten Worte eines Kindes sind wichtige entwicklungspsychologische Meilensteine, die Eltern oft gut in Erinnerung bleiben. Wenn wir den Kindern Geschichten erzählen, wollen sie diese oft im immer gleichen Wortlaut hören: «Aber Grossmutter, warum hast du so grosse Hände? Damit ich dich besser packen kann!» soll bitte nicht in Varianten formuliert werden. Lesen und Schreiben sind Schulfächer der ersten Stunden, sie gelten als Kulturfertigkeiten, über die wir kognitive Leistungsfähigkeit definieren. Zeichnen, Gestalten, Musizieren oder Zaubern gehören hingegen eher in den Bereich der Hobbys, des «nice to have», und scheinen damit «nicht wirklich wichtig».
Worte können wehtun
Die verbale Kommunikation ist das zentrale Element der zwischenmenschlichen Verständigung, sowohl schriftlich
als auch mündlich. Seit spätestens 2004 ist bekannt, dass nicht nur körperliche Läsionen zu Schmerzempfinden führen, sondern auch emotionale Verletzungen und Belastungen, wie zum Beispiel soziale Zurückweisung und verbale Angriffe oder Abwertungen (1). Eine geeignete Kommunikation kann hingegen schmerzstillend oder schmerzreduzierend sein – mit dem Risiko unerwünschter Nebenwirkungen: «Communication is the most dangerous medical procedure», so formulierte es Dr. Peter Brindley, Head of Critical Care, University of Alberta Hospital, anlässlich des Hypnosekongresses 2018. So kann die Aufmerksamkeit in einem Gespräch zwar gerade bei Kindern gezielt gesteuert werden, aber wir machen sowohl als Fachpersonen in Gesundheitsberufen als auch als Eltern die Erfahrung, dass eine gut gemeinte Beruhigung («Du musst keine Angst haben.»: «Das tut nicht weh.») oft das Gegenteil erreicht.
Sichtweise und Weltbild des Kindes
Die Denk- und Sichtweisen von Kindern unterscheiden sich je nach Entwicklungsstand und sozialem Umfeld. Das gilt es in der Kommunikation mit Kindern zu berücksichtigen. Während wir Erwachsenen in unserer Kultur Zusammenhänge naturwissenschaftlich und rational erklären können, ist die Logik von Kindern je nach Altersstufe eine andere: Im Alter von zirka 3 bis 6 Jahren ist magisches Denken, das Denken in «Wenn-dann-Ketten» oder «Schwarz-Weiss» häufig. Bei Grundschulkindern (ca. 7 bis 10 Jahre) wird das Denken in einfacher Form vernetzt, das Verhalten muss gerecht und nachvollziehbar sein (moralisches Alter), in Vorpubertät und Jugendalter werden zunehmend komplexere Zusammenhänge erkannt, philosophische und ethisch-moralische Überlegungen angestellt (2). Um mit Kindern ins Gespräch zu kommen, ist es hilfreich, ihre Welt zu kennen. Möglicherweise sind Pokemons dort eher vorhanden als Hänsel und Gretel. Die Exploration des Lebensumfeldes (aktuelle Interessen, Hobbys, Aktivitäten mit Freunden und Familie) gibt Hinweise auf die
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Sichtweise und das Weltbild des Kindes. Daran kann in der Kommunikation angeknüpft werden, gerade auch in schwierigen Situationen.
Perspektivenwechsel
Während der unheimliche Schatten im Schlafzimmer in der Sichtweise eines Kindes ein gefährliches Monster darstellen kann, sehen wir Erwachsene lediglich den Staub unter dem Bett, wie es Ernie und Bert in der «Sesamstrasse» vorführen (https://www.rosenfluh.ch/qr/ernie). Haben Sie schon einmal Ihr Sprechzimmer aus einer Höhe von 65 cm ab Boden angeschaut? Oder haben Sie – in Anlehnung an den Film «Der Club der toten Dichter» – schon einmal auf Ihrem Schreibtisch gestanden und diese Perspektive eingenommen? Um mit einem Kind erfolgreich zu kommunizieren, muss ein Perspektivenwechsel immer wieder bewusst vorgenommen werden.
Worte als Plazebo/Nozebo
Nozebo- und Plazeboeffekte in der Arzt-Patienten-Kommunikation sind bei Erwachsenen ausführlich beschrieben. Die Erwartungen, die ein Patient an eine medizinische Massnahme hat, haben einen grossen Einfluss darauf, wie diese Handlung erlebt wird. Lang et al. beschreiben, wie die Ankündigung einer schmerzhaften Intervention oder einer unangenehmen Erfahrung zu einem erhöhten Schmerzerleben beim Patienten führte (3). Selbst auf neurobiologischer und biochemischer Ebene gibt es nachweisbare Wirkungen der Kommunikation. Benedetti zeigte in Übersichtsarbeiten, dass negative verbale Äusserungen antizipatorische Ängste bezüglich der möglicherweise bevorstehenden Schmerzen auslösen. Diese verbal induzierten Ängste triggern die Aktivierung von Cholezystokinin (CCK), was wiederum die Schmerzleitung verstärkend beeinflusst (4). Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die plazeboinduzierten neurobiologischen Mechanismen – bei Schmerz sind das die opioidergen, dopaminergen und cholezystokinergen Netzwerke – den medikamenteninduzierten Mechanismen sehr ähnlich sind (5). Positive Äusserungen aktivieren das endogene µ-Opioid-System als Plazebo, negative Äusserungen die endogenen CKK-Rezeptoren mit Nozebowirkung. Für den klinischen Kontext bedeutet das, dass die Kontaktgestaltung zwischen Arzt und Patient bei jeder ärztlichen Intervention einen wesentlichen Teil darstellt (6). Plazeboeffekte sind bei Kindern deutlich weniger untersucht als bei Erwachsenen. In einem Review (7) kommen Weimer et al. zu dem Schluss, dass die Mechanismen vermutlich vergleichbar sind wie bei Erwachsenen. Bei Kindern sind jedoch Erwartungseffekte kleiner und Lernmechanismen ausgeprägter, und insbesondere die Kontaktzeit mit dem Patienten spielt eine grössere Rolle als bei den Erwachsenen. Kinder scheinen zudem stärker auf Plazeboeffekte zu reagieren.
Die spezielle Situation im Behandlungszimmer
Arzt- und Spitalbesuche sind für pädiatrische Patienten und deren Bezugspersonen ein spezielles Erlebnis. Dabei ist die Aufmerksamkeit anders als bei Routinetätigkeiten fokussiert. Es entsteht eine veränderte Wahrnehmung
Tabelle:
Beispiele für Negativ- und Positivsuggestionen
Negativsuggestionen Es gibt einen Stich. Das macht nicht weh. Das ist nicht schlimm. Du muss keine Angst haben. Du hast nichts.
Positivsuggestionen Du wirst etwas spüren, erzähl mir nachher, was du gespürt hast. Um welchen Teil von dir müssen wir uns besonders kümmern? Du kannst gesunde Luft einatmen. Du kannst Unangenehmes wegpusten. Du kannst die Hände/Füsse öffnen. Du kannst mir helfen, indem du für mich dieses Pflaster hältst.
(2), wodurch Aussagen, Verneinungen und Scherze fehlgedeutet werden können. Der Patient kann hierbei zugänglich für Suggestionen sein, wobei Suggestion nicht im Sinne von Manipulation verstanden wird, sondern aus dem englischen Wort «suggestion» für «Vorschlag» abgeleitet wird. Diese Suggestionen können entweder die ängstliche Erwartung von Schmerz verstärken oder das Vertrauen in die eigenen Ressourcen im Sinne von Salutogenese unterstützen. Im Vokabular des Behandlungszimmers finden sich unzählige Formulierungen, die negative oder schmerzhafte Assoziationen auslösen: stechen, Spritze, Stich, Nadel, brennen, schlimm, Angst, Schmerz usw. Mit gut gemeinten Besänftigungen wird versucht, die Kinder zu beruhigen: «Das ist nicht schlimm», «Du musst keine Angst haben», «Das dauert nicht lang». Sämtliche Formulierungen mit Verneinungen («Das macht nicht fest weh», «Achte nicht darauf», «Mach Dir keine Sorgen») können in diesen Situationen gegenteilig verstanden werden und negative Erwartungen auslösen (3). Diese erhöhen als Nozeboeffekte die Wahrscheinlichkeit, dass genau das eintritt, was eigentlich verhindert werden sollte: Angst, Schmerz, Sorgen und Aufmerksamkeit, die auf notwendige Interventionen gerichtet wird, wie zum Beispiel den Stich der Nadel. Beispiele für negative und positive Formulierungen sind in der Tabelle zusammengestellt.
Einfluss der Bezugsperson: «Plazebo/Nozebo by Proxy»
Aus Erfahrung ist bekannt, dass das Verhalten und die Reaktionen von Bezugspersonen ein Kind beeinflussen. In der Anwesenheit einer entspannten und Sicherheit gebenden Mutter verhält sich ein Kind im Behandlungszimmer anders als in Begleitung einer ängstlichen Tante. In einer Übersichtsarbeit fasste Czerniak (8) die wenigen vorhandenen Arbeiten zu Einflüssen nahestehender Personen (Eltern, Bezugspersonen, Freunde) auf die Behandlung von Kindern zusammen. Exakte Mechanismen dieses dynamischen, komplexen und reziproken Phänomens sind zwar nicht eindeutig klar, die konkreten Auswirkun-
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Ressourcenaktivierung
Für eine erfolgreiche Ressourcenaktivierung sollte die Situation für alle Beteiligten möglichst angenehm gestaltet werden. Eine sorgfältige Wortwahl mit ausreichend positiven Suggestionen ist von grosser Bedeutung. Diese sollen ehrlich, realistisch, ernsthaft und sowohl auf die Situation als auch auf das Kind bezogen sein (s. Tabelle). Mit diesen Kommunikationstools gelingt es, für unsere Patienten eine unterstützende Umgebung zu schaffen und unseren klinischen Alltag mit Kreativität zu bereichern.
Literatur: 1. Eisenberger NI, Lieberman MD: Why rejection hurts: a common neural alarm system for physical and social pain. Trends Cogn Sci 2004; 8(7): 294–300. 2. Zech N et al.: Kommunikation mit Kindern. Der Anaesthesist 2015; 64: 197–207. 3. Lang EV et al.: Can words hurt? Patient-provider interactions during invasive procedures. Pain 2005; 114(1–2): 303–9. 4. Benedetti F et al.: When words are painful: unraveling the mechanisms of the nocebo effect. Neuroscience 2007; 147(2): 260–271. 5. Benedetti F, Amanzio M: The placebo response: how words and rituals change the patient’s brain. Patient Educ Couns 2011; 84(3): 413–419. 6. Langewitz W: Techniken der patientenzentrierten Kommunikation. In: Uexküll et al.: Psychosomatische Medizin. Theoretische Modelle und klinische Praxis. 8. Auflg., Elsevier 2018. 7. Weimer K et al.: Placebo effects in children: a review. Pediatr Res 2013; 74(1): 96–102. 8. Czerniak E et al.: «Placebo by proxy» and «nocebo by proxy» in children: a review of parents’ role in treatment outcomes. Front Psychiatry 2020; 11: 169.
Fazit
Worte sind wirksame Instrumente. Um die positiven Effekte von Worten erfolgreich einzusetzen und negative Folgen möglichst zu vermeiden, ist ein Grundverständnis für die Kommunikation notwendig; das erfordert regelmässige Selbstreflexion und Training. Das Gespräch mit Kindern und Jugendlichen muss an Alter und Entwicklungsstand angepasst sein. Die Situation im Behandlungszimmer erhöht die Suggestibilität der Kinder, was bedeutet, dass in diesem Umfeld der Wortwahl eine noch höhere Bedeutung zukommt. Mit bewussten positiven Formulierungen können hilfreiche Plazeboeffekte erzielt werden. Darüber hinaus ist die Wirkung der begleitenden Bezugspersonen zu bedenken.
Korrespondenzadressen: Ursula Fuchs-Egli FMH Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Oberärztin Schmerztherapie/Psychosomatik Universitäts-Kinderspital beider Basel Spitalstrasse 33 4031 Basel E-Mail: ursula.fuchs@ukbb.ch
Manfred Koch FMH Anästhesie Oberarzt Schmerztherapie Kantonsspital Graubünden Loëstrasse 170 7000 Chur E-Mail: manfred.koch@ksgr.ch
Interessenlage: Die Autoren erklären, dass im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenkonflikte bestehen.
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