Transkript
Entlastung daheim
pro pallium hilft Familien mit schwerstkranken Kindern
Schwerpunkt
Seit 2009 erhalten Betroffene kostenfreie Unterstützung von pro pallium. Die Schweizer Palliativstiftung für Kinder und junge Erwachsene bildet freiwillige Helferinnen und Helfer aus und entlastet Familien im Alltag durch regelmässige Einsätze daheim, auch über den Tod des Kindes hinaus.
Von Cornelia Mackuth-Wicki
Ist ein Kind schwerstkrank, belastet das die Familie enorm. Häufige Spitalbesuche, pflegerische und organisatorische Arbeiten, Haushalt – für die Eltern bedeutet das einen Spagat zwischen der Betreuung der gesunden Kinder und des kranken Kindes und zu wenig Zeit füreinander. Die Belastung ist gross, und Zeit, um verschnaufen zu können, fehlt häufig. In dieser schwierigen Situation erhalten Betroffene seit 2009 kostenlose Unterstützung von pro pallium. Die Freiwilligen entlasten die Familien wöchentlich zwischen zwei und sechs Stunden. Durch die langfristige Zusammenarbeit mit derselben Person entsteht eine wertvolle Vertrauensbasis.
Psychosoziale Begleitung der Familien
Eine von pro pallium in Auftrag gegebene Studie im Jahr 2008 zur Bedürfnisanalyse von Palliative Care bei Kindern und Jugendlichen in der deutschsprachigen Schweiz zeigte auf, dass sich Familien mit schwerstkranken Kin
Gruppe 4 24 %
Gruppe 1 19 %
Gruppe 3 38 %
Gruppe 2 19 %
Abbildung: Krankheitsgruppen der von pro pallium 2019 betreuten Kinder.
dern im stationären Bereich gut aufgehoben und betreut, im Alltag daheim jedoch oft sehr allein gelassen fühlten. Das führte 2009 zum Pilotprojekt des ambulanten Kinderhospizdienstes, der Familienbetreuung mit Freiwilligen in Zusammenarbeit mit dem Kinderspital Zürich. Im Verlauf der Zeit konnten die Einsatzgebiete erweitert werden, und die Freiwilligeneinsätze sind von St. Gallen bis nach Bern in drei Hauptregionen möglich: Ost (Ostschweiz bis Zürich), Mitte (Zürich, Zentralschweiz, Aargau) und West (Basel/-Landschaft, Solothurn, Bern). Der frühzeitige Einbezug von pro pallium als Teil des Versorgungsnetzes ist eine Massnahme, welche insbesondere in der Krisensituation greift. Familien sollen, so weit wie möglich, selbstbestimmt die Betreuung ihres kranken Kindes tragen können, aber ohne das allein durchstehen zu müssen.
Patientengruppen in der pädiatrischen Palliative Care
Die Stiftung geht vom allgemeinen Verständnis der pädiatrischen Palliative Care aus. Diese geht mit der (unklaren) lebensbeschränkenden Diagnose einher, und sie ist unabhängig davon, ob das Kind eine Therapie mit kurativer Zielsetzung hat. Es werden folgende Gruppen* definiert (Abbildung): ● Gruppe 1: Lebensbedrohliche Erkrankungen, für die
eine kurative Therapie verfügbar ist, welche jedoch auch versagen kann. Die Palliativversorgung kann parallel zu einer kurativ ausgerichteten Therapie und/oder bei Therapieversagen erforderlich sein. ● Gruppe 2: Lebensverkürzende Krankheiten mit intensiven, lebensverlängernden Therapiemassnahmen. ● Gruppe 3: Progrediente Erkrankungen ohne die Möglichkeit einer kurativen Therapie. Die Therapie erfolgt ausschliesslich palliativ/lindernd. ● Gruppe 4: Irreversible, jedoch nicht progrediente Erkrankungen, die regelhaft Komplikationen zeigen und wahrscheinlich zum vorzeitigen Tod führen, und unheilbare Krankheiten oder Gehirnverletzungen mit schwe-
*entsprechend der Definition der WHO 1998 und von www.together forshortlives.org.uk (ehemals ACT)
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rer Behinderung, die aufgrund zusätzlicher Krankheiten die Lebenserwartung verkürzen oder zum plötzlichen Tod führen.
Die Koordinatorinnen, Fachpersonen mit pflegerischem oder sozialpädagogischem Hintergrund, klären mit den Familien den Bedarf, stellen mögliche Freiwillige den Familien vor und stehen für Fragen sowie die psychosoziale Beratung und Vernetzung zur Verfügung.
Aus- und Weiterbildung für Freiwillige
In einer sechstägigen Basisschulung werden die Freiwilligen über ein halbes Jahr auf die herausfordernde Tätigkeit vorbereitet. In den vergangenen zehn Jahren besuchten bereits 180 interessierte Personen die Schulung. Neben der Vermittlung von Fachthemen werden insbesondere auch Impulse zur persönlichen Haltung und zur Selbstreflexion vermittelt. Zurzeit stehen rund 80 Freiwillige für pro pallium zur Verfügung. Die Koordinatorinnen stehen auch den Freiwilligen bei Fragen und Schwierigkeiten während der Einsätze zur Seite. Sie sind in kontinuierlichem Austausch mit ihnen, organisieren mehrmals jährlich Austauschtreffen mit Fallbesprechungen für die regionalen Gruppen und sind für die Weiterbildung der Freiwilligen zuständig.
Weiterbegleitung nach dem Tod eines Kindes
Die Familien erfahren die Begleitung auch über den Tod des Kindes hinaus. Die Freiwilligen besuchen die Familien weiter, stehen Geschwisterkindern bei, bieten Raum für Gespräche mit den Eltern und vermitteln Einzelgespräche mit einer Trauerbegleiterin und Treffen Trauernder, welche die Stiftung ebenfalls anbietet. Mit einem jährlichen «Oasentag» für Familien mit einem verstorbenen Kind bietet pro pallium den Betroffenen Raum zum Innehalten und zum Austausch mit anderen. Malworkshops und Workshops zum Entwicklungspotenzial sind weitere Beispiele, um in einem geschützten und vertrauten Rahmen Gedanken und Ideen auszusprechen, anzugehen und umzusetzen. Ziel ist es, die Familien nicht allein zu lassen und ihnen individuelle Wege in der Auseinandersetzung für das Weiterleben mit dem Verlust und der Trauer zu ermöglichen.
Lücken in der ambulanten Versorgung angehen
Die Stiftungsarbeit zeichnet sich neben der konkreten psychosozialen Begleitung in den Familien auch durch die weiterführenden Projekte aus. In der pädiatrischen Pallia-
tive Care ist die (überregionale) Vernetzung der Fachpersonen von zentraler Bedeutung und wird durch die Stiftung nicht nur propagiert, sondern seit den Anfängen auch gelebt, sei das mit der Co-Leitung und der aktiven Mitarbeit im Paediatric Palliative Care Network CH (PPCN CH) wie auch im Verein Raum für Geschwister oder mit der Elternvereinigung intensiv-kids und durch die stetige Öffentlichkeitsensibilisierung. Das aktuelle Projekt «Stärkung der Praxispädiater in der pädiatrischen Palliative Care» lenkt den Blick auf die Grundversorger in der Kinder- und Jugendmedizin. Weil die Devise «ambulant vor stationär» wichtiger wird und betroffene Eltern vermehrt vom Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen, sollen Defizite im ambulanten Bereich angesprochen werden. Welche Aufgaben übernehmen die Kinderärzte in der pädiatrischen Palliative Care bei der Betreuung eines schwerstkranken Kindes und dessen Familie? Mit welchen Herausforderungen sind sie konfrontiert, und welche Rolle können und wollen sie übernehmen? Was brauchen sie, um wirksamer zu arbeiten? Diesen Fragen gehen eine Kinderärztin und ein Versorgungsforscher in einem Pilotprojekt nach, bei dem rund 25 Pädiater und Pädiaterinnen interviewt werden. In einem nächsten Schritt soll diese Befragung auf die nationale Ebene ausgeweitet werden, um relevante Aussagen für die gesamtschweizerischen Verhältnisse zu erhalten. Ziel dieser Untersuchung ist es, Lücken und Potenziale zu erkennen und Lösungen für die pädiatrische Praxis und die Weiterbildung zu erarbeiten. So können Familien, die ihr Kind bei Krankheit und im Sterben zu Hause betreuen, besser begleitet und gestärkt werden.
Finanzierung
Pro pallium ist eine gemeinnützige Stiftung. Der ambulante Kinderhospizdienst ist für die Familien kostenfrei und wird wie die weiteren Bereiche und Projekte ausschliesslich über Spenden finanziert: IBAN: CH41 0900 0000 6003 7169 3. Weitere Infos unter: www.pro-pallium.ch
Korrespondenzadresse: Cornelia Mackuth-Wicki Pflegeexpertin BScN Co-Geschäftsleitung pro pallium Schweizer Palliativstiftung für Kinder und junge Erwachsene Leberngasse 19 4600 Olten E-Mail: c.mackuth@pro-pallium.ch www.pro-pallium.ch
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