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Schwerpunkt
Ambulante pädiatrische Palliativmedizin in der Praxis
Ein Leitfaden aus der Praxis für die Praxis in der Schweiz
Mit diesem Artikel möchte ich einen «Leitfaden für die ambulante pädiatrische Palliative Care» skizzieren – mit dem Ziel, dass er allen ambulant tätigen Kollegen hilfreich sein möge. Es geht darin unter anderem um die Frage, wie man ein Betreuungsnetz knüpfen kann, wenn man in der Praxis unverhofft einen kleinen (oder grösseren) Patienten palliativ begleiten darf, und welche Punkte bei der Begleitung bedacht werden müssen.
Von Mercedes Ogal
Zu Beginn meiner Praxistätigkeit vor 16 Jahren hatte ich den Ausdruck pädiatrische Palliativmedizin zwar gehört, arbeitete jedoch nach der Devise eines sehr geschätzten Oberarztes, der mir folgende Worte mit auf meinen Weg gab: «Unter all den Patienten, die jeden Tag bei dir in die Praxis kommen, musst du genau diejenigen herausfischen, die eine ernsthafte Erkrankung haben. Halte deinen eigenen Friedhof so klein wie möglich.» Ich denke, alle Praxispädiater beherzigen diese Devise – neben den routinemässigen Entwicklungskontrollen, den kleineren und grösseren chirurgischen Notfällen, den Allergien, den Infekten mit ihren wechselnden Erregern, den aufregenden Veränderungen in der Pubertät, den schulischen Fragestellungen und so weiter. Wir sind grösstenteils noch Generalisten, und das ist gut so. Wir betreuen zudem viele Patienten mit seltenen und/oder sehr komplexen Erkrankungen in der Praxis und erleben, wie wichtig hierbei eine gute Kommunikation ist. Wir wundern uns, wenn unsere Patienten Spezialsprechstunden im Spital durchlaufen, aber dabei der Blick auf das Gesamte fehlt. Die Zeit wird knapper. Sowohl im Spital als auch bei uns in der Praxis. Und dann gibt es Momente, in denen die Zeit stillzustehen scheint. Es müssen Worte gefunden werden für das Unaussprechliche. Die richtigen Worte. Denn nach dem Aussprechen fehlen die Worte, und sie werden auch vorübergehend nicht mehr gehört. Filmriss nennen das manche. Der Selbstschutz, wenn die Not zu gross ist.
Der Weg einer Praxispädiaterin in die Spezialisierung
In den letzten zehn Jahren habe ich mich mehr und mehr auf das Gebiet der ambulanten pädiatrischen Palliativmedizin spezialisiert und hierfür Zusatzausbildungen absolviert. Aus eigenem Interesse an komplexen Krankheitsbildern und seltenen Erkrankungen gewann ich
zunehmend den Eindruck, dass für diese Patienten ein ambulantes Case-Management aus der Praxis heraus nottut. Die Spezialsprechstunden im Spital decken die Bedürfnisse der Patienten und ihrer Familie vor Ort leider nicht oder nur ungenügend ab. Neben der medizinischen Versorgung bleiben viele offene Fragen. Welche Familie weiss schon, ob sie Anrecht auf eine Hilflosenentschädigung, einen Intensivpflegezuschlag oder einen Assistenzbeitrag der IV hat? Viele wissen nicht einmal, dass es so etwas gibt. Oder welche Stiftungen und Organisationen bieten Hand, wenn die IV oder die Krankenversicherung nicht zahlungspflichtig ist? Wer leistet Rechtsbeistand, wenn Leistungen auf dem Rechtsweg erstritten werden müssen? Welche Angebote gibt es für (gesunde) Geschwisterkinder? Was, wenn plötzlich auch die Mutter oder der Vater erkrankt? Wie lindert man Symptome von palliativen Patienten ambulant zu Hause? Viele unterschiedliche Fragen, welche während der Ausbildung zum Facharzt bislang zu wenig Raum erhalten.
Wieso braucht es einen Leitfaden?
Umfragen in Deutschland (1) unter niedergelassenen Pädiatern haben ergeben, dass niedergelassene Kinder- und Jugendärzte eine hohe Bereitschaft zeigen, die ambulante palliativmedizinische Versorgung eines Kindes oder Jugendlichen (mit) zu übernehmen. Aber es werden Barrieren genannt, die die Umsetzung deutlich erschweren: die alleinige Verantwortung ohne Austausch im Team, der zeitliche (und finanzielle) Aufwand, die Formalitäten und anderes mehr. So ist es von zentraler Bedeutung, vor Ort einen fachlichen Rückhalt durch die Sicherstellung der Erreichbarkeit eines spezialisierten Fachkollegen aus dem pädiatrischen Palliativteam des Spitals oder des Konsiliardienstes sicherzustellen. Ebenso wichtig ist der praktische Rückhalt durch die spezialisierten ambulanten, pädiatrischen Pflegedienste wie Kinderspitex, KiFa und ähnliche
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Dienste. Eine aktuelle Umfrage zur Situation in der Schweiz erfolgte 2019, die Ergebnisse sind noch ausstehend. Dieser Leitfaden dient dazu, sich dieses tragende Netz selbst zusammenstellen zu können, wenn man in der Praxis unverhofft einen kleinen (oder grösseren) Patienten palliativ begleiten darf. Gerade in der ambulanten Pädiatrie bewegen wir uns bei Patienten mit komplexen Erkrankungen sehr oft lange auf dem kurativen Weg, und der Übergang in die palliative Begleitung geschieht relativ plötzlich und unerwartet zum Beispiel durch eine akute Komplikation oder Verschlechterung. Wir betreuen in unseren Praxen Patienten aller Palliativkategorien häufig über viele Jahre und haben oft eine enge Beziehung zu ihnen und ihren Familien aufgebaut: ● Säuglinge mit Fehlbildungen, Geburtskomplikationen ● Patienten mit primär heilbaren Erkrankungen (z. B.
Herzfehler, Krebserkrankungen) ● Patienten mit einer eingeschränkten Lebenserwartung
(z. B. nicht korrigierbare Herzfehler, CF) ● Patienten mit progredient verlaufenden Erkrankungen
(z. B. Stoffwechselerkrankungen, Muskeldystrophie) ● Patienten mit unheilbaren Krankheiten, schweren
Behinderungen (z. B. Zerebralparesen, Mehrfachbehinderungen nach Unfällen).
So ist es verständlich, dass die Familien ein tiefes Vertrauen zu uns haben und sich eine Begleitung zu Hause wünschen – gerade bei Kindern, die an schweren neurologischen Erkrankungen leiden oder eine progredient verlaufende Erkrankung haben (2). Dabei ist Palliative Care nicht mit Sterbebegleitung gleichzusetzen: Eine palliative Begleitung beginnt dann, wenn der Gesundheitszustand eines Kindes/Jugendlichen zunehmend instabil wird und zu hohen Anforderungen im Bereich Pflege und Betreuung führt. Die Verbesserung der Lebensqualität des Kindes/Jugendlichen erhält dann die höchste Priorität, und der Gedanke der Krisenintervention gewinnt an Bedeutung.
Leitfaden für die ambulante pädiatrische Palliative Care (PPC)
Teil 1: Basis im ambulanten Setting
1. Umgang mit Patient und Familie Im achtsamen und respektvollen Umgang mit den betroffenen Patienten und Familien entsteht eine tragfähige Basis. ● Grundsatz: «High person, low technology», das heisst,
der Mensch steht mit seiner Lebensqualität im Vordergrund. 2. Kommunikation Nicht alles muss gesagt werden, aber alles, was gesagt wird, muss wahrhaftig sein: ● Ruhige, ungestörte Orte für Gespräche mit den Eltern, den Patienten, den Geschwistern finden und den richtigen Moment abwarten. ● Pausen im Gespräch sind wichtige Elemente der Reflexion – für beide Seiten. ● Achten auf die nonverbalen Signale und die Emotionen des Gegenübers. ● Empathie und Mitgefühl haben – ohne mitzuleiden. ● Das SPIKES-Modell kann für Gespräche als Grundlage dienen (s. Kasten 1).
Kasten 1:
Das SPIKES-Modell zur Gesprächsführung
S Setting up the interview.
P Assessing patient’s (parents) perception.
I Obtaining the patient’s (parents) invitation.
K Giving knowledge and information.
E Addressing the patient’s (parents) emotions.
S Providing strategy and summary.
Das Gespräch vorbereiten.
Die Erwartungen des Patienten (der Eltern) erfassen.
Das Einverständnis zum Gespräch von dem Patienten (den Eltern) erhalten.
Wissen und Information vermitteln.
Die Gefühle des Patienten (der Eltern) ansprechen.
Hilfreiche Strategien anbieten und das Gespräch zusammenfassen.
3. Betreuungsplan Die Erstellung eines Betreuungsplans ist hilfreich und sinnvoll, um alle an der Betreuung Beteiligten zu kennen und erreichen zu können. Aufgaben können leichter den jeweiligen «Rollenträgern» zugesprochen werden, und es lassen sich klar definierte gemeinsame Behandlungsziele formulieren. Es entsteht ein Netzwerk. ● Klärung der Erreichbarkeit des Betreuungsteams mit
der Familie. ● Nach der Erstellung den Betreuungsplan regelmässig
überprüfen und allenfalls anpassen. 4. Wer macht was? Klären der Rollenverteilung beziehungsweise der Verantwortlichkeiten zwischen den Personen auf dem Betreuungsplan. Festlegung, wer das Case-Management übernimmt. Zum Beispiel ärztlicherseits: Was übernimmt der Spezialist im Spital und was der Kinder- und Jugendarzt vor Ort? Ziel ist eine prägnante, zielorientierte und realistisch umsetzbare Kommunikation. ● Steht ein spezialisierter Palliativfachkollege im Spital 24
Stunden zur Verfügung? Falls nein, Klärung, an wen man sich wenden kann. ● Steht der fallführende Konsiliararzt im Spital bei Fragen 24 Stunden zur Verfügung? Falls nein, Klärung, an wen man sich wenden kann. 5. Spezialisierter ambulanter pädiatrischer Pflegedienst Falls indiziert und bisher noch nicht geschehen: Einbezug eines spezialisierten ambulanten pädiatrischen Pflegedienstes (Kinderspitex, KiFa o.ä.): ● Pflegen eines engen Austauschs mit der Bezugspflegenden. 6. Symptomkontrolle Kontrolle und Linderung von Symptomen nach klinischem Assessement: ● Am stärksten belasten Schmerzen und/oder Atemnot, deshalb haben sie oberste Priorität. ● Weitere Symptome sind zum Beispiel Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfall, Obstipation, Schlafstörungen, epileptische Anfälle, Mundtrockenheit usw. 7. Medikamente Verordnung notwendiger Medikamente in Absprache mit den Spezialisten: ● individuelle Basistherapie (z.B. kardiologisch, epileptologisch usw.) ● supportive Therapie (Analgetika, Antiemetika, Benzodiazepine, Steroide, Antidepressiva, Neuroleptika,
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Kasten 2:
Zusammenfassung des «Leitfadens ambulante pädiatrische Palliative Care»
Die Basis im ambulanten Setting: 1. Achtsamer und respektvoller Umgang als tragende Basis 2. Alles, was gesagt wird, muss wahrhaftig sein 3. Erstellung eines Betreuungsplans 4. Klären der Rollenverteilung 5. Einbezug der Kinderspitex oder eines äquivalenten spezialisierten Pflegedienstes 6. Kontrolle und Linderung von Symptomen 7. Verordnung notwendiger Medikamente in Absprache mit den Spezialisten 8. Beschaffung von Hilfsmitteln 9. Strukturierung notwendiger Therapiemassnahmen 10. Spiritual Care 11. Einbezug der Schule bei Schulkindern 12. Überprüfung der finanziellen Situation der Familie
Die zusätzlichen Säulen im ambulanten Setting: 1. Begleitung von Geschwisterkindern 2. Organisation weiterer Entlastungsdienste 3. Kontakt zum Hausarzt der Eltern aufnehmen 4. Anfordern eines Parkausweises für Behinderte 5. Erinnerungen schaffen: Sternschnuppe, Wunderlampe, Herzensbilder 6. Implementierung komplementärer Behandlungsmethoden 7. Rettungsdienst vor Ort informieren 8. Information über den Ablauf nach dem Versterben 9. Trauerbegleitung und Begleitung über den Tod hinaus
Antiepileptika); Berücksichtigung der Interaktionen und Nebenwirkungen. 8. Hilfsmittel Beschaffung von Hilfsmitteln: ● pflegerisch (z. B. Inkontinenzprodukte, Magensonden, Lagerungskissen, Trachealkanülen u.v.m.) ● Mobilität und Interaktion (z. B. Orthesen, Rollstuhl, Autositze, Hilfsmittel zur Kommunikation u.a.) ● Ernährung (z. B. Sondomat), Zusammenstellung der optimalen Ernährung/Kalorienzufuhr ● Bücher (für Patient, Geschwister, Eltern). 9. Strukturierung notwendiger Therapiemassnahmen ● Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, heilpädagogische Frühförderung, Hippotherapie, Kunsttherapie, psychologische Begleitung u.a.m. Oft ist weniger mehr. Genügend Zeitfenster zum «Einfach-Sein» berücksichtigen. 10. Spiritual Care ● Schaffung einer sinnstiftenden Basis ● Wie sieht der Lebensentwurf der Eltern, des Kindes/ Jugendlichen aus? Darauf achten, dass das Kind/der Jugendliche (oder die Geschwister) nicht unbewusst die Verantwortung für die Eltern übernimmt. ● Wie stellen sie sich die Begleitung, den Weg vor? ● Religiosität als tragendes Element, Einbezug des Pfarrers, Gebete, Kommunion ● Rituale als lebendiger Anker ● Je nach Situation Gespräche über das Leben, das Sterben und das Leben danach
● Was möchte das Kind/der Jugendliche noch erleben? Das kann gerade bei Jugendlichen zum Teil besondere
Ausmasse annehmen. ● Wen möchte er/sie noch sehen? ● Was möchten die Eltern/Geschwister noch mit ihm/ihr
erleben? Dazu könnte auch eine Auslandsreise gehören, je nach
Gesundheitszustand, die dann eine gute ärztliche Vorbereitung (Sondenkost, Hilfsmittel, Information des Spitals im Ausland, Flugbegleitung) erfordert. 11. Schule Einbezug der Schule bei Schulkindern, Vorbereitung mittels Rundtischgesprächen: ● Information in enger Absprache mit den Eltern (Schweigepflicht!) Information des Schulleiters, der Lehrpersonen, der Schulsozialarbeit, des schulpsychologischen Dienstes Vorbereitung und Information der Klasse (durch wen?) ● Gestaltung des weiteren Schulbesuchs Barrierefreier Zugang zum Klassenzimmer? Begleitung durch wen? Anschliessende Besprechung mit der Klasse. ● Einbezug der Schule in die Gestaltung des Gottesdienstes, der Trauerbegleitung 12. Finanzielles Überprüfung der finanziellen Situation der Familie: ● Besteht eine IV-Leistungspflicht (überprüfen ist sinnvoll!)? Hilflosenentschädigung, Intensivpflegezuschlag, Assistenzbeitrag ● Gibt es Zusatzversicherungen? ● Ist die Sozialhilfe involviert? ● Welcher Sozialarbeiter ist involviert oder soll beigezogen werden für: die Kontakte zu den Arbeitgebern der Eltern (Reduktion des Arbeitspensums, Krankschreibung usw.) den Einbezug von Stiftungen oder Organisationen (z. B.: bei Geldmangel für die Bestattungskosten) andere Fragestellungen
Teil 2: Zusätzliche Säulen in der ambulanten PPC
1. Begleitung von Geschwisterkindern Begleitung durch ehrenamtliche Helfer, Organisationen wie «Dubistdran», Kinderbücher, Figurenspieltherapeuten, tiergestützte Therapien, Psychologen, Schulsozialarbeiter und andere Personen – je nach Kind und Alter sind die Bedürfnisse unterschiedlich. Leider werden Geschwisterkinder in der palliativen Begleitung oft «stiefmütterlich» behandelt. Dabei ist ihre seelisch-psychische Gesundheit essenziell für ihr weiteres Leben. Hier kann viel Präventionsarbeit geleistet werden. 2. Entlastungsdienste Organisation weiterer Entlastungsdienste und/oder ehrenamtlicher Helfer, zum Beispiel von Pro Pallium, Pro Infirmis, Insieme, Rotkreuz u.a. Diese Organisationen und Helfer werden oft zu einer wichtigen Stütze für die Eltern. Sie entlasten bei der Betreuung von Geschwistern, helfen bei der Administration (Pro Infirmis), sind für das erkrankte Kind/den Jugendlichen da, ohne pflegerische Aufgaben zu übernehmen, und erhalten somit oft einen positiven Glanz im Leben der Eltern. Manche dieser Freiwilligen haben
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zusätzlich eine Ausbildung zum Gesundheitsclown, wodurch der Humor Leichtigkeit in den oft schweren Alltag bringt. Schön ist auch der Einbezug von musiktherapeutischen Elementen. 3. Hausarzt Kontakt zum Hausarzt der Eltern aufnehmen (wegen allenfalls psychologischer Begleitung, ambulanter psychologischer Spitex oder einer Haushaltshilfe). Oft kennt der Kollege die Eltern bereits länger und kann im gesamten Setting unterstützend zur Seite stehen. 4. Parkausweis Anfordern eines Parkausweises für Behinderte: eine Kleinigkeit, die viel Entlastung bringt. 5. Erinnerungen schaffen ● Anmeldung bei der Stiftung Sternschnuppe und/oder
Stiftung Wunderlampe zur Erfüllung des Herzenswunsches: Träume werden wahr! Mehr braucht man nicht zu sagen. ● Organisation Herzensbilder für Fotoaufnahmen kontaktieren: wunderschöne Erinnerungen! Trotz der Traurigkeit der Endlichkeit gelingt es dem Team, einen Zauber zu schaffen und die Familien mit Freude zu erfüllen. 6. Komplementärmedizin Gerade die integrative Pädiatrie bietet diesen Kindern und ihren Familien durch die Implementierung komplementärer Behandlungsmethoden bei unerwünschten Begleiterscheinungen enorm viel. Für viele Befindlichkeitsstörungen (Aufstossen, Verdauungsprobleme bei Sondenkost, Schlafstörungen, Unruhe, Ängste, Schwitzen usw.) gibt es gute und belegte Wirkungen durch die T&CM (traditional and complementary medicine). Oft können diese Methoden durch Familienmitglieder beim Patienten angewendet werden, wodurch das Gefühl der Hilflosigkeit bei Angehörigen reduziert wird. Sie werden aktive, positiv unterstützende Mitwirkende und bleiben trotzdem Eltern/Geschwister. 7. Rettungsdienst vor Ort informieren Es ist sinnvoll, das Team mit einzubeziehen und ihm den Betreuungsplan zuzustellen, insbesondere wenn ein Abschied zu Hause angedacht ist. Die Information des Rettungsdienstes vor Ort bedarf des Einverständnisses der Eltern. 8. Bestattung Information über den Ablauf nach dem Versterben des Kindes/Jugendlichen und über die möglichen Formen der Bestattung und ihrer Variationen. 9. Trauerbegleitung Die Trauerbegleitung und die Begleitung über den Tod hinaus ist ein (nicht finanziertes) Kernelement der Palliative Care und ungemein wichtig. Immer wieder fühlen sich Eltern «verwaist», wenn das Kind nicht mehr da ist und auch alle anderen involvierten Dienste «wegfallen». An die Bekanntmachung von Elterngruppen und Angeboten für Geschwister denken, die von manchen Kinderspitälern und Organisationen mit psychologischer Begleitung angeboten werden.
Situation der ambulanten PPC in der Schweiz aus Sicht der Praktikerin
Die PPC steckt in der Schweiz, gesamthaft betrachtet, noch in den Kinderschuhen – vor allem wenn man die Situation mit Deutschland vergleicht. Die spezialisierte ambulante PPC ist hierzulande faktisch noch «ungebo-
Therapien:
u. a. Physio-, Ergotherapie,
Komplementäre Behandlungs-
methoden:
Musik- und tiergestützte
Therapie, Logopädie, heilpädagogische Früherziehung
Beratungen:
Ernährungsberatung,
Audiopädagogik, unterstützte
Akupunktur/Akupressur,
Kommunikation u.a.m.
med. Hypnose,
Phytotherapie,
Homöopathie,
Wickel/Massagen u. a. m.
Kinderarzt Hausarzt
Team Pädiatrische Palliative Care
(PPC)
Verein Kind & Spital
Kindergarten Schule
Vereine
Kinderspitex KIFA
Patientenschule
Patienten-
kindergarten
Psychologische Betreuung
ambulant/stationär
Familie Patient
soziales Umfeld
Kinderkliniken:
stationäre
Aufenthalte,
ambulante Sprechstunden
Pro Infirmis pro pallium
Seelsorge, spirituelle
Fürsorge
ambulant/stationär
AladdinStiftung
Schulsozialarbeit schulpsychologischer
Beratungsdienst
Pflegeheim (Weidmatt) Ferienaufenthalt via
«Kinderhospiz Schweiz»
Sozialberatung Spital/Gemeinde
Insieme, Entlastungs-
dienst u.a.
Mütter- und Väterberatung
Elternvereinigungen Selbsthilfegruppen
Procap
Abbildung: Ambulante pädiatrische Palliative Care in der Zentralschweiz; dieses Diagramm entstand im Rahmen der aktiven Mitarbeit der Autorin an der Erstellung des Konzepts für pro pallium 2018 und widerspiegelt die Auffassung der Autorin zur ambulanten pädiatrischen Palliative Care mit ihrem Netzwerk (© Dr. med. Mercedes Ogal, Brunnen).
ren». In der Schweiz gibt es zirka 450 Todesfälle von Kindern und Jugendlichen pro Jahr (inkl. perinatale Komplikationen und Unfälle). Davon sterben hierzulande nur 18 Prozent zu Hause – obwohl sich Familien und Patienten diese Option oft zutiefst wünschen. Seit 2009 gibt es die nationale Strategie für Palliative Care. Sechs Kinderspitäler in der Schweiz haben inzwischen ein Palliative-Care-Team (BE, BS, LA, LU, SG, ZH) aufgebaut, und einzelne Teams betreuen Kinder auch konsiliarisch ambulant zu Hause. Das ist jedoch nicht die Regel. In der Schweiz gibt es keine spezialisierte pädiatrische Palliative-Care-Station und kein Kinderhospiz. Sehr oft fallen multimorbide Patienten durch die Maschen des Versorgungsnetzes. Unser Nachbarland Österreich, mit einer vergleichbaren Einwohnerzahl wie die Schweiz, hat hingegen 12 Kinderhospizteams mit ehrenamtlichen Hospizbegleiterinnen, 14 mobile Kinderpalliativteams für die Begleitung zu Hause, 2 bis 3 Kliniken mit insgesamt 7 pädiatrischen Palliativbetten und ein stationäres Kinderhospiz mit psychosozialer Ausrichtung (max. 3 Familien). 2017 wurden in Österreich 365 Kinder mobil betreut. Von den Kindern, die mobil betreut wurden, verstarben 54 Prozent zu Hause, 31 Prozent im Spital und 11 Prozent auf der IPS. In Deutschland wurde bereits 1995 das erste Kinderhospiz in Olpe gegründet. Inzwischen gibt es 17 stationäre Kinder- und Jugendhospize und 3 Kinderpalliativstationen (in Datteln und München rein pädiatrisch und im Saarland gemischt mit Erwachsenen) (3). Seit 2011 hat
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sich allmählich die spezialisierte ambulante Palliativversorgung im pädiatrischen Bereich formiert, und inzwischen sind 31 SAPPV-Teams (SAPPV: spezialisierte ambulante pädiatrische Palliativversorgung) rund um die Uhr im Einsatz. Von einer flächendeckenden Versorgung ist man aber noch weit entfernt, und 131 ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste versuchen, die bestehenden Lücken auszugleichen (4).
Wünsche einer Praktikerin
Die Weiterentwicklung der spezialisierten ambulanten pädiatrischen Palliativmedizin in der Schweiz ist mir ein Herzensanliegen. Dazu möchte ich in jeder Hinsicht beitragen und stehe bei entsprechenden Fragestellungen gern zur Verfügung. Schweizweit wünsche ich mir spezialisierte pädiatrische Palliativzentren, die eng miteinander vernetzt sind und offen, transparent sowie partnerschaftlich zusammenarbeiten. Diese Zentren bieten ambulant tätigen Kinderund Jugendärzten rund um die Uhr (24 Stunden an allen Tagen) einen telefonisch erreichbaren spezialisierten Palliativhintergrunddienst an, der jederzeit bei Fragen kontaktiert werden kann und der im Optimalfall über den jeweiligen Patienten informiert ist und den Betreuungsplan vorliegen hat. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass so ein Hintergrunddienst von den ambulant Tätigen selten in Anspruch genommen wird. Doch allein das Wissen, dass ein spezialisierter Fachkollege bei Fragen für mich da ist, entlastet in der täglichen Arbeit enorm. Leider wird dieser Service mangels Kapazitäten zurzeit kaum angeboten. Falls ein Palliativteam eines Kinderspitals mangels Kapazität diesen 24-Stunden-Hintergrunddienst nicht leisten kann, wünsche ich mir einen Zusammenschluss mit anderen Palliativteams in diesem Servicebereich. Mir geht es um ein konstruktives Miteinander zum Wohle der Kinder und Familien zu Hause. Des Weiteren wünsche ich mir im Rahmen des Möglichen den frühzeitigen Einbezug bei der Entlassungsplanung oder bei der Diskussion wichtiger (ethischer) Entscheidungen. Zudem wünsche ich mir für die Schweiz ein Kinder- und Jugendhospiz, welches zentral liegt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln einfach erreichbar ist. Gerade Jugendliche wünschen sich Besuch von ihren Kollegen, und diese sind auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen.
nen Infusion gibt es, und welches ist am geeignetsten?» wecken meine Neugier, und meine Lernkurve steigt steil an. Es ist jedoch vor allem das Wissen, dass das Sterben lediglich die Geburt in ein neues Leben im Licht ist, das mich trägt, mir Kraft gibt und mich leitet. Es ist mir ein Herzensanliegen, dieses Wissen an diejenigen weiterzugeben, die dessen bedürfen und dafür offen sind – um den unbeschreiblichen Schmerz und Kummer der Endlichkeit des hiesigen Lebens zu lindern. Es braucht nicht viel. Ein Blick, eine liebevolle Geste, ein Lächeln, das von Herzen kommt, warmherzige Worte im richtigen Moment ..., wenig bewirkt viel und ist Trost und Balsam für die Familien. Ich möchte darum diesen Artikel mit einem Zitat von Vaclav Havel schliessen: «Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.»
Korrespondenzadresse: Dr. med. Mercedes Ogal Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin Medizinische Hypnose (SMSH) Psychosomatische und psychosoziale Medizin (SAPPM) Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin (ASA) Bahnhofstrasse 15 6440 Brunnen E-Mail: mercedes@ogal.ch
Literatur: 1. Jünger S et al.: Ambulante pädiatrische Palliativversorgung durch niedergelassene Kinder- und Jugendärzte. Palliativmedizin 2008; 9-PW_222. 2. PELICAN Studie (Paediatric End-of-LIfe CAre Needs in Switzerland) 2012–2015. https://www.kispi.uzh.ch/fzk/de/abteilungen/uebersicht/ppc/Seiten/pelican-studie. aspx 3. Mündliche Mitteilung von Andreas Müller, Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, am 9. Hamburger Kinderschmerz- und Palliativsymposium, 14.–15.2.2020. 4. Pothmann R: Komplementäre Kinderpalliativversorgung im Hospiz mit TCM. Deutsche Zeitschrift für Akupunktur 2019; 62(3): 202–205.
Schlussworte
Manch einer wird sich fragen, was mich zu dem Schritt bewegt hat, mich auf die Betreuung hochkomplexer Erkrankungen und die pädiatrische Palliativmedizin zu spezialisieren – obwohl es diesen Spezialbereich im ambulanten Setting in der Schweiz noch gar nicht gibt. Die Antwort ist vielschichtig und lässt sich nicht mit einem Satz niederschreiben. Die Begleitung dieser Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Familien stellt mich täglich vor neue Herausforderungen. Ich lerne stetig hinzu, arbeite sehr vernetzt und in engem Austausch mit allen Beteiligten. Dabei nimmt oft der koordinative, organisatorische Teil viel Raum ein. Medizinische Fragen wie «Was darf ich mir für Kenntnisse aneignen, um ein heimbeatmetes Kleinkind zu be gleiten?», «Welche verschiedenen Systeme der subkuta-
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