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Schwerpunkt
Zystische Fibrose
Was der Pädiater wissen sollte
Die zystische Fibrose (CF) gehört zu den seltenen Lungen- beziehungsweise Multiorganerkrankungen, welche heute ausschliesslich in Schwerpunktzentren behandelt werden. Die enge Zusammenarbeit zwischen Zentrum und Grundversorgern ist dennoch von grosser Wichtigkeit für die optimale Versorgung der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Niedergelassene Pädiater und Hausärzte müssen trotz des seit 2011 eingeführten CF-Neugeborenenscreenings bei klinisch suggestiven Symptomen weiterhin an eine CF denken und die Patienten zur Abklärung einem Zentrum zuweisen.
Von Andreas Jung
Mit der Einführung des Neugeborenenscreenings auf CF ab 2011 hat sich auch in der Schweiz der Krankheitsverlauf im Kindesalter gewandelt. Gemäss den zurzeit verfügbaren Screeningdaten aus dem Jahr 2017 beträgt die Inzidenz der klassischen CF in der Schweiz 1:3700 Neugeborene (1). Waren die Individuen in der Ära vor dem Screening bei Diagnosestellung bereits symptomatisch mit messbaren chronischen Organschäden, so wird das klinische Bild heute geprägt von einem zunächst oft asymptomatischen Verlauf im Säuglings- und Kleinkindalter mit in der Folgezeit eher milden respiratorischen und intestinalen Beschwerden. Schwere Komplikationen und Verläufe sind seltener geworde, entsprechend sind Lungenfunktion sowie Ernährungs- und Gesundheitszustand im Transitionsalter um das
Die Bestimmung der Chloridkonzentration im Schweiss ist weiterhin der Goldstandard für die Diagnose einer CFTR-Dysfunktion.
18. bis 20. Lebensjahr deutlich verbessert, was auch aus den Daten des europäischen CF-Registers hervorgeht (2). So hat sich beispielsweise in der Schweiz der Anteil der unter 18-Jährigen mit chronischer pulmonaler Pseudomonas-Infektion zwischen 2012 und 2017 kontinuierlich von 15,8 auf 10,4 Prozent verringert, während das FEV1 im Jahr 2017 bei den 6- bis 17-Jährigen mit 92,6 Prozent im Median normal war. Gleichzeitig hat sich die Lebenserwartung von heute geborenen Kindern überall in der westlichen Welt auf über 50 Jahre verbessert: Von den 978 im Schweizer Register gemeldeten Patienten waren 54 Prozent erwachsen, bei jährlich steigender Quote. Dies spiegelt auch die Tatsache wider, dass sowohl ein Versterben an den Folgen einer CF als auch die Notwendigkeit einer Lungentransplantation im Kindes- und Jungendalter im soeben zu Ende gegangenen Jahrzehnt eine Rarität geworden sind.
Neugeborenenscreening, Schweisstest und Genetik: Worauf ist zu achten?
Da zirka 4 Prozent der an klassischer CF erkrankten Menschen nicht vom Neugeborenenscreening erfasst werden, müssen die Grundversorger weiterhin mit den Symptomen der Erkrankung vertraut sein und die Betroffenen im Falle suggestiver Symptome (Tabelle 1) einem CF-Zentrum zur Diagnostik zuweisen. Zudem benötigen alle Neugeborenen mit Mekoniumileus eine Abklärung mittels Schweisstest, da diese Kinder bei Geburt einen normalen (falsch negativen) Screeningbefund aufweisen können. Auch heute basiert die Diagnosestellung der CF auf der laborchemischen Bestätigung der zugrunde liegenden Dysfunktion des CFTR-Proteins (cystic fibrosis transmembrane conductance regulator), welches an der Zelloberfläche den Chloridionenkanal bildet. Die Bestimmung der Chloridkonzentration im Schweiss mittels quantitativer Pilocarpin-Iontophorese (der sog. Schweisstest) stellt weiterhin den Goldstandard der Diagnose der CFTR-Dysfunktion dar (3). Viele Labors führen mittlerweile einen zweistufigen Schweisstest durch, das heisst Screening mittels Leitfähigkeit (Nanoduct®-System) und Bestätigung mittels Chloridtitration (Macroduct®-System) im Fall einer erhöhten Leitfähigkeit, da bei einer normalen Leitfähigkeit eine klassische CF weitgehend ausgeschlossen werden kann. Allerdings ist bis heute nur die Chloridtitration zur Diagnosestellung der CF akzeptiert. Im Falle eines intermediären oder pathologischen Schweisstests schliesst sich obligatorisch die Durchführung einer genetischen Untersuchung (CFTR-Mutationsanalyse) an. Je nach Art der Störung in der CFTR-Synthese lassen sich CFTR-Mutationen in sechs Klassen mit unterschiedlicher Konsequenz für die Funktionalität des Chloridkanals einteilen (Abbildung). Der Nachweis zweier CF-auslösender Mutationen (homozygot oder compound-heterozygot) bestätigt die Diagnose. Heterozygote Genträger sind gesund (Prävalenz in Mitteleuropa ca. 1:25). Neben dem Phänotyp der klassischen CF mit Multiorganmanifestation, typischen
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Symptomen und Komplikationen (Tabelle 1) sind jedoch auch CFTR-Mutationen bekannt, welche mit einer milderen Ausprägung der Erkrankung und einer Oligo- oder Monosymptomatik einhergehen. Die Symptome können hierbei teilweise auch erst jenseits der Kindheit auftreten und manifestieren sich oft als Pankreatitis, Sinusitis, Nasenpolypen, diffuse Bronchiektasie und/oder Infertilität des Mannes. Die Betroffenen weisen in der Regel keine Pankreasinsuffizienz und keine schwere Lungenerkrankung auf. Diese früher als «atypische» CF bezeichneten Phänotypen unterschiedlicher Manifestation und Ausprägung werden heute nach einem Konsensus der European Cystic Fibrosis Society (ECFS) als «CFTR-related disorders» (CFTR-RD) bezeichnet (4). Neben Kindern mit klassischer CF werden im Neugeborenenscreening auch einige Kinder mit milden Mutationen und grenzwertigem Schweisstest, das heisst mit vorhandener CFTR-Restfunktion, erfasst. Diese Kinder haben keine CF, sondern hier lautet die Diagnose «CF screen positive, inconclusive diagnosis» (CFSPID) (5), solange sie asymptomatisch bleiben. Einige von ihnen zeigen im Erwachsenenalter isolierte oder kombinierte Symptome einer CFTR-RD, sodass bei Vorliegen einer CFSPID die typischen Symptome einer CFTR-Dysfunktion von den Kinder- und Hausärzten überwacht werden sollten.
Surveillance und Krankheitsmanagement sind Erfolgsfaktoren
Neben dem Neugeborenenscreening tragen auch standardisierte Surveillance-Programme, welche nach den Empfehlungen der ECFS (6) durchgeführt werden, sowie moderne therapeutische Strategien bis hin zu einer individualisierten Medizin zu der verbesserten Prognose bei CF bei. Die Patienten werden in der Regel alle drei Monate im Zentrum gesehen, wobei die Untersuchungen im Rahmen standardisierter Programme erfolgen, welche im Detail je nach Erfahrung, Ressourcen und technischen Voraussetzungen von Zentrum zu Zentrum sowie abhängig vom Alter der Patienten leicht variieren können (Tabelle 2). Ziel dieser Surveillance-Programme sind einerseits die frühzeitige Erkennung und das Monitoring des Verlaufs von Organmanifestationen und Komplikationen, andererseits aber auch die Therapieüberprüfung und -modifikation anhand des individuellen Krankheitsverlaufs. Spezifische Schulungen der Patienten und ihrer Angehörigen müssen in regelmässigen Abständen erfolgen, um den Herausforderungen eines komplexen Krankheitsmanagements im Alltag in Abhängigkeit der unterschiedlichen Lebensphasen nachhaltig zu begegnen. Hierzu gehört neben krankheits- und therapiespezifischen medizinischen Themen auch die Beratung in sozialrechtlichen, finanziellen und psychologischen Fragen sowie in Fragen der Hygiene, der Verhaltensmassnahmen im Kindergarten, in der Schule und auf Reisen sowie eine Berufsberatung. Die Schweizerische Gesellschaft für Cystische Fibrose (CFCH) (www.cfch.ch) gibt als Patientenorganisation zusätzlich weitreichende Informationen (z. B. in Form von Broschüren) und auch verschiedene finanzielle Hilfestellungen (7). Bei jungen Eltern mit noch nicht abgeschlossener Familienplanung sollte eine genetische Abklärung des Partners auf Genträgerschaft erfolgen, in der Regel mit Unterstützung eines humangenetischen Zentrums. Bei einigen Patienten oder Familien kann eine interdisziplinäre stationäre Rehabilitation sinnvoll sein, um eine Ver-
normal
I
keine Bildung
II
defiziente Prozessierung
III
Block in der Regulation
IV
veränderte Leitfähigkeit
V
reduzierte Bildung
VI
vermehrter Abbau
Abbildung: CFTR-Mutationsklassen mit resultierender Dysfunktion des Chloridkanals; braun: CFTR-Protein (mit freundlicher Genehmigung von Helge Hebestreit, Würzburg; modifiziert nach Originalabbildung in Speer/Gahr: Pädiatrie. Springer 2012)
besserung des Krankheitsmanagements oder eine Stabilisierung des Krankheitsverlaufs zu erreichen. In der Schweiz steht mit der Hochgebirgsklinik Davos eine von CF-Zentren und CFCH akkreditierte Rehabilitationseinrichtung für Kin-
Tabelle 1:
Klinische Symptome und Komplikationen der zystischen Fibrose nach Alter
Alter Altersunabhängig
Neugeborene Kinder
Jugendliche und Erwachsene
Klinische Präsentation
Respiratorisch
Gastrointestinal und andere
• produktiver Husten • Sputumproduktion • Atemwegsinfektionen mit typischen
Pathogenen (S. aureus, H. influenzae, P. aeruginosa
• Gewichtsstagnation • Steatorrö • Diarrhö • Blähungen • Bauchschmerzen • Mangel an fettlöslichen Vitaminen • hypochlorämische metabolische
Alkalose (Pseudo-Bartter-Syndrom, Salzverlustsyndrom)
• Mekoniumileus (13,3%) • intestinale Atresie • prolongierte Hyperbilirubinämie
• rezidivierender/chronischer Husten • Pneumonien
• Rektumprolaps • distale intestinale Obstruktion (DIOS) • Invagination • Cholestase • Hypoproteinämie
(auch mit Ödemen) • Dehydrierung • Anämie
• wie Kinder, zusätzlich: • Bronchiektasen • Hämoptysen (3,3%) • Pneumothorax (0,4%) • allergische bronchopulmonale Asper-
gillose (ABPA; 4,6%) • Infektion mit atypischen Myko-
bakterien • Trommelschlegelfinger, Uhrglasnägel • chronische Rhinosinusitis • Polyposis nasi • Anosmie
• wie Kinder, zusätzlich: • akute Pankreatitis • Hepathopathie (21%, ohne Zirrhose) • Leberzirrhose (4,8%) • portale Hypertension • CF-assoziierter Diabetes mellitus
(CFRD; 2,1% bei < 18 Jahren und 30,3% bei ≥ 18 Jahren) • Osteoporose • CF-assoziierte Arthritis • kongenitale bilaterale Absenz des Vas deferens (CBAVD)
Die Prozentangaben in Klammern geben die Prävalenz im Jahr 2017 in der Schweiz an, soweit Daten im CF-Register verfügbar sind (2).
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der und Jugendliche zur Verfügung, die neben der klassischen Mutter-/Vater-Kind-Reha und der individuellen Jugend-Reha auch eine familienorientierte Rehabilitation (FOR) mit Aufnahme und ganzheitlicher Betreuung aller Familienmitglieder ermöglicht (8).
Von etablierten Therapien zur individualisierten Medizin
Die moderne CF-spezifische Therapie basiert im Wesentlichen auf vier Säulen: Enzymersatz- und Ernährungstherapie, tägliche inhalative und atemphysiotherapeutische Sekretolyse, aggressive Antibiotikatherapie sowie bei einer zunehmenden Anzahl an Patienten eine Behandlung mit CFTR-Modulatoren (Tabelle 3). Durch den frühzeitigen Einsatz der Pankreasenzym-Ersatztherapie (Creon®, Panzytrat®) im Rahmen des Neu-
Tabelle 2:
Standardisiertes Surveillance-Programm im CF-Zentrum
Untersuchung Anleitung Physiotherapie
Anamnese Therapieüberprüfung
Details
inkl. Überprüfung der Inhalationstechnik, im Zentrum oder in einer spezialisierten Praxis
CF-Arzt
CF-Arzt, inkl. Aufklärung Salzsubstitution
Körperliche Untersuchung CF-Arzt Krankheitsmanagement CF-Nurse
Häufigkeit
wöchentlich bis alle 14 Tage
Patientenschulung Ernährungszustand Lungenfunktion Multiple Breath Washout Mikrobiologie Sozialberatung Jahresblutentnahme
Oraler Glukosetoleranztest Abdomen-Sonografie Ernährungsberatung Bronchoksopie mit BAL1) NTM-Screening2) ORL-Konsil Osteodensitometrie Echokardiografie Lungen-MRI ABPA-Serologie Röntgen-Thorax CT Thorax Audiometrie Psychologische Beratung
inkl. Hygiene, CF-Arzt und CF-Nurse Gewicht, Grösse, BMI, Soll-Gewicht Spirometrie, Bodyplethysmografie, ab 4 Jahren Lung Clearance Index (LCI), ab 3 Jahren Sputum, alternativ Rachenabstrich Versicherungswesen, Finanzen, Recht Blutbild, Elektrolyte, Spurenelemente, Eisen, Ferritin, fettlösliche Vitamine A/D, Gesamtprotein, Albumin, Leberenzyme, Gerinnungsstatus, Cholestaseparameter, Gallensäuren, Nüchternglukose, HbA1c, Nierenparameter, Immuno-CAP (sx1, mx1) ab 10 Jahren
inkl. Überprüfung Enzymsubsititution bei Non-Sputumproduzenten oder nach Bedarf aus BAL oder Sputum, ab 10 Jahren mit Nasenendoskopie ab 12 Jahren ab 16 Jahren routinemässig oder nach Bedarf ges.-IgE, spez. IgE, rekombinante Antigene
bei wiederholten i.v.-Aminoglykosiden
alle 3 Monate
jährlich
alle 2 Jahre alle 4 Jahre nach Bedarf
BAL: bronchoalveoläre Lavage; NTM: nontuberkulöse Mykobakterien. Modifiziert nach (5), am Beispiel des Universitäts-Kinderspitals Zürich, Eleonorenstiftung.
geborenenscreenings sind Gedeihstörungen im frühen Kindesalter selten geworden. Dennoch kommt der hoch kalorischen Ernährungstherapie, insbesondere bei einem Fortschreiten der Erkrankung, weiterhin eine grosse Bedeutung zu, um dem durch Malabsorption und erhöhten Grundumsatz potenziell reduzierten Ernährungszustand vorzubeugen oder ihn zu behandeln. Additiv werden fettlösliche Vitamine als Einzel- oder Multivitaminpräparate (z. B. DEKAs®) gegeben, und dem latenten Salzmangel, vor allem bei vermehrtem Schwitzen, wird mit dem Nahrungszusatz von Kochsalz begegnet. Ein insulinpflichtiger CF-assoziierter Diabetes mellitus ist vor dem Erwachsenenalter selten, muss jedoch rechtzeitig erkannt werden. Die früher übliche Inhalationstherapie mit physiologischer Kochsalzlösung ist komplett durch höherprozentige Kochsalzlösungen zwischen 3 und 7 Prozent ersetzt worden, was über osmotische Prozesse zu einer wesentlich effizienteren Sekretolyse führt. Alternativ oder zusätzlich steht seit Kurzem Mannitol (Bronchitol®; in der Schweiz noch nicht zugelassen) als inhalatives Mukolytikum zur Verfügung. Durch das Aufkommen der hypertonen Kochsalzlösung ist der Einsatz der über einen enzymatischen Prozess ebenfalls sekretolytisch wirkenden, aber sehr viel teureren rhDNAse (Pulmozyme®) etwas zurückgegangen, wenngleich Leitlinien den Einsatz von rhDNAse weiterhin empfehlen (9). Entscheidend ist die nach der Inhalationstherapie notwendige Sekretclearance mittels Atemphysiotherapie, um das gelöste Sekret durch spezifische aktive und passive Techniken zu expektorieren. Die kombinierte inhalative und physiotherapeutische Reinigung der Bronchien von zähem Sekret ist neben der Antibiotikatherapie die Grundlage für den Erhalt der Lungenfunktion und die Prävention (oder Behandlung) von Bronchiektasen und pulmonalen Exazerbationen. Während im ersten Lebensjahrzehnt primär S. aureus und H. influenzae die Bronchien besiedeln und zu pulmonalen Exazerbationen führen können, die frühzeitig und hoch dosiert mit Amoxicillin/Clavulansäure (100–150 mg/kg in 2–3 Dosen tgl. über 14 Tage) behandelt werden, kommt es im Verlauf bei vielen Patienten zu einer zunächst vorübergehenden Besiedlung mit P. aeruginosa, deren Eradikation in über 80 Prozent der Fälle mit einer inhalativen Antibiotikatherapie über 4 Wochen (vor allem mit Tobramycin [TOBI®, Bramitob®]) auch im Wiederholungsfall gelingt. Mit dem Älterwerden kann dann die chronische pulmonale Infektion mit zunächst sensiblen, später multiresistenten Pseudomonasstämmen eine immer gewichtigere Rolle spielen, sodass eine dauerhafte inhalative pseudomonaswirksame Suppressionstherapie (Tobramycin, Aztreonam [Cayston®], Colistin [Colistin®, ColiFin®]; im Kindesalter nicht zugelassen auch Levofloxacin [Quinsair®]) implementiert wird. Pulmonale Exazerbationen werden dann selten mit peroralem Ciprofloxacin, häufiger mit kombinierten, hoch dosierten intravenösen Antibiotika über mindestens 14 Tage behandelt. Weiterhin von Leitlinien empfohlen ist der Einsatz einer Azithromycin-Langzeittherapie bei chronischer Pseudomonasinfektion (3 × wöchentlich 250 mg bzw. 500 mg je nach Gewicht [9]). Selten geworden sind bei Kindern und Jugendlichen Infektionen mit weiteren Problemkeimen wie MRSA, Burholderia cepacia oder Mycobacterium abscessus, deren
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Therapie oft schwierig und frustran ist. Aspergillus-assoziierte Erkrankungen (Aspergillus-Bronchitis und allergische bronchopulmonale Aspergillose) stellen weitere Komplikationen dar, die antimykotisch und im Falle einer ABPA auch mit systemischer Steroidtherapie angegangen werden müssen. In jüngster Zeit beginnen neue therapeutische Strategien den Verlauf und die Prognose der CF-Erkrankung zu revolutionieren. Diese Therapien zielen auf eine Modulation des CFTR-Kanals auf Proteinebene (sog. CFTR-Modulatoren), wobei sich Korrektoren (verbesserte Verfügbarkeit von funktionsfähigem CFTR in der Zellmembran) von Potenziatoren (Verbesserung der Kanalöffnung und -funktionalität) und Verstärkern (Erhöhung des Substrats für Korrektoren und Potenziatoren) unterscheiden lassen. Der Wirkmechanismus ist spezifisch für jeweils eine oder mehrere CFTR-Mutationsklassen, weshalb der Einsatz bei Patienten mutationsspezifisch im Sinne einer individualisierten Medizin erfolgt.
CF-Modulatoren
Mit Ivacaftor (Kalydeco®) ist seit 2015 der erste CFTR-Potenziator für bestimmte Klasse-III-Mutationen (sogenannte Gating-Mutationen) in der Schweiz zugelassen, seit 2019 bereits ab dem 12. Lebensmonat. Ivacaftor führt zu einer Öffnung des Chloridkanals und erhöht somit die Funktionalität des CFTR-Proteins. Klinische Studien belegen unter Ivacaftor eine Verbesserung des Schweisstests um zirka 50 mmol/l, eine Stabilisierung des klinischen Zustands sowie einen Zuwachs an FEV1 um etwa 10 Prozent (10). Dieser Effekt auf die Lungenfunktion liegt sehr deutlich über demjenigen der konventionellen symptomatischen Therapieansätze wie Sekretolytika und Antibiotika. Darüber hinaus wirkt sich Ivacaftor altersunabhängig positiv auf den Gewichtsverlauf aus (10, 11). Die klinischen Erfahrungen und Registerauswertungen seit der Marktzulassung bestätigen die Studiendaten, wenngleich in der Schweiz aufgrund der hier niedrigen Frequenz von Gating-Mutationen nur sehr wenige Patienten von Ivacaftor profitieren können. Aufgrund der hohen Kosten ist die Abgabe mit einer Limitatio versehen, wonach die Wirksamkeit für jeden Patienten individuell über das Schweizer CF-Register überwacht werden muss. Als zweite Substanz der CFTR-Modulatoren wurde die Kombination Ivacaftor-Lumacaftor (Orkambi®) 2015 in den USA und der EU und 2016 in der Schweiz für CF-Patienten mit einer homozygoten F508del-Mutation zugelassen (derzeit ab 6 Jahren). Der Klasse-II-Korrektor Lumacaftor führt zu einer verbesserten Faltung des CFTR-Proteins, sodass weniger defekte CFTR in der Epithelzelle abgebaut werden und mehr Chloridkanäle an der Zelloberfläche zur Verfügung stehen. Ivacaftor soll für eine zusätzliche Optimierung der Kanalfunktionalität sorgen. Klinische Studien zeigen allerdings einen deutlich geringeren Effekt auf die Chloridkonzentration im Schweiss und die Lungenfunktion (ca. 3%ige FEV1-Verbesserung) im Vergleich zu dem Effekt von Ivacaftor bei den Gating-Mutationen. Allerdings verringert sich die Rate pulmonaler Exazerbationen im Langzeitverlauf um bis zu 40 Prozent, was Orkambi® insbesondere für CF-Patienten mit einem instabilen pulmonalen Verlauf interessant macht (12). Zudem scheint sich die Lungenfunktion in Bezug auf den krankheitsbedingt zu erwarteten all-
mählichen Lungenfunktionsabfall mittelfristig zu stabilisieren. Die bisherige klinische Erfahrung zeigt einerseits bei einigen Patienten mit fortgeschrittener Lungenerkrankung tatsächlich eine Reduktion der pulmonalen Exazerbationen und eine Zunahme des Gewichts unter Orkambi®, andererseits jedoch auch ein heterogenes Ansprechen der Patienten, so dass derzeit noch nicht ganz klar ist, welche Patienten am besten von der Therapie profitieren.
Tabelle 3:
Therapeutische Strategien zur Behandlung der zystischen Fibrose
Strategie Ernährungstherapie
Behandlung gastrointestinaler Komplikationen Sekretolyse
Bronchodilatation
Behandlung der pulmonalen Infektion
Sinunasale Sekretclearance Korrektur des Basisdefekts
Therapieformen
Wichtigste Therapieziele
Pankreasenzyme
• normale Gewichts- und Grössenent-
hoch kalorische Ernährung wicklung
fettlösliche Vitamine, Kalzium
• Vermeidung von Hypovitaminose, Vitamin-K-Mangel und Osteoporose
orale Kochsalzsubstitution • Prävention eines Salzverlustsyndroms
Ursodeoxycholsäure
• Behandlung der Cholestase • Prävention einer Hepathopathie
Insulin
• Behandlung des CFRD
Makrogol
• Behandlung und Prävention des DIOS
respiratorische Physiotherapie (v. a. autogene Drainage und sekretolytische Hilfsmittel)
inhalative hypertone Kochsalzlösung
• Verbesserung der mukoziliären Clearance
• Vermeidung von Atelektasen, Bronchiektasen und pulmonalen Infektionen/ Exazerbationen
inhalative rhDNAse
Beta-2-Sympathomimetika (kurz und lang wirksame)
• Vorbehandlung vor hypertoner Kochsalzlösung
• Behandlung der chronischen obstruktiven Ventilationsstörung
systemische Antibiotika
• Behandlung der pulmonalen Exazerbation
• Prävention von Bronchiektasen und Lungenfunktionsverlust
inhalative Antibiotika
• Eradikation von P. aeruginosa • Suppression bei chronischer Pseudo-
monas-Infektion zur Prävention von Exazerbationen
Makrolide (v. a. Azithromycin bei chronischer PseudomonasInfektion)
• Verbesserung der Lungenfunktion (vermutlich antiinflammatorische Wirkung)
systemische Antimykotika • Behandlung der ABPA und der Aspergilsystemische Kortikosteroide lus-Bronchitis
Nasenspülung, Sinusinha- • Prävention/Behandlung der chronischen
lation
Rhinosinusitis und der Polyposis nasi
CFTR-Modulatoren (Korrektoren, Potenziatoren, Verstärker)
• Verbesserung/Stabilisierung der Lungenerkrankung
• Gewichts-/BMI-Zunahme • Reduktion pulmonaler Exazerbationen
Verbesserung der Lebensqualität
CFRD: CF-related diabetes mellitus; DIOS: distales intestinales Obstruktionssyndrom; ABPA: allergische bronchopulmonale Aspergillose.
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Eine vergleichbare Wirksamkeit auf Lungenfunktion und Krankheitsverlauf konnte für eine weitere Korrektor-Potenziator-Kombination gezeigt werden (Tezacaftor/Ivacaftor [Symdeko®]), wobei die Zulassungsstudien eine Wirksamkeit nicht nur bei Patienten mit einer homozygoten F508del-Mutation, sondern auch für Betroffene mit einer F508del- und einer CFTR-Mutation mit Restfunktion gezeigt haben (13, 14). Entsprechend besteht seit 2019 eine Swissmedic-Zulassung für diese Mutationsklassen ab 12 Jahren. Symdeko® ist wie auch Orkambi® bislang nicht
Durch neue mutationsspezifische Therapien bricht ein neues Zeitalter der CF-Therapie an.
regulär erstattungsfähig, da die Preisverhandlungen zwischen der Herstellerfirma und dem Bundesamt für Gesundheit zum Teil seit Jahren andauern. Diese vor allem für die Betroffenen unbefriedigende Situation hat in der Schweiz in letzter Zeit zu der Diskussion um eine Neufassung des KVV-Artikels 71 beigetragen, welche zum Ziel hat, Menschen mit seltenen Erkrankung einen schnelleren Zugang zu krankheitsspezifischen und in der Regel teuren Therapien zu ermöglichen. Ein Durchbruch wurde mit der im Oktober 2019 von der FDA ab 12 Jahren zugelassenen Dreifachkombination Trikafta® (Tezacaftor/Ivacaftor/Elaxacaftor) erzielt, wobei mit Elaxacaftor ein zusätzlicher Korrektor integriert wurde, der die CFTR-Reifung und -Aktivität zusätzlich erhöht. Die Studien zeigen für diese neue Generation der Modulatorentherapie einen bisher nie da gewesenen Effekt auf die Lungenfunktion (bis zu 14% FEV1-Zuwachs), neben hoch signifikanten Effekten auf den Body-Mass-Index, die Lebensqualität und die Häufigkeit pulmonaler Exazerbationen, sowohl bei Betroffenen mit homozygoter F508del-Mutation als auch bei Personen mit einer F508del-Mutation in Kombination mit einer Minimalfunktionsmutation (15, 16). Da die Wirkung jedoch in erster Linie auf die F508del-Mutation erfolgt, wurde Trikafta® in den USA nicht nur für alle F508del-homozygoten, sondern auch für alle F508del-heterozygoten Patienten, unabhängig von der zweiten Mutation, zugelassen. Hiermit können – je nach geografischer Häufigkeit des F508del-Allels – potenziell mehr als 90 Prozent aller Menschen mit CF therapiert werden (sofern sich die europäischen Zulassungsbehörden dieser weitreichenden Zulassung anschliessen). Wenngleich die Langzeitwirksamkeit von Trikafta® noch in Studien gezeigt werden muss, kann dennoch bereits jetzt von einer Revolution in der Therapie der CF gesprochen werden. Auch für Patienten mit seltenen und sehr seltenen Mutationen ohne F508del laufen derzeit vielversprechende Studien mit weiteren Modulatorenkombinationen, sodass man davon ausgehen kann, dass künftig einer überwiegenden Mehrheit der Betroffenen entsprechende hoch wirksame Therapien zur Verfügung stehen werden.
Ausblick: Hoch wirksame Therapien im Problemfeld der Finanzierung
Trotz der erheblichen Verbesserungen im Bereich Diagnostik, Management und Therapie ist der Verlauf der CF-Erkrankung weiterhin sehr heterogen. Die CF bleibt für viele Betroffene – insbesondere wenn sie bereits unter irreversiblen Organschäden leiden – häufig eine schwerwiegende, lebenslimitierende Multisystemerkrankung,
deren Stabilisierung immer mit dem Preis einer sehr hohen Therapielast bezahlt werden muss. Schwere Verläufe können auch heute noch bereits im Kindes- und Jugendalter auftreten, was manchmal mit mangelnder Therapieadhärenz, jedoch vermutlich häufiger mit bis anhin unbekannten krankheitsmodifizierenden Faktoren zusammenhängt. Die Detektion von Prädiktoren für den individuellen Krankheitsverlauf, wie beispielsweise inflammatorische Marker, muss weiter vorangetrieben werden. Neue mutationsspezifische Therapien werden einen entscheidenden Beitrag zu einer Krankheitsstabilisierung und verbesserten Prognose leisten. Die grösste Herausforderung stellt in diesem Kontext – wie auch bei anderen seltenen Erkrankungen – künftig die Frage nach der Finanzierbarkeit dieser hochpreisigen Behandlungen dar. Es ist zu hoffen, dass sich Hersteller und Gesundheitsbehörden auf ein sinnvolles Preisniveau einigen, welches allen Patienten den Zugang zu diesen hoch wirksamen Therapien ermöglicht.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Andreas Jung Oberarzt Pneumologie Universitäts-Kinderspital Zürich Steinwiesstr. 75 8032 Zürich E-Mail andreas.jung@kispi.uzh.ch
Interessenlage: Der Autor erklärt, dass er im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenkonflikte hat.
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