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Schwerpunkt
Transition – ein Standard für die Schweiz
Eine effiziente und erfolgreiche Transition erfordert einen Standardprozess, der von allen Beteiligten akzeptiert und umgesetzt wird. Dadurch kann sichergestellt werden, dass der Anspruch des Patienten und die Kostenübernahme durch die Kostenträger garantiert werden. In der Schweiz gibt es einen solchen Standardprozess noch nicht. In diesem Beitrag werden der Status quo zusammengefasst und notwendige Massnahmen zur Verbesserung der Situation erläutert.
Von Erhart von Ammon
Der begleitete Übergang von Jugendlichen im Alter von etwa 18 Jahren auf ihrem Weg in die Erwachsenenwelt ist besonders herausfordernd, wenn eine chronische Erkrankung oder eine Behinderung vorliegt. Betroffene wie auch Angehörige sind oft mit einer Vielzahl Fragen und Problemen überfordert. Das Engagement des Einzelnen ist hier zwar sehr wertvoll, reicht aber nicht aus, um eine medizinische und integrative Transition für die Betroffenen zuverlässig und erfolgreich durchzuführen. Es braucht neben der interdisziplinären medizinischen Sicht und Abstimmung auch eine Grundlage für die wirtschaftliche Durchführung des Transitionsprozesses. Das ist in den meisten Fällen in der Schweiz heute noch nicht gegeben – es fehlt ein zuverlässiger Minimalstandard. Weder Patienten noch ärztliche Kollegen wissen, was bereits angeboten wird, welche Ressourcen zur Verfügung stehen und wie es um die Abrechenbarkeit steht. Der Blick über den «eigenen» Bereich hinaus fällt vielen dabei schwer.
Worum geht es bei der Transition?
Aus Sicht der Mediziner braucht es eine Lösung für junge Patienten mit komplexen beziehungsweise chronischen Erkrankungen. Diese jungen Patienten sollten spätestens
Tabelle
Schwerpunkte des Transitionsprogramms (transition1525.ch)
Medizinische Transition Übergabe von jugendlichen Patienten von der Pädiatrie
an die Erwachsenenmedizin
Psychosoziale Betreuung
Vorbereitung und Übergabe sowie Begleitung der bisherigen
Betreuer oder Angehörigen
Enabling Support, Hilfsmittel Unterstützung der Hilfsmittelversorgung, Optimierung
der therapeutischen Betreuung, Coaching und Audits
Unterbringung, Wohnform
gleitender Übergang von der Familie zu neuen Wohnformen,
neuen/zusätzlichen Dienstleistungen
mit 18 Jahren in die Erwachsenenmedizin wechseln oder müssen diesen Wechsel aufgrund der Vorgaben der Spitäler durchführen. So finden sich mehrfachbehinderte Patienten einige Tage nach dem 18. Geburtstag statt im vertrauten Kinderspital nun in der Notaufnahme des Erwachsenenspitals wieder und bringen ihren dicken Befundordner mit – unsicher und in Begleitung meist besorgter Angehöriger aufgrund der neuen und ungewohnten Umgebung. Gleichzeitig sitzen bei pädiatrischen Kollegen, die ihre Patienten gern länger betreuen, nicht selten 29-jährige Patienten bei der Wiedervorstellung im Wartebereich auf kleinen Kinderstühlen – unpassend und nicht der Situation des jungen Erwachsenen entsprechend. Bei der Transition geht es um mehr als nur einen Prozess des Übergangs zwischen medizinischen Einrichtungen. Die Adoleszenz bringt viele schwierige Situationen, Unsicherheiten und zum Teil Ängste bei den Betroffenen mit sich, die mit folgenden Faktoren zusammenhängen: ● Akzeptieren des eigenen Körpers und der Krankheit ● Identitätsfindung und Übernahme der jeweiligen Ge-
schlechterrolle ● emotionale Unabhängigkeit von den Eltern und ande-
ren Erwachsenen ● Teilrückzug von Altersgenossen aufgrund der gesund-
heitlichen Situation ● Vorbereitung der beruflichen Integration ● Abhängigkeit von Medikamenten und medizinischen
Therapien, die den Freiraum einschränken oder das Leben bestimmen ● Verdrängung oder Nichtwahrhabenwollen der Einschränkungen ● Gefühl der Überforderung. Um wenigstens einen Teil dieser vielfältigen Fragen und Probleme lösen zu helfen, braucht es bei Vorliegen gesundheitlicher Handicaps einen ganzheitlichen Ansatz für die Transition in die Erwachsenenwelt (Tabelle).
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Abbildung 1: Anteil der Geborenen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten pro Jahrgang in der Schweiz (Quelle: Bundesamt für Statistik 2015)
Bedarf für Transition
Der Übergang von der Pubertät in die Erwachsenenwelt erfordert prinzipiell eine ganzheitliche Betreuung, wie sie von Lehrern, Psychologen und Sozialwissenschaftlern empfohlen wird. Besonders wichtig ist sie für Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren, die an einer chronischen Krankheit leiden oder durch ein Geburtsgebrechen und Behinderungen oder andere Erkrankungen inklusive Traumata dauerhaft eingeschränkt sind. Für sie sind die Fragestellungen zur weiteren Betreuung in der Erwachsenenmedizin oder vor dem Hintergrund von Pubertät, Berufswahl und Wahl der Wohnsituation komplexer als für ihre Altersgenossen. Man geht davon aus, dass 15 Prozent der Jugendlichen über 15 Jahren an einer dauerhaften chronischen Erkrankung leiden oder eine dauerhafte Behinderung haben (Abbildung 1).
Fallbeispiele aus der Praxis
Die folgenden typischen Beispiele illustrieren die Notwendigkeit für ein klar definiertes Programm und eine bessere ganzheitliche Betreuung:
● Die 17-jährige Patientin mit Diabetes Typ 1 ist plötzlich nicht mehr compliant. Sie zieht aus, feiert Partys, fühlt sich im Freundeskreis wohl und achtet weniger auf ihre Ernährung. Es braucht definitiv eine beziehungsweise mehr Begleitung, um die eigene Gesundheitskompetenz zu stärken und sie fit für ein eigenständiges Leben zu machen.
● Ein 18-jähriger HIV-Infizierter bricht seine Lehre ab, nimmt seine Medikamente nicht mehr, zahlt seine KV-Prämien unregelmässig und verliert die Versicherungsdeckung. Er wird ansteckend und gerät völlig aus der Bahn. Ohne Intervention beziehungsweise Begleitung gerät er schnell in eine gesundheitlich lebensbedrohliche Situation und wird auch zu einem Risiko für sein Umfeld.
● Die Mutter eines 17-jährigen Patienten mit ADHS und Autismusspektrumsstörung schafft es trotz mehrerer Beratungen bei diversen Institutionen nicht, Assistenzleistungen zu beantragen und zu erhalten und ist körperlich am Ende. Ihr Sohn kann selbst kaum etwas zur Zukunftsplanung beitragen.
● Eine 18-jährige Patientin mit Zerebralparese wird aufgrund der nicht mehr tragbaren Belastung der Eltern in einem Heim untergebracht, statt mit Assistenz in einer Behindertenwohngemeinschaft leben zu können. Die Kosten gegenüber einer teilautarken Lebensweise wachsen um den Faktor 3 oder mehr.
Statistisch gesehen – und leider ist die Datenlage trotz Digitalisierung immer noch schlecht – sind mindestens 8500 Personen mit schwerer Behinderung oder erheblichen Einschränkungen durch chronische Krankheiten pro Jahrgang betroffen. Damit sind zurzeit etwa 25 000 Patienten zwischen 15 und 18 Jahren von der Transition tangiert. Nicht jeder chronisch Kranke braucht eine sehr umfangreiche Transitionsbegleitung. Man kann aber davon ausgehen, dass pro Schwerpunktspital oder Einrichtung in Zürich, Basel, Bern, Luzern, St. Gallen, Genf und Lausanne oder auch Bellinzona zwischen 1000 und 2000 Patienten pro Jahr informiert, betreut und deren Status in einer Nachbefragung validiert werden sollten. Der Autonomiegrad spielt zusätzlich eine wichtige Rolle bei der Betrachtung des Bedarfs. Es muss unterschieden werden zwischen autonomen Patienten – das ist die Mehrheit bei vielen Stoffwechselerkrankungen oder angeborenen Herzerkrankungen – und teil- oder nicht autonomen Patienten, die fast keinen Schritt ohne Begleitung beziehungsweise Unterstützung machen können, wie zum Beispiel bei den meisten Patienten mit Zerebralparese (CP). Dass junge Patienten mit Rheuma oder Typ-1-Diabetes meistens selbstständiger sind, ist kein Geheimnis. Aber es sollte auch keine Überraschung sein, wenn ein CP-Patient, der schon institutionell untergebracht ist, beim Transitionsgespräch von einer Bezugsperson und gegebenenfalls auch vom Beistand begleitet werden müsste. Dennoch geht das in der klinischen Routine schon einmal unter. Oft werden alle Patienten mit einem hohen Betreuungsbedarf an die Sozialberatung eines Spitals verwiesen, wo man sich um externe Beratung, Schnittstellen zu anderen Organisationen und oft gar um Stiftungsförderung für Hilfsmittel kümmert. Da Schwerpunkthäuser oder Universitätsspitäler ein Sammelbecken für schwere und komplexe Fälle sind, kommen diese Fälle in sehr grosser Zahl auf die Sozialberater zu.
Was ist der Minimalstandard?
Wesentlich für eine effiziente und erfolgreiche Durchführung der Transition ist das Vorhandensein eines Standardprozesses, der von allen Beteiligten in gleicher Form akzeptiert und umgesetzt wird (Abbildung 2). Dem häufig geäusserten Gegenargument, man habe in den jeweiligen Fachbereichen zum Teil ganz andere Anforderungen für die Transition, wird dabei Rechnung getragen. Der Minimalstandard legt Prozessschritte fest, die von den Fachbereichen ihren Bedürfnissen entsprechend erweitert oder ergänzt werden können und sollten. Nur durch die Akzeptanz und die Nutzung eines gemeinsam anerkannten Prozesses kann sichergestellt werden, dass der Anspruch des Patienten und die Kostenübernahme durch die Kostenträger auch garantiert werden.
Wer ist zuständig?
Trotz eines recht grossen Angebots an Beratungs- und Fördermöglichkeiten durch Institutionen wie Pro Infirmis oder Insieme und Patientenorganisationen wie Procap oder Stiftung Cerebral ist es nicht einfach, die richtigen Lösungen für alle Herausforderungen zu finden. Es geht dabei nicht nur um die medizinischen Fachleute, die während der Kindheit und Jugend fürsorglich bemüht zu ihrem Patienten eilen, während in der Erwachsenenmedizin
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Abbildung 2: Schwerpunkte des Transitionsprogramms (transition1525.ch)
eine passende Betreuung viel schwerer zu finden ist. Im Bereich der Geburtsgebrechen, die bis zum 20. Lebensjahr umfassend von der IV versorgt werden, fallen viele Leistungen weg oder sind von den nun zuständigen Krankenversicherern nicht mehr im gleichen Umfang zu erhalten. Schuld daran ist unter anderem das Prinzip, im Kindesund Jugendalter alles im Sinne eines «enabling» zu unterstützen, aber ab dem Stichtag 18. Lebensjahr nur noch das zu fördern, was die Arbeitsfähigkeit erhält. Dabei ist medizinisch anerkannt, dass die Entwicklung nicht mit einem Stichtag abgeschlossen ist. Das föderale Schweizer System bedingt eine «Kleinteiligkeit» mit 26 Kantonen und jeweils bis zu 8 betroffenen medizinischen Disziplinen zuzüglich der Bundesämter und Institutionen, Versicherer, Stiftungen und Vereine. Das ergibt im «schlimmsten» Fall 350 bis 400 verschiedene, wenn auch ähnliche Ansätze, diese Betroffenen zu betreuen. Ein Standard ist nicht definiert.
Know-how und Umsetzung in der Schweiz
Ein grösserer Schweizer Event zur Transition fand 2012 am Inselspital Bern statt – zu einem Zeitpunkt, als das gerade aufkommende Thema Transition plötzlich in aller Munde zu sein schien. Die Ansätze waren überlegt und vielversprechend. Suchte man aber 2017 bis 2019 im Internet und in Fachpublikationen nach Projekten, Arbeiten, Ethikanträgen und Publikationen zum Thema Transition in der Schweiz, so war nicht viel beziehungsweise nicht viel mehr als zuvor zu finden. Immer noch sind durchgängige, interdisziplinäre und fundierte Konzepte nicht in der täglichen Praxis der Kliniken oder gar bei den für eine Übernahme der Patienten gesuchten Erwachsenenmedizinern angekommen. Neben vielen Kollegen, die ihre Patienten im Alter zwischen 16 und 18 Jahren oder länger im Sinne eines umfassenden Transitionsgesprächs betreuen, gibt es zurzeit unter anderem in der Schweiz ● eine Initiative der Schweizerischen Gesellschaft für Pä-
diatrie (SGP) und Konzepte für die Fachdisziplinen ● Programme am Universitäts-Kinderspital Zürich, wie
zum Beispiel zur zystischen Fibrose ● ein Transitionskonzept in der Rheumatologie am Uni-
versitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) ● die Betreuung von Patienten in der Transition am Para-
plegikerzentrum Nottwil ● Transitionsgespräche am Rehab Basel und in der
Neuroorthopädie des UKBB
● definierte Grundsätze am Luzerner Kantonsspital für
die Transition.
Spricht man mit den bereits in diesem Bereich engagier-
ten Kollegen, ist jeder überzeugt, auf einem guten Weg
zu sein. Häufig besteht aber ein Desinteresse, den Tran-
sitionsprozess nochmals mit anderen Kollegen anzu-
schauen und im Sinne einer «best practice» gemeinsam
zu lernen und das Vorgehen zu optimieren. Oft ist man
zufrieden, dass man «schon mal et-
was Vernünftiges hat». Zeitweise arbeitet man aber geradezu aneinander vorbei. Bei den Hausärzten und vielen nie-
Es sollte Fallpauschalen für die Transitionsbegleitung geben.
dergelassenen Kollegen ist die The-
matik zwar im Grunde bekannt – zu einer intensiven
Auseinandersetzung, zu einem Angebot an diese aus der
Pädiatrie entlassenen «Kunden» oder zu einer interdiszi-
plinären Zusammenarbeit kommt es aber selten. Die Res-
sourcen fehlen, und es gibt kein Konzept für die Betreu-
ung junger Patienten mit einer Behinderung und
Komorbidität.
Erst Hype – dann Stille
Viele der in der Schweiz seit etwa 7 bis 8 Jahren unternommenen ersten Anstrengungen und Diskussionen führten zu Konzepten und Pilotphasen innerhalb von Fachabteilungen oder Spitälern, und es wäre nicht korrekt, von einem Stillstand zu sprechen. Der Versorgungsgrad und die Berücksichtigung der komplexen Lebenssituation in Hinblick auf Integration und psychosoziale Faktoren sind aber unbefriedigend. Häufig werden Transitionsprojekte von Doktoranden im Rahmen einer Studie vorangetrieben. Deshalb besteht die Gefahr, dass der Know-how-Transfer zum Stillstand kommt oder schwieriger wird, sobald die Doktorarbeit abgeschlossen ist und die Mitarbeiter die Institution wieder verlassen. Auch haben die Projekte oft kein dediziertes Budget. So erscheint der Austausch zwischen allen in diesem Bereich engagierten Personen nicht einfach. Es wäre wünschenswert gewesen, dass die Präsentationen und Diskussionen anlässlich der oben erwähnten Tagung 2012 am Inselspital Bern mehr in Gang gesetzt hätten. Vermutlich fehlten auch dazu die Ressourcen, sodass es oft zu einem Nebeneinander statt zu einer gemeinsamen Aktion kam. In Deutschland kümmert sich die Gesellschaft für Transitionsmedizin (www.transitionsmedizin.net) um eine flächendeckende Versorgung und den Know-how-Transfer. Trotzdem sind dort nach mehr als acht Jahren nur etwa
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30 Prozent der Betroffenen mit einem Standardprozess für die Transition versorgt. Ansonsten herrscht Pragmatismus. Auch in Deutschland gibt es enorme bürokratische und finanzielle Barrieren, um einen Standard wirklich durchzusetzen. Bei unseren Nachbarn in Österreich hat man erst jetzt mit der Definition eines Standards begonnen und arbeitet dabei eng mit der Gesellschaft für Transitionsmedizin in Deutschland und mit uns in der Schweiz zusammen, um allgemeingültige Regelleistungen und Standards zu definieren und durchzusetzen.
weniger oder späterer Verschlechterung der individuellen Gesundheit bei entsprechender Lebensqualität stehen diesen Risiken gegenüber? Ohne eine Art von Geschäftsmodell wird von den bereits heute bestehenden Bemühungen Einzelner noch sehr lange Zeit nicht viel mehr umgesetzt werden können. Genauso wie es Fallpauschalen für die Behandlung von Krankheiten oder die stationäre oder chirurgische Intervention gibt, sollte es in naher Zukunft auch auf den Bedarf der Betroffenen abgestimmte Fallpauschalen für die Transitionsbegleitung geben.
Barrieren für die Transition
Woran liegt es, dass eine übergreifende Umsetzung der
Transition als Programm oder Minimalstandard in der
Schweiz so zögerlich vorankommt? Typische Barrieren
sind ganz sicher:
● Hemmungen, langjährige Beziehungen zum behan-
delnden Arzt zu beenden
● keine adäquaten Einrichtungen oder übernehmende
Spezialisten
● fehlendes Spezialwissen bei Erwachsenenmedizinern
für Behinderte mit Komorbidität
● eine schlechte Informationsweitergabe, gerade wenn
der Informationsbedarf bei Behinderten hoch ist
● anderer Betreuungsstil in der Erwachsenenmedizin,
weniger Zeit je Patient
● persönliche und familiäre Faktoren
● Ortswechsel und mehr Selbstständigkeit der Patienten.
Daneben besteht das Problem der immer wieder von IV
und Krankenversicherern und auch gern von Politikern
angeführten fehlenden Budgets. Dabei würde eine Ge-
samtkostenrechnung wohl eher ergeben, dass Mehraus-
gaben für eine bessere Qualität der
Nicht selten erfordern Transitionsgespräche bei Mehrfachbehinderten mehr als drei bis sechs Stunden.
Transition oder Versorgung sich im Einzelfall die Waage hielten, dies mit Einsparungen durch spätere, hohe Folgekosten aufgrund einer mangelhaften oder nicht erfolgten ordentlichen Transition.
Kein Erfolg ohne Wirtschaftlichkeit
Eine zentrale Frage für alle im Medizinbetrieb und darüber hinaus mit diesem Thema konfrontierte Kollegen ist die Abrechenbarkeit mit den Kostenträgern. Für die Kostenträger muss ausserdem klar sein, wie sich die Kosten beziehungsweise der kumulierte Aufwand für die Betreuung eines Versicherten im Verlauf des Lebens entwickeln. Ohne die Kenntnis einer Kosten-Nutzen-Abwägung und der Risiken befindet sich der Kostenträger im «Blindflug». Eine Art Gesamtkostenrechnung für entsprechende Diagnosen scheint es in der Schweiz nicht zu geben. Dabei wäre diese für die Entscheidungsträger ein wichtiger Teil der wirtschaftlichen Planung. Die vom Verein transition1525 vorbereitete Dienstleistungsstudie mit der Zürcher Hochschulde für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Hochschule für Heilpädagogik sowie weiteren Partnern wird genau diese Aspekte untersuchen: Welche Risiken gehen mit einer Übergabe junger Patienten an die Erwachsenenmedizin bei fehlender Compliance oder mangelnder Unterstützung einher? Welche Einsparungen im Prozess und welche positiven Faktoren eines qualitativ guten Lebens mit
Die Transition muss Regelleistung werden
Damit ein klar definierter Prozess, vorab schon für die medizinische Übergabe an die Erwachsenenmedizin, als Standard in der Schweiz besteht, klare Abrechnungsmodalitäten verfügbar sind und die Ressourcenfragen geklärt sind, braucht es den Gesetzgeber. Bei zu vielen Situationen in der täglichen Versorgung von beispielsweise Mehrfachbehinderten stossen wir auf Hindernisse, und jede Aufgabenstellung wird von unzähligen Ansprechpartnern jeweils «eine Zeit lang» individuell betreut. Konsistenz und eine Sicherstellung des Versorgungspfades müssen kantonsübergreifend gewährleistet werden. Dazu braucht es vor allem Angebote zur Begleitung und Unterstützung für chronisch Kranke und Behinderte und deren Angehörige über die gesamten Länge der Patientenpfade, von der Abklärung über die Diagnosestellung, das Leben mit der Krankheit und die Begleitung bis zum Lebensende – für viele Betroffene heute noch die Ausnahme.
Es braucht professionelle Fallmanager
Die heutigen Ressourcen, Arztsekretariate oder Disponenten im Spitalalltag, reichen nicht aus, um eine Transition der betroffenen Patienten mit einem mindestens vereinbarten Qualitätsstandard organisatorisch und durch fachliche Zuarbeit zu gewährleisten. Der Leidtragende ist in der Regel der betreuende Pädiater, der sich ohnehin schon über das übliche Mass hinaus für diese Patienten einsetzen muss. Zugleich stellt der Arzt die teuerste Ressource dar. Viele seiner eigentlich anders zu organisierenden Einsätze laufen in unbezahlten Überstunden, und sie kosten ihn Substanz und Gesundheit. Nicht selten erfordern Transitionsgespräche bei Mehrfachbehinderten im individuellen Fall mehr als drei bis sechs Stunden – ohne die Dokumentation und weitere Abklärungen. Der Fallmanager steht deshalb im Zentrum eines Transitionsprozesses und koordiniert das Programm. Er ist für alle Beteiligten, Betroffene wie Ärzte und externe Organisationen, engagierter Ansprechpartner und entlastet insbesondere die Ärzte in ihrer Arbeit rund um die Transition. Zu den Aufgaben des Fallmanagements gehören ● Abklärung der Kostenübernahme und Klärung vertrag-
licher Fragen ● Konsolidierung der Befunde in einer standardisierten
Epikrise, auch elektronisch ● Versorgung der Ärzte und Patienten mit Informationen
und Disposition der Termine ● Kontakt zum Patienten über die gesamte Programm-
dauer (ca. 1,5 Jahre) ● Vermittlung zusätzlicher unterstützender Angebote
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● bei Bedarf Organisation gemeinsamer Sprechstunden und Fallkonferenzen
● Dokumentation der Programmschritte und Optimierung des Programms.
Fallmanager können mit einer zusätzlichen Qualifikation für die Transition aus verschiedenen Berufen kommen, wie beispielsweise dem einer APN (Advanced Practiced Nurse), als Fachmann/-frau für Gesundheit oder aus der Sozialberatung. Um den Bedarf der Begleitung von vermutlich 7000 bis 8000 Transitionen pro Jahr zu bewältigen, wird es dezentral und anteilig mit 30 bis 50 Stellenprozent mindestens 30 bis 40 Fallmanager an 10 Standorten in der Schweiz brauchen.
transition1525 hört zu, lernt und definiert Standards
Der 2017 gegründete Verein transition1525 (www. transition1525.ch) mit Sitz in Zürich entstand, weil Betroffene und Mediziner den Bedarf für einen ganzheitlichen Ansatz erkennen, um sowohl die medizinische Übergabe als Standardprozess zu definieren als auch die psychosoziale Seite sowie Fragen zur Hilfsmittelversorgung, zum Wohnen, zur Ausbildung, zum Arbeiten und zur Integration anzugehen. Der Verein führt Gespräche mit allen in der Transition tätigen Fachpersonen und Institutionen, um zu lernen, interdiziplinär zu wirken und Best-Practice-Verfahren zusammenzustellen. Die Zusammenarbeit mit Bundesbehörden soll ein «gemeinsames Rudern in eine Richtung» ermöglichen.
In Zusammenarbeit mit der in Deutschland tätigen Gesellschaft für Transitionsmedizin und der Österreichischen Liga für Kindes- und Jugendgesundheit sollen Standards und Erfahrungen ausgetauscht und für alle verfügbar gemacht werden. Im Bereich der Immobilienunternehmen wird bereits der Austausch oder die Beteiligung an neuen Entwicklungsprojekten angeboten, um mehr Wohnformen für teilund nicht autonome Patienten zu schaffen. Bei der Hilfsmittelversorgung wird zurzeit untersucht, wann, wie und wie lange versorgt wird, mit welchen Kosten und gemäss welchem Prozess. Einsparungspotenziale sollen identifiziert und Probleme zukünftig besser gelöst werden. Gemeinsam mit der ZHAW und der Hochschule für Heilpädagogik sowie ausgewiesenen Sozioökonomen wird 2020 die im Artikel erwähnte Dienstleistungsstudie zur Kostenwirksamkeit der neu konzipierten Transitionsmassnahmen erstellt. Im besten Fall wird diese Studie allen Beteiligten eine «Win-win-Situation» durch eine bessere, interdiziplinär abgestimmte und durchgeführte Transitionsbegleitung vermitteln.
Korrespondenzadresse: Erhart von Ammon transition1525 Wildbachstrasse 80 8008 Zürich E-Mail: erhart.von.ammon@transition1525.ch
Der Autor ist betroffener Vater und Geschäftsführer des Vereins transition1525.
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