Transkript
Schwerpunkt
Ist es Asthma oder nicht?
Asthmadiagnose und neue Daten zur Asthmakontrolle
Foto: RBO
Die Asthmadiagnose ist in der pädiatrischen Praxis nicht immer einfach. Eine am SGP-Kongress in Bellinzona vorgestellte Studie belegt, dass man Asthma bei Schulkindern am sichersten mit bronchialen Provokationstests sowie der FeNO-Messung nachweisen kann. Darüber hinaus wurden neue Daten zur Asthmakontrolle bei Kindern in der Schweiz vorgestellt.
Dr. med. Carmen de Jong
D er Verdacht auf Asthma liegt nahe, wenn ein Kind mit Giemen (wheeze), Husten und Dyspnoe in die Praxis kommt. Einen einfachen diagnostischen Test zur Beantwortung der Frage, ob es tatsächlich Asthma ist, gebe es aber bis heute nicht, sagte Dr. med. Carmen de Jong, Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern, die am Kongress eine neue Studie zur Treffsicherheit verschiedener Asthmadiagnoseverfahren vorstellte (1). Hierzu gehören: ● Spirometrie und Bronchodilatortest zum Nachweis
einer reversiblen Obstruktion ● FeNO in der Ausatemluft zum Nachweis entzündlicher
Prozesse in den Atemwegen (FeNO: fraction of exhaled nitric oxide = NO-Anteil in der Ausatemluft, dieser ist bei Entzündung erhöht) ● bronchialer Provokationstest (BPT) mittels körperlicher Anstrengung (indirekt) oder mit Metacholin oder Mannitol (direkt) zum Nachweis einer Hyperreagibilität der Atemwege ● Prick-Test oder RAST (Radio-Allergo-Sorbent-Test auf IgE) zum Nachweis atopischer Prozesse. Für Erwachsene gibt es bereits Algorithmen, mit deren Hilfe die Resultate dieser Verfahren für die Asthmadiagnose eingeordnet werden können. Mangels pädiatrischer Daten wisse man aber nicht, wie nützlich die genannten Tests für die Asthmadiagnose bei Kindern seien, sagte de Jong. In die Studie wurden 111 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 16 Jahre aufgenommen, die zwei pädiatrischen Ambulanzen mit dem Verdacht auf Asthma zugewiesen worden waren (Universitäts-Kinderspital Basel oder Ostschweizer Kinderspital St. Gallen). Ausgeschlossen wurden Patienten mit bekannten schweren respiratorischen Erkrankungen oder mit Atemwegsinfektionen innert der letzten 4 Wochen vor der Zuweisung. Bei allen Studienteilnehmern erfolgten eine klinische Untersuchung, ein Prick-Test, eine FeNO-Messung, eine Spirometrie, ein Anstrengungs-, ein Methacholin- und ein Mannitol-BPT sowie ein Test auf Bronchodilator-Reversibilität. Bei 80 der 111 Kinder und Jugendlichen wurde die Diagnose Asthma gestellt. Die meisten von ihnen hatten Giemen plus Husten, etwas seltener, aber immer noch
häufig, war Giemen ohne Husten, während nur wenige Asthmakinder einen Husten ohne Giemen aufwiesen. Die Treffsicherheit der diagnostischen Testverfahren wurde mithilfe statistischer Methoden bestimmt (Kasten). Demnach sind die bronchialen Provokationstests mittels körperlicher Anstrengung oder Metacholin und die FeNOMessung in der Ausatemluft am zuverlässigsten. Nun ist eine grössere Studie im Rahmen der Schweizer Kinder-Atemwegskohorte SPAC (Swiss Airway Cohort) geplant, um letztlich einen für die Praxis nützlichen Diagnose-Algorithmus bei Verdacht auf Asthma im Kindesalter zu erstellen. Die SPAC-Studie wird durch das ISPM Bern in Zusammenarbeit mit Spitälern in der gesamten Schweiz durchgeführt (weitere Informationen: https://spac-study.ch).
Asthmakontrolle lässt zu wünschen übrig
In einer weiteren Studie des ISPM und der pneumologischen Ambulanzen der Kinderspitäler in Zürich, Bern, Luzern und Basel ging man der Frage nach, wie es um die Asthmakontrolle im Kindesalter bestellt ist (2). Dazu wurden die Daten von 264 Kindern und Jugendlichen (0–16 Jahre) mit Asthma ausgewertet, die von August 2017 bis Juli 2018 einer der pneumologischen Ambulanzen der oben genannten Kinderspitäler zugewiesen worden waren. Um die Asthmakontrolle zu klassifizieren, befragte man die Eltern vor der Konsultation zu Einschränkungen bei den Aktivitäten ihrer Kinder, nächtlichen Symptomen, Schulabsenztagen und Exazerbationen. Eine gute Asthmakontrolle bestand, falls keine Symptome genannt wurden, 1 bis 2 Symptome wurden als teilweise kontrolliertes Asthma klassifiziert, 3 oder mehr Symptome als unkontrolliertes Asthma. Gut kontrolliert war das Asthma nur bei 10 Prozent der zugewiesenen Kinder, bei 34 Prozent der Kinder war es teilweise kontrolliert. In über der Hälfte der Fälle, bei 148 Kindern (56%), war es unkontrolliert, obwohl drei Viertel von ihnen nach Angaben der Eltern Medikamente gebrauchten. Ein Follow-up nach einem Jahr ist geplant, um den Effekt neuer Behandlungspläne für diese Kinder zu evaluieren.
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Pädiatrie 4/19
Schwerpunkt
Unter den sozioökonomischen Faktoren fand sich nur das Alter als ein mit der Asthmakontrolle assoziierter Parameter (je älter, desto besser ist die Asthmakontrolle). Geschlecht, Bildungsgrad der Eltern, Region, Nationalität, aktuelles Passivrauchen sowie Schimmel oder Feuchtigkeit in der Wohnung hatten in dieser Studie keinen statistisch nachweisbaren Einfluss auf das Ausmass der Asthmakontrolle.
Mädchen und Knaben werden gleich behandelt
Studien in der Ostschweiz dokumentierten in den 1990er-Jahren eine Ungleichbehandlung von Knaben und Mädchen mit Asthma: Damals wurden Mädchen bei gleicher Symptomatik seltener behandelt als Knaben. Eine neue Studie im Kanton Zürich ergab nun keine Anhaltspunkte für geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Asthmatherapie im Kindesalter (3). Hierfür wurden Daten der Luftibus-Studie von 2013 bis 2016 ausgewertet, indem man die Prävalenz des Giemens mit der inhalativen Asthmamedikation bei Knaben und Mädchen verknüpfte. Die Studie umfasste 1587 Mädchen und 1561 Knaben im Alter von 6 bis 16 Jahren; die meisten waren zwischen 10 und 14 Jahre alt. 253 Kinder (8%) wiesen zum Zeitpunkt der Datenerhebung Giemen auf, und 78 Kinder (2%) berichteten von häufigem Giemen (≥ 4 Anfälle pro Jahr). Etwa die Hälfte der Kinder, die in dem Jahr vor der Datenerhebung unter Giemen litten, verwendeten kurz wirksame Beta-2-Agonisten (SABA) und gut ein Drittel wurde mit inhalativen Kortikosteroiden behandelt (ICS). Demnach nutze, unabhängig vom Geschlecht, ein beträchtlicher Anteil von Schulkindern mit aktuellem oder häufigem Giemen keine inhalativen Asthmamedikamente, so die Studienautoren.
Renate Bonifer
Quelle: Referat von Dr. med. Carmen de Jong: Diagnosing asthma accurately in schoolaged children suspected to have asthma. Symposium SwissPedNet: Translational & Clinical Research, Session 1. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie, 6. bis 7. Juni 2019 in Bellinzona.
Kasten:
Statistik: Wie zuverlässig ist ein Analyseverfahren?
Mit sogenannten ROC-Kurven und der Fläche unter der Kurve (AUC: area under the curve) kann man die Zuverlässigkeit diagnostischer Analyseverfahren statistisch bewerten. ROC steht für «receiver operating characteristic» beziehungsweise «Grenzwertoptimierungskurve»: Die Kurve zeigt, ab welchem Grenzwert die Balance zwischen positiven und falsch positiven Befunden für die Praxis nützlich ist. ROC-Kurven entstehen, indem man für bestimmte Messverfahren die Rate korrekt positiver Befunde (= ein Mass für die Sensitivität) auf der y-Achse und die Rate der falsch positiven Befunde (= ein Mass für die Spezifität) auf der x-Achse einträgt. Ein optimaler Kurvenverlauf sieht dann beispielsweise so aus:
ROC-Kurven beziehungsweise die Fläche unter der Kurve geben Auskunft darüber, wie zuverlässig bestimmte Parameter sind. Idealerweise steigt die ROC-Kurve steil an (= hohe Sensitivität bei wenig falsch positiven Befunden) und flacht dann ab (= kaum noch Gewinn an Sensitivität, aber steigende Anzahl falsch positiver Befunde). Je diagonaler die Kurve verläuft, umso unbrauchbarer ist ein Analyseverfahren.
In den folgenden Grafiken wird erläutert, warum das so ist. Die ROC-Kurve muss mindestens über der Diagonalen (grün) liegen und die Fläche unter der Kurve grösser sein als die Hälfte (hellgrün: AUC = 0,5). Das Analyseverfahren mit der roten ROC-Kurve (links) ist also besser als dasjenige mit der blauen Kurve (rechts), weil die Fläche unter der Kurve bei der roten Kurve grösser ist:
Referenzen: 1. SPN 3: de Jong CCM et al.: Diagnosing asthma accurately in school-aged children suspected to have asthma. Swiss Med Weekly 2019; 149 (Suppl 235): 11S. Annual Meeting Swiss Society of Paediatrics, June 6/7, 2019. 2. SPN 8: Ardura-Garcia C et al.: Asthma control in children referred to Swiss outpatient clinics. Swiss Med Weekly 2019; 149 (Suppl 235): 13S. Annual Meeting Swiss Society of Paediatrics, June 6/7, 2019. 3. SPN 10: Mozún R et al.: Are there still sex-specific differences in asthma symptoms and treatment in Swiss school-aged children? Swiss Med Weekly 2019; 149(Suppl 235): 10S. Annual Meeting Swiss Society of Paediatrics, June 6/7, 2019.
In der vorliegenden Studie wurde die AUC verschiedener diagnostischer Verfahren bezüglich Asthma ermittelt. Hierbei erreichten die FeNO-Bestimmung und der bronchiale Provokationstest mit Metacholin mit 0,80 und 0,81 die höchsten AUC-Werte, sie sind also am zuverlässigsten, vor dem bronchialen Provokationstest mittels körperlicher Anstrengung (AUC = 0,79). Am schlechtesten schnitt die Spirometrie ab, mit einem AUCWert von 0,52 für die FEV1 und 0,59 für FEV1/FVC.
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