Transkript
Schwerpunkt
Von «hybrid» bis «minimalinvasiv»
Neue Trends in der Kinderherzchirurgie
Die Mortalität bei chirurgischen Korrektureingriffen wegen angeborener Herzfehler wurde in den letzten Jahrzehnten schrittweise signifikant gesenkt. Der Fokus aktueller Bemühungen und Verbesserungen liegt auf guten Langzeitergebnissen, einem verbesserten neurologischen Outcome, niedrigen Komplikationsraten, guter Lebensqualität und vorteilhaften kosmetischen Resultaten.
Von Hannah Widenka1, Martin Glöckler2, Birgit Donner3, Thierry Carrel1, Alexander Kadner1
In der Schweiz kommen jährlich zirka 700 Kinder mit einem Herzfehler zur Welt, wovon etwa 200 bis 300 einer Operation oder Intervention bedürfen (1). Die Chirurgie angeborener Herzfehler hat in den letzten Jahren durch fortschreitende operative Techniken und durch ein besseres perioperatives Management grosse Fortschritte gemacht. Dadurch wurden die operativen Mortalitätsraten wesentlich gesenkt (Abbildung 1). So hat die Korrekturoperation des häufigsten angeborenen Herzfehlers, des Ventrikelseptumdefekts (VSD), ein Operationsrisiko zwischen 0 und 2 Prozent. Aber auch wesentlich komplexere Herzfehler mit notwendiger Hochrisikooperation, beispielsweise die Korrektur eines hypoplastischen Linksherzsyndroms (HLHS), weisen je nach Eingriff durchschnittlich ein Risiko zwischen 4 und bis über 15 Prozent auf (1, 2). Aufgrund dieser Tatsache steht bei den Kindern nicht mehr primär die Mortalität im Vordergrund, der Fokus liegt mittlerweile auf guten Langzeitergebnissen, einem verbesserten neurologischen Outcome, niedrigen Komplikationsraten, guter Lebensqualität und vorteilhaften kosmetischen Resultaten. Neuere Entwicklungen in der Kinderherzchirurgie, wie Hybridverfahren, verbesserte neuroprotektive Operationstechniken und minimalinvasive Zugänge, versuchen diesen Anforderungen Rechnung zu tragen und werden im Folgenden beispielhaft vorgestellt.
Das postpartale Offenhalten des Ductus mittels Prostaglandininfusion sichert eine balancierte Kreislaufsituation zwischen pulmonalem und systemischem Kreislauf. Bei Bedarf wird bei unzureichender Durchmischung des Bluts interventionell ein Atriumseptumdefekt mittels Ballondilatation vergrössert (sog. Rashkind-Manöver). In den ersten Lebenstagen muss ein erster komplexer operativer Eingriff in Hinblick auf eine sukzessive und schrittweise Ein-Kammer-Korrektur (Norwood-OP) erfolgen. Dabei wird der hypoplastische Aortenbogen mittels Patcherweiterung rekonstruiert und mit einer Neo-Aortenwurzel, bestehend aus Truncus pulmonalis und Aorta ascendens, anastomosiert. Die Durchblutung der Lunge erfolgt über einen aortopulmonalen Shunt (z.B. modifizierter Blalock-Taussing-Shunt) (Abbildung 2B). Der Abfall des pulmonalen Gefässwiderstands in den folgenden drei bis vier Monaten ermöglicht die Anlage einer partiellen cavopulmonalen Anastomose (PCPC), welche zu einer Volumenentlastung der rechten Herzkammer führt (Abbildung 2C). Im letzten Schritt, etwa im Alter von zwei bis vier Jahren, wird schliesslich auch die Vena cava inferior mittels einer Gefässprothese an die Pulmonalarterie anastomosiert (total cavopulmonary connection, TCPC). Somit ist eine
Hybrid-OP-Verfahren beim hypoplastischen Linksherzsyndrom
Beim hypoplastischen Linksherzsyndrom (HLHS) sind der linke Ventrikel mit Mitralklappe wie auch die angrenzende Aorta samt Aortenklappe nur hypoplastisch angelegt, weshalb die komplette systemische Blutversorgung über den Ductus arteriosus erfolgen muss. Das im Herzen durch einen überlebensnotwendigen Septumdefekt vermischte Blut nimmt den Weg von der Pulmonalarterie über den Ductus in die Aorta (Abbildung 2A).
Kinderherz-Netzwerk Bern-Basel: 1 Zentrum für angeborene Herzfehler, Dept. für Herz- und Gefässchirurgie, Inselspital Bern 2 Zentrum für angeborene Herzfehler, Abteilung für Kinderkardiologie, Inselspital Bern 3 Abteilung für Kinderkardiologie Universitätskinderspital beider Basel
Abbildung 1: Überlebensraten im ersten Jahr für Kinder mit angeborenen Herzfehlern. Das Überleben bei komplexem Herzfehler ist von 20 Prozent in den 1950er-Jahren auf 90 Prozent in den letzten 20 Jahren gestiegen (nach [1]).
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Abbildung 2: Korrekturschritte beim hypoplastischen Linksherzsyndroms A: 1: rudimentärer dysfunktioneller linker Ventrikel; 2: hypoplastische Aorta ascendens; 3: persistierender Ductus. B: Norwood-OP: 1: Aortenbogenpatch-Rekonstruktion; 2: ASD; 3: modifizierter Blalock-Taussig-Shunt. C: PCPC-(«Glenn»-)OP: 1: partielle cavopulmonale Anastomose; 2: abgesetzter Shunt. D: TCPC-(«Fontan»-)OP: 1: extrakardiales Conduit für eine totale cavopulmonale Anastomose.
komplette Trennung von passivem pulmonalvenösen Kreislauf und Systemkreislauf erreicht, eine sogenannte Fontanzirkulation (Abbildung 2D). Besonders der erste operative Eingriff im Neonatalalter geht mit einem deutlich erhöhten operativen Risiko und insbesondere einer hohen neurologischen Komplikationsrate einher (3). Eine Alternative hierzu stellt ein Hybridverfahren dar, welches die Kreislaufsituation mittels Anlegen von bilateralen pulmonalarteriellen Bandings und der Implantation eines Stents in den Ductus arteriosus stabilisiert (Abbildung 3). Damit kann ein Eingriff an der Herz-Lungen-Maschine mit nötigem Kreislaufstillstand in den ersten Lebenstagen vermieden werden. Die folgende Korrekturoperation (comprehensive stage II OP), welche aus gleichzeitiger Durchführung von Norwood- und PCPC-Operation besteht, kann bei grösseren Kindern im Alter von vier bis sechs Monaten erfolgen (4). Als Vorteil des Hybridverfahrens werden ein besseres neurologisches Outcome, eine bessere myokardiale Funktion und tiefere Mortalitätsraten diskutiert. Eine eindeutige Überlegenheit dieses interessanten neuartigen Konzepts gegenüber dem bisherigen Standardverfahren konnte bis jetzt noch nicht in Langzeitstudien belegt werden (5, 6).
Abbildung 3: Hybridmanagement des hypoplastischen Linksherzsyndroms. 1: bilaterales pulmonalarterielles Banding; 2: Stent im Ductus arteriosus.
Abbildung 4: Antegrade zerebrale Perfusion bei Rekonstruktion des Aortenbogens. 1: in den Truncus brachiocephalicus vorgeschobene Aortenkanüle der Herz-LungenMaschine zur kontinuierlichen Perfusion der Kopfgefässe bei tief hypothermem Kreislaufstillstand.
Hybridverfahren bei Fallot-Tetralogie
Auch bei einem weitaus häufiger auftretenden Herzfehler, der Fallot-Tetralogie, bestehend aus den typischen vier Komponenten VSD, überreitender Aorta, Pulmonalstenose und Rechtsherzhypertrophie, kann unter Umständen ein Hybridverfahren zum Einsatz kommen. Während bei einem Grossteil der Kinder im Säuglingsalter eine sogenannte Totalkorrektur (VSD-Patchverschluss, Erweiterung des rechtsventrikulären Ausflusstrakts, bei Bedarf Pulmonalklappenerweiterung/-ersatz) durchgeführt werden kann, bedürfen Kinder mit hypoplastischen Pulmonalgefässen einer initialen Palliationsoperation mittels Anlage eines aortopulmonalen Shunts zur Sicherung der Lungendurchblutung und einer «Totalkorrektur» im weiteren Verlauf. Durch ein Hybridverfahren kann eine offene Operation zur Anlage des Shunts durch Implantation eines Stents in die hypoplastische Pulmonalarterie oder den Ductus arteriosus vermieden werden.
Abbildung 5: OP-Narbe nach axillärer Thorakotomie. Die Narbe wird bei anliegendem Arm komplett abgedeckt.
Abbildung 6: Perventrikulärer VSD-Verschluss. Das Occluder-Device wird unter TEE-Kontrolle (TEE: transösophageale Echokardiografie) über eine durch die freie Wand des rechten Ventrikels eingebrachte Schleuse positioniert. RV: rechter Ventrikel; RVOT: rechtsventrikulärer Ausflusstrakt (aus Gray RG et al., 2017 [14]).
Antegrade zerebrale Perfusion bei Operationen während Kreislaufstillstand
Trotz grosser Fortschritte hinsichtlich der Senkung des Mortalitätsrisikos für Herzeingriffe bei Neonaten sind nach wie vor neurologische Komplikationen mit eingeschränkter neurokognitiver Entwicklung in dieser Altersgruppe problematisch. MRI-Untersuchungen zeigen bereits präoperativ bei 25 bis 40 Prozent der Patienten mit komplexen Herzfehlern zerebrale Läsionen und bei bis zu 35 bis 43 Prozent von ihnen neue zerebrale Läsionen nach herzchirurgischen Eingriffen oder Interventionen (7). Diesbezüglich sind insbesondere Korrekturoperationen risikoreich, bei denen ein tief hypothermer Kreislaufstillstand an der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt werden muss, wie dies zum Beispiel für die Rekonstruktionen eines hypoplastischen Aortenbogens notwendig ist.
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Als wichtige protektive Massnahme hat sich die antegrade zerebrale Perfusion während des Kreislaufstillstands etabliert (deep hypothermic circulatory arrest, DHCA). Während bei älteren Patienten über selektive Ballonkatheter in den Halsgefässen eine zerebrale Perfusion mit kaltem Blut durchgeführt werden kann, ist dies aufgrund der kleinen anatomischen Verhältnisse bei Säuglingen und Kleinkindern nicht möglich. Hier wird über eine 3,5 bis 5 mm grosse Gefässprothese, welche an den Truncus brachiocephalicus angenäht ist, eine konstante zerebrale Perfusion während des Kreislaufstillstands gewährleistet. Eine Alternative stellt das Vorschieben der Aortenkanüle aus der Aorta ascendens direkt in den Truncus dar (Abbildung 4). Die Zeit, in der das Gehirn nicht mit Blut versorgt wird, kann somit auf ein Minimum reduziert werden. Ein protektiver Effekt für ein besseres neurologisches Outcome konnte bei Erwachsenen bereits eindeutig gezeigt werden (8). Für pädiatrische Patienten zeigt sich ebenfalls eine positive Tendenz, wobei festzuhalten ist, dass grössere Studien ausstehen (9).
Minimalinvasive Zugänge
Wie bereits erwähnt, können eine grosse Zahl angeborener Herzfehler mittlerweile mit exzellenten operativen Ergebnissen und guter Langzeitprognose korrigiert werden. Somit erhalten Aspekte wie Lebensqualität und damit auch Kosmetik eine grössere Bedeutung. Der bisherige Standardzugang einer medianen Sternotomie und die resultierende deutlich sichtbare Narbe kann für die Kinder eine psychologische Belastung durch Stigmatisierung als «Herzpatient» verursachen. Diesbezüglich wurden verschiedene alternative Zugangswege propagiert, wie zum Beispiel eine posteriore oder anterolaterale Thorakotomie, die jedoch mit den Gefahren einer Skolioseformation beziehungsweise von Brustwachstumsstörungen einhergehen können. Eine interessante vorteilhafte Option ist die axilläre Minithorakotomie. Hierbei erfolgt ein 4 bis 5 cm langer vertikaler Hautschnitt in der rechten Axillarlinie. Eine Thorakotomie im 5. Intercostalraum ermöglicht die Kanülation der grossen Gefässe für die Herz-Lungen-Maschine sowie einen adäquaten Zugang zu den rechtsseitigen Herzstrukturen. Korrekturen von Atriumseptumdefekten, VSD, partiellen AV-Kanälen und partiellen Lungenvenenfehlmündungen sowie einfache komplette AV-Kanal-Defekte können mit vergleichbaren operativen Ergebnissen korrigiert werden wie bei der medianen Sternotomie. Die kosmetischen Resultate sind dabei jedoch deutlich vorteilhafter (10, 11) (Abbildung 5).
Ausblick: Perventrikulärer VSD-Verschluss
Auch hinsichtlich des häufigsten angeborenen Herzfehlers, des VSD, gibt es Bemühungen zur Korrektur mittels Katheterintervention. Während dies für muskuläre VSD bei grösseren Kindern etabliert ist, bestehen für kathetertechnische Verschlüsse der weitaus häufigeren perimembranösen VSD technische wie auch anatomische Limitierungen: die Nähe zu anliegenden anatomischen Strukturen wie Aorten- und Trikuspidalklappe und
dem Reizleitungssystem sowie kleinkalibrige Zugangsgefässe. Das Hybridkonzept mittels Minithorakotomie und perventrikulärem Zugang zur Implantation eines Occluder-Devices (Abbildungen 6 und 7) unter echokardiografischer Kontrolle (TEE: transösophageale Echokardiografie) führte in mehreren Studien zu vielversprechenden Ergebnissen (12, 13). Dabei ist es ein grosser Vorteil, dass keine offene Herzoperation an der HerzLungen-Maschine durchgeführt werden muss. Die Rate an Komplikationen, wie AV-Blockierungen und Klappeninsuffizienzen, ist tief und vergleichbar mit den Ergebnissen nach offen chirurgischem Vorgehen. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass es noch keine Langzeitergebnisse gibt. Die vorliegenden Studien stammen fast ausschliesslich aus chinesischen und russischen Herzzentren.
Abbildung 7: VSD-Occluder-Device.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Alexander Kadner Dept. für Herz- und Gefässchirurgie Inselspital, Universität Bern Freiburgstrasse 3010 Bern E-Mail: alexander.kadner@insel.ch
Interessenlage: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen.
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