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Schwerpunkt
Thoraxschmerzen und Herzgeräusche im Kindes- und Jugendalter
Thoraxschmerzen und Herzgeräusche sind häufig und beängstigend, aber klinisch diagnostizierbar. Von zentraler Bedeutung sind die Anamnese und eine gründliche klinische Untersuchung. Ein EKG und seltener ein Thoraxröntgen können im Einzelfall nötig sein. Bei unklaren Befunden, klinischen Verdachtsmomenten oder gar Alarmsymptomen sowie bei pathologischen Befunden ist eine kinderkardiologische Zuweisung indiziert.
Von Sebastiano A.G. Lava und Nicole Sekarski
T horaxschmerzen und Herzgeräusche gehören zu den häufigsten kardialen Symptomen, die den Eltern Sorgen bereiten können. In den meisten Fällen genügen bereits die Anamnese und der klinische Status beim Kinderarzt, um eine Herzkrankheit auszuschliessen. Es ist darum wichtig, die häufigsten Ursachen und ihre Merkmale zu kennen.
Thoraxschmerzen
Nicht traumatische Thoraxschmerzen sind ein häufiger Vorstellungsgrund beim Kinderarzt oder auf der pädiatrischen Notfallstation. Während nur in 1 bis 5 Prozent der Fälle eine potenziell gefährliche Ursache zugrunde liegt, führen Thoraxschmerzen oft zu Konsequenzen im Alltag, nämlich zu Tätigkeitsrestriktionen in bis zu 70 Prozent und Schulabsenzen in etwa 40 Prozent der Fälle (1–2). Eine präzise Diagnose trägt oft dazu bei, Unsicherheit und Sorgen auszuräumen und Alltagseinschränkungen zu verhindern.
Abbildung 1: Horizontaler Armzug bei Costochondritis: Der Untersucher zieht den Patientenarm an der betroffenen Seite mit gleichzeitigem Fixieren der Schulter auf die Gegenseite. Bei Costochondritis werden sich die Thoraxschmerzen dadurch verschlimmern.
Wichtig ist, zuerst die extrem seltenen lebensbedrohlichen von den anderen Differenzialdiagnosen zu unterscheiden (Tabelle 1). Dafür ist vor allem die Anamnese von zentraler Bedeutung. Einige «red flags» sind dabei hilfreich (Tabelle 2). Auch die Kenntnis der typischen Merkmale der häufigen benignen Differenzialdiagnosen ist wichtig (Tabelle 3), um die Diagnose mit Sicherheit stellen und somit die Patienten effektiv beruhigen zu können. Wenn die Ursache bestimmt werden kann (Tabelle 1), ist sie meist muskuloskelettaler, respiratorischer, psychischer oder psychiatrischer Natur. Sie ist seltener gastrointestinal oder durch das Haut- und Brustgewebe bedingt. Kardiale Ursachen stellen eine Ausnahme dar (< 1%) (3–4). Costochondritis: Die Costochondritis ist eine Entzündung der Rippenknorpel. Sie ist durch eine umschriebene Schmerzlokalisation am Rippenknorpel entlang des Sternumrands charakterisiert und involviert meistens zwei bis vier benachbarte costochondrale oder costosternale Verbindungen, meistens einseitig, öfters linksseitig. Die Schmerzepisoden dauern Sekunden bis Minuten und können mit tiefer Atmung aggravieren. Mechanische Ursachen, wie das (vor allem einseitige) Tragen von schweren Rücksäcken oder schweren Lasten, welche einen Zug der Muskeln und Sehnen der Thoraxwand bewirken können, werden als Ursachen angenommen. Zusätzlich zur einfachen Palpation sind als Provokationsmanöver auch der horizontale Armzug (Abbildung 1) und «der Hahn, der singt» («crowing rooster», Abbildung 2) zu erwähnen. Tietze-Syndrom: Viel seltener, aber der Costochondritis ähnlich, ist das sogenannte Tietze-Syndrom. Zusätzlich zum eng lokalisierten Schmerzareal hilft hier als Differenzierungsmerkmal eine lokalisierte Schwellung, welche an der Grenze Sternum-Rippen (oder Clavicula), meistens an den 2. und 3. Rippen, erscheint. Sie kann schmerzhaft und erwärmt sein. Das Tietze-Syndrom betrifft vor allem ältere Teenager und junge Erwachsene. Der Spontanverlauf ist benigne, die Ursache ist unbekannt. 4 Pädiatrie 3/19 Schwerpunkt Präkordialschmerz: Der Präkordialschmerz (precordial catch, Texidor’s twinge) ähnelt ebenfalls der Costochondritis. Auch hier treten kurzzeitige Schmerzepisoden (Sekunden, max. wenige Minuten) mit umschriebenem Schmerz auf, welcher bei der Untersuchung zwischen den Rippen lokalisiert werden kann. Oft erscheint und verschwindet der Schmerz plötzlich, typischerweise in Ruhe oder bei leichtgradiger körperlicher Anstrengung, und er wird durch Armbewegungen oder Inspiration verschlimmert. Gleitrippensyndrom: Das Gleitrippensyndrom (slipping rib syndrome) ist eine charakteristische, aber seltene Form benigner Thoraxschmerzen im Kindes- und Adoleszentenalter. Es betrifft die 8. bis 10. Rippen, welche am Sternum nicht durch Knorpel, sondern durch fibrotisches Gewebe verbunden sind. Wenn diese Verbindungen geschwächt sind (z.B. nach Trauma oder Belastung), können die Rippen gleiten und ein schmerzhaftes Impingement auf der Ebene des Interkostalnervs erzeugen. Die Diagnose wird durch das positive Hooking-Manöver bestätigt (Abbildung 3) (5). Psychogene Thoraxschmerzen Psychogene Ursachen von Thoraxschmerzen sind nicht selten. Während ihr Anteil in der Vergangenheit mit etwa 10 Prozent der Fälle angegeben wurde, beträgt dieser laut neueren Studien bis zu 20 bis 30 Prozent. Häufig liegen den Schmerzen Sorgen und eine vermehrte Selbstperzeption zugrunde, die in einem Teufelkreis zu Angst und Hyperventilation führen, welche die Schmerzen verstärken können. Die hyperventilationsbedingte respiratorische Alkalose kann zu einer (relativen) koronaren Vasokonstriktion führen, welche zu einer relativen Hypoperfusion (coronary insufficiency) und somit zu Thoraxschmerzen führen kann. Diese wurden bei Erwachsenen auch mit transitorischen T- und ST-Veränderungen beschrieben, sodass die Differenzierung zum Myokardinfarkt rein klinisch ist, was die zentrale Rolle der Anamnese noch einmal unterstreicht (6). Potenziell gefährliche Thoraxschmerzen Bei den potenziell gefährlichen Differenzialdiagnosen sind vor allem kardiale und pulmonale Ursachen zu nennen. Kardiale Ursachen sollten immer dann in Betracht gezogen werden, wenn die Schmerzen bei körperlicher Anstrengung auftreten oder mit Palpitationen, (Prä-)Synkopen (insbesondere bei Anstrengung) oder eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit assoziiert sind. In diesem Zusammenhang sind Kardiomyopathien (insbesondere die obstruktive Form einer hypertrophen Kardiomyopathie), Aortenstenosen, Koronaranomalien, Perimyokarditis und Aortendissektionen zu erwähnen. Dilatative Kardiomyopathien und Arrhythmien führen hingegen seltener zu Thoraxschmerzen, gehören aber auch zur Differenzialdiagnose. Neben den angeborenen Koronaranomalien, die typischerweise im Neugeborenen- und im jungen Säuglingsalter in Erscheinung treten, können Myokardinfarkte im Kindesalter nach Herzoperationen (z.B. Switch-Operation nach Transposition der grossen Gefässe) sowie bei Status nach Kawasaki-Syndrom oder bei exogenen Noxen (z.B. Kokain, Amphetamine, Marijuana etc.) auftreten. Bei den potenziell gefährlichen pulmonalen Ursachen sind der Pneumothorax, die Lungenembolie, das akute Thoraxsyndrom (acute chest syndrome) bei Sichelzellan- Tabelle 1: Differenzialdiagnosen bei Thoraxschmerzen und deren Häufigkeit Potenziell gefährliche Differenzialdiagnosen sind fett und kursiv markiert (adaptiert nach [3, 4]) Differenzialdiagnose Idiopatisch Muskuloskelettal: ● Costochondritis ● Präkordialsyndrom ● Tietze-Syndrom ● Gleitrippensyndrom Respiratorisch: ● Husten ● bronchiale Obstruktion ● Pneumonie, Pleuraerguss, Pleuritis ● Pneumothorax ● Lungenembolie Psychogen: ● Angst ● Hyperventilation, «disordered breathing» ● Angststörung Gastrointestinal: ● gastroösophagealer Reflux ● Ösophagitis ● gastrische Ulzera ● Ösophagusruptur (Boerhaave-Syndrom) Hämatoonkologisch: ● Sichelzellanämie mit akutem Thoraxsyndrom ● Tumoren der Thoraxwand und des Mediastinums, Lymphome, Leukämien Neurologisch: ● Herpes-zoster-Neuralgie ● Kompression der Nervenwurzeln Kardiologisch: ● Perikarditis ● Myokarditis, Kardiomyopathien ● Arrhythmien ● myokardiale Ischämie (durch Obstruktion im LV-Ausflusstrakt, wie bei hyperthropher Kardiomyopathie, Aortenstenose u.a.; Koronaranomalien, Herzinfarkt bei Risikofaktoren u.a.) ● Aortendissektion Relative Häufigkeit 20–50% 25–70% 10–20% 10–20% 5% (3–6%) selten selten selten (< 1%) Tabelle 2: Warnsignale («red flags») bei Thoraxschmerzen ● Schmerzen bei körperlicher Anstrengung ● Schmerzen, assoziiert mit Palpitationen, (Prä-)Synkopen oder eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit ● «Cardiac-like»-Schmerzen (diffuse, drückend-strangulierende, intensive, lang dauernde, in den linken Arm/Hals/Rücken oder das obere linke Abdomen ausstrahlende Schmerzen) ● bekannte angeborene oder erworbene Herzerkrankung ● bekannte kardiovaskuläre Risikofaktoren (z.B. thrombotische Diathese, Hypercholesterolämie u.a.) ● bekannte Bindegewebserkrankung ● Medikamenten- oder Drogenkonsum (z.B. Amphetamine, Kokain u.a.) ● Familienanamnese für plötzlichen Tod < 35–40 Jahre, koronare Herzerkrankung im jungen Alter, hereditäre Rhythmusstörungen (z.B. Brugada-Syndrom, Long-QT-Syndrom, Short QT-Syndrom u.a.), vor allem bei Verwandten ersten Grades ● unklare, atypische Präsentation 3/19 Pädiatrie 5 Schwerpunkt Abbildung 3: HookingManöver bei Gleitrippensyndrom (5): Der Untersucher hakt seine Finger unterhalb des Rippenbogens des Patienten ein und zieht die Rippen nach lateral. Bei Vorliegen eines Gleitrippensyndroms provoziert dieses Manöver einen sehr starken Schmerz (5). Abbildung 2: «Crowing rooster» bei Costochondritis: Der Patient legt seine Arme gekreuzt hinter den Nacken, der Untersucher zieht die Arme nach oben. Bei Costochondritis verschlimmert dieses Manöver die Thoraxschmerzen. ämie (7) und die Fremdkörperaspiration zu nennen. Häufigere pulmonale Ursachen sind starker Husten (mit nachfolgenden muskoloskelettalen Schmerzen), Asthma, (Pleuro-)Pneumonie oder Pleuritis. Tumoren im thorakalen Bereich (Thorax, Brust, Mediastinum, Lungen) können selten einmal zu Schmerzen führen: Sarkome, Neuroblastome, Lymphome und eine ster- Tabelle 3: Häufige ungefährliche Differenzialdiagnosen bei Thoraxschmerzen und deren typische Merkmale Costochondritis Entlang des Sternumrands, betrifft mehrere benachbarte costochondrale oder costosternale Verbindungen (oft 1.–5. Interkostalraum); meistens einseitig, öfters links; kurz (Sekunden bis Minuten); durch tiefe Atmung verstärkt; keine Schwellung, keine Rötung; Provokationsmanöver Präkordialsyndrom Kurz (Sekunden, max. wenige Minuten); umschriebener Schmerz, welcher mit den Fingern zwischen den Rippen lokalisiert werden kann; erscheint und verschwindet plötzlich, typischerweise in Ruhe oder bei leichtgradiger körperlicher Anstrengung; wird durch Armbewegungen oder Inspiration verschlimmert; ähnlich wie die Costochondritis, aber umschriebener Tietze-Syndrom Sehr lokalisiertes Schmerzareal an nur einer costochondralen Verbindung; umschriebene Schwellung (ev. gerötet, 1–4 cm), an der 2. bis 3. costochondralen Verbindung; vor allem bei älteren Teenagern und jungen Erwachsenen Gleitrippensyndrom 8. bis 10. Rippen; Hooking-Manöver ist diagnostisch Asthma Thoraxschmerzen in Verbindung mit bronchialer Obstruktion und chronischem Husten Hyperventilation, «disordered breathing» Tachypnoe, typisches Atemmuster; oft besorgte Persönlichkeit oder Familie; Angststörungen, psychiatrische Erkrankungen oder psychosoziale Belastungssituation möglicherweise assoziiert Psychogen Siehe auch Hyperventilation; typische assoziierte Symptome; oft auch funktionelle Bauchschmerzen, körperliche Überempfindlichkeit u.a.; vor allem im Adoleszentenalter Gastroösophagealer Reflux Zeitlicher Zusammenhang mit den Mahlzeiten; Verschlimmerung im Liegen nale ossäre Beteiligung bei Leukämien. Auch eine Ösophagusruptur (Boerhaave-Syndrom) kann zu extremen Schmerzen führen, es gehört aber im Kindesalter zu den absoluten Raritäten. Herzgeräusche Physikalische Grundlagen: Herzgeräusche sind Flussgeräusche mit einer Frequenz von etwa 20 bis 20 000 Hz, welche aufgrund von Turbulenzen entstehen und ab einer Blutgeschwindigkeit von etwa 1,3 m/s hörbar sind (8). Ein gutes Stethoskop hat eine Penetrationstiefe von etwa 3 bis 4 cm: Tiefer entstehende Atem- und Herzgeräusche können nur bei sehr guten Weiterleitungseigenschaften der umliegenden Gewebe oder bei Ausstrahlung auskultiert werden. Bei Kindern werden Herzgeräusche darum viel deutlicher und einfacher (aber auch häufiger) auskultiert als bei Erwachsenen. Häufigkeit und Relevanz: Herzgeräusche sind im Kindesalter extrem häufig und der häufigste Grund für kinderkardiologische Zuweisungen. Je nach Studie werden Prävalenzen von 40 bis 80 Prozent beschrieben (9–11). Angesichts dieser Prävalenzen und der Tatsache, dass nur etwa 0,8 Prozent der Kinder mit einem angeborenen Herzfehler auf die Welt kommen, wird klar, dass eine organische Ursache der Herzgeräusche eher die Ausnahme als die Regel ist (8–12). Trotzdem kann die Entdeckung eines Herzgeräusches für die Familie oft beängstigend sein. Definition und klinische Diagnose: Es gibt eine ganze Reihe von Bezeichnungen für harmlose Herzgeräusche. Im englischen Sprachraum verwendet man als Überbegriff «innocent heart murmurs». Im deutschsprachigen Raum differenziert man funktionelle von akzidentellen Herzgeräuschen. Während funktionelle Herzgeräusche eine physiologische Ursache haben (z.B. Fieber, Anämie, Hyperthyreose u.a.), sind akzidentelle Herzgeräusche zufällig auftretende Auskultationsbefunde. Zur endgültigen Beurteilung eines Herzgeräusches gehören zwingend eine gute Anamnese und eine vollständige kardiologische Untersuchung (Tabelle 4 und 5). Erst sie erlauben es, die Diagnose eines harmlosen Herzgeräusches zu sichern. Das ist dann der Fall, wenn die Anamnese keine Hinweise auf kardiale Erkrankungen liefert, das Wachstum unauffällig und gleichmässig verläuft, das Kind asymptomatisch ist und im klinischen Status ein ≤ 3/6 lautes, musikalisches, rein systolisches Herzgeräusch ohne Schwirren bei normoaktivem Präkordium und symmetrischen Pulsen auskultiert wird (Tabelle 6). Oft ist ein harmloses Herzgeräusch lagevariabel und nur selten ausstrahlend. Ausnahmen sind aber möglich, wie 6 Pädiatrie 3/19 Schwerpunkt etwa beim Nonnensausen (venous hum), welches typischerweise in den Hals ausstrahlt und ein kontinuierliches systolodiastolisches Geräusch erzeugt (s. unten). Die Graduierung der Lautstärke von Herzgeräuschen ist nicht völlig subjektiv, sondern semiquantitativ definiert (13–14). Eine ruhige und leise Atmosphäre sowie eine komplette und ruhige Auskultation sind wichtig (15). Man sollte auf verschiedene Elemente systematisch achten und sich nicht zufrieden geben, bis diese beschrieben werden können (15). Beim Kleinkind kann das schwierig sein (schneller Puls, begrenzte Kooperation, vor allem im Alter von 6 bis 18 Monaten), beim Schulkind ist dies jedoch immer möglich. Ein Memogramm, die «seven S murmurs», wurde vom Bronzetti und Corzani vorgeschlagen: harmlose Herzgeräusche sind «systolic» (mit der Ausnahme des Nonnensausens), «small» (begrenztes, oft kleines Areal), «soft» (kleine Amplitude), «short» (kurze Dauer), «single» (keine begleitenden Klicks, kein Galopp) und «sweet» (musikalisch) (10). Spezielle Formen von Herzgeräuschen Still’s murmur: Dies ist das häufigste harmlose Herzgeräusch im Kindesalter. Es wurde bereits vor über 100 Jahren vom Kinderarzt Sir George Frederic Still beschrieben (16); der Begriff «Still’s murmur» wird teilweise auch als Synonym für akzidentelles Herzgeräusch verwendet. Es tritt vor allem bei Kindern im Alter von 2 bis etwa 7 Jahren auf. Das Stillsche Geräusch ist ein 2/6 musikalisch-vibratorisches Ejektionssystolikum, p.m. über Erb und im 4. bis 5. Interkostalraum parasternal links. Es ist lauter im Liegen als im Sitzen, und es nimmt mit Aufregung, Anstrengung oder Fieber zu. Die Ätiologie und der Entstehungsmechanismus des Stillschen Geräusches sind nicht endgültig geklärt. Es ist jedoch bekannt, dass Kinder mit einem Stillschen Geräusch einen signifikant kleineren Aorta-ascendens-Durchmesser sowie signifikant höhere, aber immer noch im Normbereich liegende Peak-Blutgeschwindigkeiten in der Aorta ascendens et descendens aufweisen (14). Nonnensausen: Das Nonnensausen (venous hum, cervical venous hum) ist ein etwas seltener auftretendes, aber sehr charakteristisches harmloses Herzgeräusch (17). Es stellt einen Ausnahmefall dar, weil es sich um ein systolodiastolisches Herzgeräusch handelt, oft mit einer diastolischen Betonung. Der Flusscharakter ist eher «distanziert» und kontinuierlich, was an kontinuierliches leises Beten von Nonnen erinnern kann und diese Bezeichnung erklärt. Das Nonnensausen ist oft im Jugulum und vor allem über dem lateralen Halsrand (rechts häufiger als links) am lautesten, nimmt im Sitzen zu (und beim Schauen in die entgegengesetzte Richtung, vor allem, wenn man gleichzeitig den Kopf auch ein bisschen retroflektiert) und kann im Liegen sogar verschwinden. Typischerweise kann dieses Geräusch durch sanftes Drücken mit dem Finger oder auch direkt mit dem Stethoskop über der Vena jugularis zum Verschwinden gebracht werden. Physiologische periphere Pulmonalstenose: Neugeborene und kleine Säuglinge können ein dem Atriumseptumdefekt ähnliches Herzgeräusch aufweisen: ein tieffrequentes, meist 2/6 systolisches Ejektionsgeräusch mit p.m. im lateralen Thorax, oft im 2. Interkostalraum para- sternal links, meistens im Rücken beidseits ausstrahlend. Oft kann man dieses Geräusch lateral besser als über dem Präkordium auskultieren. Dieses Geräusch entsteht durch die Durchmesser- und Blutflussgeschwindigkeitsdiskrepanz zwischen dem bereits fetal relativ grossen Pulmonalishauptstamm (welcher intrauterin teilweise durchblutet wird) und den noch kleinen Pulmonalisseitenästen (welche intrauterin insgesamt maximal 7% des Blutflusses erhalten). Nach dem Ductusverschluss fliesst plötzlich das gesamte Herzzeitvolumen darüber, was eine Flussakzeleration bewirkt, die zu diesem Geräusch führen kann. Mit dem Wachstum der Pulmonalisseitenäste sowie der Eröffnung und dem Wachstum des gesamten pulmonalen Gefässbetts verschwindet das Geräusch im Lauf der ersten 3 bis 4 Lebensmonate. Bei Persistenz jenseits des (korrigierten) 4. bis 6. Lebensmonats ist eine echokardiografische Zuweisung zum Ausschluss eines Atriumseptumdefekts, einer nicht mehr Tabelle 4: Anamnese bei Herzgeräuschen Zeit Wann erstmalig auskultiert? Bei wem (Pädiaterwechsel)? Welcher Konsultationsgrund (Notfall, Fieber, Impfungen, Entwicklungskontrolle o.a.)? Allgemeinanamnese Pränatalperiode, Geburt und Neugeborenenzeit, Stillen, Wachstum und Gedeihen, bekannte Krankheiten und Syndrome Kardiologische Anamnese Tachy-/Dyspnoe, Zyanose, Diaphorese, Schlaf-/Wachverhalten, Müdigkeit, Belastungsfähigkeit und -toleranz, Belastungsknick, vermehrte Infektanfälligkeit, Thoraxschmerzen, Präsynkopen, Synkopen, Palpitationen Kardiologische Familienanamnese Kardiologische Erkrankungen bei Familienangehörigen < 50 Jahre Tabelle 5: Klinische Untersuchung bei Herzgeräuschen Vitalparameter Gewicht, Länge/Grösse, Herzfrequenz, Atemfrequenz, Blutdruck an allen vier Extremitäten, transkutane Sättigung Inspektion Haut- und Schleimhautfarbe, Thoraxform, Atemmuster und Atemfrequenz, sichtbare Ödeme, Fingerform u.a. Auskultation Alle Thoraxpunkte (und ausreichend lang, um eine sichere Charakterisierung der Geräusche zu ermöglichen), dazu Karotiden, Jugulum und Rücken, ev. Axilla; im Liegen und im Sitzen, evtl. weitere Lagerungsmanöver (Vorbeugen, linke Seitenlage, Hockstellung u.a.); Charakterisierung des 1. und 2. Herztons (Charakter, Spaltung, Atemvariabilität), zeitliches Auftreten des Herzgeräusches (Systolikum vs. Diastolikum, proto vs. meso vs. tele vs. holo), Charakter (musikalisch vs. harsch) Gezielte Lungenuntersuchung Atemmuster, Symmetrie, Lungenauskultation, Lungenperkussion Palpation Peripherie (warm?), Präkordium, Pulse am rechten Arm und an einer unteren Extremität (Latenz obere/untere Extremität?), Rekapillarisationszeit, prätibiale Delle, Leberpalpation 3/19 Pädiatrie 7 Schwerpunkt physiologischen peripheren Pulmonalisstenose oder einer Pulmonalklappenpathologie angezeigt. Wann zuweisen? Eine sorgfältige Anamnese und eine gute klinische Untersuchung erlauben in den allermeisten Fällen, die Diagnose zu stellen. Falls nicht, kann ein 12-Kanal-EKG sehr hilfreich sein. Die meisten Thoraxschmerzen können vom Kinderarzt abgeklärt werden. Falls jedoch «red flags» bestehen, die klinischen Kriterien für ein harmloses Herzgeräusch nicht erfüllt sind (s. oben und Tabelle 2), die klinische Diagnose nicht eindeutig gestellt werden kann, Unsicherheit besteht oder die Eltern andernfalls nicht zu beruhigen sind, ist eine Zuweisung zum pädiatrischen Kardiologen indiziert. Wichtig ist, dass im ersten Lebensjahr praktisch das ganze Spektrum kardiologischer Neudiagnosen möglich ist. Dementsprechend sollte die Zuweisungsschwelle bei Kleinkindern tiefer als bei Schulkindern sein. Auch ist zu betonen, dass sich viele lebensbedrohliche angeborene Herzmalformationen ohne Herzgeräusch manifestieren können (z.B. Transposition der grossen Gefässe, hypoplastisches Linksherzsyndrom, totale Lungenvenenfehlmündung, Pulmonalatresie u.a.), weswegen eine vollständige kardiologische Untersuchung (Tabelle 5) auch heute immer noch das A und O darstellt. Korrespondenzadresse: Dr. Sebastiano A.G. Lava, MD MSc Unité de cardiologie pédiatrique Service de pédiatrie Departement femme-mêre-enfant Centre hospitalier universitaire Vaudois (CHUV) Rue du Bugnon 21 1011 Lausanne E-Mail: webmaster@sebastianolava.ch Literatur: 1. Pantell RH, Goodman BW Jr: Adolescent chest pain: a prospective study. Pediatrics 1983; 71: 881–887. 2. Friedman KG, Alexander ME: Chest pain and syncope in children: a practical approach to the diagnosis of cardiac disease. J Pediatr. 2013; 163: 896–901. 3. Collins SA, Griksaitis MJ, Legg JP: 15-minute consultation: A structured approach to the assessment of chest pain in a child. Arch Dis Child Educ Pract Ed 2014; 99: 122– 126. 4. Pfammatter JP: Thoraxschmerzen bei Kindern und Jugendlichen – das Herz? Praxis 2012; 101: 1099–1103. 5. Benetti C, Lava SAG, Bianchetti MG: Anamnesi e esame obiettivo sono talvolta tutto. Tribuna Medica Ticinese; 2014; 79: 259–261. 6. Neill WA, Hattenhauer M: Impairment of myocardial O2 supply due to hyperventilation. 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