Transkript
Schwerpunkt
physiologischen peripheren Pulmonalisstenose oder einer Pulmonalklappenpathologie angezeigt.
Wann zuweisen?
Eine sorgfältige Anamnese und eine gute klinische Untersuchung erlauben in den allermeisten Fällen, die Diagnose zu stellen. Falls nicht, kann ein 12-Kanal-EKG sehr hilfreich sein. Die meisten Thoraxschmerzen können vom Kinderarzt abgeklärt werden. Falls jedoch «red flags» bestehen, die klinischen Kriterien für ein harmloses Herzgeräusch nicht erfüllt sind (s. oben und Tabelle 2), die klinische Diagnose nicht eindeutig gestellt werden kann, Unsicherheit besteht oder die Eltern andernfalls nicht zu beruhigen sind, ist eine Zuweisung zum pädiatrischen Kardiologen indiziert. Wichtig ist, dass im ersten Lebensjahr praktisch das ganze Spektrum kardiologischer Neudiagnosen möglich ist. Dementsprechend sollte die Zuweisungsschwelle bei Kleinkindern tiefer als bei Schulkindern sein. Auch ist zu betonen, dass sich viele lebensbedrohliche angeborene Herzmalformationen ohne Herzgeräusch manifestieren
können (z.B. Transposition der grossen Gefässe, hypoplastisches Linksherzsyndrom, totale Lungenvenenfehlmündung, Pulmonalatresie u.a.), weswegen eine vollständige kardiologische Untersuchung (Tabelle 5) auch heute immer noch das A und O darstellt.
Korrespondenzadresse: Dr. Sebastiano A.G. Lava, MD MSc Unité de cardiologie pédiatrique Service de pédiatrie Departement femme-mêre-enfant Centre hospitalier universitaire Vaudois (CHUV) Rue du Bugnon 21 1011 Lausanne E-Mail: webmaster@sebastianolava.ch
Interessenlage: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen.
Die Fotos wurden von den Autoren zur Verfügung gestellt.
Literatur auf www.ch-paediatrie.ch abrufbar.
Synkopen im Kindes- und Jugendalter
Differenzialdiagnosen aus kardiologischer Sicht
Die meisten Synkopen sind ungefährlich, und nur ein sehr kleiner Anteil von ihnen ist kardialen Ursprungs (< 5%), jedoch genau diese gilt es nicht zu verpassen, da sie letal sein können. In diesem Artikel werden die wichtigsten anamnestischen und klinischen Hinweise für eine potenziell gefährliche kardiale Synkope bei Kindern und Jugendlichen erläutert, damit diese in der Praxis erkannt und eingestuft werden kann. Von Dina-Maria Jakob und Jean-Pierre Pfammatter E ine Synkope ist ein abrupter, transienter, kompletter Bewusstseinsverlust, der mit Tonusverlust und rascher, spontaner Erholung assoziiert ist. Vermutet wird eine zerebrale Hypoperfusion. Ausgeschlossen sind andere klinische Ursachen eines Bewusstseinsverlusts wie Traumata oder epileptische Anfälle. Synkopen sind sehr häufig und treten bei zirka 15 bis 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen auf. Am häufigsten sind sie bei Jugendlichen im Alter zwischen 12 bis 16 Jahren. Der zweite Häufigkeitsgipfel ist aufgrund von Affektkrämpfen im Alter von 6 bis 18 Monaten zu verzeichnen. Einteilung der Synkopen Die orthostatische Synkope ist lagebedingt. Eine mangelnde Gegenregulation des vegetativen Nervensystems führt zu dem sogenannten venösen «pooling». Sie tritt meistens bei zu raschem Aufstehen auf, oft sind grosse, schlanke Kinder betroffen. Neurogene Synkopen sind vasovagal oder neurokardiogen. Durch einen Vagusreiz kommt es zu Vasodilation und Bradykardie. Auslöser sind Stress, Schmerzen, Kälte sowie langes unbewegtes Stehen. Bei einer Untergruppe handelt es sich um einen übermässig sensiblen CarotisSinus und pressorische Synkopen (Valsalva-Manöver). Neurogene Synkopen gehen oft mit Prodromi wie Schwindel, Hitzegefühl, Schwitzen, Nausea oder verschwommenem Sehen einher. Kardiale Synkopen beruhen auf strukturellen Herzfehlern/Kardiomyopathien, Arrhythmien und Herzinsuffizienz (Lungenembolie, hypertrophe Kardiomyopathie, Perikardtamponade). 8 Pädiatrie 3/19 Schwerpunkt Vorgehen bei Synkopen Prinzipiell ist eine gezielte, ausführliche Anamnese das wichtigste Instrument, um den Verdacht auf eine kardiogene Synkope zu erhärten oder auszuschliessen. Genauer erfragt werden sollten die Umstände der Synkope, Prodromi, die persönliche Anamnese und die Familienanamnese (unklare plötzliche Todesfälle oder kardiale Ereignisse im Alter < 30 Jahren). Die körperliche Untersuchung sollte eine kardiale Palpation und Auskultation sowie den Pulsstatus umfassen. Zusätzlich wird als weitere Abklärung maximal ein 12-Kanal-Ruhe-EKG empfohlen. Sollte bereits bei der Anamnese alles auf eine typische vasovagale Ursache der Synkope hindeuten, kann auf ein EKG verzichtet werden. Wurde das synkopale Ereignis allerdings durch suspekte Auslöser, wie starke Emotionen, Schreck oder einen akustischen Reiz ausgelöst, sollte ein Ruhe-EKG zum Ausschluss eines Long-QTSyndroms (Abbildung 1) durchgeführt werden. Zusätzliche Abklärungen sind selten notwendig und müssen situativ entschieden werden. Bei Verdacht auf eine zugrundeliegende kardiologische Problematik kann allenfalls eine Echokardiografie, ein 24-Stunden-EKG, ein subkutan implantierter Eventrecorder oder eine Ergometrie notwendig sein. «Red flags» für mögliche kardiale Ursachen in Anamnese, Status und EKG sind in Tabelle 1 zusammengefasst. In den allermeisten Fällen ist es möglich, anhand der sorgfältigen Anamnese, der klinischen Untersuchung und des EKG die wenigen Patienten, die ein erhöhtes Risiko für eine kardiogene Synkope haben, herauszufiltern und allenfalls einem spezialisierten kinderkardiologischen Zentrum für weitere Abklärungen zuzuweisen. Strukturelle Herzfehler als Ursache Zugrundeliegende Herzfehler sind nur sehr selten Ursache einer Synkope. Das typische Vitium ist die Aortenstenose, die bei körperlicher Belastung zu vermindertem Auswurf und konsekutiv zu zerebraler Minderperfusion und Schwindel oder Synkope führen kann. Eine hämodynamisch relevante Aortenstenose sollte jedoch bereits bei der klinischen Untersuchung anhand des typischen Auskultations- und Palpationsbefunds diagnostiziert werden. Sicherlich hoch verdächtig, und bis zum Beweis des Gegenteils als kardial zu werten, sind Synkopen bei Patienten nach Herzoperation. Patienten nach Herzoperation haben lebenslang ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von atrialen oder ventrikulären Arrhythmien, einerseits durch die myokardialen Narben, andererseits durch allfällige residuelle Defekte mit möglicher Druckoder Volumenbelastung. Sehr selten, jedoch auch zu den strukturellen Herzfehlern zu zählen, sind Koronaranomalien. Diese sind vor allem dann potenziell gefährlich, wenn eine der beiden Koronararterien zwischen der Aorta ascendens und dem Truncus pulmonalis verläuft und somit bei körperlicher Belastung zu Synkopen, pektanginösen Beschwerden oder plötzlichem Herztod führen kann. Kardiomyopathien Alle Formen der Kardiomyopathien (siehe Tabelle 2) können zu ventrikulären Arrhythmien und somit auch zu Abbildung 1: Long-QT-Syndrom bei 12-jährigem Patienten mit belastungsinduzierten Synkopen Synkopen oder plötzlichen Todesfällen führen. Das höchste Arrhythmierisiko weisen die Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie (HCM) und arrhythmogener rechtsventrikulärer Dysplasie (ARVC) auf, in variablem Ausmass auch die Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie (DCM) und Non-Compaction-Kardiomyopathie. Viele dieser Erkrankungen sind genetisch bedingt, und heutzutage kann häufig eine verursachende Mutation nachgewiesen werden. Bei synkopalen Ereignissen ist sehr häufig ein auslösender Faktor, wie zum Beispiel sportliche Betätigung, zu eruieren. In diesen Fällen finden sich oft, wenn auch diskret, EKG-Veränderungen. In allen Fällen ist eine spezialärztliche Abklärung indiziert. Primäre Arrhythmien Unter den primären Arrhythmien werden Ionenkanalstörungen (channelopathies) subsumiert, die zu einer veränderten Repolarisation führen. Typische Trigger, wie Emotionen, körperliche Anstrengung oder akustische Reize, können zu polymorphen ventrikulären Kammertachykardien (typisch sind Torsades-de-pointes-Tachykardien, Abbildung 2) führen. Diese können selbstlimitierend sein und somit lediglich zu einer Synkope führen oder aber bei Persistenz im schlimmsten Fall zum plötzlichen Herztod. Diese Art von Arrhythmien sind oft fami- Tabelle 1: «Red flags» für mögliche kardiale Ursachen Anamnese ● Alter < 10 Jahre ● plötzliche Todesfälle bei jungen Familienmitgliedern ● Synkope bei körperlicher Anstrengung oder im Liegen ● Synkope durch verdächtigen Auslöser (Lärm, Emotionen, Schreck) Status ● Pulsunregelmässigkeiten, Bradykardie ● aortales Strömungsgeräusch ● lauter einfacher 2. Herzton ● systolischer Klick EKG ● Bradykardie (altersbezogen) ● überdrehter Lagetyp ● Präexitation (Deltawelle) ● Hypertrophiezeichen ● abnorme Repolarisation ● QTc-Intervall zu kurz oder zu lang ● Blockierung (nicht AV-Block I), Blockbild 3/19 Pädiatrie 9 Schwerpunkt Abbildung 2: Torsades de pointes, Dauer knapp 10 Sekunden Tabelle 2: Kardiale Ursachen für Synkopen Strukturelle Herzfehler ● Aortenstenose ● Marfan-Syndrom (Dissektion) ● kongenitale Koronaranomalien ● Status nach Herzoperation Kardiomyopathien ● hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) ● arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie (ARVC) ● dilatative Kardiomyopathie (DCM) ● linksventrikuläre Non-Compaction Primäre Arrhythmien ● Long-QT-Syndrom ● Short-QT-Syndrom ● Brugada-Syndrom ● katecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardien ● Wolff-Parkinson-White-Syndrom Seltene Ursachen ● primäre pulmonalarterielle Hypertonie ● kardiale Tumoren ● Myokarditis ● koronare Herzkrankheiten liär gehäuft und werden ebenfalls genetisch abgeklärt. Mit einer genauen Anamnese erhärtet sich bei diesen Synkopen der Verdacht auf eine kardiale Ursache, und meistens bestätigt das EKG die Diagnose. Bei sehr hoher Wahrscheinlichkeit einer kardialen Synkope und initial unauffälligem EKG sind wiederholte EKG-Untersuchungen notwendig, da in gewissen Fällen die EKG-Veränderung transient auftreten kann. Auch bradykarde Rhythmusstörungen, zum Beispiel ein totaler AV-Block ohne ausreichenden Ersatzrhythmus, können zu einer Synkope führen. Auch hier führen die klinische Untersuchung und das EKG zur richtigen Diagnose. Seltene kardiale Ursachen Koronare Ursachen sind, anders als im Erwachsenenalter, bei Kindern sehr selten und praktisch nur bei familiärer Hypercholesterinämie oder als Spätfolge nach einem Kawasaki-Syndrom mit Koronarbeteiligung zu finden. In seltenen Fällen kann auch eine ausgeprägte primäre pulmonale Hypertonie zu einer Synkope führen. Zusammenfassung Synkopen sind ein häufiges Ereignis im Kindes- und Jugendalter, kardiale Ursachen sind sehr selten (< 5%), jedoch potenziell maligne und sollten nicht verpasst werden. Dazu gehören die Kardiomyopathien, einzelne strukturelle Herzfehler, primäre Arrhythmien und einige seltenere Erkrankungen wie die primäre pulmonale Hypertonie. Mit einer sorgfältigen Anamnese, einschliesslich Familienanamnese, einer guten körperlichen Untersuchung und allenfalls einem Ruhe-EKG kann man die Risikopatienten herausfiltern und für weitere Abklärungen einem Spezialisten zuweisen. Korrespondenzadresse: Dr. med. Dina-Maria Jakob Oberärztin Kinderkardiologie Zentrum für angeborene Herzfehler Universitätsklinik für Kardiologie, Inselspital Bern 3010 Bern E-Mail: dina-maria.jakob@insel.ch Interessenlage: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen. Weiterführende Literatur: Brignole M et al.: 2018 ESC Guidelines for the diagnosis and management of syncope. Eur Heart J 2019; 39(21): 1883–1948. Sanatani S et al.: Canadian Cardiovascular Society and Canadian Pediatric Cardiology Association position statement on the approach to syncope in the pediatric patient. Can J Cardiol 2017; 33(2): 189–198. 10 Pädiatrie 3/19