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Schwerpunkt
Spezifische Immuntherapie
Was ist in der Praxis zu beachten?
Die allergenspezifische Immuntherapie (AIT) kann die Immunantwort auf Allergenexpositionen im Sinne einer Toleranzentwicklung verändern, und es besteht ein Langzeiteffekt nach Absetzen der AIT. Diese immunmodulierenden und sekundärpräventiven Eigenschaften machen insbesondere Kinder mit einer beginnenden Allergie zur wichtigen Zielgruppe für eine frühzeitige AIT. In diesem Artikel werden Empfehlungen für die Praxis vermittelt, um eine AIT bei respiratorischen Allergien, wie Rhinokonjunktivitis und Asthma, zu optimieren.
Von Peter A. Eng
D ie allergenspezifische Immuntherapie (AIT) ist eine wirksame und gut verträgliche Form der Behandlung allergischer Krankheiten. Kinder sind wegen der immunmodulierenden und sekundärpräventiven Eigenschaften der AIT (Tabelle 1) eine wichtige Zielgruppe. Trotz dieser überzeugenden Vorteile werden zurzeit in Europa – mit regionalen Unterschieden – lediglich zirka 1 bis 5 Prozent der Kinder mit allergi-
Es ist wichtig, nur Extrakte zu verwenden, welche für die entsprechende Indikation und Altersgruppe geprüft und zugelassen sind.
scher Rhinokonjunktivitis mit einer AIT behandelt (1). In
Zukunft soll einer höheren Anzahl von Kindern eine AIT
ermöglicht werden, mit dem Ziel, durch frühzeitige In-
tervention den Verlauf der Allergie nicht nur transient,
sondern langfristig günstig zu beeinflussen (2).
Dies soll erreicht werden durch Verbesserung der All-
ergenextrakte, Vereinfachung der Durchführung einer
AIT mit kürzeren Einleitungsphasen und weniger Injek-
tionen bei der subkutanen Immuntherapie (SCIT) sowie
einfachere Behandlungsprotokolle bei der sub-
lingualen Immuntherapie (SLIT). Auch Massnah-
Tabelle 1:
Sekundärpräventive Eigenschaften der AIT
men zur Verbesserung der Therapiecompliance und -adhärenz sind wichtig. Dazu gehören eine gute Aufklärung der Patienten (Kinder und Eltern) und die Auswahl der für den einzelnen Pa-
● Reduktion der Progression allergische Rhinitis ➔ Asthma
● Eindämmung der Entstehung
tienten besser geeigneten Route (SLIT oder SCIT) im Sinne einer personalisierten Behandlung der Allergie.
neuer Sensibilisierungen
Wirksamkeit der AIT
● besserer Langzeitverlauf
Zahlreiche doppelblinde, plazebokontrollierte
des Asthmas
Studien dokumentieren die Wirksamkeit der AIT
bei der allergischen Rhinokonjunktivitis (3) und
auch beim Asthma bronchiale (4). Festzuhalten bleibt aber, dass es im Vergleich zur Datenlage bei den Erwachsenen deutlich weniger pädiatrische Studien gibt. Im Weiteren sind Empfehlungen, welche aufgrund von Metaanalysen und systematischen Übersichtsarbeiten (systematic reviews) formuliert werden, mit Vorsicht zu geniessen, dies wegen hoher Heterogenität der gepoolten Studien hinsichtlich inkludierter Patienten, Verlaufsparameter, Dosierungsprotokollen und Messverfahren (5). Die Wirksamkeit der einzelnen Präparate, sowohl bei der SCIT wie auch bei der SLIT, lässt sich aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung nicht miteinander vergleichen. Auch die angegebenen Allergenkonzentrationen der verschiedenen Hersteller sind wegen unterschiedlicher Zusammensetzung der Präparate und verschiedener Messverfahren der Inhaltsstoffe nicht vergleichbar (6). Wichtig ist deshalb eine präparatespezifische Beurteilung der Wirksamkeit, welche die Hersteller aufgrund definierter Kriterien in aufwendigen Studien erbringen müssen, dies sowohl für Erwachsene als auch separat für Kinder (7, 8). Klinische Zielparameter werden zurzeit in Europa standardisiert, sie umfassen sowohl Symptomals auch Medikationsscores. Hauptendpunkt ist dabei ein kombinierter Symptom- und Medikationsscore, das heisst, die klinische Wirksamkeit eines Extrakts soll sowohl zur Symptomverbesserung als auch zur Reduktion respektive zum Absetzen der antiallergischen oder antiasthmatischen Pharmakotherapie führen (9). Es ist für die Praxis und die Klinik wichtig, nur Extrakte zu verwenden, welche für die entsprechende Indikation und Altersgruppe geprüft und zugelassen sind (6). Tabelle 2 fasst die Indikationen für eine SCIT und SLIT bei Kindern mit saisonaler und perennialer allergischer Rhinokonjunktivitis mit und ohne Asthma zusammen. Bei der SCIT können sowohl unmodifizierte Allergenextrakte als auch Allergoide eingesetzt werden, beide sind ge-
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mäss Metaanalysen wirksam hinsichtlich signifikanter Reduktion der allergischen Symptome (3). Bei der saisonalen allergischen Rhinokonjunktivitis kommen dabei entweder präsaisonale oder perenniale Dosierungsschemen zur Verwendung. Beide sind wirksam (5), wobei das präsaisonale Dosierungsschema vor allem für Allergoide geeignet ist. Die SLIT wird entweder mit Tabletten durchgeführt, die sich schnell unter der Zunge auflösen, oder mit wässrigen Extrakten, die als Tropfen mindestens eine Minute unter der Zunge behalten und anschliessend geschluckt werden. Wässrige SLIT-Extrakte werden primär bei Allergien auf Baumpollen verwendet. SLIT-Tabletten stehen zur Verfügung zur Behandlung der Gräserpollenallergien ab 5 Jahren und der perennialen allergischen Rhinitis, bedingt durch eine Hausstaubmilbenallergie, ab dem
Tabelle 2:
Indikationen zur AIT bei allergischer Rhinitis mit oder ohne Konjunktivitis
Nachweis einer IgE-vermittelten Sensibilisierung Mittelschwere bis schwere Symptome
Auch bei Kindern mit weniger schwerer allergischer Rhinitis/Konjunktivitis zu erwägen!
positiver Prick-Test und/oder Nachweis erhöhter spezifischer IgE im Serum auf ein oder mehrere klinisch relevante Allergene reduzierte Lebensqualität infolge Einschränkung der täglichen Aktivitäten und/oder der Schlafqualität trotz regelmässiger Pharmakotherapie und/oder Allergenvermeidung nutzt allergiemodifizierendes Potenzial der AIT zur Prävention von Asthma
gemäss EAACI Guidelines (5)
Tabelle 3:
Vor- und Nachteile der verschiedenen AIT-Routen
Route SLIT
SCIT
Vorteile Durchführbarkeit auch bei kleineren Kindern möglich hohe Sicherheit gute Kontrolle der Compliance Kontrolle der Wirksamkeit durch regelmässige Arztvisiten
Nachteile Risiko einer ungenügenden Compliance tägliche Extrakteinnahme erforderlich evtl. störende lokale enorale Nebenwirkungen viele Arztvisiten höheres Risiko für Nebenwirkungen «Spritzenangst»
Tabelle 4:
Kriterien zur individuellen Auswahl des für den Patienten geeigneten Präparats und der Route
● Verfügbarkeit eines für die jeweilige Indikation bei Kindern geprüften und zugelassenen Extrakts
● Ausmass der nachgewiesenen klinischen Wirksamkeit ● Sicherheit ● Alter des Patienten («Spritzenangst») ● zu erwartende Compliance ● Präferenz vonseiten des Patienten (SCIT/SLIT)
Alter von 12 Jahren. Die SLIT mit Pollenallergenen kann entweder mit einem ganzjährigen oder prä- und cosaisonalen Dosierungsschema eingesetzt werden. Um bereits im ersten Behandlungsjahr einen subjektiven und objektiven klinischen Nutzen zu erzielen, sollte die SLIT mindestens 8 Wochen vor Beginn der entsprechenden Pollensaison gestartet werden (5, 10). Bei der perennialen allergischen Rhinitis oder Rhinokonjunktivitis (z.B. bei der Hausstaubmilbenallergie) sollte vorzugsweise mit der Immuntherapie begonnen werden, wenn die Allergenexposition niedrig ist. Auf jeden Fall muss bei Patienten mit Hausstaubmilbenallergie vor Beginn einer SCIT oder SLIT eine komplette Hausstaubmilbensanierung durchgeführt worden sein (5). Deren Effekt soll nach 3 bis 6 Monaten beurteilt werden, bevor eine AIT mit einem Hausstaubmilbenextrakt begonnen wird. Eine wichtige Frage ist, wie lange eine SCIT oder SLIT durchgeführt werden soll, um einen Langzeiteffekt auch nach Absetzen der Behandlung zu erzielen. Verschiedene pädiatrische Studien zeigten, dass eine SLIT- oder SCIT-Dauer von mindestens drei Jahren für einen «Carryover»-Effekt erforderlich ist (11–13).
AIT und Asthma
Die AIT hat nicht nur einen präventiven Effekt hinsichtlich der Eindämmung der Progression von der allergischen Rhinitis zum Asthma bronchiale (12, 13). Sie kann auch ein bereits bestehendes Asthma günstig beeinflussen (11, 14, 15). Eine SLIT oder SCIT ist deshalb auch bei einem leichten bis mittelschweren Asthma bronchiale indiziert, falls eine eindeutige klinische Assoziation zwischen Allergenexposition und Asthmamanifestation besteht (4, 16). Bei einem partiell kontrollierten Asthma (gemäss GINA [17]) soll zuerst eine Optimierung der Asthmabehandlung erfolgen, bevor eine AIT begonnen wird. Die Leitlinien der Fachgesellschaften für Allergologie und Immunologie der Schweiz sowie von Deutschland und Österreich empfehlen, keine Immuntherapie durchzuführen, falls in der Spirometrie das FEV1 < 70 Prozent des zu erwartenden Wertes (predicted) beträgt. Ein unkontrolliertes oder schweres Asthma ist wegen des erhöhten Risikos für eine systemische allergische Reaktion nach Allergenapplikation eine Kontraindikation für eine SCIT und SLIT (5, 18).
SLIT oder SCIT?
Beide Formen der AIT sind wirksam und haben ihre individuellen Vor- und Nachteile (Tabelle 3). SLIT und SCIT konkurrenzieren sich nicht, sondern sie stellen jeweils wertvolle Ergänzungen respektive Alternativen dar. Die Entscheidung, ob die sublinguale oder subkutane AIT gewählt wird, erfolgt individuell, unter Abwägen der für den einzelnen Patienten überwiegenden Vor- oder Nachteile der jeweiligen Routen und Dosierungsprotokolle (2). Voraussetzung für die Wahl eines Präparats ist aber dessen Wirkungsnachweis und dessen Zulassung für die jeweilige Indikation und Altersgruppe. Tabelle 4 fasst verschiedene Aspekte zusammen, die es bei der Auswahl des für den einzelnen Patienten und seiner Umgebung geeigneten Präparats zu berücksichtigen gilt, um ein optimales Behandlungsresultat zur erzielen. Was für ein Kleinkind gut ist, mag für einen Jugendli-
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chen mit potenziell eingeschränkter Therapiecompliance nicht zutreffen. Die Entscheidung erfolgt damit individuell im Sinne einer personalisierten AIT.
Voraussetzungen für eine erfolgreiche AIT
Um das Ziel eines möglichst grossen therapeutischen und sekundärpräventiven Nutzens bei geringem Risiko und guter Therapiecompliance zu erreichen, sind sowohl Arzt, Patient und Eltern als auch Extrakthersteller gefordert. Aufgaben des Arztes sind korrekte Abklärung, Indikationsstellung, Auswahl des Extrakts und Therapieprotokolls sowie eine gute Patientenführung. Letztere erfordert auch bei der SLIT regelmässige Kontrollen, zum Beispiel alle drei Monate respektive bei Abgabe einer neuen Extraktpackung, zur Überprüfung der klinischen Wirksamkeit, der möglichen Nebenwirkungen und der Therapiecompliance. Kinder und Eltern müssen in einer verständlichen Sprache über die Wirkungsweise der AIT, den zu erwartenden Erfolg, die Sicherheitsaspekte und das Verhalten bei unerwarteten Nebenwirkungen informiert werden. Dies sind wichtige Voraussetzungen für eine gute Mitarbeit, Motivation und Compliance der Kinder und ihrer Eltern. Die Allergologie-Fachgesellschaften von Deutschland, Österreich und der Schweiz haben in ihren Leitlinien zur AIT (6) Patienteninformationsblätter für die SCIT und die SLIT entworfen und auf ihrer Homepage veröffentlicht (www.dgaki.de). Die Indikation zur AIT sowie die Auswahl des Extrakts und des Therapieschemas soll durch den Spezialisten erfolgen (19). Durchgeführt wird die AIT von allergologisch erfahrenen Ärzten, welche in der Lage sind, eine Notfallbehandlung bei potenziell auftretenden Nebenwirkungen inklusive anaphylaktischer Reaktionen vorzunehmen (6). Die Aufgabe des Patienten respektive seiner Eltern liegt primär in der konsequenten Umsetzung der ärztlichen Verordnungen (Therapiecompliance). Dies setzt das Verständnis der Wirkungsweise einer AIT voraus und die Bereitschaft, eine AIT auch über mehrere Jahre eigenverantwortlich umzusetzen (Therapieadhärenz). Die Aufgabe der Hersteller besteht darin, ihre Allergenextrakte auch für Kinder, inklusive Kleinkinder im Vorschulalter, zu prüfen und zur Zulassung vorzulegen. Im Weiteren sollen einfachere und kürzere Behandlungsprotokolle mit dem Ziel erforscht werden, längerfristig einer grösseren Anzahl von Kindern eine AIT zu ermöglichen (2).
Praktische Aspekte zur sicheren Durchführung der AIT
Tabelle 5 umfasst Empfehlungen zur sicheren Durchführung einer SCIT, Tabelle 6 wichtige Aspekte für eine effiziente SLIT. Diese Empfehlungen wurden von Experten der deutschsprachigen Allergologie- und ImmunologieFachgesellschaften formuliert (6). Da der Erfolg einer AIT primär von der Dauer einer adäquat umgesetzten SLIT respektive SCIT abhängt, ist eine hohe Compliance essenziell. Das Monitoring ist naturgemäss bei der SCIT einfacher als bei der SLIT. Sowohl für die SCIT als auch für die SLIT sind Recall-Systeme notwendig, um eine genügend lange Dauer der AIT mit optimaler Compliance zu gewährleisten.
Die Überprüfung der Wirksamkeit und Verträglichkeit der AIT soll nach einem, spätestens zwei Jahren erfolgen, in der Regel durch den Arzt, der die Indikation zur AIT gestellt hat (6). Falls sie ungenügend wirkt, soll ein
Tabelle 5:
Empfehlungen zur sicheren Durchführung einer SCIT
Durchführung/Überwachung
Keine Injektionen s.c. Körperliche Belastung/Sport Planbare Impfungen
Erhaltungsinjektionen Perenniales Dosierungsschema Dosisreduktion während der Pollensaison
Asthma Nicht kontrolliertes Asthma Präsaisonales Dosierungsschema Überschreiten des Injektionsabstands Anzahl unterschiedlicher Extrakte
Die s.c.-Injektion ist eine ärztliche Handlung. Vor s.c.-Injektion Verträglichkeit der letzten Allergeninjektion festhalten. Intervall, Extrakt und Dosis überprüfen und dokumentieren. Vor s.c.-Injektion sicherstellen, dass Patient richtigen Extrakt in richtiger Dosierung erhält, z.B. durch Vorlesen des Patientennamens und Allergenextraktetiketts. Nach s.c.-Injektion mindestens 30-minütige Beobachtung in der Praxis/Klinik. Vor Entlassung Kontrolle der Injektionsstelle durchführen. Bei bereits bestehenden allergischen Symptomen und bei Infekt. Mindestens 1 Stunde vor und für den Rest des Tages keine körperliche Belastung/Sport. Idealerweise in Erhaltungsphase der AIT, nicht in Einleitungsphase. Abstand zur letzten s.c.-Injektion mindestens 1 Woche. Notfallmässige Impfungen (z.B. Tetanus) jederzeit möglich. Fortsetzung der SCIT mit mindestens 2 Wochen Abstand zur Impfung. Alle 4 bis 8 Wochen (perenniales Dosierungsschema). Bei Fortsetzung mit einem Pollenextrakt sicherstellen, dass keine allergischen Symptome zum Zeitpunkt der s.c.-Injektion bestehen. Bei Patienten mit Asthma wird die Reduktion der Erhaltungsdosis um 50 Prozent während der ersten Saison empfohlen. Keine Dosisreduktion ist notwendig bei beschwerdefreien Patienten mit Rhinokonjunktivitis (ohne Asthma). In regelmässigen Abständen klinische Kontrolle mit Spirometrie. Keine s.c.-Injektion bei unkontrolliertem Asthma und/oder FEV1 < 70 Prozent predicted. Durchführung bis Erreichen der Maximaldosis ausserhalb der Pollensaison, dann Stopp. Dosis gemäss Fach- und Gebrauchsinformation reduzieren.
Bis zu 3 Extrakte sind möglich, je nach Anzahl, Extrakt und Verträglichkeit mit einer Pause von 30 Minuten zwischen den s.c.-Injektionen; nach letzter s.c.-Injektion 30-minütige Beobachtung.
Tabelle 6:
Empfehlungen zur sicheren Durchführung einer SLIT
Durchführung Erste Dosis Beginn mit Pollenextrakt/-tablette Unterbruch der SLIT
Dauer der SLIT Überprüfung der Verträglichkeit und der Therapiecompliance
Gemäss Fach- und Gebrauchsinformation der Hersteller. Unter ärztlicher Aufsicht und 30-minütiger Beobachtung. Mindestens 8 Wochen vor Start des entsprechenden Pollenflugs.
In der Regel 3 bis 7 Tage, dann Wiederbeginn mit Erhaltungsdosis bei: • akuter Entzündung/Verletzung der Mund-/Rachenschleimhaut
(Ulzera, Gingivitis, Periodontitis, Tonsillitis, Herpesinfektionen) • zahnärztlichen Eingriffen • Verlust von Milchzähnen • akuter Gastroenteritis • Asthma Mindestens 3 Jahre. Alle 3 Monate, in der Regel bei Abgabe einer neuen Extraktpackung.
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Wechsel des Allergenextrakts oder des Therapieschemas in Erwägung gezogen respektive über einen Therapieabbruch entschieden werden.
Nebenwirkungen und Sicherheit der SCIT
Verstärkte Reaktionen an der Injektionsstelle sind als lokale Rötung und/oder Schwellung mit einem Durchmesser über 10 cm definiert (6). Sie sind nicht prädiktiv für systemische allergische Reaktionen (SAR) nach weiteren subkutanen Injektionen (20). Eine Prämedikation mit einem Antihistaminikum wird bei Patienten mit wiederholten verstärkten Lokalreaktionen oder leichten SAR empfohlen, da sie Häufigkeit und Schweregrad weiterer lokaler Reaktionen, aber auch SAR reduzieren können. Das Risiko einer schweren anaphylaktischen Reaktion kann aber mit einer Antihistaminikumprämedikation nicht eliminiert werden (21).
Um einen Langzeiteffekt nach Absetzen der AIT zu erzielen, soll eine 3-jährige Behandlung durchgeführt werden.
Die Häufigkeit von SAR ist schwierig abzuschätzen, da jedes Land ein eigenes Meldesystem für schwere SAR hat, viele Nebenwirkungen nicht gemeldet werden und weltweit unterschiedliche Systeme zur Klassifikation von SAR angewandt werden. Damit lassen sich verschiedene, oft länderspezifische SAR-Statistiken nicht miteinander vergleichen. In einem ersten Schritt wurde nun eine weltweit einheitliche Klassifikation von SAR nach AIT in fünf Graden definiert (22). In den deutschsprachigen Leitlinien zur AIT findet sich die entsprechende Tabelle (6). Es wird empfohlen, in den Diagnoselisten und in der ärztlichen Korrespondenz diese Einteilung der SAR anzuwenden. In einer europäischen prospektiven Übersicht von SAR bei AIT fanden sich bei 2,1 Prozent der Patienten SAR mit respiratorischen und/oder kutanen Symptomen. Anaphylaxien wurden bei 0,2 Prozent der Patienten mit AIT dokumentiert (23). Bei Erwachsenen traten SAR häufiger auf als bei Kindern. Die Mehrzahl der SAR ereignete sich in der Einleitungsphase und bei Patienten mit Asthma (23). Eine andere grosse langjährige Statistik, der ein umfassendes Meldesystem für schwere allergische Nebenwirkungen nach SCIT in den USA zugrunde liegt, zeigt eine Inzidenz von 1 Anaphylaxie auf 1000 subkutane Injektionen (24). Die Inzidenz der sehr schweren SAR (Grad 4 gemäss neuerer Klassifikation der World Allergy Organization [WAO]) betrug 1 auf 1 Million subkutane Injektionen (24). Risikofaktoren für SAR sind ein nicht kontrolliertes Asthma, keine Reduktion der Erhaltungsdosis während der Pollensaison, insbesondere bei Patienten mit pollenassoziiertem Asthma, bereits bestehende allergische Symptome sowie Dosierungs- und Applikationsfehler respektive Verwechslung des subkutan injizierten Extrakts (25). Weiterhin gilt, dass eine SCIT durch Ärzte durchgeführt werden soll, die mit dieser Therapieform Erfahrung haben. Sie soll ausschliesslich in Praxen mit der entsprechenden Ausrüstung erfolgen, inklusive Adrenalin zur Behandlung von Anaphylaxien durch trainiertes Personal (6).
Nebenwirkungen und Sicherheit der SLIT
Generell hat die SLIT ein günstigeres Sicherheitsprofil als die SCIT. Es kommt aber bei der SLIT in 40 bis 75 Prozent der Fälle zu lokalen Reaktionen, vor allem während der Einleitungsphase, als lokale vorübergehende Schleimhautreaktionen im Mund- und Rachenbereich (enoraler Juckreiz oder Missempfindung in der Mundhöhle, Mundschleimhautschwellung, Halsreizung) (26). Diese lokalen Nebenwirkungen kommen vor allem bei der Einleitung der SLIT vor, sind vorwiegend milder Ausprägung und nehmen in der Regel ein bis drei Wochen nach Beginn der Therapie ab (27). Sie können jedoch gerade in der Frühphase der SLIT zu einem Therapieabbruch führen. Eine Prämedikation mit einem Antihistaminikum ist auch bei der SLIT potenziell geeignet, das Ausmass primär lokaler Reaktionen zu vermindern. Gastrointestinale Symptome werden im Rahmen der SLIT mit einer Häufigkeit von 14 Prozent beschrieben (28). Einzelfälle mit anaphylaktischen Reaktionen nach SLIT sind in der Literatur publiziert (26). Ein wichtiger Risikofaktor für das Auftreten von SAR nach SLIT ist – wie bei der SCIT – ein ungenügend kontrolliertes Asthma (23). Bei der SLIT gilt es zu bedenken, dass die meisten Nebenwirkungen zu Hause auftreten, ausserhalb der ärztlichen Überwachung. Deshalb sollen die Patienten respektive die Eltern von ärztlicher Seite spezifische Instruktionen zum Vorgehen bei unerwünschten Reaktionen nach SLIT erhalten. Auch müssen die Betroffenen informiert sein, in welchen Situationen und wie lange sie die SLIT unterbrechen sollen. Die erste Dosis der SLIT erfolgt unter 30-minütiger Beobachtung in der ärztlichen Praxis. Dabei muss der Patient den Extrakt mindestens eine Minute unter der Zunge behalten, ohne zu schlucken (6). Die WAO hat neben der Gradeinteilung der SAR nach SCIT (s. oben) 2013 auch eine neue, einheitliche Klassifikation lokaler Nebenwirkungen bei der SLIT publiziert (29) (vgl. auch Tabelle 13 in [6]). Ziel beider Klassifikationen ist, weltweit ein einfaches, standardisiertes Meldesystem zu schaffen, das erlauben sollte, Häufigkeit und Schweregrad von Nebenwirkungen der AIT (SLIT und SCIT) genauer zu bestimmen.
AIT: Je früher, desto besser?
Zu den Besonderheiten des Immunsystems in den ersten Lebensjahren gehören seine Entwicklung und stärkere Beeinflussbarkeit durch natürliche Allergenexposition und Umweltfaktoren (30). Insbesondere bei Kindern mit hohem genetischem Risiko für Allergien beginnt die spezifische IgE-Antikörper-Produktion bereits im Vorschulalter, im Sinne eines dynamischen Prozesses, charakterisiert durch eine stetige Zunahme der Anzahl von Sensibilisierungen, zuerst auf Nahrungsmittelallergene, später auf verschiedene inhalative Allergene. Diese Entwicklung spezifischer IgEAntikörper ist einerseits eine Folge der genetischen Prädisposition und andererseits eine Folge der Umweltexposition gegenüber Risiko- und Protektionsfaktoren (31). Je früher eine Sensibilisierung auf inhalative Allergenquellen auftritt und je stärker sie ist, desto höher ist das Risiko für die Entwicklung einer allergischen Krankheit des Respirationstrakts im Vorschul- und Schulalter. Zur-
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zeit laufen verschiedene Studien, in denen die AIT als unspezifische oder spezifische Immunprophylaxe mit dem Ziel eingesetzt wird, den Ausbruch der allergischen Krankheit bei Risikokindern (AIT zur primären Allergieprävention) und Patienten mit Sensibilisierungen, aber noch ohne Allergiemanifestation (AIT als sekundäre allergenspezifische Immunprophylaxe) zu verhindern (32). Viele Fragen sind aber noch ungeklärt, insbesondere die Definition des richtigen Zeitpunkts für eine aktive Intervention zur Toleranzentwicklung (2). Bis diese Fragen geklärt sind, bleibt das Konzept einer frühzeitigen AIT attraktiv, das heisst einer Intervention relativ bald nach Beginn einer respiratorischen Allergie, da das Immunsystem des Kindes besser beeinflussbar ist als dasjenige des Erwachsenen. Dementsprechend empfehlen die neuen Leitlinien der European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI), die AIT auch bei Kindern mit weniger schwerer allergischer Rhinokonjunktivitis einzusetzen, um den weiteren Verlauf der Allergie günstig zu beeinflussen (5) (Tabelle 2). SLIT und SCIT sind in der Schweiz für die Behandlung saisonaler und perennialer respiratorischer Allergien in der Regel ab dem Alter von 5 Jahren zugelassen (mit Ausnahme einzelner Präparate, z.B. der HausstaubmilbenSLIT-Tablette ab 12 Jahren). Daten, welche die Wirksamkeit und die Verträglichkeit der AIT auch bei jüngeren Kindern belegen, sind in einigen Studien publiziert (Übersicht in [5]). In Einzelfällen mit besonders frühem Beginn und früher Zunahme der respiratorischen Symptome kann deshalb erwogen werden, nach Kostengutsprache durch die Krankenkassen auch bereits vor dem vollendeten 5. Lebensjahr mit einer AIT zu starten.
Conclusio
Die AIT hat als kausale Form der Behandlung allergischer Krankheiten wie Rhinokonjunktivitis und Asthma einige wichtige Vorteile im Vergleich zur ausschliesslichen Pharmakotherapie. Dazu gehören neben der allergenspezifischen Wirkung auch sekundärpräventive Aspekte und der «Carry-over»-Effekt. Essenziell für den Erfolg der AIT bleibt aber die Auswahl des dafür geeigneten Patienten und des für ihn optimalen Extrakts, des Behandlungsprotokolls und der Route der AIT (SLIT oder SCIT) im Sinne einer personalisierten Behandlung. Bei der Einhaltung von Empfehlungen und Richtlinien zur Umsetzung der AIT in Praxis und Klinik ist die AIT eine sichere Form der Behandlung allergischer Krankheiten. Nebenwirkungen können aber auftreten und sollen frühzeitig erkannt und adäquat behandelt werden. Im Vergleich zur heute üblichen Praxis, bei der eine AIT erst zu einem späteren Zeitpunkt und bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer allergischer Rhinokonjunktivitis mit oder ohne Asthma eingesetzt wird, stellt der frühzeitige Beginn einer AIT eine attraktive Strategie zur Behandlung allergischer Krankheiten dar, mit dem Ziel, den krankheitsmodifizierenden Effekt der AIT optimal auszuschöpfen.
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Korrespondenzadresse: Dr. med. Peter Andreas Eng Leiter Pädiatrische Pneumologie und Allergologie/klinische Immunologie Klinik für Kinder und Jugendliche Kantonsspital 5001 Aarau E-Mail: peter.eng@ksa.ch
Interessenlage: Der Autor erklärt, dass er im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenkonflikte hat.
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