Transkript
«Nicht auf den Schmerz fokussieren»
Primäre Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter
Schwerpunkt
Wir sprachen mit Prof. Dr. med. Peter Weber über notwendige und überflüssige Diagnostik bei Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter sowie über die wichtigsten Aspekte der Behandlung bei Migräne oder Spannungskopfschmerz. Je jünger die Kinder sind, umso mehr unterscheidet sich ihre Kopfschmerzsymptomatik von derjenigen der Erwachsenen. Wenn organische Ursachen ausgeschlossen werden können, konzentriert man sich bei der Behandlung auf Lifestyle und Umfeld des jungen Patienten.
H err Prof. Weber, leiden Kinder häufiger unter Kopfschmerzen als Erwachsene? Prof. Dr. med. Peter Weber: Nein, häufiger sind Kopfschmerzen eigentlich bei Erwachsenen. Auch bei Jugendlichen sind sie bereits häufiger als bei Kindern, wenn wir den Beginn des Jugendalters mit 12 bis 13 Jahren definieren. Die Häufigkeit steigt also im Lauf des Lebens eher an, das gilt sowohl für die akuten als auch die chronischen Kopfschmerzen.
Sind Kopfschmerzen demnach eher ein Erwachsenenproblem? Weber: So würde ich das nun auch nicht formulieren. Erwachsene haben zwar häufiger Kopfschmerzen als Kinder, aber sie sind trotzdem auch im Kindesalter die häufigste neurologische Symptomatik. Kopfschmerzen sind der häufigste Grund, weshalb Kinder in pädiatrischneurologischen Ambulanzen vorgestellt werden, und sie sind auch der häufigste Grund, warum Kinder mit einer neurologischen Symptomatik in die Kinderarztpraxis kommen. Deshalb sind Kopfschmerzen im Kindesalter ein relevantes Problem.
Sind die Symptome bei Kopfschmerzen im Kindesalter anders als bei Erwachsenen? Weber: Im Kindesalter ja, im Jugendalter nein. Im Jugendalter präsentieren sie sich ziemlich gleich wie bei Erwachsenen, wenn wir die beiden häufigsten Gruppen der primären Kopfschmerzen betrachten, nämlich den Spannungskopfschmerz und die Migräne. Andere Formen von primären Kopfschmerzen, wie zum Beispiel Trigeminusneuralgie oder Cluster-Kopfschmerzen, sehen wir bei Kindern und Jugendlichen so gut wie gar nicht, das sind in diesem Alter Raritäten. Je jünger die Kinder sind, desto stärker unterscheidet sich die Symptomatik von derjenigen der Erwachsenen. Zum Beispiel würden wir bei der Migräne typischerweise einen einseitigen Kopfschmerz erwarten. Die meisten Kinder mit Migräne haben aber beidseitigen Kopf-
schmerz, und wenn die Kinder jünger als sieben oder acht Jahre sind, kommen viel häufiger sogenannte Migräneäquivalente vor.
Was genau versteht man unter Migräneäquivalenten? Weber: Das sind Episoden, von denen wir annehmen, dass sie eine ähnliche Pathophysiologie haben, sich symptomatisch aber völlig anders manifestieren. Man bezeichnet diese Symptome als Migräneäquivalente, weil sie, wie die Migräne, episodenhaft auftreten und diese Kinder ein höheres Risiko haben, später im Leben eine klassische Migräne zu entwickeln. Migräneäquivalente im Kindesalter sind zum Beispiel paroxysmale Schwindelattacken oder, vor allem bei Kleinkindern im ersten oder zweiten Lebensjahr, ein paroxysmaler, episodischer Torticollis. Ebenfalls zu den Migräneäquivalenten zählt die gastrointestinale, sogenannte abdominelle Migräne. Sie kommt typischerweise im Kindergartenalter vor, mit episodischen Phasen von Erbrechen für ein bis drei Tage, das sich dann von selbst wieder legt.
Wann ist ein Kopfschmerz harmlos? Weber: Das kommt darauf an, ob ich ihn aus der Sicht des Arztes oder des Patienten betrachte. Schmerzen sind für den Patienten niemals harmlos, denn sie beeinträchtigen ihn. Aus der Sicht des Arztes kommt es eher darauf an, ob es ein primärer Kopfschmerz ist, also sozusagen harmlos, weil keine schwerwiegende Erkrankung dahintersteckt, die den Kopfschmerz als Symptom verursacht. Wenn wir es hingegen mit einem sekundären Kopfschmerz zu tun haben, könnte es auch eine gefährliche oder gar lebensgefährliche Erkrankung sein, die entdeckt werden muss, zum Beispiel eine Hirnblutung, ein Tumor oder schwere Infektionen im HNO-Bereich. Es gibt einige sogenannte Red Flags, also Alarmsignale, bei denen man nach organischen Ursachen für den Kopfschmerz suchen muss.
Prof. Dr. med. Peter Weber ist Leitender Arzt Neuround Entwicklungspädiatrie am Universitätskinderspital beider Basel, UKBB
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Welche Alarmsignale gibt es, und wie sucht man
danach?
Weber: Das Wesentliche ist die Anamnese. Ganz wich-
tig ist die Frage, ob es sich um einen Kopfschmerz han-
delt, der erst seit ganz Kurzem besteht und stark ist. Das
wäre ein Alarmsignal.
Die sensibelste Methode, um Alarmsignale zu erkennen,
ist der neurologische Status: Ist er unauffällig oder
nicht? Wenn eine sorgfältige neurologische Untersu-
chung einen unauffälligen Befund ergibt, ist die Wahr-
scheinlichkeit, dass irgendetwas Gravierendes, etwa ein
«Kopfschmerzen im Kindesalter sind ein relevantes Problem.»
Hirntumor oder eine Hirnblutung, den Kopfschmerz verursacht haben könnte, extrem gering. Ebenfalls ein Alarmsignal ist eine Ände-
rung des Kopfschmerzes im Verlauf. Pa-
tienten haben beispielsweise einen chronischen Kopf-
schmerz, aber dann ändert sich die Symptomatik
plötzlich. Diese Änderung der Symptomatik muss man
hinterfragen: Was kann die Ursache dafür sein?
Nächtlicher Kopfschmerz ist ebenfalls ein Alarmsignal,
das weitere Abklärungen erfordert. Kinder mit allen For-
men von primären Kopfschmerzen schlafen eigentlich
nachts durch, sie erwachen nicht wegen ihrer Kopf-
schmerzen. Und erst recht muss man morgendliches
Nüchtern-Erbrechen abklären, weil das ein Symptom für
erhöhten Hirndruck sein kann.
Auch das Alter spielt eine Rolle. Bestimmte Kopf-
schmerzformen gelten bei Kindern unter 5 Jahren als
Red Flags, weil sie in diesem Alter unüblich sind. Wenn
Kinder unter 5 Jahren starke, häufige Kopfschmerzen
haben, muss man das eher weiter abklären als bei einem
15-Jährigen.
Es wird auch immer wieder diskutiert, ob Kopfschmer-
zen im Hinterkopfbereich, die sogenannten okzipitalen
Kopfschmerzen, auch als Red Flag gelten. Man muss
aber sagen, dass diese Kopfschmerzen, sofern keine
weiteren Symptome bestehen, nur selten wirklich ein
Hinweis für eine zugrunde liegende organische Erkran-
kung sind.
Wo liegt die Grenze zur Überdiagnostik?
Weber: Wenn die Anamnese zu einem primären Kopf-
schmerz passt, keine Red Flags vorhanden sind und der
Neurostatus unauffällig ist, braucht es eigentlich keine
weitere Diagnostik.
«Je jünger die Kinder sind, desto stärker unterscheidet sich die Symptomatik von derjenigen der Erwachsenen.»
Bei der Anamnese sind übrigens auch Lifestyle-Fragen sehr wichtig, vor allem im Jugendalter: Wird genug geschlafen? Wird genug getrunken? Ist die vor Bildschirmen verbrachte Zeit übermässig lang? All solche Dinge gilt es abzuklären. Manchmal wird vonseiten der Eltern oder
des Jugendlichen selbst vehement eine
bildgebende Diagnostik gefordert, die Bereitschaft, es
einfach einmal mit Lifestyle-Massnahmen zu versuchen,
ist jedoch gering. Man möchte das MRI, aber auf das
Smartphone, das ständig genutzt wird, will man nicht
verzichten.
Das weitere Vorgehen angesichts des Wunsches nach ei-
ner medizinisch eigentlich überflüssigen bildgebenden
Diagnostik ist eine Frage der Gesprächs- und Patienten-
führung. Es ist aus meiner Sicht durchaus legitim zu
sagen: «Medizinisch halte ich eine MRI-Untersuchung nicht für notwendig.» Wenn die Eltern oder der Jugendliche selbst aber dermassen darauf fokussiert sind, verbunden mit der Sorge, dass da doch etwas sein müsse, kann eine MRI-Aufnahme manchmal auch hilfreich sein, weil sie zur Entspannung der Situation beiträgt. Unter diesem Aspekt gibt es zuweilen auch «therapeutische» MRI-Untersuchungen. Anders sieht es mit invasiven diagnostischen Abklärungen aus, wie zum Beispiel einer Lumbalpunktion. Diese Indikation muss man selbstverständlich sehr, sehr restriktiv stellen, aber auch solche Abklärungen können notwendig sein. Eine typische Situation wäre diese: Wir schicken die Kinder mit Kopfschmerzen alle zum Augenarzt. Wenn der Augenarzt uns Augenhintergrundveränderungen meldet, die einen Hinweis auf erhöhten Hirndruck sein könnten, muss man natürlich eine Bildgebung veranlassen und, falls der Befund aus der Bildgebung unauffällig ist, eine Lumbalpunktion, um den Druck im ZNS zu messen und einen Pseudotumor cerebri nicht zu verpassen.
Welche Lifestyle-Massnahmen sind die wichtigsten? Weber: Mehr Schlaf, weniger Bildschirmzeit und viel Bewegung an der frischen Luft. Ich weiss, Spazierengehen ist für Jugendliche ein Unwort, aber es gibt auch andere Formen des Sich-draussen-Bewegens. Und: Viele Jugendliche trinken zu wenig. Wenn man nachfragt oder es protokollieren lässt, ist das oft nicht mehr als ein Liter freie Flüssigkeit am Tag. Das ist für einen 45 bis 55 kg schweren Jugendlichen schlichtweg zu wenig.
Psychische Faktoren können bei Kopfschmerzen bekanntermassen eine Rolle spielen. Wie kommt man auf die richtige Spur, ohne die Situation unnötig zu psychologisieren? Weber: Sie sprechen damit wichtige Punkte an, wie Schule, Mobbing, Leistungsdruck. Damit meine ich nicht nur Druck von aussen, sondern auch die hohe Erwartungshaltung, die viele Jugendliche an sich selbst haben. Sie gönnen sich einfach nicht mehr genügend Pausen. Das versuchen wir ihnen zu erklären: Schmerz und Kopfschmerz, sei es eine Migräne oder insbesondere ein Spannungskopfschmerz, sind ein Zeichen des Körpers: «Mach mal Pause!» Solche Pausen können unterschiedlich aussehen, man muss schauen, was individuell am besten passt. Auf jeden Fall bedeutet Pause aber nicht, noch mehr auf einen Bildschirm zu schauen. Es geht darum, eine Pause von dem einzulegen, womit man sich sonst beschäftigt, und vor allem etwas zu tun, was einem guttut. Das bedeutet auch, sich von der Fixierung auf den Schmerz zu lösen. Diese Patienten sind oftmals völlig auf ihre Schmerzen fixiert, und auch wir Ärzte machen manchmal den gleichen Fehler, wenn wir sie behandeln. Wir müssen deshalb versuchen, einen Paradigmenwechsel zu erreichen und zum Beispiel sagen: «Ja, du hast viele Stunden am Tag Kopfschmerzen, aber vielleicht gibt es auch einmal eine halbe Stunde, in der du sie nicht hast. Was ist denn da anders? Was kannst du machen, was dir vielleicht trotz der Kopfschmerzen guttut?»
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Damit eröffnen wir eine neue Perspektive, um Kinder und Jugendliche aus dem Hamsterrad ihrer Alltagsaktivitäten und des parallelen Erleidens von Kopfschmerzen zu befreien. Sie sind dort im wahrsten Sinne des Wortes gefangen und müssen lernen zu reflektieren, dass es noch eine andere Seite der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Körperempfindens gibt. Diese Seite versuchen wir zu stärken, ohne sich immer auf die Kopfschmerzen zu fokussieren, damit die Betroffenen zu einer neuen Balance finden. Das ist kein Psychologisieren, auch wenn wir dabei mit Psychologen zusammenarbeiten. Es geht vielmehr um Schmerz- und Stressmanagement beziehungsweise Coping-Strategien, also um das Stärken von Kompetenzen.
Gibt es so etwas wie das typische Kopfschmerzkind oder die typische Kopfschmerzfamilie? Weber: Das typische Kopfschmerzkind gibt es nicht. Die Vielfalt, die ich in der Kopfschmerzsprechstunde erlebe, ist wirklich enorm gross. Da gibt es Patienten, bei denen man gleich bemerkt, etwa an der Körperhaltung sowie der fehlenden Modulation und Stärke der Stimme, dass bei ihnen eigentlich eine subdepressive Grundproblematik vorherrscht. Auf der anderen Seite gibt es aufgestellte, motivierte Patienten, die sportlich unterwegs und musikalisch sind, aber eben trotzdem unter Kopfschmerzen leiden. Aber Schmerz ist natürlich auch etwas, das einen familiären Hintergrund haben kann. Damit meine ich jetzt nicht die Genetik, von der wir wissen, dass das Migränerisiko für Kinder höher ist, wenn ein Elternteil Migräne hat. Ich meine damit das Lernen am Modell. Wenn es beispielsweise eine Patientin mit chronischen Schmerzen in der Familie gibt, kann das den Umgang von Kindern und Jugendlichen mit ihren eigenen Schmerzen beeinflussen – aber auch hier würde ich nie von «typischen» Verhältnissen sprechen.
Wie sieht es mit der Prognose aus? Wenn man als Kind Migräne hat, hat man sie dann auch als Erwachsener? Weber: Das ist keineswegs immer so. Es gibt alle möglichen Verläufe. Es gibt diejenigen, die als Kinder und Jugendliche Migräne haben, später aber nicht mehr, und umgekehrt kann eine Migräne auch erst im Erwachsenenalter beginnen. Bei der Migräne gibt es sehr individuelle Verläufe. Für die Spannungskopfschmerzen ist ein Punkt, der bereits genannt wurde, relativ wichtig, nämlich das Stressmanagement. Wenn ein Jugendlicher mit solchen Kopfschmerzen nicht gelernt hat, mit Belastungen zurechtzukommen, ist sein Risiko für andere Formen von Belastungsreaktionen auf Dauer hoch, selbst wenn die Kopfschmerzen mit der Zeit zurückgehen. Wir wissen zum Beispiel, dass Personen, die im Kindesalter häufig unter psychosomatischen Bauchschmerzen leiden, ein höheres Risiko haben, im Jugendalter Kopfschmerzen zu haben und im Erwachsenenalter wieder andere Formen von chronischen Schmerzsyndromen zu entwickeln. Es gibt also schon so etwas wie Schmerzbiografien, auch wenn sich das betroffene Organ ändert. Für solche Patienten ist es sehr wichtig, dass wir auf der Verhaltensebene intervenieren.
Wie sollte es in der Praxis laufen? Die Eltern kom-
men mit dem kopfschmerzkranken Kind oder Ju-
gendlichen zum Pädiater. Welcher Schritt sollte der
erste sein, welche Schritte folgen danach?
Weber: Der erste Schritt ist immer eine ausführliche
Anamnese. Sie soll sich auf die Parameter Schmerz, Aus-
löser und Umgebungsfaktoren fokussieren. Ebenso
wichtig ist dann der Neurostatus. Hinzu kommt eine
Blutdruckmessung. Ausserdem sollte man das Kind zu
einem Augenarzt schicken. Es reicht nicht aus, wenn der
Pädiater selbst den Visus kontrolliert, sondern es kommt
auch auf Gesichtsfeld- und Augenhintergrundmessun-
gen an. Das wäre, kurz gefasst, die Basisdiagnostik. Falls man nichts findet, kann man relativ beruhigt sein. Dann geht es in Richtung
«Schmerzen sind für den Patienten niemals harmlos.»
Schmerzmanagement weiter, das heisst
das Führen eines Kopfschmerzkalenders, und wir verord-
nen Magnesium in einer Tagesdosis von 300 bis 400 mg.
Über die Besprechung von Lifestyle-Massnahmen versu-
chen wir, Inputs zu geben. Falls es konkrete Stressfakto-
ren als Auslöser gibt, muss man schauen, inwieweit
diese beeinflusst werden können.
Dann bestellen wir den Patienten in zwei bis drei Mona-
ten zur Kontrolle ein. Wenn sich die Symptomatik nach
drei Monaten nicht gebessert hat, sollte man das Ver-
mitteln von Entspannungsverfahren erwägen. Bei einer
klassischen Migräne stellt sich die Frage, wie häufig und
intensiv die Attacken sind. Davon hängt ab, ob die Indi-
kation für eine prophylaktische Medikation gegeben ist
oder nicht, wobei die Latte für Prophylaxemedikamente
bei Kindern und Jugendlichen relativ hoch liegt. Wir fan-
gen mit einer Prophylaxe an, wenn mehr als eine bis zwei
Episoden pro Woche auftreten.
Sie sagten vorhin, man solle die Aufmerksamkeit
nicht immer auf den Schmerz richten. Mit einem
Kopfschmerzkalender geschieht aber genau das.
Wie passt das zusammen?
Weber: Um Art und Verlauf der Kopfschmerzen zu er-
fassen, ist ein Kopfschmerzkalender sehr wichtig. Selbst-
verständlich sollte dieser aber nur über einen begrenz-
ten, definierten Zeitraum geführt werden. Der Kalender dient dazu, die basale Symtomatik zu erfassen und die Effekte von Massnahmen zu dokumentieren. Wie
«Das typische Kopfschmerzkind gibt es nicht.»
lange der Kalender geführt wird, ist von
daher individuell zu entscheiden – er kann eben auch als
Spiegel einer Besserung und damit einer Verstärkung
und positiven Rückmeldung benutzt werden.
Welche Rolle spielen Medikamente beim Spannungskopfschmerz? Weber: Beim Spannungskopfschmerz spielen sie eine untergeordnete Rolle. Wenn die Kopfschmerzen sehr stark und von dem Kind oder Jugendlichen als nicht auszuhalten empfunden werden, darf man aber schon einmal ein Ibuprofenpräparat geben. Man muss aber gerade bei diesen Patienten aufpassen, dass sie nicht in einen chronischen Schmerzmittelgebrauch hineinrutschen. Den Schmerzmittelkopfschmerz, der einen langsamen, kontrollierten Entzug erfordert, gibt es nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Jugendlichen.
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Und bei der Migräne? Weber: Bei der Migräne sieht es anders aus, sie verläuft ja eher episodisch. Deshalb ist hier eine adäquate medikamentöse Akutbehandlung sinnvoll. Sie besteht aus einem peripheren Schmerzmedikament, vor allem Ibuprofen, oder einem Triptan und einem gastrointestinal wirksamen Medikament, wenn Übelkeit oder Erbrechen dabei auftritt. Bei Migräne gibt es die Option der medikamentösen Prophylaxe. Sie kommt wegen der potenziellen Nebenwirkungen, wie gesagt, aber nur dann infrage, wenn wirklich ein häufiges episodisches Auftreten der Migräne besteht oder die Episoden so stark und lang sind, dass dadurch relevante Absenzen in der Schule entstehen. Als Prophylaxe bei Kindern und Jugendlichen wird als Mittel
der ersten Wahl ein Kalziumantagonist gegeben, das Flunarizin. Wenn das nicht wirkt, kommen andere Substanzen infrage, wobei man jedoch wegen der potenziellen Nebenwirkungen sehr zurückhaltend ist. Zu nennen ist hier der Betablocker Propranolol, der Blutdruckprobleme verursachen kann, oder Antiepileptika wie Valproat, das man bei gebärfähigen Mädchen möglichst meiden sollte, und Topiramat, das die kognitive Leistung beeinträchtigen kann. Die neu entwickelten Antikörper zur Migräneprophylaxe sind für Kinder und Jugendliche nicht zugelassen.
Herr Prof. Weber, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Dr. Renate Bonifer.
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