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Schwerpunkt
Nähen oder Kleben?
Studie am Kinderspital Zürich liefert Entscheidungshilfe
Obwohl Riss- und Quetschwunden im Kindesalter häufig sind, gibt es bis heute keine Evidence-based-Empfehlungen, ob solche Wunden im Gesicht geklebt oder genäht werden sollten. Die Resultate einer noch laufenden, grossen Studie am Universitäts-Kinderspital Zürich werden künftig bei der Entscheidung helfen. Wir sprachen mit Dr. med. Sonja Fontana, die am SGPKongress in Lausanne erste Ergebnisse der Studie vorstellte.
Dr. med. Sonja Fontana
F rau Dr. Fontana, nach welchen Kriterien entscheiden Sie am Kinderspital in Zürich, ob eine Wunde genäht oder geklebt wird? Dr. med. Sonja Fontana: Grundsätzlich kleben wir alle Wunden, bei denen die Wundränder spannungsfrei adaptierbar sind. Das gilt auch für Wunden im Gesicht oder im behaarten Kopfbereich. Zudem muss die Wunde sauber und trocken sein. So darf beispielsweise keine aktive Blutung während der Wundversorgung bestehen, sonst hält der Wundkleber nicht. Die Wunde darf auch nicht in einer Region liegen, die ständig nass ist. Zum Beispiel kleben wir bei einem Kleinkind, das noch speichelt, nicht an perioralen Stellen, die dauernd nass sind. Wir nähen alle Wunden, die sich nicht gut adaptieren lassen, auf denen Spannung liegt oder die nicht sauber und trocken sind. Selbstverständlich entscheiden wir trotz dieser Regeln aber von Fall zu Fall, welche Wundversorgungsstrategie die individuell beste ist.
Wie sehen die vorläufigen Resultate Ihrer Studie aus? Fontana: Die bisherigen Resultate unserer Studie haben gezeigt, dass wir mit den genannten Regeln richtig liegen. Das kosmetische Resultat von geklebten ist im Vergleich mit genähten Wunden gut. Bei den Komplikationsraten zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Studiengruppen, das heisst bezüglich Wundinfektionen, Dehiszenz oder hypertropher Narbenbildung. Allerdings steht das langfristige Resultat,
die Narbenkontrolle nach 6 bis 12 Monaten, bei einer grossen Anzahl an Patienten noch aus, weil die Studie noch im Gange ist.
Abbildung: Kind mit Riss-Quetsch-Wunde in der Zürcher Studie (Foto: Kinderspital Zürich)
Welche Rolle spielt die Präferenz der Eltern oder des Kindes bei der Entscheidung Nähen versus Kleben? Fontana: Wir versuchen, Eltern und Kind in die Entscheidung einzubeziehen, denn sie kennen die Situation am besten. Dank unserer Studienresultate
können wir die Eltern und Patienten nun noch besser bei der Wahl der optimalen Wundversorgungstechnik beraten. Das Kleben einer Wunde geht schneller als das Nähen. Gemäss unserer Studie dauert die Wundversorgung, das heisst von der Desinfektion bis zum Pflaster nach der Wundversorgung, beim Kleben median 5 Minuten und beim Nähen 15 Minuten. Dieser Unterschied ist statistisch signifikant. Auch konnten wir bestätigen, dass die Wundklebung weniger schmerzhaft ist. Das Kleben kann meistens ohne Anästhesie durchgeführt werden, gegebenfalls mit lokalem Lidocain-Gel. In unserer Studie benötigten bisher 77 Prozent der Kinder bei der Wundklebung gar keine Analgosedation, etwa 20 Prozent bekamen lediglich lidocainhaltiges Gel als einzige Analgesie. Für die Wundnaht ist hingegen nicht selten eine Analgosedation mit Midazolam oder Lachgas notwendig, manchmal sogar eine Vollnarkose. Der empfundene Schmerz war gemäss der bekannten 10-stufigen visuellen Analogskala beim Kleben, also meist ohne Analgosedation, und beim Nähen unter Analgosedation mit einem VAS-Score von 1,5 beim Kleben und 1,6 beim Nähen vergleichbar. Auch die Lebensqualität der Patienten und ihre Zufriedenheit war in beiden Gruppen gleich. Sie wurde als hoch bewertet, und über 90 Prozent der Befragten würden wieder die gleiche Art der Wundversorgung wählen.
Was gilt es beim Kleben von Wunden besonders zu beachten? Fontana: Das Resultat 5 bis 10 Tage nach Wundversorgung ist nicht aussagekräftig für das spätere Narbenresultat. Wir hatten einzelne Fälle, bei denen der Leim durch das Kind zu früh weggekratzt wurde. Der Wundkleber soll möglichst in Ruhe gelassen werden, bis er von selbst abfällt, wenn die Kinder nach 5 Tagen wieder duschen und baden dürfen. Bei den Kindern, die den Kleber zu früh entfernt hatten, zeigten sich in der Wundkontrolle zwar Dehiszenzen mit Wundrändern, die über 2 mm klafften, doch in der Narbenkontrolle 6 bis 12 Monate nach dem Unfall war das kosmetische Resultat
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Pädiatrie 4/18
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trotzdem gut, genauso wie bei den komplikationslos abgeheilten Wunden. Die weitere Auswertung der Studie wird zeigen, ob sich bestätigt, dass das Wundenkleben zu breiteren Wunden führen kann als das Nähen, das kosmetische Narbenresultat aber trotzdem vergleichbar gut ist.
Gibt es noch einen Aspekt, der im Zusammenhang mit Kleben oder Nähen besonders wichtig ist? Fontana: Es soll von Fall zu Fall entschieden werden, welche Wundversorgungstechnik für das jeweilige Kind mit der entsprechenden Wunde am besten ist. Die Resultate der RQW-Studie werden die Entscheidung, ob eine Wunde geklebt werden kann, vereinfachen, weil dann aktuelle, prospektiv erhobene Langzeitresultate einer grossen repräsentativen pädiatrischen Studiengruppe zur Verfügung stehen, die bis anhin fehlten.
Frau Dr. Fontana, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Dr. Renate Bonifer.
Literatur: 1. Farion KJ et al.: Tissue adhesives for traumatic lacerations in children and adults. Cochrane Database Syst Rev 2002; (3) CD003326. 2. O53: Fontana S et al.: Wound repair management: Suture versus glue - do we have a clue? Preliminary results of a prospective non-randomized clinical trial. Swiss med Wkly 2018; 148(Suppl 228): 18–19S.
RQW-Studie am Kinderspital Zürich
Die Autoren einer Cochrane-Analyse (1) kamen zum Schluss, dass das Kleben von
Wunden eine Alternative zum Nähen ist, dabei jedoch ein möglicherweise erhöhtes
Komplikationsrisiko, insbesondere für Wunddehiszenzen, bestehen könnte. Allerdings
konnten sie sich bei ihren Schlussfolgerungen nur auf wenige kleine Studien stützen.
Es gab bisher auch keine Studien zu den Langzeitresultaten dieser Art der Wundver-
sorgung bei Kindern, und noch nie zuvor wurde das Narbenresultat durch das Kind
und/oder seine Eltern selbst beziehungsweise durch externe (d.h. nicht zur Studienin-
stitution gehörende) plastische Chirurgen beurteilt.
In die RQW-Studie (RQW: Riss-/Quetschwunde) am Universitäts-Kinderspital Zürich
werden Patienten (0–18 Jahre) mit Riss-/Quetschwunden im Kopfbereich aufgenom-
men, deren Wunden auf der Notfallstation des Kinderspitals mit Wundkleber oder
Wundnaht versorgt werden. Vor und nach der Wundversorgung sowie an den beiden
Kontrollterminen 5 bis 10 Tage und 6 bis 12 Monate nach dem Unfall wird die Wunde
fotografiert, weitere Parameter werden mit Fragebögen erfasst (z.B. Lebensqualität).
Die Narben werden im Anschluss von externen plastischen Chirurgen beurteilt, die
nicht am Kinderspital Zürich tätig sind. Pro Interventionsgruppe werden 200 Patienten
aufgenommen.
Bis zum Zeitpunkt des Vortrags anlässlich der SGP-Jahrestagung im Mai 2018 befan-
den sich bereits 178 Kinder mit genähter und 107 mit geklebter Wunde in der Studie.
Die am ersten Kontrolltermin 5 bis 10 Tage nach der Wundversorgung beobachtete
Komplikationsrate war gering und betrug 1,7 Prozent bei den genähten und 1,3 Pro-
zent bei den geklebten Wunden.
RBO