Transkript
Prävention und Rauchstopp
So fördert man das Nichtrauchen im Jugendalter
Schwerpunkt
Kinderärzte können die Eltern als aktive Partner unterstützen, indem sie das Rauchen in der Sprechstunde bei den Jugendlichen ansprechen, klare Botschaften zur Schädlichkeit und Suchtgefahr des Tabakkonsums vermitteln und die Vorteile des Rauchstopps hervorheben.
Von Susann Koalick
2 016 rauchten 25,3 Prozent der über 15-Jährigen in der Schweiz. Dieser Anteil hat sich seit rund zehn Jahren kaum verändert. Gemäss Schweizer Suchtmonitoring sind von 2011 bis 2016 mehrere potenziell problematische Phänomene des Tabakkonsums in der Schweiz zu beobachten (1). So stieg der Gebrauch von Wasserpfeifen, besonders bei den Jüngeren: 2016 nutzten 43,1 Prozent der gelegentlich rauchenden 15- bis 19-Jährigen diese Form des Rauchens. Das Rauchen von Wasserpfeifen nehmen Jugendliche in der Regel als weniger gesundheitsschädigend wahr, obwohl die Inhaltsstoffe des Rauches die gleichen sind wie beim Zigarettenrauchen und auch das gleiche Suchtpotenzial besteht. Daher ist es notwendig, beim Ansprechen des Rauchens auch Produkte wie die Wasserpfeife zu erwähnen. Auch das aktuelle Niveau des Tabakkonsums bei den Jugendlichen in der Schweiz und das Alter bei Beginn des täglichen Konsums sind bedenklich. Im Jahr 2016 betrug die Prävalenz des Tabakkonsums bei den 15- bis 19-Jährigen 21,1 Prozent. Sie weist über die Periode von 2011 bis 2016 eine unregelmässige Entwicklung auf. Der Konsum industriell hergestellter Zigaretten stellt weiterhin die Norm dar. Der Anteil der selbst gedrehten Zigaretten hat jedoch seit 2011 zugenommen. Diese Art von Zigaretten scheint zudem besonders bei den unter 35-jährigen Raucherinnen und Rauchern und insbesondere bei den 15- bis 19-Jährigen verbreitet zu sein (45,2% der täglich rauchenden Personen dieser Altersgruppe rauchen nur oder manchmal selbst gedrehte Zigaretten). Je jünger eine Person ist, die mit dem täglichen Rauchen begonnen hat, umso mehr Zigaretten konsumiert sie pro Tag: Mehr als eine Schachtel pro Tag rauchten 18,3 Prozent derjenigen, die vor dem Alter von 15 Jahren mit dem täglichen Rauchen begonnen hatten, während es nur 5,4 Prozent bei denjenigen waren, die erst nach dem 20. Altersjahr damit angefangen hatten.
Auch die Bereitschaft zum Rauchstopp ist gesunken. 2014 gaben 34,7 Prozent der Raucherinnen und Raucher an, damit aufhören zu wollen, 2016 waren es nur noch 31 Prozent. Dieser Rückgang wird im Schweizer Suchtmonitoring als besorgniserregend bezeichnet (1).
E-Zigaretten
Die E-Zigarette ist seit einigen Jahren auf dem Markt, mit und ohne Nikotin. E-Zigaretten werden in attraktiven Farben und Geschmacksrichtungen angeboten, welche vor allem bei Jugendlichen Anklang finden. Auch hier
Verhaltensorientierte Ansätze haben sich besser bewährt als reine Informationsvermittlung über die Folgen des Rauchens.
werden, wie bei der Wasserpfeife, die Schädlichkeit und das Risiko zum Einstieg in das Rauchen unterschätzt. Langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit sind noch zu wenig erforscht. Darum sollte auch bei Jugendlichen vom Konsum der E-Zigaretten abgeraten werden. In der Schweiz haben 14 Prozent aller über 15-Jährigen schon einmal E-Zigaretten ausprobiert (2). Der Anteil der E-Zigaretten-Konsumenten ist bei den jungen Menschen besonders hoch. Nach Angaben der Lungenliga Schweiz sind es 35,4 Prozent der 15- bis 19-jährigen und 30,5 Prozent der 20- bis 24-jährigen Raucherinnen und Raucher.
Primärprävention in der Gesellschaft und der Familie
Präventionsfachstellen und Organisationen in der Schweiz bemühen sich, den Einstieg in den Tabakkonsum zu verhindern. Bundesweite Kampagnen und individualisierte Projekte für Jugendliche und junge Erwachsene werden durchgeführt und verschiedene Medien (SMS, Internet usw.) dafür genutzt.
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Schwerpunkt
In der schulischen Intervention haben sich verhaltensorientierte Ansätze besser bewährt als reine Informationsvermittlung über die Folgen des Rauchens. Ein Beispiel ist das Angebot «Videounterstützte Tabakprävention», das von der Lungenliga Solothurn entwickelt wurde. Es handelt sich um einen erlebnisorientierten Workshop für Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren. Das Angebot richtet sich an Jugendliche der Oberstufenschulen im Kanton Solothurn. Der Workshop wird innerhalb einer Klassenlektion von 1½ bis 2 Stunden durchgeführt. Das Ziel des Projekts ist es, rauchende Jugendliche zu motivieren, mit dem Rauchen aufzuhören oder zumindest ihren Konsum zu reduzieren. Zu diesem Zweck können die Jugendlichen in der Präventionslektion ihr Wissen über den Tabakkonsum erweitern und werden dabei für ihre eigene Einstellung zum Tabakkonsum sensibilisiert. Diese Sensibilisierung erfolgt durch die Aufnahme, das Abspielen und die Diskussion über Videosequenzen, in welchen die Jugendlichen über ihre Tabakerfahrungen erzählen. Den rauchenden Jugendlichen wird im Anschluss an die Präventionslektion eine Rauchstoppberatung angeboten. Die Lungenliga Solothurn hat die «Videounterstützte Tabakprävention» von 2013 bis 2015 als Pilotprojekt in ihrem Kanton umgesetzt. Aufgrund der guten Evaluationsergebnisse führt sie das Angebot mit einem Nachfolgeprojekt im Kanton Solothurn weiter und macht es darüber hinaus in mindestens drei anderen Kantonen zugänglich. Neu bezieht das Projekt auch die Eltern mit ein (Elternveranstaltungen); dies ist Teil des kantonalen Programms Solothurn. Um Kinder und Jugendliche vor Tabakwerbung zu schützen, hat am 20. Dezember 2017 ein Trägerverein aus verschiedenen Präventionsorganisationen sowie unter anderem die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie die Lancierung der Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» beschlossen. Unter https://portal.at-schweiz.ch/index.php/de/ finden sich weitere Informationen. In den Empfehlungen des Forschungsberichts Sucht Schweiz 2017 wird die Stärkung der elterlichen Rolle und der Kompetenzen betont, um Kinder und Jugendliche vom Rauchen abzuhalten. Ein autoritativer Erziehungsstil, elterliches Monitoring der Aktivitäten der Kinder und klare Regelsetzung auf der Grundlage einer guten Eltern-Kind-Kommunikation sind zu fördern. Vielversprechend ist insbesondere, wenn mehrere Ebenen im Umfeld des Kindes (Familie plus Schule, Freizeit, Gemeinde) gemeinsam agieren (3).
der notwendigen Haltung, nämlich Duldung oder Akzeptanz, signalisiert.
Kurzintervention bei rauchenden Jugendlichen
Die Kurzintervention in der Primärversorgung ist eine der wichtigsten Massnahmen zur Tabakentwöhnung. Eine motivierende Kurzintervention hat sich bei rauchenden Jugendlichen bewährt. Die Kurzintervention wird in der
Kasten 1:
Modell der 5 A
Ask Ansprechen und Dokumentieren Erfragen des Rauchstatus, konkrete Fragen sind beispielsweise: Rauchst du? Wie viel rauchst du im Moment pro Tag? Zigaretten täglich und evtl. «pack years» (Packungsjahre) dokumentieren: Packungsjahre = Anzahl Packungen pro Tag × Jahre. Eine Packung entspricht 20 Zigaretten. Wer 10 Jahre lang 1 Packung (20 Zigaretten) raucht, hat 10 Packungsjahre; das Gleiche gilt, wenn er 5 Jahre lang 2 Packungen pro Tag raucht.
Advice
Anraten Direkte, klare und unmissverständliche Empfehlung zum Rauchstopp, konkrete Formulierungen wie beispielsweise: Ich empfehle dir den Rauchstopp! Nikotin macht schnell süchtig! Abgabe von Infobroschüren für Jugendliche.
Assess
Analysieren Analysieren der Motivation zum Rauchstopp und Erheben der Nikotinabhängigkeit, konkrete Formulierungen, wie beispielsweise: Hast du schon einmal an einen Rauchstopp gedacht? Hast du schon einmal versucht aufzuhören?
Assist
Assistieren Je nach Motivation und Stadium der Verhaltensänderung können unterschiedliche Interventionen angewandt werden, beispielsweise: Stärkung der Motivation (Motivationswaage), Selbstanalyse (Rauchprotokoll), Planung des Rauchstopps, Aufrechterhaltung der Rauchfreiheit.
Arrange
Arrangieren Kurz- und langfristige Nachbetreuungstermine, evtl. mit Verweis an konkrete Institutionen oder an Fachleute für Tabakentwöhnung.
Rolle und Botschaft der Kinderärzte
Kinderärzte können die Eltern als aktive Partner unterstützen, indem sie das Rauchen in der Sprechstunde bei den Jugendlichen ansprechen, klare Botschaften zur Schädlichkeit und zur Suchtgefahr des Tabakkonsums vermitteln und die Vorteile des Rauchstopps hervorheben. Generell hat die Ansprache von Rauchern in einer Kurzberatung im Vergleich mit keiner Ansprache eine Wirkung im Sinne von Prävention und Rauchstopp, wie zwei Metaanalysen mit strengen Auswahlkriterien zeigten (4, 5). Ärztliches Nichtansprechen des Rauchverhaltens hat hingegen eine unterschätzte, negative Signalwirkung. Durch das Nichtansprechen des offensichtlichen Risikoverhaltens Rauchen wird das Gegenteil
Kasten 2:
ABC-Modell
A Ask
B Brief advice or intervention
C Cessation support
Abfragen des Rauchstatus, Dokumentation Zur Erfassung der Kriterien der Tabakabhängigkeit von Jugendlichen werden der Stanford-Abhängigkeits-Fragebogen (10) sowie die Hooked on Nicotine Checklist (HONC) (11) empfohlen. Rat geben, Interventionen vorschlagen
Unterstützung beim Rauchstopp
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Schwerpunkt
inhaltlichen Ausrichtung Modellen wie der 5-A-Strategie (6) (Kasten 1) oder dem ABC-Modell (7) (Kasten 2) zugeordnet und hat folgende Inhalte: ● Thematisierung eines riskantes Gesundheitsverhalten ● Motivationsstärkung in allen Phasen, von der Vorbe-
reitung bis zur Aufrechterhaltung der Abstinenz ● Anstoss zu einer Verhaltensänderung, einem Aus-
stiegsversuch ● Hilfe bei der Umsetzung und der Aufrechterhaltung,
Behandlung offerieren ● Vermittlung von Hilfsangeboten und Behandlung. Motivierende, lösungsorientierte Ansätze und Methoden der Gesprächsführung sind zu empfehlen. Lösungsorientierte Beratung bedeutet, Kinder und Jugendliche zu aktivieren, ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten zu entdecken und wahrzunehmen. Ressourcen bedeuten in diesem Sinne persönliche und soziale beziehungsweise intrapsychische/interpersonale Ressourcen, wie zum Beispiel Erfahrungen, Zugehörigkeiten, Bedürfnisse, Werthaltungen, Ziele, Rollen und Beziehungen. Mit einem Messgerät kann man den Anteil des Kohlenmonoxids (CO) in der Atemluft bestimmen. Sehr schnell ist nach einem rauchfreien Tag ein Erholungseffekt sichtbar, was zur Motivationsstärkung eingesetzt werden kann. In der Regel verfügen die Rauchstopp-Beratungsstellen in den Spitälern über solche Geräte. Zur Wirksamkeit der Nikotinersatzprodukte liegen ausreichend viele und qualitativ hochwertige, aktuelle Metaanalysen und Leitlinientexte vor (4, 6, 8). Nikotinersatzprodukte unterstützen die Tabakabstinenz, die verfügbaren Medikamente werden jedoch nicht für Minderjährige empfohlen (9).
Webseiten für Jugendliche www.feelok.ch www.justbesmokefree.de https://www.experiment-nichtrauchen.ch/index.php/de/
Handbuch Lösungsorientiertes Arbeiten mit Kindern Aus dem Amerikanischen von Astrid Hildenbrand 272 Seiten, 7. Aufl., 2016, ISBN 978-3-89670-478-8
Mit Jugendlichen übers Rauchen reden Diese Broschüre ist in verschiedenen Sprachen erhältlich: Deutsch, Albanisch, Portugiesisch, Rätoromanisch, Serbisch/Kroatisch/Bosnisch, Spanisch, Türkisch, Französisch, Italienisch https://www.at-schweiz.ch > Aktuell > Publikationen > Rubrik Unterricht
Weitere Broschüren und Materialien Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz: www.at-schweiz.ch Tel. 031-599 10 20, E-Mail: info@at-schweiz.ch
Ansprechpartner für Gesundheitsinstitutionen Forum Tabakprävention und Behandlung der Tabakabhängigkeit in Gesundheitsinstitutionen Schweiz (FTGS), www.ftgs.ch, E-Mail: geschäftsstelle@ftgs.ch
Zusammenfassung
● Tabak gilt als häufigste Droge zum Einstieg in den Konsum weiterer Suchtmittel.
● Innerhalb eines Jahres entwickelt sich die Tabakabhängigkeit.
● Rauchende Jugendliche unterschätzen die Suchtwirkung des Nikotins und überschätzen ihre Fähigkeiten, jederzeit mit dem Rauchen aufhören zu können. Folgeerkrankungen sind für sie nicht fassbar und wirken nicht bedrohlich.
● Kinderärzte können einen Beitrag leisten, den Einstieg in den Tabakkonsum zu verhindern, indem die Kompetenzen und Fähigkeiten der Jugendlichen, tabakfrei zu bleiben, motivierend gestärkt werden und der Ausstieg durch die Begleitung des Rauchstopps gefördert wird.
● Kinderärzte sollten als aktive Partner die Eltern beim Ansprechen der Jugendlichen auf den Tabakkonsum unterstützen.
Korrespondenzadresse: Susann Koalick Präsidentin Forum Tabakprävention und Behandlung der Tabakabhängigkeit in Gesundheitsinstitutionen Schweiz (FTGS) Vorstand Global Network for Tobacco Free Health Care Services Koordinatorin Schweiz E-Mail: susann.koalick@ftgs.ch
Interessenlage: Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag bestehen.
Literatur: 1. Gmel G et al.: Suchtmonitoring Schweiz – Konsum von Alkohol, Tabak und illegalen Drogen in der Schweiz im Jahr 2016. Sucht Schweiz, Lausanne, 2017. 2. Gmel G et al.: Suchtmonitoring Schweiz – Konsum von Alkohol, Tabak und illegalen Drogen in der Schweiz im Jahr 2015. Sucht Schweiz, Lausanne, 2016. 3. Forschungsbericht Sucht Schweiz: Grundlagen der Tabakprävention für Kinder und Jugendliche im Setting Familie. Sucht Schweiz, Lausanne, 2017. 4. Stead LF et al.: Physician advice for smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev 2008; (2):CD000165. 5. Bodner ME, Dean E: Advice as a smoking cessation strategy: a systematic review and implications for physical therapists. Physiother Theory Pract 2009; 25(5–6): 369–407. 6. Fiore MC et al.: Treating tobacco use and dependence: 2008 update U.S. Public Health Service Clinical Practice Guideline executive summary. Respir Care 2008; 53(9): 1217–1222. 7. McRobbie H et al.: New Zealand smoking cessation guidelines. N Z Med J 2008; 121(1276): 57–70. 8. Cahill K et al.: Pharmacological interventions for smoking cessation: an overview and network meta-analysis. Cochrane Database Syst Rev 2013; (5):CD009329. 9. Batra A: Treatment of tobacco dependence. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(33): 555–564. 10. Rojas NL et al.: Nicotine dependence among adolescent smokers. Arch Pediatr Adolesc Med 1998; 152(2): 151–156. 11. DiFranza JR et al.: Measuring the loss of autonomy over nicotine use in adolescents: the DANDY (Development and Assessment of Nicotine Dependence in Youths) study. Arch Pediatr Adolesc Med 2002; 156(4): 397–403.
Webinar: FTGS-Fortbildung Kurzintervention Das Forum Tabakprävention und Behandlung der Tabakabhängigkeit in Gesundheitsinstitutionen Schweiz (FTGS) bietet neben einer umfangreichen, modularen Fortbildung zur Nikotinberatung und Tabakentwöhnung auch einstündige Webinare zur ärztlichen Fortbildung an. Das Webinar «Kurzintervention» dauert eine Stunde und ist für FTGS-Mitglieder kostenlos, Nichtmitglieder zahlen 80 Franken. Weitere Informationen zu den FTGS-Fortbildungsangboten: http://www.ftgs.ch/fortbildung.html
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