Transkript
Schwerpunkt
Neue Strategien gegen Malignome
Immuntherapien in der pädiatrischen Onkologie – ein Überblick
Trotz beeindruckender Fortschritte in den letzten 50 Jahren sind einige pädiatrische Malignome mit den konventionellen Strategien Chirurgie, Chemotherapie und Bestrahlung nicht heilbar, und die Prognose der betroffenen Patienten ist nach wie vor schlecht. Angesichts sensationeller Erfolge in der Erwachsenenonkologie wird den Immuntherapien in der pädiatrischen Onkologie wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
Von Nicolas von der Weid
W eltweit wird jedes Jahr bei etwa 250 000 Kindern und Jugendlichen eine Krebserkrankung diagnostiziert, wobei diese Zahl mangels epidemiologischer Daten aus Schwellen-
und Entwicklungsländern möglicherweise eine erhebliche
Unterschätzung der wahren Inzidenz sein könnte. Dank in-
ternationaler klinischer Studien während der letzten 50
Jahre können heute zirka 80 Prozent der Patienten mit
konventionellen Strategien, üblicherweise einer Kombina-
tion aus Chirurgie, Bestrahlung und Chemotherapie, er-
folgreich behandelt und geheilt werden. Dennoch bleibt
Krebs die, nach Unfällen, zweithäufigste Todesursache in
der Kindheit; die Prognose ist bei vielen rezidivierenden
oder therapierefraktären Erkrankungen (inkl. Leukämien)
in der Regel düster – trotz hoch dosierter Chemotherapie
mit autologer oder allogener Stammzelltransplantation.
Die drei wichtigsten Forschungsziele sind somit:
G bessere Wirksamkeit der Erstlinientherapien
G wirksame Therapien gegen rezidivierende/refraktäre
Erkrankungen
G gleichzeitige Reduktion der therapiebedingten akuten
und langfristigen Belastungen, um den Überlebenden
eine auf lange Sicht zufriedenstellende Lebensqualität
zu ermöglichen.
In der Tat werden bereits neue Behand-
Trotz erheblicher Fortschritte ist Krebs die zweithäufigste Todesursache in der Kindheit.
lungsstrategien entwickelt, welche die bestehenden therapeutischen Lücken füllen könnten. Immuntherapien versprechen bezüglich pädiatrischer Neoplasien zurzeit den grössten Erfolg. Diese innova-
tiven Strategien kombinieren mehrere
positive Aspekte, unter anderem (aber möglicherweise
nicht beschränkt auf) die Spezifität für Krebszellen, das
Potenzial einer therapeutischen In-vivo-Persistenz und
einer Langzeitwirkung sowie die Wirksamkeit gegen re-
zidivierende oder therapierefraktäre Malignome. Im Fol-
genden werden die aktuellen humoralen und zellulären
Strategien, onkolytische Viren, Tumorvakzine sowie
neue Medikamente, die an den Schaltstellen immunologischer Wirkmechanismen ansetzen, vorgestellt.
Biologische Grundlagen und Spektrum der Immuntherapie gegen Krebs
Die onkologische Immuntherapie kann im Allgemeinen als Verstärkung oder Umprogrammierung der inhärenten Wirksamkeit der Immunzellen sowie ihres humoralen Waffenarsenals beschrieben werden, um Krebszellen zu eliminieren. Das Immunsystem soll in die Lage versetzt werden, Antigene auf Krebszellen zu erkennen, die idealerweise nur dort, nicht aber auf normalen, gesunden Zellen exprimiert werden. Die beiden wichtigsten Achsen der Immuntherapie sind: G die passive Behandlung (Gabe monoklonaler Antikör-
per oder Zytokine, Transplantation adaptierter, exvivo-veränderter Immunzellen) G die aktive Behandlung (Tumorvakzine, Checkpoint-Inhibitoren, onkolytische Viren). Das Wissen um die grundlegenden Prinzipien der physiologischen Immunantwort auf Pathogene, der immunologischen Toleranz gegenüber körpereigenen Zellen und der Krebsbiologie legte die Basis für den exponentiell wachsenden Fortschritt bei Immuntherapien gegen Krebs. Translationale Forschung, vom Labor bis zur Anwendung am Patienten, war der Schlüssel zur Entwicklung der beiden wichtigsten Wege zum Ziel: Der erste führt über die Verstärkung der «natürlichen» antitumoralen Immunantworten, der zweite über einen «synthetischen» Prozess, um tumorspezifische Strukturen für neue Abwehrreaktionen zugänglich zu machen. Präklinische und klinische Pilotstudien wurden bereits durchgeführt – mit vielversprechenden Ansprechraten und verlängerter Überlebenszeit bei pädiatrischen Hochrisikoneoplasien. In diesem Zusammenhang ist die Wirksamkeit monoklonaler Anti-GD2-Antikörper zu nennen. Sie richten sich gegen neuroektodermale Disialoganglioside, die haupt-
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Schwerpunkt
Tabelle:
Weit fortgeschrittene pädiatrische Studien zur Immuntherapie
Strategie humoral
Zielstruktur CD20
CD20
CD30 CD19
zellulär
GD2 GD2 CD19
CD19 GD2
Checkpoint- CTLA-4 Inhibitoren
PD-1/PD-L1
Wirkstoff
Studien
Rituximab
Phase II, Kinder mit Posttransplanta-
tionslymphom (PTLD)
Rituximab
Phase III, Kinder mit B-Zell-Non-
Hodgkin-Lymphom (Hochrisiko) oder
Leukämie
Brentuximab pharmakokinetische Studien,
Kinder mit Hodgkin-Lymphom
Blinatumomab Phase I–II, Patienten < 21 Jahre mit rezidivierender/refraktärer ALL (akute lymphoblastische Leukämie) Ch14.18 Phase II, Kinder mit rezidivierendem oder refraktärem Neuroblastom Ch14.18 Phase III, Patienten < 21 Jahre mit Hochrisikoneuroblastom CAR-T 2 Phase-I-Studien, Kinder mit rezidi- vierenden/refraktären B-Zell-Leuk- ämien und -Lymphomen CAR-T Phase I, Kinder und junge Erwach- sene mit B-Zell-Leukämien CAR-T 2 Phase-I-Studien, Kinder mit rezidi- vierendem oder refraktärem Neuro- blastom Ipilimumab Phase I, Patienten < 21 Jahre mit rezidivierenden oder refraktären soliden Tumoren Nivolumab 2 Kinder mit Glioblastoma multi- forme und «mismatch repair deficiency» (nach Ceppi F et al., Eur J Pediatr 2017; 176: 1163–1172) sächlich auf Neuroblastomzellen vorkommen. Die Antikörperbindung induziert eine zellvermittelte Zytotoxizität, und die Überlebensdauer der Patienten mit Hochrisikoneuroblastomen steigt. Ein weiteres Beispiel ist die Wirksamkeit bispezifischer monoklonaler Antikörper, die gleichzeitig an CD19 (ein Oberflächenmolekül, das besonders auf leukämischen B-Lymphozyten zu finden ist) und T-Lymphozyten binden, wodurch Letztere aktiviert werden. Dieser bispezifische Antikörper führte zu völlig überraschenden Remissionen bei therapierefraktärer lymphoblastischer B-Zell-Leukämie. Auch die adaptive zelluläre Immuntherapie mit gentechnisch modifizierten T-Lymphozyten mit chimären Antigenrezeptoren gegen CD19 (CAR, s. unten) führte zu Remissionen bei zuvor hoch therapierefaktären, intensiv vorbehandelten Patienten mit B-Zell-ALL (ALL: akute lymphatische Leukämie). Humorale Strategien Monoklonale Antikörper (mAb) sind Biologika, die an fast jedes Antigen auf der Zelloberfläche binden können, unter anderem Zuckermoleküle, (Phospho-)Lipide, Proteine, Ganglioside, und entweder: G direkt die körpereigene, antikörperabhängige zellulär vermittelte Zytotoxizität oder die Komplementkaskade fördern G oder Signalwege der Krebszellen blockieren (Checkpoint-Inhibitoren, mAb gegen IGF-vermittelte Signalwege [IGF: insulin like growth factor]) G oder eher indirekt wirken und als Vektoren zytotoxischer Substanzen an die Zelle binden, die dann endozytiert werden. Im Idealfall werden die vom mAb erkannten Antigene in hohem Mass vor allem auf Tumorzellen und nicht auf gesunden Zellen exprimiert. Es erstaunt nicht, dass mAb allein bei grossen Tumormassen nicht viel bewirken, das ist jedoch anders bei Antikörper-Medikament-Konjugaten oder bei mAb, die zelluläre Signalwege blockieren. Der wichtigsten Vorteile der mAb sind: G die relativ geringen Anforderungen an die Lagerungs- bedingungen, sodass sie in Krankenhausapotheken vorrätig gehalten werden können G ihre eher einfachen Produktionsbedingungen, insbesondere im Vergleich zu zellulären Strategien. Allerdings bringen auch mAb Risiken mit sich, wie zum Beispiel das Risiko einer schweren Neuropathie (AntiGD2 und BV, s. unten), Infusionsreaktionen bis hin zur Anaphylaxie sowie Zytopenien mit oder ohne infektiologische Komplikationen. Dinutuximab Ein recht eindrucksvolles Beispiel für eine erfolgreiche Add-on-Strategie mit einem monoklonalen Antikörper in der pädiatrischen Onkologie ist der bereits erwähnte Anti-GD2-Antikörper (Dinutuximab), der sich gegen hauptsächlich auf Neuroblastomzellen exprimierte Disialoganglioside richtet. 2010 zeigte eine randomisierte, klinische Studie, dass die zusätzliche Gabe eines chimären Anti-GD2-mAb (zusammen mit Zytokinen wie Interleukin 2 oder GM-CSF [granulocyte macrophage colony stimulating factor]) zusätzlich zur multimodalen Basistherapie (Chirurgie, Radio- und Chemotherapie, Hochdosistherapie mit autologer Stammzellreinfusion) die Überlebensdauer der Kinder mit Hochrisikoneuroblastomen statistisch signifikant verlängerte. Rituximab Rituximab (MabThera®) ist ein weiterer chimärer (Maus/ Mensch) mAb, der an das CD20-Antigen auf reifen B-Lymphozyten bindet und damit eine komplementvermittelte Lyse und eine antikörperabhängige zelluläre Toxizität induziert. In Kombination mit konventioneller Chemotherapie werden das rezidivfreie Intervall und die Überlebenszeit bei Kindern verlängert, und zwar sowohl bei B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) und Leukämien als auch im Zusammenhang mit Posttransplantationslymphomen (PTLD: post-transplant lymphoproliferative disorders) nach einer Organ- oder Knochenmarktransplantation. Brentuximab Vedotin und Gemtuzumab Ozogamicin Brentuximab Vedotin (BV) (Adcetris®) und Gemtuzumab Ozogamicin (GO) sind Beispiele für Antikörper-Wirkstoff-Konjugate. GO bindet mit der Anti-CD33-mAb-Komponente (G) an myoloide Zellen und ermöglicht so die Endozytose des zytotoxischen Wirkstoffs (O); dieser führt durch die Induktion irreparabler DNA-Doppelstrangbrüche zum 6 Pädiatrie 1/18 Schwerpunkt Zelltod. Die Wirksamkeit von GO wurde bei rezidivierender AML (akute myeloische Leukämie) bei Kindern und Erwachsenen nachgewiesen. BV besteht aus einem Anti-CD30-mAb, der mit einem starken Wirkstoff gegen intrazelluläre Mikrotubuli (Auristatin E oder Vedotin) verbunden ist. 2011 wurde BV von der FDA zur Behandlung des rezidivierenden HodgkinLymphoms bei Erwachsenen zugelassen; Grundlage der Zulassung waren vielversprechende Resultate in frühen Studien mit Erwachsenen, aber auch mit Kindern. 2013 erfolgte die Zulassung in der Schweiz. Pädiatrische Studien laufen zurzeit noch. Blinatumomab Blinatumomab (Blincyto®) ist das Paradebeispiel eines sogenannten bispezifischen monoklonalen Antikörpers. Er bindet gleichzeitig an CD19 auf der Oberfläche von B-Lymphoblasten (wie auch Vorläuferzellen einer B-ZellALL) und den T-Lymphozyten-Rezeptor CD3: Die T-Zellen werden aktiviert und töten die B-Lymphoblasten direkt und unabhängig von der HLA-I-Restriktion (HLA: human leucocyte antigen; Histokompatibilitätsfaktor), welche normalerweise vor autoimmunen Angriffen schützt. In der entscheidenden Phase-I/II-Studie konnte man mit Blinatumomab bei Kindern, die trotz intensiver Vorbehandlung noch Leukämiezellen aufwiesen (MDR: minimal residual disease*), eine «MDR negativity» erreichen (keine Leukämiezellen mehr nachweisbar). Zelluläre Strategien Es ist bekannt, dass T-Lymphozyten eine Rolle bei der immunologischen Krebsabwehr spielen; ihre Präsenz in soliden Tumoren kann einen Einfluss auf die Überlebenschance des Patienten haben. Es wurden verschiedene Strategien entwickelt, um diese Zellen gezielt zur Kontrolle des Tumorwachstums oder der Induktion einer Tumorregression nutzen zu können. Die in den letzten Dekaden explosionsartig wachsenden Möglichkeiten der Gentechnik erlauben es heute, den T-Zell-Rezeptor ex vivo zu modifizieren und chimäre Antigenrezeptoren (CAR) zu erzeugen, die eine erhöhte Antigenspezifität aufweisen. Hierfür werden autologe, dem Patienten entnommene T-Lymphozyten mittels viraler Genfähren ex vivo verändert. Sie exprimieren danach beispielsweise eine CD19-Antigen-bindende Domäne, die derart mit intrazellulären Signalwegen verbunden ist, dass die CD19-Antigenerkennung bei diesen modifizierten T-Zellen nun – anders als zuvor – unabhängig vom Histokompatibilitätskomplex (MHC: major histocompatibility complex) zur Aktivierung führt. Mehrere Forschungsgruppen haben bereits eindrucksvolle Berichte zur Wirksamkeit verschiedener CD19-CAR-Varianten bei Patienten mit rezidivierender/refraktärer B-Zell-ALL publiziert, mit einer kompletten Remission in bis zu 70 bis 90 Prozent der Fälle. Die CAR-T-Zell-Therapien sind im Hinblick auf ihre Wirksamkeit zwar vielversprechend, aber nicht frei von toxischen Nebenwirkungen; einige davon sind potenziell lebensbedrohend. Die häufigste Komplikation ist der sogenannte Zytokinsturm (CRS: cytokine release syndrome), ein Syndrom inflammatorischer Symptome aufgrund überbordender Zytokinausschüttung im Zusammenhang mit T-Zell-Aktivität und -Proliferation. Bei den meisten Patienten verläuft das CRS mild (grippeähnliche Symptome mit Fieber und Myalgie). Bei manchen Kindern kann es aber auch zu schweren Komplikationen kommen, mit Durchlässigkeit der Blutgefässe (capillary leak), Hypotonie, Lungenödem und Gerinnungsstörungen bis hin zu Multiorganversagen und Tod. Schweres CRS konnte man bisher bei fast allen Patienten mit supportiver Therapie und Immunsuppression (inkl. Tocilizumab, ein mAb, der Interleukin 6 blockiert) in den Griff bekommen. Eine weitere wohlbekannte Nebenwirkung ist die Neurotoxizität, die typischerweise nach der CRS-Symptomatik ihren Gipfel erreicht und in der Regel ohne offensichtliche Langzeitfolgen von selbst wieder verschwindet. Die Erfahrungen mit der CAR- Technologie bei soliden pädia- Immuntherapien versprechen trischen Tumoren sind noch li- bezüglich refraktärer pädmitiert, waschsen aber rasch. iatrischer Neoplasien zurzeit Zurzeit laufen Phase-I/II-Stu- den grössten Erfolg. dien zum refraktären Neuroblastom mit GD2-spezifischen CAR-T-Zellen sowie zu HER2positiven Sarkomen (HER2: human epidermal growth factor receptor 2) mit HER2-CAR-T-Zellen. Auch bei rezidivierenden malignen Hirntumoren, wie dem Glioblastom, werden CAR-T-Zellen eingesetzt; einige dieser Glioblastome exprimieren HER2 oder den Interleukin-13Rezeptor-alfa (IL-13Ra). Die Injektion von IL-13Ra-CAR-TZellen direkt in die Tumorregion führte zu einer eindrücklichen Regression metastatischer Läsionen. Immunmodulierende Wirkstoffe (Checkpoint-Inhibitoren) Immunologische Checkpoint-Inhibitoren (u.a. biotechnologisch hergestellte Antikörper) sind Wirkstoffe, die gezielt ganz bestimmte Mechanismen blockieren, mit denen sich maligne Zellen dem Angriff des Immunsystems entziehen. In anderen Worten: Diese Wirkstoffe ziehen dem Tumor die Tarnkappe herunter und setzen ihn somit den ungehinderten zytolytischen Attacken des körpereigenen Immunsystems aus. Als «Tarnkappe» fungieren Rezeptoren auf der Oberfläche von Tumorzellen, welche Tumortoleranz induzieren. Dazu gehören die Rezeptoren PD1 (programmed cell death receptor 1 bzw. sein Ligand PD-L1) und CTLA-4 (cytotoxic T lymphocyteassociated protein 4), die eine krebsinduzierte T-ZellAktivierung stark dämpfen. Bei Erwachsenen mit vorangeschrittenem nicht kleinzelligem Lungenkrebs, Nierenzellkarzinom oder Melanom zeigte sich eine beeindruckende Wirksamkeit der PD1-/PD-L1-Inhibitoren Nivolumab (Opdivo®) und Pembrolizumab (Keytruda®) sowie des CTLA-4-Hemmers Ipilimumab (Yervoy®). Für die Anwendung von Checkpoint-Inhibitoren bei Kindern liegen zurzeit nur limitierte Daten zur Wirksamkeit und Toxizität vor. 2016 wurden die Resultate einer Phase-I-Studie mit Ipilimumab bei Kindern mit rezidivierenden/refraktären Tumoren publiziert (hauptsächlich Melanome und Sarkome). Man beobachtete immunvermittelte Toxizitäten wie Endokrinopathien, Pankreatitis, Hepatitis, Kolitis und Pneumonitis. Interessanterweise profitierten die Patienten mit immunvermittelten Toxizitätserscheinungen in stärkerem Masse als diejenigen ohne; auch die Überlebenschancen der Patienten mit Toxizitätserscheinungen waren besser. Bei 6 der 33 Kin- * Die minimale Resterkrankung (MRD: minimal residual disease) ist der wichtigste Parameter für die Prognose bei einer Leukämieerkrankung; der Anteil leukämischer Zellen muss unter die Nachweisgrenze oder zumindest unter ein bestimmtes Niveau sinken. 1/18 Pädiatrie 7 Schwerpunkt der und Jugendlichen wurde die Progredienz nach 4 bis In einer kleinen Studie mit 5 Patienten mit rezidivieren- 10 Zyklen gestoppt (stable disease). Zurzeit laufen noch der/refraktärer Leukämie wurden nach allogener Stamm- mehrere pädiatrische Studien mit PD1/PD-L1-Hemmern, zelltransplantation mit WT1 beladene dendritische hauptsächlich zu hochgradigen Gliomen, soliden Tumo- Zellen des Spenders infundiert, zusammen mit einer ren und Lymphomen. Lymphozyteninfusion des gleichen Spenders. Damit wurde ein Graft-versus-leukemia-Effekt erzeugt. Bei Onkolytische Viren 3 Patienten (alle mit ALL) zeigte sich sowohl in vivo als Als replikationsfähiges und sich somit selbst ausbreiten- auch in vitro eine immunologische Reaktion gegen WT1. des Agens können onkolytische Viren (OV) sowohl lokal, Bei Kindern mit soliden Tumoren oder hämatologischen direkt in den Tumor als auch systemisch appliziert Krebserkrankungen ergaben Tumorvakzinestudien bis- werden. Sie töten die Tumorzellen entweder direkt oder her nur bescheidene Ansprechraten, mit besseren Resul- indirekt über die Induktion einer Immunantwort taten bei Kindern mit minimaler Resterkrankung. Auch und/oder einer Inflammation in der unmittelbaren Um- hier beginnen sich bei Kombinationstherapien mit Tu- gebung des Tumors, im sogenannten Mikro-Environ- morvakzinen plus Checkpoint-Inhibitoren vielverspre- ment. Es wurden verschiedene DNA- oder RNA-basierte chende Resultate bei Erwachsenen abzuzeichnen, die virale Vektorsysteme entwickelt. Diese werden zurzeit in sich hoffentlich auch bei Kindern und Jugendlichen zei- einer Reihe früher klinischer Studien getestet, meist bei Pa- gen werden. tienten mit rezidivierenden/refraktären soliden Tumoren. Eines der Vektorsysteme, das auch bei rezidivierenden Schlussfolgerungen pädiatrischen Sarkomen verwendet wird, ist Talimoge- Die hier beschriebenen neuen therapeutischen Perspek- gen laherparepvec oder kurz T-VEC (Imlygic®), ein OV auf tiven sind vorläufiger Natur und müssen in grösseren kli- der Basis eines Herpesvirus (HSV-1). Man erreichte damit nischen Studien bestätigt werden. Das gilt insbesondere recht eindrucksvolle Erfolge bei Melanomen im Erwach- nicht nur für die Wirksamkeit, sondern auch für die senenalter, mit lokaler, aber auch systemischer Wirkung potenziellen kurz- und langfristigen Nebenwirkungen (Metastasen) nach der Injektion in den Tumor. dieser Therapien. Weitere wichtige Fragen stellen sich wegen der Kosten-Nutzen-Relation und des fairen Zugangs zu Zu den Risiken gehören schwere Neuropathien, Infusionsreaktionen, Zytopenien und der potenziell lebensbedrohende «Zytokinsturm». Immuntherapien – nicht nur in Schwellen- und Entwicklungsländern, sondern auch in hoch entwickelten, reichen Ländern. Wie wollen wir hierbei eine globale Gerechtigkeit sicherstellen, die ein Grundpfeiler der ethischen medizinischen Versor- gung des vulnerablen Kollektivs krebskranker Kin- Leider zeigten sich bis jetzt noch keine objektiv mess- der ist? Es gibt viele offene Fragen und – bis jetzt – nur baren Erfolge in pädiatrischen Phase-I/II-Studien mit OV. wenige Antworten. Während der technische Fortschritt Die Tatsache, dass viele bedeutende pädiatrische Ar- neue Erkenntnisse schnell in die Klinik bringen wird, sind beitsgruppen (u.a. US Children’s Oncology Group) eine Veränderungen hinsichtlich des politischen und regula- ganze Reihe entsprechender Studien planen, spricht torischen Klimas dringend notwendig. jedoch für das wachsende Potenzial der OV. Möglicher- weise könnten Kombinationstherapien mit OV und an- Korrespondenzadresse: deren Behandlungen, wie beispielsweise Checkpoint-In- Prof. Dr. med. Nicolas von der Weid hibitoren oder Radiotherapie, das Potenzial dieser Abteilungsleiter Hämatologie-Onkologie Agenzien voll ausschöpfen. Universitätskinderspital beider Basel UKBB Spitalstrasse 33 Tumorvakzine 4056 Basel Tumorvakzine sollen eine anhaltende Zytotoxität indu- E-Mail: nicolas.vonderweid@ukbb.ch zieren, die sich – im Sinne des persistierenden immunologischen Gedächtnisses – gegen ein spezifisches Anti- Interessenlage: Der Autor deklariert keine potenziellen Interessenkonflikte. gen richtet. Solche Antigene können Peptide oder Proteine (z.B. WT1, LMP2, PR1) oder DNA (Myc-N, bcr- Literatur auf Anfrage beim Autor. abl) sein. Grosse Hoffnungen setzte man auf die Imp- fung mit lebenden dendritischen Zellen, die eine lang- fristige Immunantwort induzieren sollten. 8 Pädiatrie 1/18