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Schwerpunkt
«Man muss Haus- und Kinderärzten eine aktive Rolle geben»
Die Schweizerische Pädiatrische Onkologie-Gruppe (SPOG) befasst sich mit der Forschung in der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie. Wir sprachen mit Prof. Roland Ammann, Präsident der SPOG, über die Aktivitäten der Forschungsgruppe und die Rolle der Haus- und Kinderärzte bei der Behandlung krebskranker Kinder.
Prof. Roland Ammann ist Präsident der Schweizerischen Pädiatrischen Onkologie-Gruppe (SPOG) und Leitender Arzt Pädiatrische Hämatologie und Onkologie an der Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital Bern.
Pädiatrie: Herr Prof. Ammann, welche Ziele verfolgt die Schweizerische Pädiatrische Onkologie-Gruppe? Prof. Dr. med. Roland Ammann: Geschichtlich ist die SPOG die Selbstorganisation der in der Kinderonkologie aktiven Zentren. Auch heute sind die Mitglieder der SPOG immer noch Institutionen und nicht einzelne Personen. In der Schweiz sind die Spezialisten für Kinderonkologie, wie in den meisten Ländern, gleichzeitig auch auf Kinderhämatologie spezialisiert. Vor einem Jahr haben wir deshalb die Ziele der SPOG erweitert. Diese umfassen nun sowohl die Forschung in der Kinderonkologie als auch der Kinderhämatologie. Eine parallele Fachgesellschaft der Kinderhämatoonkologen, wie zum Beispiel in Deutschland, gibt es in der Schweiz nicht. Konkret betreibt die SPOG derzeit Forschung in der pädiatrischen Onkologie, indem sie sich an Multizenterstudien beteiligt, deren Ursprung meistens im Ausland liegt, und indem sie eigene Multizenterstudien unter Federführung der SPOG plant und durchführt.
Haben Sie sich persönlich ein spezielles Ziel gesetzt, das Sie während Ihrer Präsidentschaft verfolgen wollen? Ammann: Wir Schweizer sollten uns nicht verstecken und den in der Schweiz konzipierten Multizenterstudien genügend Gewicht geben. Früher hat man sogar noch eigene Schweizer Therapiestudien durchgeführt. Ich
« Bezüglich Supportive-Care-Themen haben wir
genügend Patienten in der Schweiz, um nützli-
che und gute Fragestellungen wissenschaftlich
präzise zu beantworten. »
denke aber nicht, dass solche Studien heute noch sinnvoll sind, dafür sind die Fallzahlen in der Schweiz viel zu klein. Besser ist es, bei internationalen Therapiestudien mitzumachen und eventuell einmal selbst eine zu designen. Das ist im Moment aber noch nicht absehbar. Anders als bei den Therapiestudien sieht es bei SupportiveCare-Themen aus. Hier haben wir genügend Patienten in
der Schweiz, um nützliche und gute Fragestellungen wissenschaftlich präzise zu beantworten. Und das ist sicher auch mein persönliches Steckenpferd.
Wie sehen Sie die Rolle der niedergelassenen Pädiater bei der Behandlung krebskranker Kinder? Ammann: Die sehe ich persönlich, wie auch das gesamte Berner Team, als sehr wichtig an. Wenn ein Kind mit einer Krebsdiagnose zu uns kommt, mit Aussicht auf Heilung durch eine mühsame und langwierige Therapie, dann war dieses Kind vorher schon beim Kinder- oder Hausarzt – und später wird es das auch wieder sein. Die Rolle der Kinder- beziehungsweise Hausärzte ist sehr wichtig. Sie darf nicht unterbrochen werden. Konkret: Wenn ein Patient nach der ersten Hospitalisation nach Hause geht, sage ich immer: «Okay, und in drei Tagen gehst du zu deinem Hausarzt. Der muss schauen, wie es dir geht, damit er eine Grundlage hat, um dich zu beurteilen, wenn es einmal einen Notfall gibt, bei dem du nicht nach Bern kommen musst, sondern bei dem dich ein guter Arzt, der dich kennt, anschaut.» Es ist wichtig, dass dieser kompetente Kontakt bestehen bleibt. Daneben haben wir hier in Bern sehr gute Erfahrungen mit kurzen klinischen Kontrollen und Blutbildkontrollen gemacht, welche die Kinder- und Hausärzte selbst durchführen. Sie schicken uns einen Fax mit den Resultaten und eventuell wichtigen klinischen Befunden, und wir informieren dann die Patienten oder die Eltern über diese Resultate und was sie konkret bedeuten, zum Beispiel für die Dosierung einer oralen Chemotherapie. Wir geben so den Haus- und Kinderärzten eine aktive Rolle im Alltag, damit sie auch eine aktive Rolle in einer Notfallsituation einnehmen können. Dann muss zum Beispiel ein Kind aus dem Wallis nicht gut zwei Stunden lang nach Bern fahren, nur um zu schauen, wie fit es ist. Diesen Allgemeinzustand kann ich via Telefon schlecht erfassen. Da ist der Patient viel besser durch seinen Hausarzt betreut, der auch im Wallis ansässig ist. Aber nur, wenn dieser Hausarzt den Patienten regelmässig sieht und somit auch unter Chemotherapie kennt. Das wäre nur schlecht möglich, wenn er ihn seit einem Jahr nicht mehr gesehen hätte.
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Mit der SPOG betreuen Sie extrem viele Studien, auf der Website sind an die 100 aufgelistet. Bedeutet das, dass alle krebskranken Kinder in der Schweiz in einer Studie sind? Ammann: Das wäre das Ziel. Die 94 Studien, von denen Sie sprechen, sind nur zum Teil Studien, welche zurzeit Patienten rekrutieren. Wenn heute ein neuer Patient kommt, kann er in eine dieser Studien aufgenommen werden. Andere sind aber bereits für die Rekrutierung geschlossen, es werden nur noch Follow-up-Daten erhoben, wobei gerade diese Langzeitdaten nach Abschluss der Therapie sehr wichtig sind.
interessiert mitzumachen, es hat dann aber leider aus verschiedenen Gründen nicht geklappt. Diese Studie ist aber so designt, dass sie innerhalb nützlicher Frist abgeschlossen werden kann, auch wenn sie nur in der Schweiz läuft. Eine therapeutische Studie zur Behandlung einer Krebserkrankung, die wir hier designen und an der sich dann internationale Zentren beteiligen, ist ein Zukunftstraum, denn die gibt es heute noch nicht. Was es aber schon gibt, ist das Schweizerische Kinderkrebsregister mit vielen Kooperationsprojekten mit ausländischen Kinderkrebsregistern, sodass man mit deutlich grösseren Zahlen arbeiten kann, wodurch präzisere Aussagen ermöglicht werden.
« Wir stecken teilweise gut 1000 Arbeitsstunden in die Eröffnung einer neuen Studie.»
Im Moment stehen wir allerdings vor hohen regulatorischen Hürden, die deutlich grösser sind als die Kapazität an Personal, das wir im SPOG-Koordinationszentrum zur Verfügung haben. Dies führt zu Verzögerungen bei der Eröffnung von Studien, was uns Kliniker nervt. Auch in Europa harzt es mit dem Start neuer Studien, weil die Anforderungen massiv gestiegen sind und man erst einmal Hunderte Seiten Papier ausfüllen muss. In der Schweiz wird das durch ein anspruchsvolles Humanforschungsgesetz noch verstärkt. In der Realität müssen wir deshalb heute froh sein, wenn 50 Prozent der krebskranken Kinder an Studien teilnehmen können.
Sie sagten, dass meist internationale Studien für die Schweiz adaptiert werden. Gibt es auch Studien, die von der SPOG ausgehen und international adaptiert werden? Ammann: Ja, es läuft eine klinische Studie zum Thema Fieber bei Neutropenie. In Deutschland war ein Zentrum
Was wäre aus Ihrer Sicht für die kommenden Jahre bei der Behandlung krebskranker Kinder wünschenswert? Ammann: Dass die Regulationsdichte und die Anforderungen der gesetzlichen Regulation nicht weiter ausgebaut, sondern für unsere Studien wenn möglich reduziert werden. Wir stecken teilweise gut 1000 Arbeitsstunden in die Eröffnung einer neuen Studie. Nicht etwa, um sie zu erfinden, sondern nur, um sie aus dem Ausland an Schweizer Verhältnisse zu adaptieren und alle gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Und dann können wir vielleicht in vier Jahren zwei Patienten für diese Studie rekrutieren, wenn es um eine sehr seltene Erkrankung geht. Hier besteht ein massives Missverhältnis zwischen Aufwand und Nutzen. Konkret für Bern wünsche ich mir, dass wir weiterhin die sehr gute Zusammenarbeit mit den einzelnen Hausärzten behalten können und diese vielleicht auch an anderen Zentren ausgebaut wird.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Dr. Renate Bonifer.
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