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SCHWERPUNKT
Knochengesundheit bei Kindern und Jugendlichen mit erhöhtem Frakturrisiko
Immobile Patienten mit schwerer Zerebralparese, Muskeldystrophie oder sonstiger schwerer Behinderung, aber auch Patienten mit Anorexia nervosa, unter Antiepileptika- oder pharmakologischer Glukokortikoidherapie – sie alle tragen ein erhöhtes Frakturrisiko. Wie man dieses Risiko vermindern kann, wird im Folgenden erläutert.
Von Dagmar l’Allemand, Katrin Heldt, Aikaterini Stasinaki und Ursina Probst-Scheidegger
Die Osteoporose wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einer der wichtigsten zehn Volkskrankheiten unserer Zeit erklärt. Neben dem Bewegungsmangel ist sie bei Kindern meistens durch einen Vitamin-D- und/oder Kalziummangel bedingt, welcher gleichzeitig weltweit eine bedeutende Ursache von Rachitis respektive Osteomalazie darstellt und einen wesentlichen Einfluss auf kindliches Wachstum, neurologische Entwicklung und kardiovaskuläre Risiken hat (1). Für eine gesunde Knochenentwicklung wird Folgendes benötigt: • mechanische Stimulation des Skeletts; • ausreichende Versorgung mit Kalzium und Vitamin D, Zink und Proteinen (Tabelle 1 und 2); • altersentsprechende Spiegel von Wachstumshormon (GH) beziehungsweise Wachstumsfaktor, IGF-I (insulin like growth factor) und Geschlechtshormonen (s. Abbildung); • normale Schilddrüsenhormonspiegel. Für die Prävention und Therapie des Vitamin-D- und Kalziummangels wurden kürzlich evidenzbasierte weltweite Empfehlungen formuliert (1), die im 1. Lebensjahr die Aufnahme von 400 IE Vitamin D und danach 600 IE täglich empfehlen, was bei Risikogruppen nur durch Supplementation erreichbar ist. Diese Empfehlungen ergänzen die in dieser Zeitschrift im Jahr 2011 publizierten (2) und die Schweizer nationalen Empfehlungen von 2012 (3). Der vorliegende Artikel befasst sich überwiegend mit Kindern und Jugendlichen, die zum Beispiel aufgrund einer chronischen Krankheit oder genetischen Disposition ein erhöhtes Risiko für Frakturen beziehungsweise einen Vitamin-D-Mangel aufweisen. Darüber hinaus wurden in den letzten 15 Jahren grundlegend neue Erkenntnisse in der Physiologie des Kalzium-Phosphat-Stoffwechsels gewonnen, zum Beispiel neben der Kaskade der Kalziumrezeption und
-kontrolle auch das FGF23 (fibroblast growth factor 23) und Klotho (ein Proteohormon) enthaltende System der Phosphatregulation, ebenso wie im Bereich Knochenerkrankungen, zum Beispiel deren genetische Diagnostik, die an anderer Stelle zusammengefasst sind (4, 5).
Erhöhte Knochenbrüchigkeit und Osteoporose im Kindesund Jugendalter
Fragilitätsbrüche (fragility fractures) treten unter dem Einfluss von Alltagskräften oder einem minimalen
Kasten: Definition einer Osteoporose bei Kindern und Adoleszenten
Fraktur der Röhrenknochen Zwei Hauptkriterien müssen erfüllt sein: 1. Klinisch bedeutsame Vorgeschichte: • zwei oder mehr Frakturen der langen Knochen bis zum Alter von 10 Jahren oder • drei oder mehr Frakturen der langen Knochen bis zum Alter von 19 Jahren plus 2. Erniedrigte Knochendichte (BMD, g/cm2), • definiert als Z-Score ≤ –2,0, bezogen auf alters-, geschlechts- und grössenange-
passte Referenzwerte • oder erniedrigter Knochenmineralgehalt (BMC, g).
Wirbelkörperfrakturen Eine oder mehrere Wirbelkörperkompressionsfrakturen, ohne vorgängiges schweres Trauma und ohne lokale Erkrankung, genügen für die Definition einer Osteoporose, auch bei normaler Knochendichtemessung.
nach: International Society for Clinical Densitometry (ISCD), www.iscd.org/official-positions/2013iscd-official-positions-pediatric/
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Diagnose einer Osteoporose erwogen werden (Kasten), wenn ein Knochen wegen unzureichender Knochenmasse oder Architektur nicht in der Lage ist, den mechanischen Anforderungen zu widerstehen und bei inadäquaten Traumata Frakturen auftreten (6).
Abbildung: Flussdiagramm Diagnostik und Therapie bei erhöhtem Frakturrisiko 1 Bestimmung dieser Parameter nur beim Erstscreening oder bei klinischen Auffälligkeiten 2 Die Pubertät gilt als verzögert, wenn bei Mädchen bis zum 13. Geburtstag kein Brustwachstum (mind. Tanner B2) und bei Knaben bis zum 14. Geburtstag kein Hodenwachstum (Hodenvolumen > 3 ml) eingesetzt hat. 3 Bei Adipositas mit BMI > 97. Perzentile sollte die Vitamin-D-Dosierung verdoppelt werden. 4 Diese Dosierungen gelten erst nach den ersten 3 Lebensmonaten.
25-(OH)-Vit-D: 25-Hydroxycholecalciferol; AP: alkalische Phosphatase; Ca: Kalzium; Ca/Crea-Ratio: Kalzium-KreatininQuotient; Crea: Kreatinin; fT4: freies Thyroxin; IGF-1: insulin-like growth factor 1; Mg: Magnesium; Ph: Phosphat; PTH: Parathormon; TSH: Thyreotropin.
Trauma wie Hinfallen aus dem Stand auf, bei Kindern zumeist am Unterschenkel oder Unterarm, Humerus oder an den Füssen (5). Wirbelkörperfrakturen hingegen verlaufen häufig asymptomatisch oder manifestieren sich nur durch Rückenschmerzen. Sie müssen bei Kindern mit erhöhtem Fragilitätsrisiko aktiv gesucht werden. Differenzialdiagnostisch ist bei wiederholten unerklärten Frakturen eine Kindsmisshandlung in Erwägung zu ziehen. Eine Mineralisierungsstörung, wie sie bei Rachitis vorliegt, ist von einer Osteoporose mit einer reduzierten Menge an Knochensubstanz zu unterscheiden. Bei der Ersteren ist eine Verbesserung der Mineralisierung des Osteoids durch eine Zufuhr von Kalzium und Vitamin D sicherzustellen, bei der Osteoporose hingegen muss ein Anreiz zum Knochenaufbau beziehungsweise eine Hemmung des Knochenabbaus bewirkt werden. Grundsätzlich sollte bei Kindern die
Knochendichtemessung
Die Knochendichte wird meistens mittels DualEnergy-X-Ray-Absorption (DEXA) erfasst. Bei dieser zweidimensionalen Absorptionstechnik wird der Surrogatparameter «Knochenflächendichte» gemessen, der eine Mischung aus physikalischer Dichte, Knochenmasse und Knochenarchitektur ist. Zwar ist ein Vorteil, dass Informationen über die Körperzusammensetzung gewonnen werden und der Parameter «lean mass» als Surrogatparameter für die Muskulatur verwendet werden kann (6), bei dieser Betrachtung erhalten jedoch Kinder mit einer geringeren Körpergrösse geringere Z-Werte als gross gewachsene Kinder, die falsch hohe Z-Werte erzielen, da die Körpergrösse das Ergebnis mit beeinflusst. Cave: Bei kleinwüchsigen Kindern sowie bei Kindern mit konstitutioneller Entwicklungsverzögerung müssen die grössen-, geschlechts- und alterskorrigierten Normwerte zur Berechnung des Z-Scores bei der DEXA-Messung verwendet werden (7). Die Methode der peripheren quantitativen Computertomografie (pqCT), die neben der Dichte die Knochenmasse pro Volumen und die Knochenstruktur erfassen kann, ist bei Kindern sinnvoll, insbesondere kann pqCT aufgrund der Messung nur an Extremitäten auch bei jenen eingesetzt werden, die aufgrund von schwerer Kyphoskoliose, Kontrakturen oder Metallimplantaten nicht mit DEXA untersucht werden können.
Sekundäre oder primäre Osteoporose?
Die sekundäre Osteoporose ist die häufigere Form der Osteoporose und Folge einer schweren chronischen Grunderkrankung oder deren Therapie (s. unten). Die primäre Osteoporose ist im Kindesalter selten. Ihre häufigste Ursache ist die Osteogenesis imperfecta (OI), aufgrund von Defekten in den COL1A1, COL1A2 oder anderen Genen, die die Qualität oder Quantität von Kollagen I verändern. Die OI ist eine klinische und/oder biochemische Diagnose, die immer ausgeschlossen werden sollte, auch wenn keine blauen Skleren, Zahnschmelzdefekte oder Hörprobleme zu finden sind, weil die zugrunde liegende Bindegewebsstörung zu Komplikationen wie Netzhautablösung und Hörstörung sowie Aortenwurzeldilatation oder anderen kardiovaskulären Problemen führen kann (5).
Erhöhtes Frakturrisiko und sekundäre Osteoporose im Kindes- und Jugendalter
Längerfristig immobile sowie fehl-/mangelernährte Patienten haben ein erhöhtes Risiko, einen Mangel an den eingangs genannten Faktoren für die Knochengesundheit zu erleiden, was zu einer erhöhten Knochenbrüchigkeit führen kann (3). Wie in Tabelle 3 gezeigt, sind immobile Patienten mit schwerer Zerebralparese,
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Muskeldystrophie und sonstiger schwerer Behinderung sowie Patienten mit Anorexia nervosa oder chronischen Erkrankungen (Malabsorptionssyndrome bzw. Zöliakie, Mukoviszidose, Morbus Crohn, chronische Niereninsuffizienz, Leber- und Gallenwegserkrankungen oder Diabetes mellitus) betroffen. Antiepileptika können das Mangelrisiko zusätzlich steigern, da sie den Vitamin-D-Spiegel und die Knochendichte direkt und indirekt reduzieren können (8, 9) (Tabelle 4). Die Hauptursache der sekundären Osteoporose in tertiären Pädiatriezentren (5) ist die Glukokortikoidtherapie. Das Ausmass des Frakturrisikos bei Glukokortikoidtherapie ist abhängig von der Dosis, Pharmakodynamik und Anwendungsdauer (s. http://spitalpharmazie-basel.ch/pdf/glucocorticoide.pdf). Bei einer pharmakologischen Glukokortikoidmedikation mit einer Dosis von 2,5 bis 5 mg Prednisolonäquivalent/m2 KOF/Tag (= 10–20 mg Hydrocortison/m2 KOF/Tag, s. auch [10]) über eine Dauer von mehr als 3 Monaten besteht ein erhöhtes Frakturrisiko; dieses Risiko ist, wie im Folgenden ausgeführt, zu evaluieren und zu behandeln (5).
Diagnostik bei erhöhtem Frakturrisiko
Wie zuvor erwähnt soll bei Kindern mit entsprechendem Risiko eine basale sowie 6- und 12-monatliche Evaluation des Kalzium-Phosphat-Stoffwechsels stattfinden (s. Abbildung), insbesondere vor und während des Einsatzes von Glukokortikoiden. Ziel: Am 8. Geburtstag beziehungsweise 3 Monate nach Therapiebeginn mit Glukokortikoiden in pharmakologischer Dosis erfolgte bei jedem Kind mit erhöhtem Frakturrisiko die folgende Diagnostik (5, 11): • Evaluation der Kalziumeinnahme via Nahrung
(Milchprodukte, Sondennahrung) • Erfassen der Frakturanamnese • klinische Untersuchung einschliesslich BMI, Puber-
tätsstadium, Fettmasse (Hautfalten, BIA) • Blutentnahme zur Bestimmung von: Ca, Ph, Mg,
(Zn), alkalischer Phosphatase (AP), Kreatinin, 25OH-Vitamin D, Parathormon (PTH), TSH, fT4, IGF-I • Spoturin (ggf. mit Wattebausch in der Windel) zur Bestimmung des Kalzium-/Kreatinin-Quotienten (normal: ab 8. Geburtstag 0,1–0,6 mmol/mol Kreatinin) • Cave: Falsch hohe Kalzium/Kreatinin-Werte bei erniedrigter Kreatininexkretion durch reduzierte Muskelmasse! Bei Erhöhung: Kontrolle im zweiten Nüchternmorgenurin (normal: Kalzium/KreatininQuotient < 0,5 mol/mol Kreatinin) • Röntgen der Wirbelsäule seitlich und/oder DEXA (zumindest bei chronischer pharmakologischer Glukokortikoidtherapie oder immobilisierender Zerebralparese). Die Bestimmung der Knochendichte (DEXA-Scan) ist bei Diagnose und 6 Monate nach Therapiebeginn bei Leukämie und chronisch entzündlichen Erkrankungen sowie Anorexie empfohlen. Sie ist für die Beobachtung des Langzeitverlaufs hilfreich und erlaubt gegebenenfalls eine rechtzeitige spezifische Therapie mit Bisphosphonaten oder Antizytokinen (5).
Gleichzeitig wird bei erhöhtem Frakturrisiko oder bei Osteoporose initial und jährlich ein Röntgen der Wirbelsäule seitlich empfohlen oder, falls technisch möglich, eine seitliche Wirbelsäulenfrakturmessung (VFA) mittels DEXA (5).
Spontanheilung und Therapie
Die Behandlung der Ursachen der Knochenfragilität (Tabelle 2) steht an erster Stelle, zum Beispiel eine Reduktion der Glukokortikoiddosis oder Hormonersatz bei Mangel an Geschlechts- oder Wachstumshormon. Während des Wachstums kommt es nach Elimination der Risikofaktoren und Förderung der knochenanabolen Faktoren (s. unten) zu einer Spontanheilung der Osteomalazie beziehungsweise Osteoporose, insbesondere bei Wirbelkörperfrakturen. Das «reshaping» der Wirbel kann mittels Röntgen oder DEXA evaluiert werden (5). Bei Instabilität oder immobilisierenden Schmerzen ist eine intravenöse Bisphosphonattherapie durch Spezialisten zu erwägen, die bereits nach 1- bis 2-maliger
Tabelle 1: Kalziumzufuhr, allgemeine Empfehlungen
Alter Kalzium/Tag
0–3 Monate
220 mg
4–11 Monate
400 mg
1–3 Jahre
600–700 mg
4–6 Jahre
700–1000 mg
7–9 Jahre
900–1000 mg
10–12 Jahre 1100–1300 mg
Jugendliche 1200–1300 mg
Erwachsene
1000 mg
Schwangere/Stillende 1000 mg
D-A-CH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaften für Ernährung 2000. (mod. nach Munns CF et al., 2016 [1])
Tabelle 2: Empfohlene tägliche Vitamin-D-Zufuhr
Alter Tagesdosis p.o.
für max. 90 Tage; IE
< 3 Monate
2000
3–12 Monate
2000
> 12 Monate bis 12 Jahre 3000–6000
> 12 Jahre
6000
Einzeldosis «Stoss» p.o. – 50 000 150 000 300 000
Erhaltungsdosis, Prophylaxe; IE* 400(–500) 400(–500) 600 600
* Bei Adipositas, BMI > 97. Perzentile, sollte die täglich empfohlene Dosis verdoppelt werden. modifiziert nach: Munns CF et al., 2016 (1) und BAG/BLV-Empfehlungen 2012 (3).
Tabelle 3: Mit sekundärer Osteoporose im Kindesalter einhergehende Störungen und Erkrankungen
Iatrogene Störungen Glukokortikoide (ca. 51%) • Antikonvulsiva • Ciclosporin • Heparin • GnRH-Agonist • Radiotherapie • Methotrexat • andere: suppressive L-Thyroxin-Therapie,
Medroxyprogesteroncetat (> 10 Jahre)
Chronische Erkrankungen • onkologische Erkrankungen (Leukämie, Lym-
phom) • rheumatologische Erkrankungen • Anorexia nervosa • Zystische Fibrose • chronisch entzündliche Darmerkrankungen • Nierenerkrankungen • Transplantation • Zöliakie • Andere: primäre biliäre Cholangitis, zyanoti-
sche kongenitale Herzerkrankung, Thalassämie, Malabsorptionssyndrome, Epidermolysis bullosa
Neuromuskuläre Erkrankungen (ca. 40%) • Zerebralparese • Muskeldystrophie Typ Duchenne • Rett-Syndrom • Spina bifida • spinale Muskelatrophie
Endokrinologische Erkrankungen • Pubertätsstörungen • Turner-Syndrom • Wachstumshormonmangel • Hyperthyreose • Hyperprolaktinämie • Amenorrhö wegen Leistungssport • Cushing-Syndrom • Typ-1-Diabetes
Angeborene metabolische Störungen • Protein-Interoleranz mit Lysinurie (LPI) • Glykogenspeicherkrankheiten • Galaktosämie • Morbus Gaucher
(nach Ward LM et al., 2016 [5])
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Tabelle 4: Einfluss der Antiepileptika auf den Knochen- und Kalzium-Vitamin-D-Stoffwechsel
Substanzen Klassische Antiepileptika Benzodiazepine Carbamazepin Phenytoin Phenobarbital Primido Valproat Neue Antiepileptika Gabapentin Lamotrigin Levetiracetam Oxcarbazepin (Topiramat/Zonisamid)
BMD
25-(OH-)D3
Ca/P
↓ ↓↔ ↓ ↓↔ ↓ ↓↓ ↓ ↓↔ ↓ ↓↔ ↓ ↔↔
↓ –– ↔ ↔↔ ↔ ↔↔ ↓ ↓↔ ↓ ––
PTH
↔ ↑ ↑ – – ↔
– ? – ↑ –
Knochenstoffwechselmarker
↑ bALP, OC, ICTP, NTx ↑ bALP, OC, ICTP, NTx ↑ bALP, NTx ↑bALP, ICTP – ↑ ALP, ↑ OC
– ↔ ? ↑ bALP ↑ PYD
Knochenbildungsmarker: BMD: bone mineral density; 25(OH-)D3: 25-Hydroxycholecalciferol; PTH: Parathormon; ALP: alkalische Phosphatase; bALP: knochenspezifische alkalische Phosphatase; OC: Osteocalcin. Knochenresorptionsmarker: ICTP: C-terminal cross-linked type I collagen telopeptide; NTX: N-terminal cross-linked type I collagen telopeptide; PYD: Pyridinolin.
nach Verrotti A et al., 2010 (9), ergänzt nach Meier C und Kraenzlin ME, 2011 (13)
Tabelle 5: Kalzium- und Vitamin-D-Präparate in der Schweiz (Auswahl)
Handelsname Kalzium-Monopräparate Calcium Sandoz® 500 Calcium Sandoz® 1000 Calcium-Sandoz® Calperos® Vitamin-D-Monopräparate Vitamin D3 Streuli® Prophylax (4000 IE/ml, kleine Pipette) LuVit D3 zur Prophylaxe (4000 IE/ml, kleine Pipette) Vitamin D3 Wild (20 000 IE/ml) Vitamin D3 Streuli® zur Therapie (4000 IE/ml, grosse Pipette) LuVit D3 zur Therapie (4000 IE/ml, grosse Pipette) Vitamin D3 Streuli® inj.
Kalzium 500 mg 1000 mg 9 mg/ml 500 mg – – – –
– –
Kalzium-Vitamin-D-Kombinationspräparate*
Calcimagon®-D3
500 mg
Calcimagon®-D3 500/800
500 mg
Kalcipos-D3 500/800
500 mg
Calperos® D3
500 mg
Calcium D3 Sandoz® 500/440
500 mg
Calcium D3 Sandoz® 500/440
500 mg
Calcium D3 Sandoz® 600/440
600 mg
Vitamin D
400 IE auf 0,1 ml kleine Pipette 400 IE auf 0,1 ml kleine Pipette 500 IE pro Tropfen (0,025 ml) 800 IE auf 0,2 ml grosse Pipette
800 IE auf 0,2 ml grosse Pipette 300 000 IE pro Ampulle
400 IE 800 IE 800 IE 400 IE 440 IE 440 IE 440 IE
Darreichungsform
Brausetablette Brausetablette i.v. Injektionslösung Lutschtablette, teilbar
ölige Lösung (MCT); Gabe pur oder mit wenig Milch/Brei, nicht direkt in Sonde geben!
Geschmack
Orange Orange; Orange – Pfefferminz
–
–
–
–
ölige Lösung (MCT); Injektionslösung, p.o. (oder i.m.) alle 3 Monate
Kautablette Kautablette Filmtablette Lutschtablette Sachet/Trinklösung Kautablette Brausetablette
–
–
Orange, Zitrone, Spearmint Orange, Zitrone – Orange, Zitrone, Spearmint Vanille Orange, Apricot süss
SL
nein nein nein nein
ja
ja
nein
ja
ja
nein
ja ja ja ja ja ja ja
* Bei Kindern und Jugendlichen fragliche Compliance; die Kombinationspräparate sind gemäss Fachinformation nicht für den Gebrauch bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren bestimmt. MCT-Öl: Öl mit mittelkettigen Triglyzeriden zur besseren Absorption von Vitamin D3.
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Gabe (in der Schweiz Alendronat bzw. Neridronat) Besserung und Mobilität erzielen kann (5, 11).
Förderung und regelmässige Überprüfung der mechanischen Stimulation
Bei mobilen Kindern wird entsprechend Schweizer Richtlinien mindestens 1 Stunde pro Tag körperliche Aktivität empfohlen, aber ohne Kontaktsportarten (12); bei schwer behinderten Kindern Mobilisation (11) mittels Physiotherapie und möglichst Gewichtsbelastung im Stehbrett oder auf der Vibrationsplatte (6). Bei Kindern mit sekundärer Osteoporose aufgrund einer Zerebralparese kann ein intensives, multimodales Rehabilitationsprogramm (6 Monate, kurze stationäre Trainingsblöcke und häusliches Vibrationstraining) die motorischen Fähigkeiten (GMFM, gross motor function measure) signifikant verbessern, ebenso wie die Muskelmasse um 3,1 Prozent und die Knochenflächendichte um 7,7 Prozent.
Optimierung der Kalziumzufuhr
Die Kalziumresorption ist optimal aus Nahrungsmitteln wie Milchprodukten, weniger gut aus Mineralwasser. Es soll darauf geachtet werden, dass Kalzium nicht gemeinsam mit chelatierenden Nahrungsmitteln (z.B. Oxalsäure in Spinat, Rhabarber) eingenommen wird. Wenn die Kalziumzufuhr über die Ernährung ausreichend ist (3–4 Milchprodukte oder mehr am Tag im Alter von 8 Jahren), ist eine Anwendung von Kalziumsupplementen oder Kalzium-Vitamin-D-Kombinationspräparaten nicht nötig, denn die Compliance ist bei Kalzium-Kombinationspräparaten schlechter als bei alleiniger Vitamin-D-Gabe. Eine Zufuhr von weniger als 260 mg Kalzium/Tag im 1. Lebensjahr und ab dem 2. Lebensjahr von weniger als 300 mg Kalzium/Tag steigert das Rachitisrisiko signifikant, auch ohne gleichzeitigen Vitamin-D-Mangel (1). Neben dem Kalzium (Tabelle 1 und 5) soll auch die Zufuhr von Protein, Magnesium, Phosphat und Zink den Empfehlungen entsprechen, insbesondere ist dies bei Anorexia nervosa von Bedeutung. Bei anhaltender Mangelernährung bewirkt eine Hormontherapie mit oralen Östrogenen oder Wachstumshormon keine Verbesserung des Knochenbaus (5).
Optimierung der Vitamin-D-Zufuhr
Bei Kindern mit Rachitis oder symptomatischem Vitamin-D-Mangel gelten die vorgenannten Empfehlungen der hoch dosierten Therapie für maximal 3 Monate (Tabelle 2 und 5) (1–3). Bei immobilen Kindern unter Kalzium-Vitamin-D-Therapie ist das erhöhte Risiko einer Hyperkalziurie und Nephrokalzinose zu berücksichtigen, daher wird die Supplementierung eher niedrig dosiert (s. Abbildung) (5). Die tägliche bis wöchentliche orale Therapie ist der Stosstherapie oder i.m.-Gabe vorzuziehen (1).
Schlussfolgerung und Ausblick
Eine erhöhte Knochenbrüchigkeit beziehungsweise
Osteoporose im Kindesalter ist am häufigsten iatro-
gen bedingt oder tritt oft bei Kindern auf, die wegen
chronischer Erkrankung in ärztlicher Langzeitbetreu-
ung sind. Daraus folgt, dass die Grundvoraussetzun-
gen für eine gesunde Knochenentwicklung regelmäs-
sig überprüft und behandelt werden sollen. Genügen
Belastung und Bewegung, Ernährung und Vitamin-D-
Supplementation nicht, ist bei Spezialisten eine wei-
tergehende Behandlung anzufragen, die heute meis-
tens aus intravenöser Bisphosphonatgabe besteht (5),
zukünftig aber auf endogene Faktoren zielen wird,
die das Knochenwachstum beeinträchtigen, wie
RANKL, Sclerostin oder TGF-beta (transforming
growth factor).
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Dagmar l’Allemand-Jander
Pädiatrische Endokrinologie/Diabetologie
Ostschweizer Kinderspital
Claudiusstr. 6
9006 St. Gallen
E-Mail: dagmar.lallemand@kispisg.ch
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