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SCHWERPUNKT
Wundbehandlung bei Kindern
Angesichts weniger Studien häufig noch reine Erfahrungssache
Mangels Studien kann man bei der Wundbehandlung von Kindern neben der eigenen klinischen Erfahrung häufig auf Fallberichte zurückgreifen, um eine für den jeweiligen Fall sinnvolle Strategie zu entwickeln. Dr. Anna-Barbara Schlüer, Universitätskinderspital Zürich, berichtete an der SGP-Jahrestagung in Bern, wie man im klinischen Alltag vorgeht.
W ie in vielen anderen Bereichen der Pädiatrie sei auch beim Wundmanagement die «Evidenz ein rares Gut», so Dr. Anna-Barbara Schlüer, Pflegeexpertin APN für Haut-, Wund- und Stomaberatung, Universitätskinderspital Zürich. Wenn es um die Frage geht, welches Wundmanagement im individuellen Fall das richtige sei, stütze man sich darum auf Fallberichte sowie auf die gesammelte klinische Erfahrung eines interprofessionellen Teams. «Dabei müssen wir uns immer bewusst sein, dass wir oft die Grundlage dafür legen, ob ein Kind ein Leben lang mit einer Narbe oder einer möglicherweise eingeschränkten Funktionalität leben muss», betonte Schlüer. Dem interprofessionellen Wundbehandlungsteam am Universitätskinderspital in Zürich gehören ein plastischer Chirurg, ein pädiatrischer Dermatologe und die Wundexpertin an, bei Bedarf ergänzt um weitere Fachpersonen. Interne und externe Anfragen werden diskutiert und dann entschieden, wer im jeweiligen Fall die Führung übernimmt: «Dieses Team ist rund um die Uhr verfügbar, sieben Tage die Woche», sagte Schlüer. Leider werde an das Organ Haut häufig erst an zweiter oder dritter Stelle gedacht, weil kardiale, neurologische und pneumologische Probleme zunächst dringender erscheinen.
Schnellere Zellerneuerung bei Kindern
Die Funktionalität der Haut verändert sich mit dem Alter. So bildet sich das Granulationsgewebe bei Kindern je nach Alter etwa drei- bis viermal schneller als bei Erwachsenen, und auch die Zellerneuerung in der Epidermis läuft zwei- bis dreimal rascher ab. Darum könnten die Wirksubstanzen in Wundauflagen unter Umständen eine komplett andere Wirkungsweise bei Kindern haben, sagte Schlüer.
Schwierige Patientengruppen
Besondere Herausforderungen bezüglich des Wundmanagements stellen sich erfahrungsgemäss bei folgenden Patientengruppen:
• Neugeborenen in den ersten 28 Tagen • Kindern unter 1 Jahr • Kindern mit Gewebeverlust von mehr als 10 Prozent
(bezogen auf die gesamte Körperoberfläche) und/ oder in bestimmten Körperregionen wie dem Gesicht • Kindern mit chronischen Wunden und Hautkrankheiten • Kindern mit chronischen Krankheiten, insbesondere Immundefizienz • schwer kranken Kindern mit infizierten Wunden • Kindern mit abdominalen Wunden • Kindern unter Chemo- oder Stammzelltherapie • Kindern mit radiologisch bedingten Wunden • Kindern mit Druckgeschwüren durch medizinisch notwendige Apparate/Anwendungen.
Débridement und Desinfektion
«Débridement ist nicht gleich Desinfektion», betonte Schlüer. Für das Débridement gibt es mehrere Methoden (s. auch Linktipps), auf einige davon ging die Referentin näher ein. So sind seit einiger Zeit spezielle Mikrofaserprodukte für das Débridement der Wunde durch «Auswischen» verfügbar. Diese Form des Débridements ist einfach, schnell und auch ohne spezielle Ausbildung machbar. Anders beim mechanischen Débridement, zum Beispiel mit einem scharfen Löffel: «Das kann nur jemand machen, der genau weiss, was er tut und was passiert, falls man zu tief kommt oder zu oberflächlich bleibt», gab Schlüer zu bedenken. Man solle auch nicht erschrecken, wie viel Gewebe bei einem Débridement mitunter abgetragen werden muss; letztlich ist dies kein gesundes Gewebe, sondern nekrotisches Material, das die Wundheilung vereitelt.
Neue Wundauflagen
Ein neuer Trend bei den Wundauflagen sind Produkte, deren Wirkungsweise auf natürlichen Prozessen beruht. Dazu gehören beispielsweise Biozellulosemembranen, welche die Epithelialisierung steigern sollen, sowie Wundauflagen, Gels, Flüssigkeiten oder Puder,
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die physiologische, biophysikalische und/oder chemische Prozesse aktivieren. Für all diese Produkte gebe es aber noch keine Daten zum Gebrauch bei Kindern, sagte Schlüer. Auf die Diskussion um silberhaltige Wundauflagen bei Kindern ging die Referentin nicht näher ein. Sie sehe das ganz pragmatisch, jedes Spital habe hierzu eigene Vorlieben. Lediglich bei Neugeborenen in den ersten 28 Lebenstagen sollte man sicher keine silberhaltigen Wundauflagen verwenden – es sei denn, man habe dafür einen sehr guten, zwingenden Grund. Bei allen
Tabelle Wundauflagen für Kinder – wichtige Kriterien
• leicht zu handhaben, leicht aufzubringen • sicher • keine Einschränkung der Mobilität und der Aktivität • Beurteilung der Wundumgebung sollte möglich bleiben • darf die empfindliche Haut von Neugeborenen nicht schädigen • muss auch für sehr kleinräumige Körperregionen passen • adäquates Exsudatmanagement • schneidbar ohne feste Begrenzungen • schmerzloser Verbandswechsel
Linktipps
Wundbehandlung Wundkompendium der Schweizerischen Gesellschaft für Wundbehandlung (SAfW) 2012 Download unter: www.safw.ch/index.php/bibliothek/safwwundkompendium
Débridement European Wound Management Association (EMWA) 2013: «Débridement». Stand der Entwicklung und Rolle des Débridements: aktuelle Übersicht und Begriffsklärungen. Download unter: www.lohmann-rauscher.com/fileadmin/ content/pdf/Debridement/ Supple_EWMA_2013.pdf
anderen Kindern hätten silberhaltige Wundauflagen auf kleinen Flächen (nicht mehr als 5% der Körperoberfläche) offenbar keine negativen Folgen. Evidenzbasierte Daten zu Auswirkungen von Silber in kindlichen Körper fehlen, so Schlüer. Die Referentin formulierte eine Reihe von Kriterien, die Wundauflagen gemäss dem aktuellen Stand des Wissens für Kinder erfüllen sollten (Tabelle).
Assessment und Ziele
Um realistische Ziele und eine sinnvolle Strategie zu definieren, sei ein umfassendes Assessment der Wunde nötig, sagte Schlüer. Dazu gehört nicht nur die Beurteilung der Wunde an sich, sondern auch das Erfassen zusätzlicher Faktoren, welche die Wundheilungskapazität beeinflussen können (z.B. Medikamente, parallel notwendige Therapien), sowie Erfahrungen mit Wundheilung bei diesem Kind in der Vergangenheit (z.B. Narbenbildung). Anhand von drei Fallbeispielen erläuterte die Referentin die mitunter sehr komplexen Fragestellungen, die im Einzelfall beantwortet werden müssen. Während die Behandlung im ersten Fall, bei einem 1½-jährigen Säugling mit einer oberflächlichen Verbrühung an der Hand, noch recht einfach war, stellten ein Neugeborenes mit Epidermolysis bullosa (EB) und schwerer Pseudomonas-Septikämie sowie ein Knabe mit akuter lymphatischer Leukämie (B-ALL) und toxisch epidermaler Nekrolyse (TEN) das Team am Universitätskinderspital in Zürich vor grosse Herausforderungen. In den beiden letzteren Fällen kam unter anderem die Unterdruckwundtherapie (NPWT) zum Einsatz – eine Methode, die bei Kindern noch nicht allzu häufig angewendet wird. Für das Kind mit EB konnte dadurch Granulationsgewebe induziert und letztlich eine Hauttransplantation mit Spenderhaut der Mutter ermöglicht werden. Der Knabe durfte seine dringend anstehende Chemotherapie trotz der Wunden beginnen, weil diese mithilfe der Unterdruckwundtherapie trotzdem heilen konnten.
Renate Bonifer
Quelle: Symposium Pflege 1, Vortrag von Anna-Barbara Schlüer, Universitätskinderspital Zürich: «Wundmanagement, neueste Wundverbände, Wundauflagen». Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie in Bern, 9. bis 10. Juni 2016.
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