Transkript
CHIRURGIE
Chirurgie bei GERD im Kindesalter
Zum Stand der aktuellen Diskussion
Der im Säuglings- und Kindesalter häufige gastroösophageale Reflux verschwindet meist von selbst. Im Folgenden wird der Stellenwert der Chirurgie dargelegt, falls dies nicht der Fall ist und es zu einer gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) kommt, die mittels konservativer Massnahmen nicht kontrolliert werden kann.
Von Martina Frech und Stefan Holland-Cunz
Der gastroösophageale Reflux (GOER) ist im Säuglings- und Kindesalter weitverbreitet und nicht krankhaft. In zirka 95 Prozent der Fälle kommt es zu spontaner Verbesserung bis zum vollständigen Verschwinden des Refluxes während des ersten Lebensjahres (1). Von einer gastroösophagealen Refluxkrankheit (engl. GERD) redet man, wenn ein vorhandener GOER zusätzlich Symptome verursacht. Im Alter zwischen 2 und 17 Jahren sind 2 bis 8 Prozent aller Kinder davon betroffen (2). Eine konservative Therapie (Lifestylemassnahmen, medikamentöse Therapie) ist zunächst die Behandlung der Wahl. Kommt es darunter zu keiner Besserung beziehungsweise besteht die Abhängigkeit von einer medikamentösen Langzeittherapie, ist die Operation (Antirefluxplastik) eine bewährte, sichere und definitive Behandlungsmöglichkeit.
Präoperative Abklärung
Einer allfälligen Operation geht in der Regel eine dreistufige Abklärung voraus, bestehend aus Kontrastmittelröntgen (Breischluck), (Impedanz-)pH-Metrie sowie Endoskopie. Die Kontrastmitteluntersuchung mittels Breischluck dient vor allem dazu, präoperativ die anatomischen Verhältnisse darzustellen (z.B. eine Hiatushernie). Da es sich bei dieser Untersuchung um eine Momentaufnahme handelt, kann auch ein schwerer Reflux nicht immer erfasst und in der Untersuchungssituation übersehen werden (1). Die Strahlenbelastung für das Kind ist zu berücksichtigen, auch wenn die Untersuchung selbst die am wenigsten beeinträchtigende für die kindlichen Patienten ist. Für eine eventuelle Operationsplanung kann diese funktionelle Untersuchung jedoch wichtige Erkenntnisse liefern. Die (Impedanz-)pH-Metrie beruht auf einer 24-Stunden-Messung von pH und Impedanz (Spannungsän-
derung) im distalen Ösophagus. Dazu wird eine spezielle Sonde, die mit Sensoren ausgestattet ist, analog zu einer Magensonde, an definierter Position in den Ösophagus eingelegt. Diese Sensoren messen einerseits den pH, andererseits auch die Spannungsänderung, welche durch einen Refluxbolus entsteht. Bei refluxassoziierten, spezifischen Symptomen im pulmonalen, zahnärztlichen oder auch HNO-Bereich bietet sich neuerdings auch die Rachen-pH-Metrie in der Abklärung an. Hier wird eine 24-Stunden-pH-Messung im Rachenraum durchgeführt, die somit sehr hohe, vor allem sogenannte stumme nächtliche Refluxepisoden aufzeichnen kann. Derzeit werden sowohl für die Impedanzmessung als auch für die Rachen-pH-Metrie Normwerte für das Kindesalter ermittelt. Eine Ösophagogastroskopie dient der Darstellung von Anatomie und funktionellem Verschluss auf Hiatusebene sowie zur Beurteilung der entzündlichen Mukosaveränderungen der unteren Speiseröhre. Sie kann die Schwere einer Ösophagitis und deren Komplikationen durch gewonnene Biopsien und deren histologische Aufarbeitung verifizieren. Der diagnostische Nutzen dieser narkosepflichtigen Methode ist bei Kindern ist nicht sehr ausführlich untersucht (3, 4), die Befunde sind jedoch in Hinblick auf den Schweregrad wegweisend für die Indikationsstellung zur Operation.
Indikation zur chirurgischen Therapie
Eine Antirefluxplastik vor dem vollendeten 1. Lebensjahr ist kritisch zu diskutieren. Sowohl die Nahrungsumstellung als auch die zunehmende «Vertikalisierung» im Alltag gegen Ende des 1. Lebensjahres können zu spontaner Verbesserung führen, sodass jegliche Therapie hinfällig wird. Trotzdem finden sich
4/16
Die laparoskopische Fundoplicatio ist eine sehr sichere und komplikationsarme Operation.
29
CHIRURGIE
Abbildung 1: Fundoplicatio nach Nissen
Abbildung 2: Fundoplicatio nach Thal
in der Literatur einige Studien mit grossen Patientenkollektiven von operierten Kindern < 12 Monate (4, 6). Wie in anderen Studien beschreiben auch von Baerg et al. aus dem Jahr 2013 eine höhere Reoperationsrate bei jungen Kindern (7–9). Die Indikation zur chirurgischen Therapie bei GERD wird ausschliesslich individualisiert für den einzelnen Patienten gestellt. Eindeutige Indikationen sind anatomische Fehlbildungen wie eine Hiatushernie oder ein Upside-Down-Stomach oder der mechanische Reflux nach Ösophagusatresie oder Zwerchfellhernie. Die relative Indikationsstellung zur operativen Therapie ist vom Leidensdruck und vom individuellen Problemkreis abhängig, wie bei Versagen der konservativen Therapie beziehungsweise deren Langzeitbedarf, bei einer chronischen Gedeihstörung sowie mehrfachen Aspirationen oder Apnoen oder auch bei Zustand nach ALTE (apparently life threatening event). Bei zentralem Erbrechen neurologisch beeinträchtigter Kinder kann die Operation lebensnotwendig sein. Auch chronische pulmonale Erkrankungen und ein gleichzeitig vorliegender GOER stellen eine Indikation dar. Frongia et al. weisen 2015 in einem grossen Kollektiv eine deutliche Verbesserung der pulmonalen Symptomatik mit vermindertem Medikamentenbedarf postoperativ nach (10). Kasten: Bewährte chirurgische Strategie bei GERD im Kindesalter 1. Keine antirefluxiven Operationen bei Kindern vor Abschluss des 1. Lebensjahrs 2. Neurologisch eingeschränkte Kinder, Patienten nach Ösophagusatresie oder Zwerch- fellhernie: 360-Grad-Fundoplicatio (Nissen). 3. Kinder ohne oben genannte Begleiterkrankungen: 180 Grad ventrale Fundoplicatio (Thal). 4. 100 Prozent laparoskopischer Zugang (keine Kontraindikationen). Die Operation Das Prinzip der Operation beruht darauf, dass eine Druckveränderung des unteren Ösophagussphinkters erreicht wird. Zusätzlich wird der meist zu flache HisWinkel rekonstruiert und dadurch eine Ventilfunktion aufgebaut. Es gibt verschiedene Operationsmethoden. Eine sehr etablierte Methode ist die Fundoplicatio nach Nissen. Dabei wird der Ösophagus mit einer Fundusmanschette von 360 Grad umwickelt (Abbildung 1). Eine weitere, ebenfalls häufig angewandte Technik ist die Fundoplicatio nach Thal, die in der Anlage einer anterioren Fundusmanschette von 180 Grad besteht (Abbildung 2). Weitere beschriebene Methoden sind die Technik nach Toupet (dorsale Fundusmanschette von 180 Grad) oder die Technik nach Boix-Ochoa (anteriore Fundusmanschette mit zusätzlicher Fixation im linken Zwerchfellbereich). Der Eingriff wird heute in der Regel laparoskopisch durchgeführt. Bei der Operation erfolgen zunächst Mobilisierung und Freilegung des intraabdominellen Ösophagusteils. Der Hiatus wird mit einigen Nähten adaptiert. Danach wird, je nach Technik, die Fundusmanschette komplett (Technik nach Nissen) oder partiell (Technik nach Thal/Toupet) um den Ösophagus gewickelt. Um eine zu starke Einengung des Ösophagus zu verhindern, wird während der Operation eine Sonde als Platzhalter in den Ösophagus eingelegt. Die Wahl der Methode liegt in der Hand des Operateurs. Die Literatur dokumentiert kontroverse Resultate. Kubiak et al. sowie eine Metaanalyse von Mauritz et al. beschrieben 2011 eine deutlich höhere postoperative Rate an schweren Dysphagien nach einer 360Grad-Fundoplicatio (Nissen) bei neurologisch gesunden Kindern, sodass bei diesem Patientengut eher eine Operation nach Thal empfohlen wurde (11, 12). In Ergänzung hierzu wurde eine deutlich höhere Rezidivrate nach partieller Fundoplicatio (OP nach Thal) bei neurologisch beeinträchtigten Kindern gefunden, sodass diese eher von einer Operation nach Nissen profitieren (11). Gemäss einer Metanalyse aus dem Jahr 2014 besteht jedoch sowohl bei neurologisch gesunden als auch bei neurologisch beeinträchtigten Kindern bezüglich der Resultate kein signifikanter Unterschied nach partieller oder kompletter Fundoplicatio (13). Somit hat sich aus unserer eigenen Erfahrung die im Kasten zusammengefasste chirurgische Strategie bewährt. 30 4/16 CHIRURGIE 32 Komplikationen, Resultat und Prognose Die laparoskopisch durchgeführte Fundoplicatio ist, wie in zahlreichen Studien belegt, eine sehr sichere und komplikationsarme Operation. Insgesamt treten bei 10 bis 15 Prozent der Patienten unterschiedliche, meist leichtere Komplikationen auf (7, 14, 15). Intraoperative Komplikationen sind selten. Neben kleineren Blutungen sind Verletzungen des N. vagus sowie anderer benachbarter Strukturen beschrieben (5). Postoperativ kann es zu einer Stenose kommen, was meist durch eine zu enge Manschette bei der NissenFundoplicatio bedingt ist. Dieses Risiko wird durch die intraoperative Kalibrierung mittels eines gewichtsund körpergrössenadaptierten Platzhalters in den Ösophagus deutlich vermindert. Tritt postoperativ dennoch eine mit Schluckstörungen verbundene Stenose auf, kann diese in der Regel erfolgreich mittels einmaliger, endoskopischer Dilatation behandelt werden. Rezidive des GOER können auf einer zu locker angelegten Manschette oder dem Ausreissen der geknüpften Nähte und somit einem Aufheben der Manschette beruhen. In der Literatur wird eine nötige Reoperation in 3 bis 18 Prozent der Fälle beschrieben (5, 14, 16). Das Rezidivrisiko liegt bekanntermassen bei neurologisch beeinträchtigten Kindern signifikant höher als bei neurologisch gesunden Kindern (14, 16–18). Weitere beschriebene Komplikationen wie das Nichtaufstossen-Können (Gas-bloat-Phänomen), Dysphagien oder das «dumping syndrome» (Hypoglykämie nach den Mahlzeiten) sind selten und finden sich gemäss aktueller Literatur bei 2 bis 10 Prozent der operierten Patienten (12, 19). Insgesamt kommt es bei 80 bis 90 Prozent der Patienten zu einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik postoperativ (17, 20). Wie bereits erwähnt, sind schlechtere Resultate bei Kindern mit neurologischen Erkrankungen oder bei Kindern mit vorhandenen Fehlbildungen (z.B. Ösophagusatresie, Zwerchfellhernie) (17) beobachtet worden, wobei in aktuellen Publikationen keine schlechteren Resultate in dieser Patientengruppe festgestellt werden konnten (21, 22). Der stationäre Aufenthalt dauert im Mittel drei Tage. Die Kinder werden unmittelbar postoperativ enteral aufgebaut und erhalten am Folgetag der Operation bereits Wunschkost. Die Zuweisungen refluxiver Patienten zur Fundoplicatio durch pädiatrische Kollegen hängen stark von individuellen Erfahrungen und dem Vertrauen in die operative Methode ab. Es sind deutlich unterschiedliche regionale Häufigkeiten festzustellen, was nicht anders als durch Empirie erklärbar ist. Zusammenfassung Die laparoskopische Antirefluxplastik ist eine sichere und wirksame Methode zur Verbesserung der Symptomatik bei Kindern mit GERD. Gemäss unseren Guidelines wird die Operation in der Regel erst jenseits des 1. Lebensjahres durchgeführt. Die Indikationsstellung erfolgt in Zusammenschau der bestehenden Symptomatik sowie der erhobenen Befunde zusammen mit den Eltern. Dabei müssen bei zwei der präoperativ durchgeführten Untersuchungen (Endoskopie, Impedanz-pH-Metrie, Kontrastmittelröntgen) pathologische Befunde vorliegen. Die Positionierung der Manschette des Fundus wird, auch abhängig von einer allfälligen Grunderkrankung des Kindes, individuell angepasst. An unserer Klinik erfolgt in der Regel bei neurologisch gesunden Kindern eine Operation nach Thal (partielle Ummantelung des Ösophagus). Bei neurologisch beeinträchtigten Kindern wird die Fundoplicatio nach Nissen (komplette Ummantelung des Ösophagus) gewählt. Die Fundoplicatio wird in jeder Situation zunächst laparoskopisch initialisiert, und bei Bedarf wird auf eine sogenannte offene Technik umgestiegen. Eine allfällige PEG-Sondeneinlage erfolgt nicht zwingend zeitgleich mit der Antirefluxplastik, da sich die Symptomatik nach Einlage derselben bereits bessern kann, sodass eine weitere Operation unnötig wird. Eine bereits liegende PEG-Sonde ist per se keine Kontraindikation für das laparoskopische Vorgehen. Die Nachkontrollen sind in der Regel klinisch. Eine postoperative Diagnostik (Kontrastmitteldarstellung, Impedanz-pH-Metrie) wird erst bei Auftreten von erneuten Beschwerden notwendig. Korrespondenzadresse: Dr. med. Martina Frech Spezialärztin Kinderchirurgie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) Spitalstrasse 33 4031 Basel E-Mail: martina.frech@ukbb.ch Literatur: 1. Fuchs KH et al.: European Association of Endoscopic Surgery (EAES). EAES recommendations for the management of gastroesophageal reflux disease. Surg Endosc 2014; 28 (6): 1753–1773. 2. Dent J et al.: Epidemiology of gastro-esophageal reflux disease: a systematic review. Gut 2005; 54 (5):710–717. 3. Vandenplas Y et al.: Paediatric gastroesophageal reflux clinical practice guidelines: joint recommendations of the North American Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition (NASPGHAN) and the European Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition (ESPGHAN). J Pediatr Gastroenterol Nutr 2009; 49: 498. 4. Davies I, Burman-Roy S, Murphy MS; Guideline Development Group: Gastro-oesophageal reflux disease in children: NICE guidance. BMJ 2015; 350: g7703. 5. Rothenberg SS: Two decades of experience with laparoscopic Nissen fundoplication in infants and children: a critical evaluation of indications, technique and results. J Laparoendosc Adv Surg Tech Part A 2013; 23 (9): 791–794. 6. Leung L et al.: Laparoscopic Nissen fundoplication for gastro-oesophageal reflux disease in infants. Pediatr Surg Int 2015; 31 (1): 83–88. 7. Baerg J et al.: A multicenter study of the incidence and factors associated with redo Nissen fundoplication in children. J Ped Surg 2013; 48: 1306–1311. 8. Pacilli M et al.: Factors predicting failure of redo Nissen fundoplication in children. Pediatr Surg Int 2007; 23: 499–503. 9. Ngerncham M et al.: Risk factors for recurrent gastroesophageal reflux disease after fundoplicationin pediatric patients: a case-control study. J Pediatr Surg 2007; 42: 1478–1485. 10. Frongia G et al. . Long-term effects of fundoplication in children with chronic airway diseases. J Pediatr Surg 2015; 50 (1): 206–210. 11. Kubiak R, Andrews J, Grant HW: Longterm outcome of laparoscopic Nissen fundoplication compared with laparoscopic Thal fundoplication in children. Ann Surg 2011; 253 (1): 44–49. 12. Mauritz FA et al.: Complete versus partial fundoplication in children with gastroesophageal reflux disease: results of a systematic review and meta-analysis. J Gastrointest Surg 2013; 17: 1883–1892. 13 Glen P et al.: Partial versus complete fundoplication for the correction of pediatric GERD: a systematic review and meta-analysis. PLoS One 2014; 9 (11): e112417. 4/16 14. Lopez-Fernandez S, Hernandez F, Hernandez-Martin S: Failed Nissen fundoplication in children: causes and management. Eur J Pediatr Surg 2014; 24 (1): 79–82. 15. Mauritz FA, van Herwaarden-Lindeboom MY, Zwaveling S: Laparoscopic Thal fundoplication in children: a prospective 10- to 15-year follow-up study. Ann Surg 2014; 259 (2): 388–393. 16. Fonkalsrud E et al.: Surgical treatment of gastroeesophageal reflux in children: a combined hospital study of 7467 patients. Paediatrics 1998; 101 (3.1): 419–422. 17. Broeders JA et al.: Laparoscopic anterior 180-degree vs Nissen fundoplication for gastrooesophageal reflux disease: systematic review and meta-analysis of randomized clinical trials. Ann Surg 2013; 257 (5): 850–859. 18. Martin K, Deshaies C, Emil S: Outcomes of pediatric laparoscopic fundoplication: a critical review of the literature. Can J Gastroenterol Hepatol 2014; 28 (2): 97–102. 19. Pascoe E et al.: Outcomes of fundoplication for paediatric gastroesophageal reflux disease. Pediatr Surg Int 2016; 32 (4): 353–361. 20. Dunckley MG, Rajwani KM, Mahomed AA: Laparoscopic watson fundoplication is effective and durable in children with gastroesophageal reflux. Minim Invasive Surg 2014: 409727. 21. Miyano G et al.: Laparoscopic Toupet fundoplication for gastroesophageal reflux: a series of 131 neurologically impaired pediatric cases at a single children’s hospital. Pediatr Surg Int 2015; 31 (10): 925–929. 22. Knatten CK et al.: Nissen fundoplication in children with and without neurological impairment: A prospective cohort study. J Pediatr Surg 2015; pii: S0022-3468(15)008271. CHIRURGIE 4/16 33